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BFH-Urteil vom 30.11.1988 (I R 84/85) BStBl. 1989 II S. 365

1. Bei der Feststellung, ob eine in der Schweiz ansässige natürliche Person einer niedrigen Besteuerung i.S. des § 2 Abs. 2 AStG unterliegt, sind die schweizerische Bundessteuer, die Staatssteuern der Kantone und die Gemeindezuschläge zur Staatssteuer als "in dem ausländischen Gebiet erhobene Einkommensteuer" zu berücksichtigen.

2. Die beim Belastungsvergleich nach § 2 Abs. 2 AStG zu berücksichtigende "deutsche Einkommensteuer" umfaßt nicht die Ergänzungsabgabe nach dem Gesetz vom 21. Dezember 1967 (BGBl I 1967, 1254).

AStG § 2 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

I.

1. Streitig ist, ob der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) im Streitjahr 1974 einer niedrigen Besteuerung i.S. von § 2 des Außensteuergesetzes (AStG) unterlag.

2. Der Kläger verlegte am 15. Juni 1970 seinen Wohnsitz aus der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) in die Schweiz.

Er war im Streitjahr 1974 mit 89,25 % an der im Jahre 1961 gegründeten X-AG mit Sitz in der Schweiz beteiligt. Die X-AG ist eine Holding-Gesellschaft mit zahlreichen Tochtergesellschaften. Einige Tochtergesellschaften befinden sich in der Bundesrepublik.

Am 6. September 1977 erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) gegen den Kläger einen Feststellungsbescheid gemäß §§ 5 Abs. 3, 18 AStG für das Streitjahr. Darin rechnete er dem Kläger die Einkünfte der X-AG zu, die diese in dem am 31. März 1974 endenden Wirtschaftsjahr 1973/74 aus Beteiligungen an den Tochtergesellschaften in der Bundesrepublik bezogen hatte (§ 5 Abs. 1 Satz 1 AStG). Das FA setzte den Zurechnungsbetrag fest und rechnete die deutschen Steuerabzugsbeträge samt Ergänzungsabgabe und Stabilitätszuschlag an.

Die Steuerbelastung einer unverheirateten natürlichen Person mit einem Einkommen von 150.000 DM betrug im Jahre 1974 im Inland 73.675 DM. Sie setzte sich zusammen aus 68.219 DM Einkommensteuer, 2.046 DM Ergänzungsabgabe und 3.410 DM Stabilitätszuschlag.

Am Wohnsitz des Klägers in der Schweiz hatte im Streitjahr eine unverheiratete natürliche Person mit einem Einkommen von 150.000 DM eidgenössische Wehrsteuer, kantonale Staatssteuer und Gemeindesteuer in Höhe von insgesamt 48.312 DM zu entrichten. Eine Vorzugsbesteuerung i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG kam für den Kläger nicht in Betracht.

Da die schweizerische Gesamtbelastung von 48.312 DM weniger als zwei Drittel der deutschen Gesamtbelastung von 73.675 DM (Einkommensteuer, Ergänzungsabgabe und Stabilitätszuschlag) betrug, folgerte das FA, daß der Kläger im Streitjahr einer niedrigen Besteuerung i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 1. Halbsatz AStG unterlag.

3. Auf die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hob das Finanzgericht (FG) den Feststellungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung mit der Begründung auf, daß der Kläger bei abstraktem Belastungsvergleich keiner niedrigen Besteuerung unterlegen habe. Die Ergänzungsabgabe sei in den Belastungsvergleich nicht einzubeziehen.

4. Das FA hat gegen die Entscheidung Revision eingelegt. Es rügt Verletzung des § 2 AStG. In die Vergleichsberechnung müsse die Ergänzungsabgabe als Teil der deutschen Einkommensteuer einbezogen werden.

Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet und war zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Das FG hat zutreffend verneint, daß dem Kläger für das Streitjahr 1974 Einkünfte der X-AG nach § 5 Abs. 1 AStG zuzurechnen sind.

Die Zurechnung von Einkünften ausländischer Zwischengesellschaften zu den Einkünften beschränkt steuerpflichtiger natürlicher Personen setzt nach § 5 AStG u.a. voraus, daß die beschränkt steuerpflichtige Person in einem ausländischen Gebiet ansässig ist, in dem sie mit ihrem Einkommen nur einer niedrigen Besteuerung unterliegt (§ 5 Abs. 1, § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 AStG). Eine niedrige Besteuerung liegt nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 AStG vor, wenn die Belastung "durch die in dem ausländischen Gebiet erhobene Einkommensteuer" bei einer in diesem Gebiet ansässigen unverheirateten natürlichen Person, die ein steuerpflichtiges Einkommen von 150.000 DM bezieht, um mehr als ein Drittel geringer ist, als die Belastung einer im Geltungsbereich des AStG ansässigen Person "durch die deutsche Einkommensteuer" unter sonst gleichen Bedingungen.

2. Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Der - abstrakte - Belastungsvergleich nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 AStG ergibt im Streitfall keine "niedrige Besteuerung".

Nach den Feststellungen des FG lag die abstrakte Belastung einer unverheirateten natürlichen Person mit einem steuerpflichtigen Einkommen von 150.000 DM am Wohnsitz des Klägers im Streitjahr bei 48.312 DM.

Das FG hat bei der Feststellung der "im ausländischen Gebiet erhobenen Einkommensteuer" ohne Rechtsirrtum die schweizerische Bundessteuer, die Staatssteuer des Wohnsitz-Kantons und den Gemeindezuschlag zur Staatssteuer berücksichtigt. Mit dem Sammelbegriff "der in dem ausländischen Gebiet erhobenen Einkommensteuer" wollte der Gesetzgeber zumindest die in dem ausländischen Gebiet von Gebietskörperschaften auf der Grundlage des Einkommens erhobenen Steuern in den Belastungsvergleich einbeziehen. Eine genaue Bezeichnung der in den einzelnen Staaten erhobenen Einkommensteuern war dem Gesetzgeber bei der Vielzahl der in Betracht kommenden Staaten nicht möglich. Das gilt insbesondere für föderativ gegliederte Staaten, in denen in aller Regel mehrere Gebietskörperschaften steuerberechtigt sind. Ist das Einkommen Bemessungsgrundlage der betreffenden Steuern, so sind die betreffenden Steuern in ihrer Gesamtheit die "in dem ausländischen Gebiet erhobene Einkommensteuer". Dabei ist ohne Bedeutung, daß sich - wie im Fall der Schweiz - die Bemessungsgrundlagen der einzelnen Steuern nicht decken (vgl. insoweit Flick/Wassermeyer/Becker, Kommentar zum Außensteuergesetz, § 2 Anm. 72; Schelle/Gross in Wöhrle, Außensteuergesetz, § 2 Anm. III, 2).

Es kann im Streitfall dahingestellt bleiben, ob auch die in der Wohnsitzgemeinde des Klägers erhobene Kirchensteuer als "in dem ausländischen Gebiet erhobene Einkommensteuer" anzusehen war. Da bereits die Steuerbelastung durch die vom FG berücksichtigten Steuern die Grenze von zwei Dritteln der deutschen Steuerbelastung überschreitet, kommt es auf die Qualifizierung der schweizerischen Kirchensteuer im Rahmen des Belastungsvergleichs nicht an.

3. Beim abstrakten Vergleich der im ausländischen Gebiet erhobenen Einkommensteuer mit der "deutschen Einkommensteuer" ist die Ergänzungsabgabe (Gesetz über eine Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer vom 21. Dezember 1967 - ErgAbgG -, BGBl I 1967, 1254, BStBl I 1967, 484) nicht als "deutsche Einkommensteuer" zu berücksichtigen. Der erkennende Senat folgt insoweit nicht der Gesetzesauslegung des FA.

Gesetze sind entsprechend dem "im Wortlaut des Gesetzes in seinem Sinnzusammenhang ausgedrückten Gesetzeszweck" auszulegen (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. April 1970 II 56/65, BFHE 99, 255, BStBl II 1970, 597; vom 3. August 1973 VI R 226/70, BFHE 110, 448, BStBl II 1974, 22; vom 12. Dezember 1973 VI R 153/72, BFHE 111, 257, BStBl II 1974, 215; vom 20. Oktober 1983 IV R 175/79, BFHE 139, 561, 568, BStBl II 1984, 221). Die Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze auf den Streitfall führt dazu, den Begriff "deutsche Einkommensteuer" als "Einkommensteuer i.S. des EStG" auszulegen.

a) Bereits der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 AStG im Singular verwendete Begriff "deutsche Einkommensteuer" spricht für eine Beschränkung auf die zur Zeit des Inkrafttretens der Regelung erhobene deutsche Einkommensteuer, also auf die im Einkommensteuergesetz (EStG) geregelte "Einkommensteuer". Für den deutschen Gesetzgeber bestand in bezug auf die in Deutschland erhobenen Steuern vom Einkommen nicht die für ausländische Steuern bestehende Schwierigkeit der gesetzlichen Umschreibung einer unbestimmten Vielzahl ausländischer Steuern. Er konnte vielmehr die in Deutschland zu berücksichtigenden Steuern vom Einkommen genau bezeichnen. Da er in § 2 Abs. 2 AStG nur die "deutsche Einkommensteuer" benannt hat, ist davon auszugehen, daß er nur die im EStG geregelte Einkommensteuer berücksichtigen wollte.

b) Zum gleichen Ergebnis führt auch die Entstehungsgeschichte des AStG.

Das AStG ist am 12. September 1972 verkündet worden und am 13. September 1972 in Kraft getreten (vgl. § 22 AStG). Die maßgebende dritte Lesung des Gesetzes im Deutschen Bundestag fand am 22. Juni 1972 statt. Das zu jener Zeit noch geltende ErgAbgG war bereits mehrere Jahre zuvor verkündet worden. Außerdem war auch das Gesetz über die Erhebung eines rückzahlbaren Konjunkturzuschlages zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer vom 23. Juli 1970 (BGBl I 1970, 1125, BStBl I 1970, 914) bekannt. Dem Gesetzgeber des AStG war damit die Problematik der Steuerzuschläge bewußt. Bei dieser Entstehungsgeschichte ist davon auszugehen, daß er die Ergänzungsabgabe in § 2 Abs. 2 AStG erwähnt hätte, wenn er ihre Einbeziehung in den Belastungsvergleich gewünscht hätte.

c) Das gilt um so mehr, als kurze Zeit vor Inkrafttreten des AStG das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Auslegung der Art. 105 und 106 des Grundgesetzes (GG) entschieden hatte, daß die Ergänzungsabgabe zwar eine Steuer vom Einkommen, jedoch mit der Einkommensteuer nicht identisch sei (Beschluß vom 9. Februar 1972 1 BvL 16/69, BVerfGE 32, 333, BStBl II 1972, 408).

d) Schließlich hat auch der Gesetzgeber erkennen lassen, daß er eine ausdrückliche Erwähnung der Ergänzungsabgabe dann für zumindest zweckdienlich hielt, wenn er die Ergänzungsabgabe der Einkommensteuer nach dem EStG gleichstellen wollte. Die Vertragstaaten und - im Ratifikationsgesetz - auch der deutsche Gesetzgeber haben in einer Reihe von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) aus der Zeit nach dem Inkrafttreten des AStG die Anrechnung ausländischer Steuern ausdrücklich auf die deutsche Einkommensteuer "einschließlich der Ergänzungsabgabe und des Stabilitätszuschlages" angeordnet (vgl. Art. 24 Abs. 2 DBA Brasilien, BGBl II 1979, 2245; Art. 22 Abs. 1 Buchst. b DBA Indonesien, BGBl II 1979, 188; Art. 23 Abs. 1 Buchst. b der DBA mit Kenia, BGBl II 1979, 606, Liberia, BGBl II 1973, 1285, Malaysia, BGBl II 1978, 925, Malta, BGBl II 1976, 109, und Sambia, BGBl II 1975, 661; Art. 22 Abs. 1 Buchst. b DBA Korea, BGBl II 1978, 191; Art. 23 Abs. 1 Nr. 2 DBA Marokko, BGBl II 1974, 21; vgl. auch Art. 2 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a DBA Schweiz, BGBl II 1972, 1021).

e) Der erkennende Senat verkennt nicht, daß auch die Einbeziehung der Ergänzungsabgabe in den abstrakten Belastungsvergleich zu sinnvollen Ergebnissen hätte führen können. Insbesondere im Hinblick auf die umfassende Berücksichtigung einkommensabhängiger Steuern auf der Seite der ausländischen Besteuerung, hätte eine umfassende Berücksichtigung der im Inland erhobenen einkommensabhängigen Steuern zu einem sinnvollen Belastungsvergleich geführt.

Andererseits ist auch die Beschränkung des Belastungsvergleichs auf die Einkommensteuer i.S. des EStG nicht sinnwidrig. Es kann durchaus sinnvoll sein, in den Belastungsvergleich nur die auf Dauer erhobene deutsche Einkommensteuer einzubeziehen und befristet erhobene Abgaben unberücksichtigt zu lassen. Hierfür könnte auch gesprochen haben, daß der Gesetzgeber die Anwendung der Vorschriften über die erweiterte beschränkte Steuerpflicht und über die Zurechnung von Zwischeneinkünften bei beschränkt steuerpflichtigen Personen auf besonders gravierende Fälle beschränken wollte.

f) Bleiben bei der Auslegung eines Gesetzes nach seinem Wortlaut Unsicherheiten insbesondere über den Gesetzeszweck, so muß dem Wortlaut des Gesetzes - nicht zuletzt wegen des Grundsatzes der Gesetzesbindung von Verwaltung und Rechtsprechung (Art. 20 Abs. 3 GG) - entscheidende Bedeutung beigemessen werden. Der Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 1 AStG spricht aber gegen die Berücksichtigung von Abgaben, die im gesetzlichen Tatbestand nicht ausdrücklich genannt sind.

4. Es kann im Streitfall dahinstehen, ob der Stabilitätszuschlag als "deutsche Einkommensteuer" i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 AStG anzusehen ist. Selbst wenn diese Frage zu bejahen wäre, unterlag der Kläger keiner "niedrigen Besteuerung", da die abstrakte Steuerbelastung einer unverheirateten natürlichen Person mit einem Einkommen von 150.000 DM am Wohnsitz des Klägers zwei Drittel der deutschen Besteuerung auch dann überschritt, wenn der Stabilitätszuschlag der deutschen Einkommensteuer zugerechnet wurde. Dann ergab sich eine deutsche Steuerbelastung von 71.629 DM (Einkommensteuer: 68.219 DM + Stabilitätszuschlag: 3.410 DM). Zwei Drittel davon ( = 47.752 DM) liegen unter der vom FG festgestellten abstrakten Steuerbelastung am Wohnort des Klägers in Höhe von 48.312 DM.

5. Die Sache ist entscheidungsreif. Da die abstrakte Steuerbelastung am Wohnort des Klägers zwei Drittel der deutschen Steuerbelastung überschreitet, konnte es zu keiner Zurechnung der Zwischeneinkünfte der X-AG beim Kläger kommen. Ein konkreter Belastungsvergleich nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 zweiter Halbsatz AStG wäre nur geboten, wenn der abstrakte Belastungsvergleich eine niedrige Belastung am Wohnsitz des Klägers ergeben hätte.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO. Der Senat hält es für angebracht, durch Urteil zu entscheiden (§ 90 Abs. 2, § 121 FGO). Der Kläger hat auf mündliche Verhandlung verzichtet. Das FA hat seinen zunächst im Schriftsatz vom 24. Juni 1985 ausgesprochenen Verzicht mit Schriftsatz vom 18. Juli 1985 zurückgenommen. Die Verzichtserklärung ist als prozeßgestaltende Prozeßhandlung jedoch grundsätzlich unwiderruflich (BFH-Urteil vom 26. November 1970 IV R 131/69, BFHE 101, 61, BStBl II 1971, 241 m.w.N.). Das gilt insbesondere, wenn sich die Prozeßlage nicht entscheidend verändert hat (BFH-Urteil vom 4. April 1974 V R 161/72, BFHE 112, 316, BStBl II 1974, 532).