| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 13.9.1989 (II R 1/87) BStBl. 1990 II S. 47

Provisionszahlungen an selbständige Handelsvertreter für die Beschaffung von Aufträgen des täglichen Geschäftsverkehrs begründen weder ein immaterielles Wirtschaftsgut noch ein Halbfertigfabrikat, das beim Auftraggeber in der Vermögensaufstellung für die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens erfaßt werden könnte.

BewG §§ 95, 97.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

I.

Die Klägerin, eine KG, stellt Fenster, Türen und Rolladen her und baut sie ein. Für die Klägerin sind selbständige Handelsvertreter tätig. Diese Vertreter nehmen Kundenaufträge auf Formularen der Klägerin auf und lassen sie von den Kunden unterschreiben. Die Klägerin zahlt für die Aufträge Provisionen. Ist ein Handelsvertreter mit der angebotenen Provision nicht einverstanden, so bietet er den Auftrag einer anderen Firma an. Wird die Klägerin mit dem Vertreter über die Provisionshöhe einig, so vergewissert sie sich über die Zahlungsfähigkeit des Kunden. Bestehen gegen diese keine Bedenken, zahlt sie in der Regel dem Vertreter die Provision sofort aus. In ca. 20 v.H. der Fälle erhält der Vertreter die Provision erst, nachdem die sog. Nachmesser tätig geworden sind. Diese sind ebenfalls selbständig Tätige, die Meßblätter für die Ausführung des Auftrages herstellen. Die Vertreter, die den Auftrag vermitteln, erhalten in der Regel 20 v.H. der Auftragssumme als Provision, die Nachvermesser 0,9 v.H. Die für die Herstellung der Fenster und Türen erforderlichen Waren beschafft die Klägerin in unterschiedlicher Form. Das Glas ordert sie bei der Glashütte, wenn sie es für einen konkreten Auftrag braucht; sie läßt es auch von der Glashütte schon in der richtigen Größe zuschneiden. Das Aluminium kauft sie, wenn Aluminium billig ist.

In ihrer Vermögensaufstellung auf den 1. Januar 1980 wies die Klägerin als Vorratsvermögen einen Betrag von 2.928.178 DM aus, der dem in der Steuerbilanz entsprach. Als unfertige Erzeugnisse wies sie einen Betrag von 1.486.600 DM aus, der ebenfalls dem Bilanzwert entspricht.

Der Betriebsprüfer stellte sich auf den Standpunkt, daß in den Fällen, in denen der Auftrag schon durch die Nachmessung bearbeitet worden sei, es sich um halbfertige Arbeiten handele, die mit den Vertreterprovisionen zu bewerten seien. Demgemäß setzte der Beklagte (das Finanzamt - FA -) hierfür einen Wert von 3.000.000 DM an. Dies entspricht rund 20 v.H. der laufenden Aufträge (15.333.900 DM).

Demgemäß stellte das FA den Einheitswert für das Betriebsvermögen der Klägerin zum 1. Januar 1980 auf 6.549.000 DM fest. Der Einspruch war bezüglich des strittigen Ansatzes der Aufträge, für die lediglich Meßblätter erstellt waren, nicht erfolgreich. Die Einspruchsentscheidung setzte aus anderen Gründen den Einheitswert auf 4.478.000 DM herab.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin beantragt, den Einheitswert um 2,8 Mio DM zu ermäßigen. Sie hat diesen Antrag damit begründet, daß die Provisionen für sich allein kein bewertbares Wirtschaftsgut seien. Ihr Ansatz sei nur insoweit gerechtfertigt, als sie auf halbfertige Erzeugnisse entfielen. Dieser Anteil werde auf 200.000 DM geschätzt.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben. Es hat auch den Betrag von 200.000 DM mit der Begründung übernommen, das FA habe nicht bestritten, daß nur dieser Betrag auf die halbfertigen Arbeiten entfalle.

Mit der - vom FG zugelassenen - Revision rügt das FA insbesondere, daß das FG den Betrag von 200.000 DM ungeprüft übernommen habe. Im übrigen bleibe das FA dabei, daß die angenommenen und nachgemessenen Aufträge Wirtschaftsgüter im Sinne der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) seien.

Das FA hat beantragt, die Klage unter Aufhebung des FG-Urteils abzuweisen, hilfsweise die Sache zur erneuten Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Sein Hilfsantrag hat Erfolg.

Entscheidungsgründe

II.

Unbegründet ist die Rüge, das FG habe die §§ 95, 97, 109 des Bewertungsgesetzes (BewG) verletzt.

1. Nach § 95 BewG gehören zu einem gewerblichen Betrieb alle Wirtschaftsgüter des Betriebsinhabers, die dem Betrieb als Hauptzweck dienen. Wirtschaftsgüter in diesem Sinne sind neben den körperlichen Gegenständen (§ 90 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) und den im BewG besonders genannten unkörperlichen Gegenständen (§ 100, § 101 Nr. 2 BewG) alle immateriellen Werte, die selbständig bewertungsfähig sind. Dies ist nach der Rechtsprechung des BFH (BFH-Urteil vom 28. Oktober 1987 II R 224/82, BFHE 151, 198, BStBl II 1988, 50; vom 23. November 1988 II R 209/82, BFHE 155, 132, BStBl II 1989, 82 mit weiteren Nachweisen) anzunehmen, wenn die selbständige Bewertungsfähigkeit durch die Verkehrsanschauung anerkannt wird oder der immaterielle Wert entgeltlich erworben wurde oder die selbständige Bewertungsfähigkeit durch Aufwendungen anerkannt wird, die auf das Wirtschaftsgut gemacht worden sind (vgl. auch BFH-Urteil vom 11. November 1983 III R 25/77, BFHE 140, 289, 293, BStBl II 1984, 187 mit weiteren Nachweisen). Voraussetzung für die Annahme eines immateriellen Wirtschaftsgutes ist, daß ein immaterieller Wert als "werthaltige greifbare Einzelheit" gegenüber dem Geschäftswert in Erscheinung tritt und abgegrenzt werden kann (BFHE 155, 132, 134, BStBl II 1989, 82). Schwebende Verträge sind jedenfalls dann keine Einzelheit, wenn es sich um die für das zu bewertende Unternehmen typischen Vertragsgestaltungen des täglichen Geschäftsverkehrs handelt. Laufende Betriebsausgaben, wie die Kosten der Nachmessung, begründen zudem keinen immateriellen Wert, der gegenüber dem Geschäftswert als immaterielles Wirtschaftsgut abgegrenzt werden könnte (BFH-Urteil vom 6. März 1970 III R 20/66, BFHE 99, 50, 53, BStBl II 1970, 489). Sie führen auch nicht zu einem sich über mehrere Wirtschaftsjahre erstreckenden greifbaren Nutzen (vgl. BFH-Urteil vom 29. April 1965 IV 403/62 U, BFHE 82, 461, 465, BStBl III 1965, 414).

2. Das FG hat unter Berücksichtigung dieser oben genannten Rechtsprechung zu Recht in den gezahlten Provisionen und Nachmesserprovisionen weder ein immaterielles noch ein materielles Wirtschaftsgut gesehen.

a) Bezüglich der Provisionen in Höhe von 20 v.H., die an die Vertreter gezahlt wurden, bleibt der Senat bei seiner zwischen den Parteien getroffenen Entscheidung vom 23. Februar 1979 III R 57/77 nicht veröffentlicht (NV). Durch die Bezahlung dieser Provisionen entstand kein selbständig bewertbares Wirtschaftsgut, das bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens zu erfassen wäre.

b) Durch die Nachmessung und Zahlung der sog. Nachmesserprovisionen hat sich kein immaterielles Wirtschaftsgut gebildet. Mit der Nachmessung wird der Auftrag auf den aktuellen Stand gebracht, der notwendig ist, um die Herstellung beginnen zu können. In den Nachmessungsunterlagen steckt jedoch kein "Werk mit geistigem Inhalt" (vgl. BFH-Urteil vom 5. Februar 1988 III R 49/83, BFHE 153, 269, BStBl II 1988, 737), das mit einem Computeranwenderprogramm (BFH in BFHE 153, 269, BStBl II 1988, 737) oder Konstruktionsunterlagen zum Bau eines Hauses (BFH-Urteil vom 20. August 1986 I R 283/82, BFH/NV 1987, 63, 64) oder zur Herstellung einer Maschine vergleichbar wäre. Zwar sind immaterielle Wirtschaftsgüter nicht notwendigerweise geistig anspruchsvolle Werke, für die Schutzrechte bestehen. Auch bloße tatsächliche Vorteile oder Möglichkeiten für den Betrieb können dazugehören wie z.B. der Geschäftswert, der Kundenstamm oder ein Verlagsarchiv (vgl. BFH-Urteil vom 2. September 1988 III R 38/84, BFHE 154, 573, BStBl II 1989, 160). Ein immaterielles Wirtschaftsgut besteht jedoch nicht, wenn z.B. ein EDV-Programm (Datenträger) nur Daten enthält, aber keinen Funktionsablauf steuern kann (vgl. BFH in BFHE 153, 269, BStBl II 1988, 737) oder Einzelbeiträge nur ungeordnet gesammelt sind (vgl. BFH in BFHE 154, 573, BStBl II 1989, 160).

Die vom Nachmesser in einem Meßblatt niedergelegten Daten enthalten keine irgendwie geartete geistige Leistung für das herzustellende Produkt; sie geben nur die äußeren Abmessungen dieses Produkts an. Die für die Herstellung dieser Unterlagen gezahlten 0,9 v.H. der Auftragssumme belegen auch, daß damit nur der geleistete Zeitaufwand der Nachmesser abgegolten werden soll.

c) Durch die Nachmessung ist kein "unfertiges Erzeugnis" (§ 151 Abs. 1 III A Nr. 2 des Aktiengesetzes - AktG - 1965 a.F. und § 266 Abs. 2 B I Nr. 2 des Handelsgesetzbuches - HGB -) und damit kein materielles Wirtschaftsgut entstanden. Zu den Halbfabrikaten gehören solche noch nicht als Fertigerzeugnisse anzusehende Bestände, auf denen nach Be- oder Verarbeitung im eigenen Betrieb bereits Löhne und Gemeinkosten ruhen. Fertigungslöhne oder Fertigungsgemeinkosten sind mit der Nachmessung nicht angefallen. Denn die Kosten der Nachmessung dienen der Konkretisierung des Auftrags und sind damit Vertriebskosten. Vor dem Beginn der Fertigung anfallende Vertriebskosten können aber ein Wirtschaftsgut nicht begründen, wenngleich sie sich auf den Wert eines bereits in Fertigung befindlichen Wirtschaftsguts auswirken (vgl. BFH-Entscheidung vom 20. Juli 1973 III R 100-101/72, BFHE 110, 203, BStBl II 1973, 794).

Ob bereits von unfertigen Erzeugnissen gesprochen werden kann, entscheidet sich danach, was ein Unternehmen als Endprodukt letztlich herzustellen beabsichtigt. Wesentlich ist, ob sich dieses Endprodukt am Bilanzstichtag in seiner Entstehung befindet, dergestalt, daß das bislang Hergestellte bereits teilweise mit dem Fertigprodukt identisch ist und sich ihm gegenüber lediglich als ein "Weniger" darstellt (BFH-Urteil vom 18. Juni 1975 I R 24/73, BFHE 116, 474, 477, BStBl II 1975, 809; vgl. hierzu auch BFH-Entscheidung vom 2. Juni 1978 III R 8/75, BFHE 126, 478, BStBl II 1979, 235).

Fertiges Produkt der Klägerin ist das auf Maß gearbeitete (eingebaute) Fenster. Dieser Gegenstand ist mit den Nachmesserunterlagen auch nicht teilweise identisch. So wie die Druckvorlage ein Stadium vor Beginn der Fertigung des Endprodukts "Zeitschrift" darstellt, dienen die Nachmesserunterlagen der Vorbereitung der Fertigung der bestellten Fenster. Anders als in den Urteilen vom 23. November 1978 IV R 20/75 (BFHE 126, 448, BStBl II 1979, 143) und vom 11. März 1976 IV R 176/72 (BFHE 119, 240, BStBl II 1976, 614) besteht zwischen den Unterlagen und der endgültigen Leistung der Klägerin kein einheitlicher Vorgang; das Endprodukt ist mit der Aufnahme der Daten durch den Nachmesser noch nicht greifbar geworden. Zwar dienen im Streitfall die Daten auf den Meßblättern der Produktion der bestellten Fenster als Grundlage, jedoch fehlt es dem Meßblatt an einer in ihm verkörperten "geistigen Leistung", die im Zuge der Ausführung in das Endprodukt eingehen könnte. Insofern stellen die Unterlagen nicht ein "Weniger" gegenüber dem Endprodukt dar.

3. Ist die materielle Rüge danach unbegründet, so ist das angefochtene Urteil aber deshalb aufzuheben, weil das FG keine Feststellungen darüber getroffen hat, welcher Teil der Vertriebskosten den in der Bilanz aktivierten halbfertigen Erzeugnissen zuzuordnen und deshalb bei der Ermittlung des Teilwertes dieser Erzeugnisse zu berücksichtigen ist. Die Übernahme einer Schätzung der Klägerin durch das FG die mit seinen Feststellungen nicht in Einklang steht, ersetzt die erforderlichen Feststellungen hierzu nicht. Ausweislich des angefochtenen Urteils hat die Klägerin die halbfertigen Erzeugnisse mit 1.486.600 DM aktiviert. Da die Provisionen 20,9 v.H. der vollen Auftragssumme betragen, läßt sich durch das Revisionsgericht nicht nachvollziehen, warum auf die halbfertigen Erzeugnisse nur Vertriebskosten in Höhe von 200.000 DM entfallen sollen. Hieran ändert sich auch dadurch nichts, daß das FA dies nach der Meinung des FG nicht bestritten hat.

Die nicht spruchreife Sache geht deshalb an das FG zurück.