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BFH-Urteil vom 15.11.1988 (II R 241/84) BStBl. 1989 II S. 370

1. Hat das FA gegen ein FG-Urteil insoweit Revision eingelegt, als der Klage stattgegeben worden ist, und erläßt es sodann einen verbösernden Änderungsbescheid, der wiederum angefochten wird, so besteht für die Revision des FA weiterhin ein Rechtsschutzbedürfnis.

2. Ein Antrag gemäß §§ 68, 121 FGO ist auch dann zulässig, wenn allein das FA Revision eingelegt hat.

3. Die Voraussetzungen für den Erlaß eines verbösernden Änderungsbescheides gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 liegen dann nicht vor, wenn der Antrag (die Zustimmung des Steuerpflichtigen) erkennbar unter dem Vorbehalt der Anfechtung des Änderungsbescheides steht.

 FGO §§ 68, 121; AO 1977 § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

Die Klägerin, eine AG, und konzernzugehörige Gesellschaften haben 1964 bis 1972 Weihnachtsgelder auch an Rentner und deren Witwen (Rentnerweihnachtsgelder) gezahlt. Diese Zahlungen erfolgten zum Teil vorbehaltlos, zum Teil (z.B. durch die Klägerin) unter Vorbehalt der Einmaligkeit und Freiwilligkeit.

Während einer Betriebsprüfung wurde die Frage aufgeworfen, ob wegen der genannten Weihnachtsgelder ein Abzug des Kapitalwertes bei der Feststellung der Einheitswerte des Betriebsvermögens erfolgen könne. Der Prüfer verneinte diese Frage, schlug aber für den Fall, daß der Finanzminister einen Antrag positiv bescheiden sollte, vor, den Abzug für den gesamten Prüfungszeitraum und für alle Gesellschaften bei der Feststellung des Einheitswertes der Klägerin auf den 1. Januar 1973 in einer Summe zu berücksichtigen.

Das beklagte Finanzamt (FA) stellte den Einheitswert auf den 1. Januar 1973 durch Bescheid vom 21. Dezember 1976 ohne Berücksichtigung des Schuldenabzuges wegen der Rentnerweihnachtsgelder auf 1.037.788.000 DM fest, den es der Festsetzung der Vermögensteuer zugrunde legte. Der zusammengefaßte Bescheid war u.a. vorläufig gemäß § 100 Abs. 1 der früheren Reichsabgabenordnung (AO) wegen des Abzugs des Kapitalwertes der Rentnerweihnachtsgelder. Insoweit wurde der Bescheid durch Bescheid vom 1. August 1977, nachdem der Finanzminister einen Antrag auf Berücksichtigung der Rentnerweihnachtsgelder abgelehnt hatte, für endgültig erklärt.

Die Klägerin legte gegen diesen Bescheid Einspruch ein, der teilweise Erfolg hatte. Das FA ermäßigte den Einheitswert auf 1.016.919.000 DM und setzte die Vermögensteuer entsprechend herab. Zu dieser Entscheidung gelangte das FA deshalb, weil es festgestellt hatte, daß bei sechs Konzerngesellschaften die Rentnerweihnachtsgelder vorbehaltlos gezahlt worden waren. Den abzuziehenden Kapitalwert dieser Weihnachtsgelder, die nicht die Klägerin, sondern andere Konzerngesellschaften betrafen, errechnete das FA auf 20.869.130 DM.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin beantragt, den Einheitswert um den Kapitalwert der bisher noch nicht als Schuld berücksichtigten Rentnerweihnachtsgelder (139.577.645 DM) zu ermäßigen und die Vermögensteuer entsprechend herabzusetzen.

Die Klage hat nur zu einem geringen Teil Erfolg gehabt. Das Finanzgericht (FG) hat lediglich den Abzug von weiteren 12.511.784 DM anerkannt. Es ist zwar der Klägerin darin gefolgt, daß auch die unter Vorbehalt gezahlten Rentnerweihnachtsgelder der Klägerin und ihrer Konzerngesellschaften zu einer bei der Feststellung des Einheitswertes des Betriebsvermögens zu berücksichtigenden Schuld führten. Ein Abzug sei aber bei der Klägerin nur insoweit möglich, als es sich um den Kapitalwert der von ihr selbst gezahlten Rentnerweihnachtsgelder auf den 1. Januar 1973 handle. Es sei unzulässig, bei ihr Schulden anderer Konzerngesellschaften abzuziehen. Ebenso sei es unzulässig, Schulden abzuziehen, die einen anderen Stichtag beträfen.

Das FA hat gegen das Urteil des FG insoweit Revision eingelegt, als dieses der Klage stattgegeben hat. Es hat beantragt, die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils in vollem Umfang abzuweisen.

Während des Revisionsverfahrens hat der Vorsitzende die Klägerin auf die im finanzgerichtlichen Verfahren mögliche Saldierung von Rechtsfehlern hingewiesen. Es sei zweifelhaft, ob der durch das FA in der Einspruchsentscheidung zugebilligte Abzug von 20.869.130 DM für Rentnerweihnachtsgelder, die von anderen Konzerngesellschaften gezahlt worden seien, rechtmäßig gewesen sei.

Das FA hat daraufhin auf Antrag der Klägerin gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO 1977) verbösernde Änderungsbescheide vom 8. Januar 1988 erlassen, durch die es den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1973 entsprechend dem Antrag der Klägerin wieder auf 1.037.788.000 DM heraufsetzte und die Vermögensteuer entsprechend erhöhte.

Die Klägerin hat den Antrag gemäß §§ 68, 123 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestellt. Ihren Klageantrag hat sie dahin umgestellt, nunmehr den Einheitswert auf den 1. Januar 1973 in Höhe von 1.037.788.000 DM durch Abzug des Kapitalwertes der von ihr gezahlten Rentnerweihnachtsgelder in Höhe von 12.511.784 DM zu ermäßigen. Darin ist sinngemäß auch der Antrag enthalten, die Vermögensteuer entsprechend herabzusetzen.

Hilfsweise haben die Beteiligten für den Fall, daß für die Fortführung der Revision des FA nach Erlaß der verbösernden Änderungsbescheide kein Rechtsschutzbedürfnis mehr bestehen sollte, die Erledigung der Revision erklärt.

Entscheidungsgründe

1. Die Revision des FA ist auch nach Erlaß der verbösernden Änderungsbescheide vom 8. Januar 1988 zulässig geblieben. Das FA hat weiterhin ein schutzwürdiges Interesse (Rechtsschutzinteresse) daran, daß über sein Begehren auf (teilweise) Aufhebung des angefochtenen Urteils entschieden wird. Dabei ist es für die Bejahung des Rechtsschutzinteresses des FA ohne Bedeutung, wie das Revisionsverfahren letztlich ausgehen wird, ob es zu einer Überprüfung des angefochtenen Urteils seinem materiellen Inhalt nach kommt, weil der Bescheid vom 2. August 1977 wieder Verfahrensgegenstand wird (vgl. den Fall des Senatsurteils vom 8. Oktober 1975 II R 129/70, BFHE 117, 390, BStBl II 1976, 195) oder ob es lediglich zu einer formellen Aufhebung des angefochtenen Urteils deshalb kommen wird, weil der Bundesfinanzhof (BFH) abschließend über einen anderen Verfahrensgegenstand, nämlich über die Änderungsbescheide vom 8. Januar 1988, zu entscheiden hat (vgl. das Senatsurteil vom 20. Juli 1988 II R 164/85, BFHE 154, 13, BStBl II 1988, 955). Im letzteren Falle würde das ursprüngliche Klageverfahren seine Erledigung finden, nicht aber isoliert das Revisionsverfahren.

2. Die Änderungsbescheide vom 8. Januar 1988 sind antragsgemäß aufgrund der §§ 68, 121 FGO Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden. Hieran ändert auch der Umstand nichts, daß die Klägerin selbst keine Revision eingelegt hat und sich deshalb mit dem vom FA angefochtenen FG-Urteil zufrieden geben wollte. Denn solange über die Klage noch nicht in vollem Umfang rechtskräftig entschieden ist, liegt i.S. des § 68 FGO nach Auffassung des erkennenden Senats ein angefochtener Verwaltungsakt vor, dessen Änderung oder Ersetzung durch einen anderen Verwaltungsakt zur Einführung dieses Verwaltungsakts in das Verfahren führen kann. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob die Klägerin oder das FA durch Einlegung der Revision den Eintritt der Rechtskraft verhindert hat.

3. Die Einführung der Änderungsbescheide vom 8. Januar 1988 in das anhängige Revisionsverfahren führt dazu, daß der erkennende Senat wegen der Spruchreife der umgestellten Klage über diese entscheidet (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., Anm. zu § 127). Diese Klage hat im Ergebnis insoweit Erfolg, als die Änderungsbescheide vom 8. Januar 1988 aufzuheben sind, weil die Voraussetzungen des § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 nicht vorliegen.

Keine Bedenken bestehen hinsichtlich der Zulässigkeit dieser Klage. Es fehlt zumindest insoweit nicht an dem Rechtsschutzbedürfnis, als es um die von Amts wegen vorrangig zu prüfende Frage geht (vgl. BFHE 117, 390, BStBl II 1976, 195), ob der Erlaß der verbösernden Änderungsbescheide vom 8. Januar 1988 durch § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 gedeckt ist. Hieran ändert auch der Umstand nichts, daß es der Klägerin allein um die materielle Überprüfung der Änderungsbescheide vom 8. Januar 1988 geht. Diese ist aber erst dann möglich, wenn vorweg entschieden wird, ob die Änderungsbescheide verfahrensrechtlich zu Recht ergangen sind.

4. Die Voraussetzungen des § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 für den Erlaß der verbösernden Änderungsbescheide vom 8. Januar 1988 lagen nicht vor. Die Klägerin hatte zwar die Verböserung beantragt (und ihr damit zugestimmt). Diese Erklärung stand aber (für das FA erkennbar) unter Vorbehalt; denn die Klägerin wollte die verbösernden Änderungsbescheide nur deshalb, um sie sodann anzufechten. § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 setzt aber nach seinem Sinn und Zweck voraus, daß die Zustimmung zum Erlaß verbösernder Bescheide spätestens im Zeitpunkt des Erlasses dieser Bescheide unwiderruflich wird. Hierüber besteht im Schrifttum Einigkeit. Allenfalls wird darüber hinaus noch die Auffassung vertreten, daß die Zustimmung von vornherein unwiderruflich sein muß (vgl. z.B. Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 172 AO 1977 Anm. 3 a) aa). Eine Zustimmung zur Änderung, die in der erklärten Absicht erfolgt, den geänderten Bescheid anzufechten, ist aber nicht unwiderruflich.

Dieses Ergebnis entspricht schon deshalb dem Sinn und Zweck der Vorschrift, weil es verhindert, daß die Gerichte gezwungen werden, gutachterlich tätig zu werden. Ein solcher Fall aber läge vor, wenn eine Verböserung nur deshalb erfolgen dürfte, damit diese Verböserung mit Rechtsmitteln angegriffen wird und die Gerichte über eine Rechtsfrage zu entscheiden haben, die sich ohne die beantragte Verböserung nicht stellt.

Die Änderungsbescheide sind in vollem Umfang aufzuheben, auch wenn der umgestellte Klageantrag nur auf eine Berücksichtigung von Weihnachtsgeldschulden im Ausmaß von 12.511.784 DM ging. Lagen die Voraussetzungen für den Erlaß der Änderungsbescheide, wie im vorliegenden Fall, nicht vor, so ist verfahrensrechtlich nur eine vollständige Aufhebung dieser Bescheide denkbar, nicht etwa eine nur teilweise Aufhebung entsprechend den gestellten Anträgen. Daß der Senat dabei entgegen § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO über das Klagebegehren hinausgeht, ist unter den gegebenen Umständen verfahrensrechtlich unvermeidlich (vgl. auch das Senatsurteil vom 20. Oktober 1970 II 167/64, BFHE 100, 56, BStBl II 1970, 826).

5. Da die Änderungsbescheide aufzuheben sind, ist Verfahrensgegenstand wiederum der ursprünglich angefochtene zusammengefaßte Bescheid vom 2. August 1977 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung. Auf die Revision des FA ist das Urteil des FG in dem angegriffenen Umfang zu überprüfen. Diese Prüfung führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage gegen den ursprünglich angefochtenen Bescheid vom 2. August 1977 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung in vollem Umfang.

Auf die strittige Rechtsfrage braucht der Senat daher nicht einzugehen. Denn die Revision hat auch dann Erfolg, wenn der Auffassung des FG zu folgen sein sollte, daß die Zahlungen des Rentnerweihnachtsgeldes unter Vorbehalt eine abzugsfähige Schuld der Klägerin i.S. des § 103 des Bewertungsgesetzes (BewG) im Ausmaß von 12.511.784 DM begründet haben. Es wäre in diesem Falle zu berücksichtigen, daß der erkennende Senat an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden ist und deshalb auch zu prüfen hätte, ob der ursprünglich angefochtene Bescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung aus einem anderen Grunde rechtswidrig war (vgl. § 118 Abs. 3 Satz 2 FGO; BFH-Beschluß vom 17. Juli 1967 GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344). Das ist hier der Fall. Das FA hat in der Einspruchsentscheidung zu Unrecht den Abzug von Verpflichtungen zur Zahlung des Rentner- und Witwenweihnachtsgeldes zugelassen, die von anderen Konzerngesellschaften zu zahlen sind. Dieser Abzug im Ausmaß von 20.869.130 DM war fehlerhaft. Denn bei der Feststellung des Einheitswertes der Klägerin dürfen nur eigene Schulden abgezogen werden, nicht aber Schulden anderer Konzerngesellschaften.

Auch wenn das FA eine (im Gesetz nicht vorgesehene) Vereinfachungsregelung treffen wollte, so bindet diese die Gerichte nicht. Die Gerichte haben allein zu überprüfen, ob ein angefochtener Bescheid rechtmäßig ist oder nicht. Im Rahmen dieser Prüfung haben sie auch zu prüfen, ob das FA die Klägerin zu Unrecht begünstigt hat. Da das Ausmaß der Begünstigung größer ist als das Ausmaß des vom FG anerkannten zusätzlichen Abzuges, muß die Revision des FA in jedem Fall Erfolg haben. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die ursprüngliche Klage, die durch die Aufhebung des Änderungsbescheides wieder Bedeutung erlangt, abzuweisen.

6. Bei der Kostenentscheidung für das Revisionsverfahren war zu berücksichtigen, daß die Klägerin insoweit Erfolg hatte, als die verbösernden Änderungsbescheide aufzuheben waren und daß auch die Revision des FA gegen das Urteil des FG erfolgreich war. Da der umgestellte Klageantrag der Klägerin und der Revisionsantrag des FA den gleichen Umfang haben, hat es der Senat für angemessen gehalten, die Kosten des Revisionsverfahrens gegeneinander aufzuheben (§ 136 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FGO.). Daß der Erfolg der Klägerin aus zwingenden verfahrensrechtlichen Gründen größer war als dies ihrem Antrag entsprach, muß dabei unberücksichtigt bleiben.