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BFH-Urteil vom 7.12.1988 (II R 150/85) BStBl. 1989 II S. 237

Erwerber und damit Steuerschuldner i.S. des § 20 Abs. 1 ErbStG 1974 kann auch eine Gesellschaft zur gesamten Hand sein (Änderung der Rechtsprechung).

ErbStG 1974 § 2 Abs. 1 Nr. 1 d, § 20 Abs. 1; AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 174 Abs. 3, § 39 Abs. 2 Nr. 2; BewG § 3.

Vorinstanz: FG Bremen

Sachverhalt

I.

Alleinerbin der im Jahre 1980 verstorbenen Frau K (Erblasserin) war die Grundstücksverwaltungsgesellschaft X mbH & Co. KG in B (KG), an der u.a. die Kläger mit je 1/15 Anteil als Gesellschafter beteiligt waren. Zusätzlich sollten nach dem Testament der Erblasserin die Kläger neben weiteren Vermächtnisnehmern ein Vermächtnis in Höhe von je 10.000 DM erhalten.

In der für die Erbin und die Vermächtnisnehmer gemeinsam abgegebenen Steuererklärung wurden die Kläger bei der Aufstellung der bedachten Personen als Vermächtnisnehmer mit Vor- und Zunamen und vollständiger Wohnanschrift angegeben. Bezüglich der KG als Erbin wurde in der Anlage zur Steuererklärung eine Aufstellung der Namen der Kommanditisten der KG beigefügt.

Da die Feststellung des Wertes des Nachlasses längere Zeit in Anspruch nahm, entschloß sich das Finanzamt (FA), zunächst nur gegen die Vermächtnisnehmer, u.a. somit auch gegen die Kläger Erbschaftsteuer festzusetzen, und zwar bezüglich der Kläger wegen des ihnen zugewandten Vermächtnisses in Höhe von je 10.000 DM (Bescheide vom 1. September 1981). Dem zuständigen Sachbearbeiter war damals nicht bewußt, daß die Kläger auch an der KG beteiligt waren. Dies wurde dem FA erst bei der Besteuerung der Erbanteile aufgrund einer Nachfrage beim Testamentsvollstrecker bekannt. Daraufhin erließ das FA gegen die Kläger am 9. März 1982 Änderungsbescheide "nach § 173 AO", in denen es den Vermächtnissen in Höhe von je 10.000 DM Erbanteile von je 26.120 DM hinzurechnete und die Steuer auf je 6.620 DM erhöhte.

Die nach erfolglos gebliebenem Einspruchsverfahren erhobenen Klagen, die vom Finanzgericht (FG) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden wurden, führten zur Aufhebung der Änderungsbescheide. Sei ein Steuerpflichtiger zugleich Erbe und Vermächtnisnehmer nach demselben Erblasser, so liege ein einheitlicher, in einem Steuerbescheid zu erfassender Steuertatbestand vor. Erfasse das FA im Erbschaftsteuerbescheid einen Teil des Erwerbs von Todes wegen nicht, so könne es den Bescheid nur unter den gesetzlichen Voraussetzungen ändern. Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) scheide aus, weil dem FA ein Ermittlungsfehler unterlaufen sei. Auch § 174 Abs. 3 AO 1977 biete keine Änderungsgrundlage, da "das FA gerade nicht angenommen habe, daß dieser Erwerb in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei".

Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung der §§ 173 Abs. 1 Nr. 1 und 174 Abs. 3 AO 1977 und beantragt, unter Aufhebung des FG-Urteils die Klagen abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Der Senat hat den Bundesminister der Finanzen (BMF) aufgefordert, dem Verfahren wegen der Frage beizutreten, ob bezüglich der Erbeinsetzung der KG diese oder - wovon FA und FG ausgegangen sind - die Kläger entsprechend ihrem Anteil an der KG als Erwerber und Steuerschuldner i.S. von § 20 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) anzusehen sind. Der BMF ist dem Verfahren beigetreten und hält mit der bisherigen Rechtsprechung die Weiterführung des Durchgriffsgedankens bei Zuwendungen an bzw. von Personenhandelsgesellschaften für vertretbar. Die Gesetzesfassung lege zwar die Auffassung nahe, Personenvereinigungen in der Rechtsform der OHG und KG selbst als unbeschränkt steuerpflichtig zu behandeln, dies führe aber wieder zu einem wesentlich verstärkten steuerlichen Zugriff.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

Das FG hat im Ergebnis zu Recht die Änderungsbescheide vom 9. März 1982 für rechtswidrig gehalten und aufgehoben. Die Revision ist deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 und 4 FGO).

Eine Änderung der bestandskräftig gewordenen Bescheide vom 1. September 1981 kann unter den weiteren Voraussetzungen der §§ 173 und 174 AO 1977 nur in Betracht kommen, wenn diese materiell unrichtig sind, weil der den Klägern über die KG zugeflossene Erwerb von Todes wegen in diesen Bescheiden zu erfassen wäre. Das setzt jedoch voraus, daß die Kläger auch bezüglich der Erbeinsetzung der KG als Erwerber und Steuerschuldner anzusehen wären. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz und des dem Verfahren beigetretenen BMF ist dies jedoch nicht der Fall. Vielmehr ist die KG selbst Steuerschuldner i.S. von § 20 Abs. 1 ErbStG. Nach dieser Vorschrift ist Steuerschuldner der Erwerber, bei einer Schenkung auch der Schenker.

Die Frage, ob eine Gesellschaft zur gesamten Hand (OHG, KG, Gesellschaft bürgerlichen Rechts - GbR -) als solche als Erwerberin oder Schenkerin im Sinne des ErbStG angesehen werden kann, ist von der Rechtsprechung in der Vergangenheit unterschiedlich beantwortet worden. Während der Reichsfinanzhof (RFH) zunächst diese Frage unter Hinweis auf die "Selbständigkeit des Gesellschaftsvermögens" bejahte (vgl. Urteile vom 2. Oktober 1919 II A 244/19, RFHE 1, 197; vom 28. Oktober 1921 I aA 101/21, RFHE 7, 192, RStBl 1922, 292, und vom 27. September 1922 VI A 184/21, Steuer und Wirtschaft - StuW - I. Jahrgang 1922, S. 1123), hat er in einer späteren Entscheidung (Urteil vom 12. Juni 1928 VeA 242/28, RFHE 23, 282, RStBl 1928, 270) mit Bezug auf die damals geltenden Vorschriften des § 22 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 ErbStG 1925 i.V.m. § 80 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung - AO - (entspricht § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977) einen gegenteiligen Standpunkt eingenommen. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat sich dieser Rechtsauffassung mit Urteil vom 22. Juni 1960 II 256/57 U (BFHE 71, 295, BStBl III 1960, 358) angeschlossen, und zwar sowohl für das ErbStG 1951 (unter Hinweis auf die Vorschriften des § 22 Abs. 1 ErbStG 1951 i.V.m. § 3 des Bewertungsgesetzes - BewG - 1934 und § 11 Ziff. 5 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -) als auch für das ErbStG 1959 (unter Hinweis auf die Vorschriften des § 23 Abs. 1 ErbStG 1959 i.V.m. § 3 BewG 1958 und § 11 Ziff. 5 StAnpG).

In der Literatur wurde die frühere Auffassung des RFH zunächst geteilt (vgl. Stölzle, Erbschaftsteuergesetz, 1. Aufl., § 9 Anm. 29; Kipp, Erbschaftsteuergesetz, § 8 Anm. 10 c, § 9 Anm. 54; Ott, Die OHG und die einzelnen Steuern in StuW III. Jahrgang 1924, S. 814, 822 f.). In der neueren Literatur vertreten den gleichen Standpunkt nur Meincke/Michel, Erbschaftsteuergesetz, 8. Aufl., § 1 Anm. 3, und Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Stand Juni 1988, § 39 AO 1977 Tz. 37. Überwiegend wird jedoch die Auffassung vertreten, daß erbschaftsteuerrechtlich nicht die Gesamthand, sondern die einzelnen Gesellschafter als Schenker, Beschenkte oder Erben zu behandeln sind (vgl. Stölzle, a.a.O., 2. Aufl., § 3 Anm. 111; Finger, Erbschaftsteuergesetz, 4. Aufl., § 3 Anm. 2, S. 83; Becker, Reichsabgabenordnung, 7. Aufl., § 80 Anm. 3; Megow/Michel, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 6. Aufl., § 2 Anm. 9; Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 6. Aufl., § 27 IV, S. 781; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 39 AO 1977 Tz. 122; Kapp, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 9. Aufl., § 1 ErbStG Anm. 20; Schild, Erbschaftsteuer und Erbschaftsteuerpolitik bei der Unternehmensnachfolge, S. 59 f.; Troll, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Stand August 1987, § 3 ErbStG Tz. 5; Moench, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Stand Mai 1988, § 2 ErbStG Tz. 1; Petzoldt, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 2. Aufl., § 20 ErbStG Tz. 7). Soweit über den Hinweis auf das Urteil in BFHE 71, 295, BStBl III 1960, 358 hinaus dieser Rechtsstandpunkt überhaupt begründet wird, wird geltend gemacht, OHG und KG seien keine Personenvereinigungen i.S. von § 2 Abs. 1 Nr. 1 d ErbStG 1974 (Megow/Michel, a.a.O.; Schild, a.a.O.), bzw. diese Rechtsauffassung "führe zu befriedigenderen und günstigeren steuerlichen Ergebnissen" (Moench, a.a.O.).

Das Urteil in BFHE 71, 295, BStBl III 1960, 358 sowie die überwiegend in der Literatur vertretene Rechtsauffassung, die auch der ständigen Verwaltungspraxis entspricht, ist nicht haltbar. Sie entspricht nicht der Gesetzeslage.

a) Die Begriffe "Schenker" und "Erwerber" sind steuerrechtlich und deshalb nach steuerrechtlichen Grundsätzen, insbesondere des Erbschaftsteuerrechts auszulegen. Daß Gesamthandsgemeinschaften "Erwerber" und "Schenker" i.S. von § 20 Abs. 1 ErbStG 1974 sein können, ergibt sich zum einen unmittelbar aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 d ErbStG 1974. Nach dieser Vorschrift tritt bei einem Erwerb von Todes wegen oder bei einer Schenkung unter Lebenden die Erbschaft- oder (Schenkung-)steuerpflicht ein, wenn u.a. der "Erwerber" oder "Schenker" ein Inländer ist. Als Inländer gelten neben natürlichen Personen u.a. Personenvereinigungen, die ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland haben. Die Vorschrift kann ihrem eindeutigen Wortlaut nach nicht anders ausgelegt werden, als daß der Gesetzgeber Personenvereinigungen als "Erwerber" oder "Schenker" ansieht. Denn diese sollen unter bestimmten Voraussetzungen als Inländer gelten und als solche "Erwerber" oder "Schenker" sein.

Es ist auch kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, daß den Begriffen "Schenker" oder "Erwerber" in § 20 Abs. 1 ErbStG 1974 eine andere Bedeutung beizumessen ist als in § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1974. Denn das hieße, daß die Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1974 zwar bei einem Erwerb durch einen Inländer in Form einer Personenvereinigung einträte, als steuerpflichtiger Erwerb aber die Bereicherung eines anderen, etwa die Bereicherung der Mitglieder der Personenvereinigung (vgl. § 10 Abs. 1 ErbStG 1974) anzusehen wäre. Für eine solche Auslegung gibt das Gesetz jedoch keine Grundlage. Es mag sein, daß der Gesetzgeber bei der Erbschaftsteuerreform 1974 im Hinblick auf die langjährige, mit der Rechtsprechung übereinstimmende Verwaltungspraxis von der bisherigen Rechtslage ausgegangen ist. Diese Vorstellung hat aber im Gesetz keinen Niederschlag gefunden und muß daher unberücksichtigt bleiben.

Zu den Personenvereinigungen gehören auch die Gesamthandsgemeinschaften wie OHG, KG und GbR. Denn bei diesen handelt es sich um bürgerlich- bzw. handelsrechtlich organisierte Personenzusammenschlüsse, deren Zweck auf die gemeinschaftliche Verwirklichung eines bestimmten Bestrebens gerichtet ist. Ein Grund, diese nicht als Personenvereinigungen anzusehen, ist nicht ersichtlich.

b) Zivil- und handelsrechtlich kann die Gesamthandsgemeinschaft von Todes wegen oder durch Schenkung unter Lebenden "erwerben". Dies ergibt sich für die OHG und KG aus den §§ 124, 161 Abs. 2 des Handelsgesetzbuches (HGB), für die GbR aus § 719 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Die Gesamthandsgemeinschaft kann danach in eigener Rechtszuständigkeit Rechte erwerben und übertragen (vgl. das BFH-Urteil vom 4. April 1974 I R 73/72, BFHE 112, 351, BStBl II 1974, 645, 646 letzter Absatz). Das Vermögen der Gesamthand ist im Verhältnis zu den Gesamthändern wie gegenüber Dritten verselbständigt. Die Gesellschafter sind Träger der gemeinschaftlichen Rechte nicht "als Individualpersonen", sondern "als Teilhaber der zweckgebundenen Personenvereinigung" (vgl. das BFH-Urteil vom 4. April 1974 III R 168/72, BFHE 112, 401, BStBl II 1974, 598, 600 m.w.N.). Zivil- und handelsrechtlich gibt es somit hinsichtlich des Vermögens der Gesamthand keinen "Durchgriff" durch die Gesamthand auf die Gesamthänder. Zivil- und handelsrechtliche Grundsätze müssen hier insbesondere deshalb zur Auslegung herangezogen werden, weil die Erbschaftsteuer und Schenkungsteuer grundsätzlich an die bürgerlich-rechtliche Gestaltungsform anknüpft. Maßgebend sind nicht wirtschaftliche, sondern rechtliche Vorgänge (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 22. September 1982 II R 61/80, BFHE 137, 188, BStBl II 1983, 179, und vom 10. November 1982 II R 111/80, BFHE 137, 79, BStBl II 1983, 116). Dies betrifft nicht nur die Frage, ob überhaupt ein Erwerb von Todes wegen oder eine Schenkung unter Lebenden vorliegt, sondern auch die Frage, wer "Schenker" bzw. "Erwerber" ist. Daß mittelbar wirtschaftlich die Gesamthänder hinsichtlich des Gesamthandsvermögens bereichert sind, spielt insoweit keine Rolle.

c) Auch aus § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 ergibt sich keine vom Zivil- und Handelsrecht abweichende Beurteilung. Es ist zwar richtig, daß nach Satz 1 dieser Vorschrift Wirtschaftsgüter, die mehreren zur gesamten Hand zustehen, den Beteiligten so zugerechnet werden sollen, als wären die Beteiligten nach Bruchteilen berechtigt. Das bedeutet jedoch keine Gleichstellung der Gesamthandsgemeinschaft mit der Bruchteilsgemeinschaft (vgl. BFHE 112, 401, BStBl II 1974, 598). Vielmehr bleibt es bei der Regelzurechnung des § 39 Abs. 1 AO 1977, soweit eine getrennte Zurechnung für die Besteuerung nicht erforderlich ist. Eine solche Abweichung von der Regelzurechnung des Zivil- und Handelsrechts der Gesamthandsgemeinschaften ist nur erforderlich, soweit die Besteuerung nicht die Gesamthand, sondern die Gesamthänder erfaßt (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 39 AO 1977 Tz. 37). Das ist aber - wie oben in Abschnitt a dargelegt - im ErbStG nicht der Fall. Dieses geht vielmehr davon aus, daß die Gesamthand als solche "Erwerber" und "Schenker", und damit auch Steuerpflichtiger sein kann.

Gleiches gilt für § 3 BewG, da auch diese Vorschrift nicht anwendbar ist, soweit nach dem maßgebenden Steuergesetz die Gemeinschaft selbst steuerpflichtig ist.

d) Ohne Bedeutung muß der Hinweis des BMF auf die jahrzehntelange Praxis und auf den wesentlich verstärkten steuerlichen Zugriff bleiben. Denn allein maßgebend ist die Gesetzeslage.

Da im Streitfall hinsichtlich der Erbeinsetzung der KG nicht die Kläger als Gesamthänder, sondern die Gesamthand selbst (KG) Steuerpflichtiger i.S. von § 20 ErbStG 1974 ist, stellen sich die Erbschaftsteuerbescheide gegen die Kläger vom 1. September 1981 als materiell rechtmäßig dar. Eine Änderung dieser Bescheide durfte deshalb nicht vorgenommen werden. Die Änderungsbescheide vom 9. März 1982 waren rechtswidrig und sind vom FG im Ergebnis zutreffend aufgehoben worden.