| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 15.5.1990 (VII R 7/88)BStBl. 1990 II S. 1007

Ein Steuerschuldner, der seine Branntweinsteuern laufend unter Ausnutzung der Schonfrist des § 240 Abs. 3 AO 1977 zahlt oder aufschieben läßt, ist kein pünktlicher Steuerzahler. Das HZA handelt nicht ermessensfehlerhaft, wenn es einen Antrag eines solchen Schuldners auf Erlaß von Säumniszuschlägen aus Billigkeitsgründen ablehnt, auch wenn dieser erstmals die Schonfrist versäumt und für diese Säumnis Entschuldigungsgründe vorgetragen hat.

AO 1977 § 227, § 240 Abs. 1 und 3.

Vorinstanz: FG Bremen (EFG 1988, 59)

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Inhaberin eines Branntweineigenlagers. Nach § 64 Abs. 4 der Branntweinverwertungsordnung - VwO - (Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung - VSF - V 2053) hatte sie die Abgaben für die in einem Kalendermonat in den freien Verkehr gelangten Branntweinerzeugnisse bis zum 7. Werktag des folgenden Monats anzumelden und zu entrichten. Die Klägerin nimmt für die zu entrichtenden Abgaben laufenden Zahlungsaufschub in Anspruch. Am 9. Mai 1983 meldete sie fristgerecht für den Monat April 1983 die von ihr selbst berechneten Branntweinabgaben an. Mit Bescheid gleichen Datums setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt - HZA -) die Abgaben in der angemeldeten Höhe unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Die Abgabe wurde weder am Fälligkeitstag gezahlt noch rechtzeitig zum Aufschub angemeldet. Eine verspätete Anmeldung reichte die Klägerin erst am 26. Mai 1983 ein. Zugleich beantragte sie, aus Billigkeitsgründen von der Erhebung eines Zuschlages abzusehen; die Verspätung sei darauf zurückzuführen, daß der Urlaubsvertreter des für die Anmeldung zuständigen Sachbearbeiters die Unterlagen für die Aufschubanmeldung nicht an den richtigen Sachbearbeiter weitergeleitet habe.

Mit Bescheid vom 23. Juni 1983 lehnte das HZA den Erlaß der Säumniszuschläge in Höhe von 9.356 DM u.a. unter Bezugnahme auf Teil D Abs. 3 Nr. 02 Buchst. d der Billigkeits-Richtlinien des Bundesministers der Finanzen 1974 - BiRi 74 - (VSF S 1019) ab. Die Beschwerde der Klägerin wies die Oberfinanzdirektion (OFD) Bremen im wesentlichen mit folgender Begründung zurück: Die Klägerin habe über den Zeitraum von mehr als einem Jahr die an die Stelle der Zahlung tretende Anmeldung der fälligen Abgaben zum Zahlungsaufschub regelmäßig nach Eintritt der Fälligkeit eingereicht. Sie sei mithin Monat für Monat säumig gewesen. Zu einer Erhebung der nach § 240 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) verwirkten Säumniszuschläge sei es lediglich deshalb nicht gekommen, weil die Klägerin die sog. Schonfrist des § 240 Abs. 3 AO 1977 eingehalten habe. Die Klägerin könne deshalb nicht als pünktliche Steuerzahlerin angesehen werden, die nur ausnahmsweise infolge eines Versehens säumig geworden sei, was ggf. eine Billigkeitsmaßnahme hätte rechtfertigen können (Teil D Abs. 3 Nr. 02 Buchst. b BiRi 74). Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 240 Abs. 3 AO 1977 sei auch derjenige säumig, der innerhalb der Schonfrist zahle. Die von der Klägerin aufgezeigten Ursachen der Säumnis ergäben nicht, daß die Säumnis als in besonderem Maße entschuldbar sei. Die nach Angaben der Klägerin für die Verspätung maßgebliche Fehlleitung von Unterlagen deute lediglich auf mögliche Organisationsmängel hin.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit dem Antrag, den Bescheid vom 23. Juni 1983 und die Beschwerdeentscheidung vom 12. August 1983 aufzuheben, ab (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1988, 59).

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat zutreffend die den Antrag der Klägerin auf einen Billigkeitserweis ablehnenden Entscheidungen der Verwaltung bestätigt.

Nach § 227 Abs. 1 AO 1977 können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, zu denen auch Säumniszuschläge gehören, ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Klägerin erstrebt eine Abweichung von der gesetzlichen Regelung des § 240 Abs. 1 AO 1977 aus sachlichen Gründen, weil die Anwendung der Vorschrift in ihrem Fall zu unbilligen Ergebnissen führe. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß Billigkeitsentscheidungen als Ermessensentscheidungen der vollen richterlichen Nachprüfung entzogen sind. Die Gerichte können deshalb nur prüfen, ob die von der Verwaltung getroffene Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhält und ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 102 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das ist hier der Fall.

Die Säumniszuschläge, deren Erlaß die Klägerin beantragt hat, sind nach § 240 Abs. 1 AO 1977 entstanden. Grundsätzlich ist die Geltendmachung eines solchen gesetzlichen Anspruchs nicht unbillig. Nur im Ausnahmefall kann sie sich wegen besonderer Umstände des Einzelfalls als unbillig erweisen. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier aber zumindest deswegen nicht vor, weil die Klägerin, wie sich aus der Vorentscheidung ergibt, bei der Bezahlung bzw. dem Aufschub der Branntweinabgaben, die für ihre Entnahmen aus ihrem Branntweineigenlager entstanden waren, regelmäßig säumig geworden ist, wenn auch Säumniszuschläge wegen Einhaltung der Schonfrist des § 240 Abs. 3 AO 1977 dabei jeweils nicht entstanden sind (vgl. außer der Vorentscheidung in EFG 1988, 59 auch das entsprechende Urteil des FG München vom 27. Mai 1987 III 351/83 AO, EFG 1988, 59).

Bei der Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme nach § 227 Abs. 1 AO 1977 bedarf es u.a. der Abwägung der Interessen des Steuerpflichtigen einerseits und der Interessen der öffentlichen Hand auf der anderen Seite (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 227 AO 1977 Anm. 11). In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem feststeht, daß der Steuerpflichtige die Interessen der öffentlichen Hand an der fristgerechten Entrichtung der Steuer laufend mißachtet hat, kann er nicht beanspruchen, daß in einem ebensolchen Säumnisfall mit schwereren Folgen (Entstehung der Säumniszuschläge) seinen Interessen der Vorrang vor den Interessen der Allgemeinheit gegeben wird.

Nicht stichhaltig ist der Einwand der Klägerin, bei einer Billigkeitsmaßnahme dürften allein die Umstände des konkreten Falles, nicht aber das gesamte bisherige Verhalten des Steuerpflichtigen in Betracht gezogen werden. Es ist zwar sicherlich nicht zulässig, eine Billigkeitsmaßnahme aus sachlichen Gründen unter Hinweis auf ein vorwerfbares Verhalten des Steuerpflichtigen in völlig anderem Zusammenhang abzulehnen. Hier aber handelt es sich um die monatlich wiederkehrende Entstehung und Entrichtung von Branntweinabgaben für die aus dem Branntweineigenlager der Klägerin entnommenen Branntweinerzeugnisse. Hier besteht ein enger tatsächlicher und zeitlicher Zusammenhang aller monatlich wiederkehrenden Ereignisse. Es ist daher eine zulässige Ermessenserwägung, wenn im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung, die allein die Branntweinabgaben eines Monats betreffen, das frühere Verhalten des Steuerpflichtigen in bezug auf die gleichen Abgaben berücksichtigt wird.

Zu Unrecht hält die Klägerin dem entgegen, sie habe stets innerhalb der Schonfrist des § 240 Abs. 3 AO 1977 bezahlt. Diese Vorschrift dient der Vermeidung von Härten und der Verwaltungsvereinfachung. Sie betrifft lediglich die Säumniszuschläge und ändert nichts an der Verpflichtung des Steuerpflichtigen, die Steuern zu den gesetzlich festgelegten Fälligkeitszeitpunkten zu zahlen. Auch wenn unter Ausnutzung der Schonfrist Steuern verspätet an das Finanzamt gezahlt werden, liegt darin eine Pflichtverletzung. Diese entfällt nicht dadurch, daß sie ohne die Sanktion der Entstehung von Säumniszuschlägen bleibt.

Auf Tipke/Kruse (a.a.O., § 240 AO 1977 Anm. 20) kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen. Zwar heißt es dort, daß aus der Inanspruchnahme der Schonfrist dem Steuerpflichtigen kein Vorwurf gemacht werden und kein Nachteil erwachsen dürfe. Tipke/Kruse haben diese Aussage aber ausdrücklich eingeschränkt; sie vertreten die Meinung, daß bei Überschreitung der ständig ausgenutzten Schonfrist kein Erlaß nach § 227 AO 1977 möglich sei (a.a.O., § 240 AO 1977 Anm. 22 a.E.). Überdies trifft es nicht zu, daß dem Steuerpflichtigen grundsätzlich kein Vorwurf aus der Inanspruchnahme der Schonfrist gemacht werden dürfe. § 240 Abs. 3 AO 1977 ändert, wie bereits ausgeführt, nichts an der gesetzlichen Verpflichtung des Steuerpflichtigen (hier aus § 64 Abs. 4 VwO), die Steuern zum Fälligkeitszeitpunkt zu zahlen. Die mangelnde Sanktion für die die Schonfrist nicht überschreitende Säumnis kann daher nichts an der Pflichtwidrigkeit der verspäteten Zahlung ändern. Ist der gesetzliche Fälligkeitstermin dem Steuerpflichtigen bekannt oder hätte er ihn wissen müssen, so ist die verspätete Zahlung auch vorwerfbar.