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  BFH-Urteil vom 13.12.1989 (X R 188/87) BStBl. 1990 II S. 220

Eine Nachversteuerung gemäß § 10 Abs. 6 Nr. 2 EStG ist auch dann durchzuführen, wenn der Steuerpflichtige den Bausparvertrag zwar während der Dauer der Arbeitslosigkeit kündigt, die geleisteten Beiträge aber erst zu einem Zeitpunkt zurückgezahlt werden, zu dem der Steuerpflichtige nicht mehr arbeitslos ist.

EStG 1979/81 § 10 Abs. 6 Nr. 2.

Vorinstanz: FG des Saarlandes (EFG 1987,175)

Sachverhalt

Im Rahmen des Lohnsteuer-Jahresausgleichs 1980 und 1982 machten der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und seine Ehefrau Zahlungen von Bausparbeiträgen als Sonderausgaben geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) entsprach diesem Begehren.

Nach Ablegen der zweiten juristischen Staatsprüfung erhielt der Kläger in der Zeit vom 1. September bis 31. Oktober 1982 Arbeitslosengeld. Vom 2. November 1982 bis 31. Januar 1983 war er bei der Universität A als Korrektur-Assistent ohne Sozialversicherungspflicht beschäftigt. Anschließend war er nach seinem Vorbringen bis zum 31. August 1983 - ohne Meldung beim zuständigen Arbeitsamt - beschäftigungslos.

Am 23. März 1983 kündigte der Kläger den Bausparvertrag. Die Bausparkasse zahlte die Bausparbeiträge am 23. September 1983 an den Kläger zurück. Das FA führte daraufhin eine Nachversteuerung gemäß § 10 Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) durch und forderte die zuviel erstatteten Lohn- und Kirchensteuern durch Nachversteuerungsbescheide gemäß § 10 Abs. 6 EStG, § 31 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) zurück.

Auf den Einspruch des Klägers und seiner Ehefrau hin hob das FA die angefochtenen Bescheide gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO 1977) "wegen formeller Fehler" auf. Gleichzeitig wies es darauf hin, daß es in Kürze zwei neue, selbständig anfechtbare Lohnsteuer Nachversteuerungsbescheide für die Jahre 1980 und 1982 erlassen werde. Diese Bescheide ergingen am 21. Februar 1985.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage mit den in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1987, 175 abgedruckten Gründen abgewiesen.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 10 Abs. 6 EStG 1979/81 (EStG). Er ist darüber hinaus der Ansicht, das FA sei nach dem Aufheben der ursprünglichen Nachversteuerungsbescheide nicht mehr berechtigt gewesen, nochmals derartige Bescheide zu erlassen.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung, die Bescheide über die Festsetzung von nachzufordernden Lohn- und Kirchensteuern für 1980 und 1982 vom 21. Februar 1985 sowie die dazu ergangenen Einspruchsentscheidungen aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

I.

Das FG war zu Recht der Ansicht, daß das FA nicht formell gehindert war, neue Nachversteuerungsbescheide gemäß § 10 Abs. 6 EStG, § 31 EStDV i.V.m. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d AO 1977 zu erlassen.

1. Der Kläger macht insoweit geltend, die angefochtenen Bescheide hätten nicht mehr ergehen dürfen, nachdem die vorangegangenen Bescheide gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 aufgehoben worden seien; denn nach dieser Vorschrift sei die Aufhebung eines Bescheides ohne - hier fehlende - ausdrückliche Zustimmung des Steuerpflichtigen nur möglich, wenn seinem Begehren sachlich entsprochen werde. Wegen dieser abschließenden Entscheidung könne ein weiterer inhaltsgleicher Bescheid nicht mehr ergehen. Nach dem zur Rückforderung von Arbeitnehmer-Sparzulagen ergangenen Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. Juli 1986 VI R 105/83 (BFHE 147, 113, BStBl II 1986, 775) kommt es aber entscheidend darauf an, ob in dem Aufhebungsbescheid des FA ein Verzicht auf erneute Geltendmachung des Anspruchs auf Rückforderung der Sparzulagen erblickt werden kann. Andernfalls ist das FA regelmäßig nicht gehindert, den Rückforderungsanspruch durch Erlaß eines neuen Bescheids geltend zu machen, ohne daß die Voraussetzungen der §§ 172 ff. AO 1977 erfüllt sein müssen. Ein Verzicht auf das erneute Geltendmachen eines Rückforderungsanspruchs kann nach der genannten Entscheidung nicht allein in dem Hinweis gesehen werden, durch die Aufhebung des Rückforderungsbescheides erledige sich der Einspruch.

Diese Grundsätze gelten entsprechend auch für Nachversteuerungsbescheide gemäß § 10 Abs. 6 EStG, § 31 EStDV. Sachliche Gründe, die eine unterschiedliche Beurteilung rechtfertigen würden, liegen nicht vor. Sie sind entgegen der Ansicht des Klägers insbesondere nicht darin zu sehen, daß in dem der Entscheidung in BFHE 147, 113, BStBl II 1986, 775 zugrunde liegenden Fall der ursprüngliche Bescheid nichtig war.

2. Nach diesen Grundsätzen war das FA im Streitfall zum Erlaß neuer Bescheide berechtigt, ohne daß die Voraussetzungen zum Erlaß von Änderungsbescheiden nach den §§ 172 ff. AO 1977 erfüllt sein mußten. Es hatte im Abhilfebescheid ausdrücklich dargelegt, daß neue Bescheide ergehen würden. Ob das FA im Abhilfebescheid zu Recht auf § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 Bezug genommen hat, ist nicht entscheidungserheblich.

II.

Zutreffend ist das FG ferner davon ausgegangen, daß im Streitfall eine Nachversteuerung gemäß § 10 Abs. 6 EStG durchzuführen war.

1. Gemäß dieser Vorschrift ist nach Maßgabe des § 31 EStDV eine Nachversteuerung bei Bausparverträgen u.a. dann durchzuführen, wenn vor Ablauf von zehn Jahren seit Vertragsabschluß geleistete Beiträge ganz oder zum Teil zurückgezahlt werden (§ 10 Abs. 6 Nr. 2 Satz 1 EStG). Diese Voraussetzungen liegen unstreitig vor.

2. Entgegen der Ansicht des Klägers ist die vorzeitige Rückzahlung der Bausparbeiträge nicht unschädlich.

Gemäß § 10 Abs. 6 Nr. 2 Satz 2 Buchst. d EStG ist die vorzeitige Verfügung unschädlich, wenn - bezogen auf den Streitfall - der Steuerpflichtige nach Vertragsabschluß arbeitslos geworden ist, die Arbeitslosigkeit mindestens ein Jahr lang ununterbrochen bestanden hat und im Zeitpunkt der vorzeitigen Verfügung noch besteht. Unter "Verfügung" in diesem Sinn ist das gleiche zu verstehen wie im Grundtatbestand des § 10 Abs. 6 Nr. 2 Satz 1 EStG, nämlich die vollständige oder teilweise Auszahlung der Bausparsumme, die vollständige oder teilweise Rückzahlung geleisteter Beiträge sowie die Abtretung oder Beleihung der Ansprüche aus dem Bausparvertrag. Dies folgt aus dem Charakter der Regelung des § 10 Abs. 6 Nr. 2 Satz 2 EStG als einer Ausnahme zu den Nachversteuerungstatbeständen des Satzes 1 dieser Vorschrift, wie sich aus dem Wortlaut des § 10 Abs. 6 Nr. 2 Satz 2 EStG ergibt: Diese Tatbestände greifen nicht ein, wenn sie im Zusammenhang mit bestimmten weiteren Vorgängen stehen, wie beispielsweise die unverzügliche und unmittelbare Verwendung der Beträge zum Wohnungsbau, Tod des Ehegatten oder Arbeitslosigkeit des Steuerpflichtigen. Diese enge sachliche Verknüpfung kommt u.a. auch darin zum Ausdruck, daß in den Buchst. a und b des § 10 Abs. 6 Nr. 2 Satz 2 EStG einzelne Tatbestandsmerkmale - soweit sie nach Auffassung des Gesetzgebers sachlich für eine Ausnahmeregelung bedeutsam waren - ausdrücklich aufgeführt sind. Im Falle der Arbeitslosigkeit konnte dagegen der gesamte Nachversteuerungstatbestand des § 10 Abs. 6 Nr. 2 Satz 1 EStG im Sinn der Zielsetzung des Gesetzgebers bedeutsam werden. Diese bestand darin, es den Bausparern für den Fall ihrer Arbeitslosigkeit zu ermöglichen, über die Bausparguthaben vor Ablauf der Festlegungsfrist steuerunschädlich verfügen zu können (vgl. BTDrucks 8/292, S. 22). Es erübrigte sich damit, wie in den Fällen der Buchst. a und b des § 10 Abs. 6 Nr. 2 Satz 2 EStG, lediglich bestimmte Nachversteuerungstatbestände aufzuführen.

Dementsprechend ist - bezogen auf den Streitfall - "Zeitpunkt der vorzeitigen Verfügung" i.S. des § 10 Abs. 6 Nr. 2 Satz 2 Buchst. d EStG der Zeitpunkt der Rückzahlung der Beträge (ebenso Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 10 EStG Rdnr. 507) und nicht der Zeitpunkt der Kündigung des Bauspardarlehens.

Entgegen der Auffassung des Klägers steht diese Auslegung des Senats im Einklang mit der gesetzgeberischen Zielsetzung: Einerseits zwar Härten in den Fällen zu vermeiden, in denen ein Bausparer wegen anhaltender Arbeitslosigkeit gezwungen ist, vorzeitig über sein Bausparguthaben zu verfügen, dabei aber andererseits eine bestimmte Dauer der Arbeitslosigkeit vorauszusetzen (vgl. BTDrucks 8/292, S. 22).

Im Streitfall war der Kläger im Zeitpunkt der Auszahlung der Bausparbeiträge nicht mehr arbeitslos.

3. Ob die Nachversteuerung auch deshalb durchzuführen gewesen wäre, weil der Kläger die Arbeitslosigkeit nicht nach Maßgabe der Verwaltungsanweisungen in Abschn. 94 Abs. 4 Nr. 3 der Einkommensteuer-Richtlinien 1981, Abschn. 44 Abs. 4 Nr. 3 der Lohnsteuer-Richtlinien 1981 nachgewiesen hat, kann der erkennende Senat unerörtert lassen. Dies ist nicht entscheidungserheblich.