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BFH-Urteil vom 11.11.1988 (III R 262/83) BStBl. 1989 II S. 280

Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für das Hochschulstudium seiner volljährigen Geschwister erwachsen in aller Regel nicht im Sinne von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG zwangsläufig und sind deshalb regelmäßig nicht steuerermäßigend als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.

EStG 1979 §§ 33 Abs. 2, 33a Abs. 1.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten und wurden im Streitjahr 1980 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Der Kläger stammt aus Indonesien und erzielt in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) als Arzt Einkünfte aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit. Im Streitjahr gewährte er seinen fünf Geschwistern, die nach seinen Angaben in den Jahren 1945 bis 1959 geboren sind und im Streitjahr an einer Universität der Bundesrepublik studierten, Unterhalt im Gesamtbetrag von 48.500 DM. Den Antrag des Klägers, seine Studienbeihilfe an seine Geschwister in Höhe von 21.500 DM als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes 1979 (EStG) zu berücksichtigen, lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ab. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Die Kläger rügen mit ihrer Revision einen Verstoß der Vorentscheidung gegen materielles Recht. Sie machen geltend, das Finanzgericht (FG) habe im Streitfall die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen zu Unrecht verneint. Aufwendungen für den Unterhalt Dritter entständen zwangsläufig, wenn eine besondere Beziehung zwischen Geber und Empfänger besteht (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. März 1983 VI R 275/80, BFHE 138, 343, BStBl II 1983, 453). Diese Voraussetzung sei regelmäßig zu bejahen, wenn der Empfänger ein Angehöriger des Gebers im Sinne von § 15 der Abgabenordnung (AO 1977) ist. Eine sittliche Verpflichtung des Klägers zur Gewährung von Unterhalt an seine Geschwister als Angehörige im Sinne von § 15 AO 1977 ergebe sich im Streitfall daraus, daß seine Eltern nur ihm, dem Kläger, eine gehobene Ausbildung hätten zuteil werden lassen, ohne in der Lage zu sein, seinen Geschwistern eine vergleichbare Ausbildung zu finanzieren (vgl. Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 5. September 1969 IV 85/68, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1970, 9). Unter diesen Umständen hätte es jeder billig und gerecht denkende Mitbürger als sittlich unehrenhaft empfunden, wenn er, der Kläger, seine Geschwister nicht bei deren Studium unterstützt hätte.

Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und Unterhaltsleistungen im Betrag von 21.500 DM gemäß § 33a Abs. 1 EStG als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat den Abzug der Aufwendungen des Klägers für das Hochschulstudium seiner volljährigen Geschwister mangels Zwangsläufigkeit zu Recht versagt.

1. Gemäß § 33a Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig Aufwendungen für den Unterhalt und eine etwaige Berufsausbildung von Personen erwachsen, für die im Veranlagungszeitraum weder der Steuerpflichtige noch eine andere Person Anspruch auf Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) haben. Zwangsläufig erwachsen einem Steuerpflichtigen Aufwendungen, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann. Diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des Senats erfüllt, wenn die vorstehend genannten Gründe der Zwangsläufigkeit von außen auf die Entscheidung des Steuerpflichtigen in einer Weise einwirken, daß er ihnen nicht ausweichen kann (vgl. z.B. Urteil vom 18. Juli 1986 III R 178/80, BFHE 147, 171, BStBl II 1986, 745).

2. Ob ein Steuerpflichtiger sich Unterhaltsaufwendungen dem Grunde nach aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, ist gemäß § 33a Abs. 1 Satz 4 letzter Halbsatz EStG nach inländischen Maßstäben zu beurteilen. Das FG hat zutreffend entschieden, daß die hier streitigen Aufwendungen weder aus rechtlichen noch aus sittlichen oder tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen sind.

a) Der Kläger erbrachte die Aufwendungen zur Finanzierung der Hochschulausbildung seiner volljährigen Geschwister nicht in Erfüllung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht. Denn gesetzlich unterhaltspflichtig sind nach deutschem Recht nur Ehegatten (§§ 1360 f. des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) und Verwandte in gerader Linie (§§ 1601 f., § 1589 BGB; vgl. auch BFH-Urteil vom 9. Dezember 1966 VI R 196 und 197/66, BFHE 88, 119, BStBl III 1967, 308), nicht hingegen Verwandte in der Seitenlinie (vgl. Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 1601 Anm. 4).

b) Die Aufwendungen für den Unterhalt und die Ausbildung seiner volljährigen Geschwister sind dem Kläger auch nicht aus sittlichen Gründen zwangsläufig im Sinne von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen. Nach der Rechtsprechung des Senats ist eine die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG begründende sittliche Pflicht nur dann zu bejahen, wenn diese so unabwendbar auftritt, daß sie ähnlich einer Rechtspflicht von außen her als eine Forderung oder zumindest Erwartung der Gesellschaft derart auf den Steuerpflichtigen einwirkt, daß ihre Erfüllung als eine selbstverständliche Handlung erwartet und die Mißachtung dieser Erwartung als moralisch anstößig empfunden wird (vgl. z.B. die Urteile vom 27. Februar 1987 III R 209/81, BFHE 149, 240, BStBl II 1987, 432; vom 13. März 1987 III R 301/84, BFHE 149, 245, BStBl II 1987, 495; vom 24. Juli 1987 III R 208/82, BFHE 150, 351, BStBl II 1987, 715). Mit dieser Rechtsprechung wäre es nicht vereinbar, die Kosten einer Hochschulausbildung, die für volljährige Angehörige im Sinne von § 15 AO 1977 getragen werden, stets und generell als aus sittlichen Gründen zwangsläufig erwachsen anzusehen (vgl. jedoch BFH-Urteile vom 7. März 1975 VI R 98/72, BFHE 115, 349, BStBl II 1975, 629, und das Urteil in BFHE 138, 343, BStBl II 1983, 453). Der erkennende Senat folgt der Auffassung der Vorinstanz, daß in der Bundesrepublik - und zwar auch für einen Steuerpflichtigen, der selbst eine Hochschulausbildung erhalten hat - ein generelles sittliches Gebot des Inhalts, die Aufwendungen eines Hochschulstudiums von volljährigen Geschwistern zu tragen, nicht besteht. Diese Beurteilung beruht entscheidend auf der Erwägung, daß das Universitätsstudium volljähriger Geschwister sich auch durch die Gewährung langfristiger und ratenweise zu tilgender Darlehen ermöglichen läßt und die Vereinbarung solcher Ausbildungsdarlehen im Verhältnis auch zwischen Geschwistern regelmäßig als zumutbar anzusehen ist (vgl. Urteil in BFHE 88, 119, BStBl III 1967, 308, das allerdings Studienaufwendungen für die Braut des Steuerpflichtigen betrifft). Denn es ist zu berücksichtigen, daß die Übernahme der Kosten eines Hochschulstudiums dazu dient, dem Unterstützten eine hochqualifizierte Ausbildung und damit die Möglichkeit des Zugangs zu Berufen mit im allgemeinen guten Einkommenschancen zu eröffnen.

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall kann nach Auffassung des erkennenden Senats nicht angenommen werden, daß der Kläger gesellschaftlicher Mißbilligung begegnet wäre, wenn er die Kosten des Hochschulstudiums seiner volljährigen Geschwister nicht selbst getragen, sondern nach Abschluß der Ausbildung die ratenweise Tilgung einer darlehensweise gewährten Ausbildungshilfe verlangt hätte. Ebensowenig kann davon ausgegangen werden, daß die Übernahme der Studienkosten durch den Kläger von der Mehrzahl aller billig und gerecht Denkenden als selbstverständliche Handlung erwartet worden wäre. Dabei verkennt der Senat nicht, daß die Beweggründe des Klägers, die Aufwendungen für die Hochschulausbildung seiner Geschwister zu tragen, in hohem Maße achtens- und anerkennenswert sind.

Diese Rechtsauffassung des erkennenden Senats steht - jedenfalls im Ergebnis - in Einklang mit der schon bisher überwiegend in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Rechtsansicht (vgl. z.B. Urteile des FG Düsseldorf vom 29. November 1971 IX 214/70 L, EFG 1972, 122; des FG Berlin vom 24. September 1976 III 167/76, EFG 1977, 171; des FG Köln vom 22. April 1983 V 405/82 L, EFG 1983, 610; des Hessischen FG vom 25. März 1983 I 428/82, EFG 1983, 611; Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort: Ausbildungskosten B IV; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 33a EStG Anm. 73; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 7. Aufl., § 33 Anm. 8; Sunder-Plassmann in Littmann/Bitz/Meincke, Einkommensteuerrecht, 14. Aufl., § 33 EStG Anm. 37 a; a.A. Urteil des FG Rheinland-Pfalz in EFG 1970, 9). Sie entspricht auch der Tendenz der früheren Rechtsprechung des BFH zu vergleichbaren Sachverhalten (vgl. z.B. das Urteil in BFHE 88, 119, BStBl III 1967, 308). An dieser Beurteilung ändert nichts, daß der VI. Senat des BFH im Urteil vom 17. Januar 1984 VI R 244/80 (BFHE 140, 250, BStBl II 1984, 527) Unterhaltsleistungen gegenüber volljährigen Geschwistern als gemäß § 33a Abs. 1 EStG abziehbar angesehen hat. Der jener Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt weicht insoweit von dem hier vorliegenden ab, als die unterstützten Geschwister in dem seinerzeit entschiedenen Fall noch die Schule und nicht, wie im Streitfall, die Universität besuchten. Auf diesen Unterschied stellt die Begründung des Urteils in BFHE 140, 250, 260, BStBl II 1984, 527 entscheidend ab.

c) Die hier streitigen Aufwendungen sind auch nicht aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig im Sinne von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG entstanden. Tatsächliche Gründe der Zwangsläufigkeit sind zu bejahen, wenn die geltend gemachten Aufwendungen unmittelbar durch ein unausweichliches Ereignis wie Katastrophen, Krankheit sowie andere Gesundheits- und Lebensbedrohungen oder unzumutbare Beschränkungen der Freiheit ausgelöst wurden (vgl. Senatsurteil vom 13. März 1987 III R 301/84, BFHE 149, 245, BStBl II 1987, 495). Im Streitfall ist nichts dafür ersichtlich, daß die Aufwendungen des Klägers unmittelbar durch ein unausweichliches Ereignis der genannten Art veranlaßt wurden.

3. Die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen läßt sich auch nicht damit begründen, daß der Kläger deutschen Behörden gegenüber erklärt hat, für die Kosten des Studiums seiner Geschwister aufzukommen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats fallen unter rechtliche Gründe im Sinne von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG nur solche rechtlichen Verpflichtungen, die der Steuerpflichtige nicht selbst gesetzt hat (Urteil in BFHE 147, 171, BStBl II 1986, 745). Die vom Kläger selbst eingegangene Verpflichtung zur Übernahme der Studienkosten könnte danach nur dann als zwangsläufig im Sinne von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG angesehen werden, wenn zusätzlich zu der selbstbegründeten Rechtspflicht eine weitere, sich z.B. unmittelbar aus dem Gesetz ergebende rechtliche oder eine sittliche Verpflichtung bzw. eine tatsächliche Zwangslage bestand, deretwegen sich der Kläger den Unterstützungsleistungen nicht entziehen konnte. Letztere Voraussetzungen sind jedoch im Streitfall, wie bereits dargelegt, nicht erfüllt.