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  BFH-Urteil vom 18.10.1989 (II R 209/83) BStBl. 1990 II S. 190

Eine Dienstwohnung im Sinne der Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 5 Buchst. c GrStG 1951 ist eine Wohnung, die dem Inhaber eines Kirchenamtes unter Anrechnung auf seine Vergütung zugewiesen worden und zu deren Benutzung der Amtsinhaber verpflichtet ist, weil dies zur ordnungsmäßigen Wahrnehmung der dienstlichen Obliegenheiten erforderlich ist (Änderung der im Urteil vom 16. Mai 1975 III R 54/74, BFHE 116, 176, 179, BStBl II 1975, 746 vertretenen Rechtsauffassung).

GrStG 1951 § 4 Nr. 5 Buchst. c; Änderungsgesetz vom 24. August 1965 (BGBl I 1965, 905, BStBl I 1965, 407); GrStG 1973 § 3 Abs. 1 Nr. 5; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 140.

Vorinstanz: FG Düsseldorf (EFG 1983, 570)

Sachverhalt

Der Kläger ist als Diözese der römisch-katholischen Kirche eine Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts (vgl. hierzu Entscheidung des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Mai 1983 II R 180/79, BFHE 138, 303, 305, BStBl II 1983, 484). Er ist Eigentümer eines Mietwohngrundstücks. Für dieses Grundstück stellte das Finanzamt (FA) zum 1. Januar 1971 durch Art- und Wertfortschreibung den Einheitswert auf 96.200 DM und setzte durch gleichzeitig ergangenen Grundsteuermeßbescheid den Grundsteuermeßbetrag auf 673,40 DM fest. Der Kläger ist der Auffassung, daß die Wohnungen der in seinen Diensten stehenden Herren B, H und W als Dienstwohnungen von Kirchendienern von der Grundsteuer befreit seien. B ist Dozent an einer bischöflichen Akademie, H ist im Bereich Bauerhaltung und W für die Bearbeitung der Zentralstatistik tätig.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren entschied das Finanzgericht (FG), daß der Grundsteuermeßbescheid und die Einspruchsentscheidung insoweit aufgehoben werden, als der Grundsteuermeßbetrag auf die Dienstwohnungen dieser Bediensteten entfällt. Das FG vertrat die Auffassung, bei den vorgenannten Wohnungen handle es sich um Dienstwohnungen, die von Kirchendienern des Klägers bewohnt werden (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1983, 570).

Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom FG zugelassene Revision des FA. Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen. Es ist der Auffassung, die Bediensteten des Klägers, die die streitigen Wohnungen bewohnen, seien nicht Kirchendiener im Sinne der grundsteuerrechtlichen Befreiungsvorschrift.

Entscheidungsgründe

Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil das FG § 4 Nr. 5 Buchst. c des Grundsteuergesetzes (GrStG) in der für die Entscheidung dieses Rechtsstreits maßgebenden Fassung des Gesetzes vom 24. August 1965 (BGBl I 1965, 905; BStBl I 1965, 407) nicht richtig angewendet hat. Bei den Wohnungen der Bediensteten des Klägers handelt es sich nicht um Dienstwohnungen im Sinne dieser Befreiungsvorschrift.

Dienstwohnungen im Sinne dieser Vorschrift könnten die im vorliegenden Fall zu beurteilenden Wohnungen nur dann sein, wenn sie den Bediensteten aufgrund ihres öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses als Teil ihres Einkommens zugewiesen worden wären und die Bediensteten zur Benutzung verpflichtet wären, weil materiell die Benutzung der Wohnungen zur ordnungsmäßigen Wahrnehmung ihrer dienstlichen Obliegenheiten erforderlich ist (vgl. das BFH-Urteil vom 12. Januar 1973 III R 85/72, BFHE 108, 442, BStBl II 1973, 377). Diese besonderen Voraussetzungen lagen nicht vor.

Der III. Senat ist allerdings in einem späteren Urteil vom 16. Mai 1975 III R 54/74 (BFHE 116, 176, BStBl II 1975, 746), ohne daß diese Auffassung seine damalige Entscheidung beeinflußte, von einem weiteren Dienstwohnungsbegriff ausgegangen. Auf diese Entscheidung hat das FG sein Urteil u.a. gestützt. Dem kann der erkennende Senat jedoch aus zwingenden verfassungsrechtlichen Gründen nicht folgen.

Ausgangspunkt für die Beurteilung des § 4 Nr. 5 Buchst. c GrStG in der ab 1966 geltenden Fassung ist die Regelung des § 5 GrStG, wonach Grundbesitz, der Wohnzwecken dient, nicht als für einen der nach § 4 Nr. 1 bis 8 begünstigten Zwecke benutzt anzusehen ist. Von dieser Regelung, die auch die Dienstwohnungen des Staatsbediensteten betrifft, weicht § 4 Nr. 5 Buchst. c GrStG dadurch ab, daß er die Dienstwohnungen der Geistlichen und Kirchendiener von der Grundsteuer freistellt. Damit wird die Frage nach der Verletzung des Gleichheitssatzes aufgeworfen (vgl. in diesem Zusammenhang zu dem in § 4 Nr. 5 Buchst. c GrStG verwendeten Begriff der Dienstgrundstücke auch die BFH-Urteile vom 9. Juli 1971 III R 19/69, BFHE 103, 85, 88, BStBl II 1971, 781, und vom 13. Mai 1987 II R 225/82, BFHE 150, 279, 282, BStBl II 1987, 722). Denn § 4 Nr. 5 Buchst. c GrStG steht nicht im Einklang mit dem erkennbaren System des GrStG, wonach Wohnungen immer der Grundsteuer unterliegen (vgl. zur Gleichheitswidrigkeit wegen Systemverstoßes die bei Leibholz/Rinck/Hesselberger, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 3 Tz. 99 genannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - z.B. BVerfGE 59, 36, 49). Nur für bestimmte Unterkünfte (u.a. für Gemeinschaftsräume der Polizei sowie für Bereitschaftsräume), die nicht Wohnungen sein dürfen, werden in § 5 Satz 2 GrStG eng umrissene Ausnahmen gemacht.

Als im Rahmen der Systematik des GrStG vertretbar ist die Steuerbefreiung der Dienstwohnungen durch § 4 Nr. 5 Buchst. c GrStG unter diesen Umständen nur insoweit anzusehen, als sie ihre Rechtfertigung in Art. 138 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung (vgl. Art. 140 des Grundgesetzes - GG -) findet (sog. negative Staatsleistungen, vgl. RGZ 111, 134). Dies gilt allerdings nicht für alle Teile der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik). Denn die Dienstwohnungen der Geistlichen und Kirchendiener waren vor dem 1. April 1938 nicht im gesamten damaligen Staatsgebiet von der Grundsteuer befreit, z.B. nicht in Bayern. Dieser Verfassungslage entsprach die vor 1966 geltende Regelung des § 4 Nr. 5 Buchst. c GrStG, die allein auf die vor dem 1. April 1938 geltende, allerdings außerordentlich unübersichtliche Rechtslage abstellte. Gegen sie konnten deshalb rechtsstaatliche Bedenken geltend gemacht werden (vgl. die Ausführungen im BFH-Urteil in BFHE 103, 85, 88, BStBl II 1971, 781).

Wenn seit 1966 Dienstwohnungen der Geistlichen und der Kirchendiener ohne Rücksicht darauf von der Grundsteuer befreit sind, ob eine derartige Befreiung bereits vor dem 1. April 1938 bestand, so wurden damit zwar die rechtsstaatlichen Bedenken gegen die vorher geltende Regelung ausgeräumt, zugleich aber die Ungleichbehandlung im Verhältnis zu allen anderen Wohnungen, insbesondere zu den Dienstwohnungen aller öffentlich Bediensteten, vergrößert. Der erkennende Senat ist der Auffassung, daß unter diesen Umständen eine verfassungskonforme Lösung, die sowohl Art. 3 GG als auch Art. 138 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung als auch den Bestimmtheitsgrundsatz (vgl. BVerfGE 8, 274, 302) beachtet, nur dadurch zu erreichen ist, daß der Dienstwohnungsbegriff eng in dem Sinne ausgelegt wird, wie dies der Rechtsprechung des früheren Preußischen Oberverwaltungsgerichts entsprach (vgl. hierzu die Entscheidungen vom 8. März 1910 VIII C 75/09, OVGE 56, 174, und vom 1. März 1912 VIII C 220/11, Preußisches Verwaltungsblatt 33, 504). Nur eine derart enge Auslegung läßt sich in den Rahmen der Ausnahmeregelung ees § 5 Satz 2 GrStG einpassen. Das bedeutet, daß Wohnungen nur dann Dienstwohnungen sein können, wenn es zur Wahrnehmung der dienstlichen Obliegenheiten erforderlich ist, daß sich der Wohnungsinhaber an der betreffenden Stelle dauernd aufhält und ihm deswegen die Wohnung überwiesen worden ist (vgl. hierzu Nöll/Freund/Suren, Kommentar zum Preußischen Kommunalabgabengesetz, 9. Aufl., 1931, § 24 Anm. 12 n). Unter diesen Umständen konnte die Änderung der Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts zur Frage der Steuerbefreiung von Dienstwohnungen der Beamten (vgl. die Entscheidung vom 6. Oktober 1914 II C 164/12, OVGE 68, 207, vgl. auch die Entscheidung vom 13. Dezember 1927 VII D 396/26, OVGE 82, 9) entgegen der in BFHE 116, 176, BStBl II 1975, 746 vertretenen Auffassung kein Anlaß sein, nunmehr von einem weiten Dienstwohnungsbegriff auszugehen und deshalb die unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Dienstwohnungen noch zu vergrößern, zumal seit 1949 auch Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten war, dem auch die Kirchen im staatlichen Bereich unterworfen sind.

Die Verfassungsvorschrift des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 der Weimarer Reichsverfassung, wonach jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbständig ordnet und verwaltet, hindert die Finanzbehörden und die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit nicht, die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 5 c GrStG enger auszulegen, als der Kläger dies tut. Denn jenes Selbstbestimmungsrecht ist den Religionsgesellschaften nur "innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes" gegeben (vgl. BFH vom 22. Juli 1987 II R 204/84, BFHE 150, 285, 289, BStBl II 1987, 725). Es ist davon auszugehen, daß das staatliche Grundsteuergesetz ein für alle geltendes Gesetz in diesem Sinn ist, weil es für die Kirchen dieselbe Bedeutung hat, wie für Jedermann. Die Grundsteuer gehört zu den Kosten eines Grundstücks, mit denen jeder Grundstückseigentümer rechnen muß, wie mit anderen Ausgaben, die sich aus dem Grundbesitz ergeben (z.B. Wassergeld, Müllabfuhr, Schornsteinfegerkosten).

Bei der erforderlichen engen Auslegung gilt § 4 Nr. 5 Buchst. c GrStG in der ab 1966 geltenden Fassung nicht nur in den Gebieten, in denen vor dem 1. April 1938 Grundsteuerbefreiungen der Geistlichen und der Kirchendiener als negative Staatsleistungen bestanden, sondern auch in allen anderen Gebieten.

Da die im vorliegenden Fall zu beurteilenden Wohnungen bei verfassungskonformer Auslegung des § 4 Nr. 5 Buchst. c GrStG keine Dienstwohnungen sind, braucht der Senat nicht mehr auf die Frage einzugehen, ob auch der Begriff der Kirchendiener, entgegen der bisherigen Rechtsprechung aus Verfassungsgründen einer einschränkenden Auslegung bedarf.