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  BFH-Urteil vom 7.2.1990 (I R 145/87) BStBl. 1990 II S. 1032

Das FA ist an die gerichtliche Entscheidung gebunden, daß die Steuer in dem angefochtenen Bescheid wegen des Abzugs von Betriebsausgaben herabzusetzen ist. Einer Änderung dieses Bescheids - auch wenn er unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist - steht deshalb die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung entgegen, solange dazu kein neuer Sachverhalt festgestellt wird.

AO 1977 § 164; FGO § 110.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine öffentlich-rechtliche Sparkasse. Die Oberfinanzdirektion (OFD) .... setzte gegen die Klägerin wegen einer ungenehmigten Veräußerung inländischer Wertpapiere an Gebietsfremde eine Geldbuße von .... DM fest (Verstoß gegen § 33 des Außenwirtschaftsgesetzes - AWG - vom 28. April 1961, BGBl I 481 i.V.m. §§ 52, 71 der Außenwirtschaftsverordnung - AWV - i.d.F. der Bekanntmachung vom 20. Dezember 1966, BGBl I 1967, 1).

Die Klägerin machte das Bußgeld, das sie im Jahre 1976 vollständig bezahlt hatte, in der Körperschaftsteuererklärung 1976 in Höhe eines Teilbetrages von .... DM als Betriebsausgabe geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte den Abzug in dem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Körperschaftsteuerbescheid vom 20. März 1978 ab. Die Klage vor dem Niedersächsischen Finanzgericht (FG) hatte Erfolg. Das FG setzte die Körperschaftsteuer 1976 entsprechend herab. Die vom FA gegen das Urteil des Niedersächsischen FG VI 164/78 erhobene Revision wies der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 9. Mai 1984 I R 130/80 aufgrund des bindenden Beschlusses des Großen Senats des BFH vom 21. November 1983 GrS 3/82 (BFHE 140, 62, BStBl II 1984, 166) als unbegründet zurück.

Nach Abschluß einer Außenprüfung erließ das FA am 22. Februar 1985 einen nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Körperschaftsteuerbescheid für das Streitjahr, in dem es erneut den gewinnmindernden Abzug des Bußgelds versagte.

Auf die Sprungklage der Klägerin hin hob das FG diesen Bescheid auf.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung des § 164 AO 1977 und des § 110 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

1. Das FG hat den angegriffenen Körperschaftsteueränderungsbescheid des FA zu Recht aufgehoben. Der vom FA vorgenommenen Änderung gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977 steht die Rechtskraft (§ 110 FGO) des Urteils des erkennenden Senats vom 9. Mai 1984 I R 130/80 entgegen.

a) Nach § 110 Abs. 1 FGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten "so weit, als über den Streitgegenstand entschieden worden ist". Streitgegenstand ist bei Anfechtungsklagen die Rechtsbehauptung des Klägers, der angefochtene Verwaltungsakt sei rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten (vgl. BFH-Beschluß vom 17. Juli 1967 GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344). "So weit, als über den Streitgegenstand entschieden worden ist" verweist auf die Teilmenge aller mit dem angefochtenen Verwaltungsakt erfaßten Besteuerungsgrundlagen, zu denen das Gericht selbstentscheidend Feststellungen getroffen hat (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 13. Aufl., § 110 FGO, Tz. 8). Die damit verbundene Frage, inwieweit die Rechtsfolgebehauptung der Klägerin, der Verwaltungsakt sei rechtswidrig, tatsächlich überprüft worden ist, hängt auch davon ab, inwieweit dem Urteil ein bestimmter Sachverhalt zugrundeliegt (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O.). Obwohl nur der Tenor der gerichtlichen Entscheidung über den Streitgegenstand in Rechtskraft erwächst und bindend wirkt, geben die Entscheidungsgründe Aufschluß darüber, wie weit die Bindung gemäß § 110 FGO reicht. Davon ausgehend hat der Senat in seinem Urteil vom 9. Mai 1984 bindend entschieden, daß die Körperschaftsteuer des Streitjahres um den Betrag herabzusetzen ist, der sich bei Abzug der Geldbuße wegen Verstoßes gegen das AWG als Betriebsausgabe errechnet. Damit war das beklagte FA, das am Rechtsstreit über den ursprünglichen Bescheid beteiligt war, an die Entscheidung in diesem Urteil gebunden, daß die Versagung dieses Betriebsausgabenabzugs unzulässig ist (vgl. Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 8. Aufl., § 121 Rdnr. 11; Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 31. Januar 1978 2 BvL 8/77, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1978, 1151, 1154). Das FA war daher nicht befugt, mit dem streitigen Änderungsbescheid die Körperschaftsteuer der Klägerin durch Versagung des Abzugs der Geldbuße als Betriebsausgabe zu erhöhen.

b) Die Bindungswirkung des § 110 Abs. 1 FGO wird nicht dadurch eingeschränkt, daß der ursprüngliche Bescheid gemäß § 164 Abs. 1 AO 1977 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erging (ebenso Woerner/Grube, Die Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten, 8. Aufl., Seite 62; Tipke/Kruse, a.a.O., § 110 FGO, Tz. 19; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2. Aufl., § 110, Anm. 25; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, Kommentar, 4. Aufl., § 164, Anm. 3a; Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, Kommentar, Stand 19. April 1989, § 164 Rdnr. 2g). Das ergibt sich aus einer sinngemäßen Auslegung des § 110 Abs. 1 FGO i.V.m. dessen Abs. 2. Nach § 110 Abs. 2 FGO bleiben die Vorschriften der AO 1977 und anderer Steuergesetze über die Rücknahme, Widerruf, Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten unberührt, soweit sich aus § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO nichts anderes ergibt. Damit ist klargestellt, daß sich die Änderung nicht in Widerspruch setzen darf zu einer rechtlichen Beurteilung des Gerichts, die der Aufhebung, Änderung oder Bestätigung des ursprünglichen Verwaltungsaktes zugrunde lag (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., Tz. 14).

Da im Streitfall kein neuer Sachverhalt festgestellt wurde, rechtfertigt die Wechselwirkung mit § 164 AO 1977 keine andere Auslegung des § 110 Abs. 2 FGO. § 164 AO 1977 ermächtigt das FA, Steuern ohne (abschließende) tatsächliche und rechtliche Prüfung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festzusetzen und diese Steuerfestsetzung jederzeit aufzuheben oder zu ändern, solange der Vorbehalt wirksam ist. Dem steht die Verpflichtung des Gerichts gegenüber, angefochtene Steuerfestsetzungen - zumindest soweit darüber Streit besteht - darauf zu prüfen, ob sie mit Recht und Gesetz in Einklang stehen und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (vgl. § 100 Abs. 1 FGO). Die Vorschriften der FGO enthalten insoweit keine Einschränkung für die Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Das FG kann hierbei dem Steuerpflichtigen nicht mit der Begründung Rechtsschutz verweigern, es prüfe nicht, weil das FA nicht geprüft habe (so zu Recht Frotscher in Schwarz, a.a.O., § 164 Rdnr. 2g). Die FGO beschränkt die gerichtliche Prüfungspflicht nicht auf eine summarische oder kursorische rechtliche Würdigung, obwohl dies spätestens im Rahmen der Anpassung der FGO an die AO 1977 hätte geschehen können. Eine summarische oder kursorische gerichtliche Prüfung der Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung würde den Steuerpflichtigen insbesondere dann, wenn das FA darin - wie im Streitfall - von der Steuererklärung abgewichen ist, entgegen dem gerichtlichen Auftrag (vgl. Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes - GG -) rechtsschutzlos lassen (Bowitz, Betriebs-Berater - BB - 1984, 1359). Da auch die Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung Grundlage für die uneingeschränkte Verwirklichung des Steueranspruchs ist, würde dem Steuerpflichtigen das Risiko der endgültigen Rechtswidrigkeit dieser Steuerfestsetzung aufgebürdet. Der Senat hat dementsprechend in dem früheren Verfahren die ursprüngliche Steuerfestsetzung - aufgrund der auch heute noch bestehenden Sachlage - abschließend geprüft (vgl. § 164 Abs. 1 Satz 1 AO 1977) und insoweit den Steuerfall endgültig entschieden. Nach Auffassung des Senats kann es nicht in der Absicht des Gesetzgebers gelegen haben, daß die ohnehin belasteten FG mehrfach über ein und dieselbe Streitfrage befinden müssen, nur weil die Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht und deshalb vom FA jederzeit geändert werden kann, solange der Vorbehalt wirksam ist. Dies widerspräche auch den Interessen des rechtsschutzsuchenden Steuerpflichtigen, der erneut einen belastenden Rechtsstreit führen müßte, wenn das FA bezüglich des Streitpunktes den Bescheid mit dem ursprünglichen Inhalt wiederherstellen würde (Frotscher, a.a.O., § 164 Anm. 2g), ohne daß inzwischen eine Änderung der Sachlage eingetreten ist.

Das Urteil des BFH vom 12. Februar 1985 IX R 114/83, BFHE 143, 431, BStBl II 1985, 690, steht dem nicht entgegen. Es betrifft einen Fall, in dem für einen Teilbereich keine endgültige Entscheidung ergangen ist.

c) Die Vorschrift des § 4 Abs. 5 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 25. Juli 1984 (BGBl I 1984, 1006), wonach u.a. von einer Behörde im Geltungsbereich dieses Gesetzes festgesetzte Geldbußen den Gewinn nicht mindern dürfen, findet sonach auf die streitige Steuerfestsetzung keine Anwendung, da sie hinsichtlich des Abzugs der Geldbuße nicht mehr unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht. Denn soweit die Rechtskraft gemäß § 110 FGO reicht, entfällt der Vorbehalt der Nachprüfung (Frotscher, a.a.O.).

2. Der erkennende Senat weicht damit von der Entscheidung des IX. Senats vom 3. Februar 1987 IX R 255/84 (BFH/NV 1987, 751) ab, der die frühere Rechtsprechung zu § 100 der Reichsabgabenordnung (BFH-Urteil vom 13. November 1975 IV R 61/75, BFHE 120, 1, BStBl II 1977, 126) auf § 164 AO 1977 übertragen hat. Der IX. Senat hat dieser Abweichung zugestimmt.