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  BFH-Urteil vom 10.10.1989 (VII R 44/89) BStBl. 1990 II S. 146

Einwendungen gegen die Pflicht zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 AO 1977, die der Vollstreckungsschuldner, nachdem er dem ersten Termin zur Abgabe ohne ausreichende Entschuldigung ferngeblieben ist, erstmals nach Anordnung der Haft vorgetragen hat, haben keine aufschiebende Wirkung.

AO 1977 § 284 Abs. 5 und 7.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

I.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) forderte den Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) mit Schreiben vom 12. August 1987 wegen auf Haftungsbescheiden beruhenden Rückständen in Höhe von 25.379,32 DM auf, nach § 284 der Abgabenordnung (AO 1977) am 27. August 1987 die eidesstattliche Versicherung über sein Vermögen (im folgenden: eV) abzugeben. Der Kläger erschien zu diesem Termin nicht. Am 27. August 1987 ersuchte das FA das Amtsgericht, den Kläger zur Erzwingung der eV in Haft zu nehmen. Gegen diesen Antrag legte der Kläger mit Schreiben vom 14. September 1987 Einspruch ein mit der Begründung, der Antrag sei ermessensfehlerhaft, weil ihm, dem Kläger, aufgrund eines Geschäftsführerwechsels wesentliche Unterlagen zur Erstellung der Steuererklärungen fehlten. Mit Schreiben vom 19. September 1987 teilte das FA dem Kläger mit, daß sein Rechtsbehelf unzulässig sei, weil der Haftantrag kein Verwaltungsakt sei; im übrigen hätten die Zahlungen weder freiwillig noch zwangsweise realisiert werden können, so daß ein Ermessensverstoß nicht vorliege.

Nach Erlaß des Haftbefehls stellte das FA dem Kläger mit Schreiben vom 1. Oktober 1987 anheim, am 10. Oktober 1987 zur Abgabe der eV zu erscheinen oder die Rückstände zu bezahlen. Am 14. Oktober 1987 beantragte das FA bei der Gerichtsvollziehung des Amtsgerichts, den Haftbefehl zu vollstrecken. Am 20 .November 1987 wurde der Kläger verhaftet. Er gab daraufhin die eV unter ausdrücklichem Protest ab. Vorher erhob er Einwendungen gegen seine Verpflichtung zur Abgabe der eV. Nach einem Aktenvermerk des FA legte er dabei mündlich gegen alle Verwaltungsakte Rechtsmittel ein, sah sich aber zu einer Bezeichnung der einzelnen Verwaltungsakte nicht in der Lage. Mit Schriftsatz vom 1. Dezember 1987 legte der Kläger gegen die Ablehnung seiner Einwendungen gegen die Verpflichtung Beschwerde ein. Diese verwarf die Oberfinanzdirektion (OFD) als unzulässig, weil nach Abgabe der Erklärung ein Rechtsschutzbedürfnis nicht mehr bestehe.

Auf die Feststellungsklage des Klägers stellte das Finanzgericht (FG) antragsgemäß fest, daß die Abnahme der eV und die Zurückweisung der Einwendungen gegen die Verpflichtung zur Abgabe der eV rechtswidrig waren.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

Die Abnahme der eV durch das FA war nicht rechtswidrig. Zwar darf die Versicherung nach § 284 Abs. 5 Satz 3 AO 1977 erst gefordert werden nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung über die Einwendungen des Vollstreckungsschuldners gegen die Verpflichtung zur Abgabe der eV. Diese aufschiebende Wirkung haben jedoch nur Einwendungen, die der Vollstreckungsschuldner im (ersten) Termin zur Abgabe der eV gemacht hat, zu dem er ordnungsgemäß geladen worden ist, es sei denn, er kann sein Nichterscheinen zu diesem Termin ausreichend entschuldigen. Das ergibt sich aus Sinn und Zweck der Regelung des § 284 AO 1977.

Die Abnahme der eV stellt für den Vollstreckungsschuldner eine einschneidende Maßnahme dar. Die Regelung des § 284 Abs. 5 AO 1977 trägt diesem Umstand dadurch Rechnung, daß sie für die Behandlung der Einwendungen des Vollstreckungsschuldners gegen seine Versicherungspflicht eine Sonderregelung getroffen hat, die dem § 900 Abs. 5 ZPO nachgebildet worden ist. Als Spezialregelung geht sie der allgemeinen Regelung über die Rechtsbehelfe gegen Steuerverwaltungsakte vor (vgl. im einzelnen auch den Senatsbeschluß vom 11. Dezember 1984 VII B 41/84, BFHE 142, 423, BStBl II 1985, 197). Außer auf den Schuldnerschutz nimmt diese Regelung darauf Bedacht, einen möglichst gestrafften und beschleunigten Verfahrensablauf sicherzustellen. Der in einem solchen Verfahren besonders großen Gefahr der Verschleppung durch den Vollstreckungsschuldner soll ebenfalls vorgebeugt werden.

Aus der so zu verstehenden Regelung müssen Folgerungen für die Auslegung des § 284 Abs. 5 Sätze 2 und 3 AO 1977 gezogen werden. Danach haben Einwendungen des Vollstreckungsschuldners abweichend von normalen Rechtsbehelfen gegen Steuerverwaltungsakte aufschiebende Wirkung und müssen von der Vollstreckungsbehörde beschieden werden. Der Vollstreckungsschuldner ist aber, will er keine Nachteile erleiden, verpflichtet, diese Einwendungen spätestens im Termin für die Abgabe der eV auch vorzutragen. Hat er das nicht getan, obwohl er zum Termin erschienen ist, oder hat er den Termin trotz ordnungsmäßiger Ladung (§ 284 Abs. 5 Satz 1 AO 1977) ohne ausreichende Entschuldigung versäumt, so ist er mit solchen Einwendungen zwar nicht für die Zukunft ausgeschlossen; diesen kann aber keine aufschiebende Wirkung mehr zuerkannt werden, nachdem das normale Verfahren zur Abgabe der eV nach § 284 Abs. 1 bis 5 AO 1977 in das Haftverfahren des § 284 Abs. 7 und 8 AO 1977 übergegangen ist.

Die Richtigkeit dieser Auffassung wird durch § 284 Abs. 7 AO 1977 bestätigt. Danach ist die Befugnis der Vollstreckungsbehörde, das zuständige Amtsgericht um Anordnung der Haft zu ersuchen, nur davon abhängig, daß der Schuldner dem Termin ohne ausreichende Entschuldigung ferngeblieben ist oder die eV ohne Grund verweigert. Diese Regelung geht offensichtlich davon aus, daß das spezifische Widerspruchsverfahren des § 284 Abs. 5 Sätze 2 und 3 AO 1977 inzwischen abgeschlossen ist. Denn es ist schwer vorstellbar, daß der Gesetzgeber die Anordnung der Haft in einem Zeitpunkt für zulässig erklärt, in dem wegen der aufschiebenden Wirkung des § 284 Abs. 5 Satz 3 AO 1977 noch gar keine Pflicht zur Abgabe der eV besteht oder der Vollstreckungsschuldner gar noch das Recht hat, durch erstmaliges Vortragen der Einwendungen den Rechtsvorteil der aufschiebenden Wirkung zu erzielen. Dem § 284 Abs. 7 AO 1977 muß daher entnommen werden, daß spätestens nach Anordnung der Haft das erstmalige Vorbringen von Einwendungen gegen die Pflicht zur Abgabe der eV, die schon im Termin nach § 284 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 hätten vorgebracht werden können, jedenfalls keine aufschiebende Wirkung i.S. des § 284 Abs. 5 Satz 3 AO 1977 hat.

Der Schutz des Schuldners wird dadurch nicht in unzumutbarer Weise beeinträchtigt. Es gibt keinen plausiblen Grund, ihm die Befugnis, Einwendungen mit aufschiebender Wirkung zu erheben, abweichend von den Regeln des normalen Rechtsbehelfsverfahrens auch dann noch zuzuerkennen, wenn er dem (ersten) Termin ohne ausreichende Entschuldigung ferngeblieben ist oder im Termin die Abgabe der eV ohne Grund verweigert hat. Es ist ihm zuzumuten, sein Recht zur Erhebung von Einwendungen mit aufschiebender Wirkung spätestens im Termin zur Abgabe der eV zu nutzen.

Für diese Auffassung des Senats spricht schließlich auch die Auslegung, die die Regelung des § 900 Abs. 5, § 901 ZPO im Zivilprozeßrecht erfahren hat. § 284 Abs. 5 Sätze 2 bis 4 und Abs. 7 AO 1977 ist der genannten zivilprozessualen Regelung nachgebildet, wie der zum Teil wörtlich übereinstimmende Wortlaut beweist. Nach dieser zivilprozessualen Regelung ist zwischen dem Verfahren nach § 900 ZPO (Verfahren zur Abnahme der eV) und dem Verfahren nach § 901 ZPO (Anordnung der Haft) zu unterscheiden. Bleibt der Schuldner im nach § 900 ZPO gesetzten Termin aus, so richtet sich das weitere Verfahren nach den Regeln des § 901 ZPO (vgl. Stein/Jonas/Münzberg, Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., § 900 Anm. IV 2). Im Rahmen dieses Verfahrens steht dem Vollstreckungsschuldner gegen die Haftanordnung des Gerichts nach allgemeiner Auffassung die sofortige Beschwerde nach § 793 ZPO zu, nicht mehr aber der Widerspruch nach § 900 Abs. 5 Satz 1 ZPO (vgl. Beschluß des Oberlandesgerichts - OLG - Stuttgart vom 20. Juni 1961 8 W 136/61, Der Deutsche Rechtspfleger - Rpfleger - 1962, 25, 26; Beschluß des Kammergerichts vom 18. Oktober 1962 1 W 1369/62, Neue Juristische Wochenschrift 1963, 866; Stein/Jonas/Münzberg, a.a.O., § 901 Anm. III 1; Wieczorek, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, 2. Aufl., § 901 ZPO Anm. B III). Es braucht hier nicht auf die zivilprozessuale Streitfrage eingegangen zu werden, ob der Schuldner, der den Termin und damit die Erhebung des Widerspruchs nach § 900 Abs. 5 Satz 1 ZPO verabsäumt hat, mit seiner Beschwerde gegen die Haftanordnung noch Einwendungen gegen seine Versicherungspflicht erheben kann (das wird überwiegend bejaht; vgl. Beschluß des OLG Frankfurt vom 7. November 1975 20 W 779/75, Rpfleger 1976, 27, und Beschluß des Landgerichts Hannover vom 13. Februar 1986 11 T 306/85, Rpfleger 1986, 187, jeweils mit zahlreichen Hinweisen auf Rechtsprechung und Literatur; a.A. Baumbach/Lauterbach/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 47. Aufl., § 901 Anm. 3 B

b). Denn jedenfalls hat dieses Vorbringen keine aufschiebende Wirkung, da nicht § 900 Abs. 5 Satz 2 ZPO mit seiner Anordnung der aufschiebenden Wirkung zur Anwendung kommt, sondern die Regelung, daß die sofortige Beschwerde keine aufschiebende Wirkung hat (Baumbach/Lauterbach/Hartmann, a.a.O., § 901 Anm. 3, § 793 Anm. 1 B; vgl. auch § 572 Abs. 1 ZPO). Hält also der Vollstreckungsschuldner seine Einwendungen gegen die Versicherungspflicht bis in das Verfahren über die Haftanordnung zurück, so geht ihm jedenfalls die Möglichkeit verloren, durch seinen Widerspruch die Eidesleistung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch hinauszuschieben (vgl. Kammergericht, a.a.O., Absatz 2 der veröffentlichten Gründe).

Nach den Feststellungen des FG hat der Kläger den Termin zum 27. August 1987 zur Abgabe der eV unentschuldigt versäumt. Erst nach Haftanordnung hat der Kläger vor Abgabe der eV Einwendungen gegen seine Verpflichtung zur Versicherungsleistung erhoben. Zu diesem Zeitpunkt konnten, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, diese Einwendungen keine aufschiebende Wirkung mehr haben. Das FA war daher grundsätzlich berechtigt, die eV abzunehmen, ohne den Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung darüber abzuwarten, ob die Einwendungen des Klägers zulässig und begründet sind. Da diese Einwendungen nach den Feststellungen des FG auch nicht substantiiert waren, bestehen ferner keine Anhaltspunkte dafür, daß die Entscheidung des FA, die eV in diesem Zeitpunkt abzunehmen, ermessensfehlerhaft war. Die Abnahme der eV durch das FA war daher nicht rechtswidrig.