| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 19.11.1989 (VI R 27/86) BStBl. 1990 II S. 308

1. Bei der Einreise der im Ausland lebenden Ehefrau zu ihrem in der Bundesrepublik als Arbeitnehmer tätigen Ehemann hängt es jedenfalls bei einer Aufenthaltsdauer im Inland bis zu einem Jahr von den Umständen des Einzelfalles ab, ob es sich um einen besuchsweisen Aufenthalt des Ehegatten oder um die Verlegung des Familienwohnsitzes ins Inland handelt.

2. Aus den Angaben des Ehegatten zur Erlangung der Aufenthaltsgenehmigung, die Einreise sei aus Gründen der Familienzusammenführung erfolgt, kann nicht zwingend gefolgert werden, der Familienhaushalt sei vom Ausland an den Beschäftigungsort des Arbeitnehmers verlegt worden.

EStG 1981 § 9 Abs. 1 Nr. 5.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist türkischer Staatsangehöriger. Er ist seit dem Jahre 1973 in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) als Arbeitnehmer tätig. Seine Ehefrau und die vier gemeinsamen Kinder leben weiterhin in der Türkei. Die Ehefrau des Klägers hielt sich vom 8. Februar 1980 bis zum 26. August 1980 in der Bundesrepublik beim Kläger auf.

In seinem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich 1983 machte der Kläger Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung als Werbungskosten geltend. Sie wurden vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) nicht zum Abzug zugelassen. Das FA ist der Ansicht, die doppelte Haushaltsführung des Klägers habe nur bis zum 7. Februar 1980 gedauert, da durch den Aufenthalt seiner Ehefrau bei ihm in der Bundesrepublik ein Familienhaushalt begründet worden sei. Als die Ehefrau am 26. August 1980 in die Türkei zurückgekehrt sei, sei eine doppelte Haushaltsführung erneut - diesmal aber aus privatem Anlaß - entstanden. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Der Kläger machte im Klageverfahren geltend, seine Ehefrau habe sich im Jahre 1980 lediglich einige Monate zu Besuch an seinem Beschäftigungsort in der Bundesrepublik aufgehalten, um sich medizinisch behandeln zu lassen.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führt u.a. aus: Bei einem Aufenthalt des Ehegatten in der Bundesrepublik von weniger als einem Jahr komme es für die Frage, wo sich der Familienwohnsitz in dieser Zeit befinde, auf die Umstände des Einzelfalles an. Durch den Aufenthalt der Ehefrau des Klägers im Jahre 1980 sei kein ausschließlicher Familienwohnsitz in der Bundesrepublik begründet worden. Der Aufenthalt habe allerdings 6 1/2 Monate gedauert; es sei jedoch von vornherein nur ein Besuch von begrenzter Dauer geplant gewesen. Die Familienwohnung in der Türkei sei nicht aufgegeben worden; dort seien vielmehr die vier Kinder des Klägers verblieben. Die Ehefrau habe zwar im Februar 1980 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung gestellt und darin als Grund "Familienzusammenführung" angegeben. Ein derartiger Antrag zwinge aber nicht zu dem Schluß, daß die Umzugsentscheidung schon endgültig gefallen sei.

Gegen diese Entscheidung hat das FA Revision eingelegt. Es rügt die fehlerhafte Anwendung des § 9 Abs. 1 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und die Verletzung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben. Hierzu bringt es u.a. vor:

Der Zuzug der Ehefrau habe nach ihren Angaben gegenüber der Ausländerbehörde der Familienzusammenführung gedient. Damit habe sie unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß im Zeitpunkt ihrer Einreise ein besuchsweiser Aufenthalt nicht geplant gewesen sei. Die Entscheidung des FG unterstelle einen besuchsweisen Aufenthalt nur aufgrund der Tatsache, daß die Kinder des Klägers in der Türkei verblieben sind. Das FG übersehe, daß ein Familienwohnsitz grundsätzlich dort anzunehmen sei, wo die Eltern ihren gemeinsamen Wohnsitz hätten, und nicht an dem Ort, wo die Kinder sich regelmäßig aufhielten.

Das Vorbringen des Klägers, der Aufenthalt seiner Ehefrau sei von Anfang an als Besuch beabsichtigt gewesen, sei auch wegen des Verbots des widersprüchlichen Verhaltens rechtlich unbeachtlich. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) müsse derjenige, der aufgrund seiner Angaben bei einer staatlichen Einrichtung einen einmal zu seinen Gunsten wirkenden Vertrauenstatbestand hervorgerufen habe, auch dann diesen später gegen sich gelten lassen, wenn die Angaben sich bei einer anderen Behörde nunmehr zu seinen Ungunsten auswirkten (Urteile vom 11. Februar 1965 V 37/63 U, BFHE 82, 67, BStBl III 1965, 270, und vom 18. Februar 1965 V 189/62 U, BFHE 82, 72, BStBl III 1965, 272). Daher müsse der Kläger sich an den Angaben seiner Frau gegenüber der Auslandsbehörde festhalten lassen, daß der Zuzug der Familienzusammenführung gedient habe, woraus sich ergebe, daß die Eheleute bereits im Zeitpunkt der Einreise die Absicht verfolgt hätten, einen gemeinsamen Haushalt am Beschäftigungsort zu gründen.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Denn das FG konnte ohne Rechtsverstoß den Sachverhalt dahin würdigen, daß die beruflich veranlaßte doppelte Haushaltsführung des Klägers im Streitjahr 1983 nicht durch den Aufenthalt der Ehefrau bei ihm in der Zeit vom 8. Februar 1980 bis 26. August 1980 beendet worden ist.

Nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG zählen zu den bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abziehbaren Werbungskosten auch notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlaß begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, und zwar unabhängig davon, aus welchen Gründen die doppelte Haushaltsführung beibehalten wird. Nach Satz 2 dieser Vorschrift liegt eine doppelte Haushaltsführung vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt.

1. Die Beteiligten gehen im Streitfall zu Recht davon aus, daß der Kläger im Jahr 1973 aus beruflichem Anlaß eine doppelte Haushaltsführung dadurch begründet hat, daß er von der Türkei in die Bundesrepublik kam, hier Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit erzielte, am Beschäftigungsort in der Bundesrepublik einen zweiten Haushalt unterhielt und seine Familie am Ort des eigenen Hausstandes in der Türkei zurückließ.

2. Eine doppelte Haushaltsführung wird beendet, wenn keine Aufsplitterung in zwei Haushalte mehr gegeben ist, weil der Familienhaushalt (der "Hausstand" i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG) an den Beschäftigungsort oder in dessen Einzugsbereich verlegt wird und der Arbeitnehmer seinen am Beschäftigungsort bisher unterhaltenen Zweithaushalt aufgibt. Dies ist in der Regel der Fall, wenn die Ehefrau - ggf. mit Kindern - zu dem auswärts beschäftigten Ehemann zieht, auch wenn der Arbeitnehmer die frühere Familienwohnung beibehält, in der sich die Ehefrau zeitweilig aufzuhalten pflegt (vgl. BFH-Urteil vom 21. Januar 1972 VI R 95/71, BFHE 104, 193, BStBl II 1972, 262). Ist die Familie jedoch an den Beschäftigungsort gezogen und hat der Kläger mit ihr dort einen gemeinsamen Familienwohnsitz begründet, führt die Rückkehr der Familie an ihren früheren Wohnort, etwa weil dort die Kinder zur Schule gehen sollen, in der Regel zu einer aus privatem Anlaß entstandenen doppelten Haushaltsführung des Arbeitnehmers (BFH-Urteil vom 2. Dezember 1981 VI R 22/80, BFHE 135, 182, BStBl II 1982, 323).

3. Anders ist jedoch die Rechtslage, wenn die Ehefrau beim Arbeitnehmer vorübergehend zu Besuch weilt, der Familienhaushalt am bisherigen Wohnort also während dieser Zeit aufrechterhalten wird. Denn in einem solchen Fall währt die doppelte Haushaltsführung fort, wird also nicht unterbrochen. Von einem solchen Sachverhalt ist das FG im Streitfall ohne Rechtsverstoß ausgegangen.

a) Nach der Entscheidung des Senats in BFHE 135, 182, BStBl II 1982, 323 kann ein Besuch von Angehörigen bei einem außerhalb des Familienwohnsitzes tätigen Steuerpflichtigen in der Regel nur angenommen werden, wenn die Angehörigen bereits bei ihrer Abreise vom Familienwohnsitz planen, nach absehbarer Zeit dorthin zurückzukehren. Ein solches Vorhaben bedingt regelmäßig, daß die Angehörigen Vorsorge für eine möglichst reibungslose Fortsetzung der bisherigen Lebensführung nach ihrer Rückkehr an den Familienwohnsitz treffen. Dazu gehört es in der Regel, daß der am Familienwohnsitz befindliche Haushalt nicht aufgelöst wird. Wie der Senat im Urteil vom 10. Mai 1985 VI R 63/82 (BFH/NV 1985, 70) betont hat, kann die Frage, ob der ausländische Familienhaushalt mit der Einreise des Ehegatten ins Inland verlegt wird oder ob es sich nur um einen besuchsweisen Aufenthalt des Ehegatten im Inland handelt, letztlich nur aufgrund einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalles entschieden werden. Dies ist Aufgabe des FG als richterlicher Tatsacheninstanz. Der Senat ist nach § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an die vom FG vorgenommenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, es sei denn, daß in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsrügen vorgebracht sind.

b) Das FG hat entsprechend den vorstehenden Grundsätzen den Sachverhalt ohne Rechtsverstoß dahin gewürdigt, daß durch den Aufenthalt der Ehefrau beim Kläger in der Zeit vom 8. Februar 1980 bis zum 26. August 1980 der Familienhausstand in der Türkei nicht in die Bundesrepublik verlegt worden ist. Das FG konnte zu Recht der Ansicht sein, daß von vornherein nur ein Besuch der Ehefrau von begrenzter Dauer vorgesehen war. Es schloß dies rechtsirrtumsfrei vor allem aus dem Umstand, daß der Kläger die Familienwohnung in der Türkei nicht aufgegeben und dort seine vier minderjährigen Kinder zurückgelassen hat. Für die Würdigung des FG spricht auch der vom Kläger vorgetragene und vom FA nicht bestrittene Umstand, daß sich die Ehefrau lediglich aus Gründen einer medizinischen Heilbehandlung in der Bundesrepublik aufgehalten hat.

c) Das FG konnte sich bei seiner Entscheidung von der Erwägung leiten lassen, daß dann, wenn der Ehegatte des Gastarbeiters sich weniger als ein Jahr in der Bundesrepublik aufhält, nicht generell von einer Verlegung des Familienhaushalts nach hier ausgegangen werden kann. Das entspricht auch der Ansicht des Bundesministers der Finanzen (BMF) in Tz. 1.1 seines u.a. zur doppelten Haushaltsführung ergangenen Schreibens vom 5. Juni 1989 IV B - 6 - S 2352 - 15/89 (BStBl I 1989, 181), wo es heißt, als Zuzug ins Inland gelte nicht bereits der besuchsweise Aufenthalt des Ehegatten im Inland. Von einem besuchsweisen Aufenthalt könne aber nicht mehr ausgegangen werden, wenn die Besuchsdauer 12 Monate überschreite. Soweit der BMF in früheren Schreiben (so vom 10. März 1986 IV B - 6 - S - 2352 - 3/83, BStBl I 1986, 117) sich auf den Standpunkt gestellt hatte, ein besuchsweiser Aufenthalt des Ehegatten sei generell zu verneinen, wenn die Besuchsdauer sechs Monate überschreite, kann der Senat sich dem nicht anschließen.

Die Entscheidung des Senats deckt sich mit der überwiegend von den FG vertretenen Auffassung. Denn eine Aufenthaltsdauer bis zu einem Jahr sehen auch das Hessische FG im Urteil vom 26. Oktober 1984 IX 92/81 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1985, 291), das FG Köln im Urteil vom 24. Februar 1987 5 K 172/86 (Neue Wirtschafts-Briefe, Fach 1/1987, S. 145, Nr. 773/87) und das FG Düsseldorf im Urteil vom 7. Oktober 1986 XV 413/83 L (EFG 1987, 502) nicht generell als schädlich an. Das FG Berlin betont ferner zu Recht im Urteil vom 18. Oktober 1985 III 550/82 (EFG 1986, 288), daß eine Verlegung des Familienwohnsitzes ins Inland insbesondere nicht in Betracht kommt, wenn - wie hier - ein Ehepartner sich lediglich aus Gründen einer Heilbehandlung in der Bundesrepublik aufhält.

4. Das FG sah es zutreffend nicht als entscheidend an, daß die Ehefrau des Klägers im Februar 1980 die Stellung ihres Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung mit der "Familienzusammenführung" begründet hatte. Das FG ließ sich dabei von den gleichen Erwägungen leiten wie der Senat im vorgenannten Urteil in BFH/NV 1985, 70. Er hat dort betont, daß ein derartiger Antrag zwar für die Absicht des Antragstellers bzw. Antragstellerin sprechen kann, längere Zeit im Inland zu bleiben und seinen Lebensmittelpunkt hierher zu verlegen. Diese Maßnahme zwinge aber nicht zu dem Schluß, die Entscheidung, umzuziehen, sei bei den Eheleuten im Zeitpunkt der Antragstellung schon endgültig gefallen und nicht von weiteren Umständen, wie etwa dem Finden einer familiengerechten Wohnung, abhängig. Erst recht kann der Antragstellung nicht zwingend entnommen werden, daß die Verlegung des Familienwohnsitzes bereits vorausgegangen sei.

5. Der Kläger braucht sich nicht einen Verstoß gegen Treu und Glauben und gegen das sich hiernach ergebende Verbot des "venire contra factum proprium" entgegenhalten zu lassen. Das FA meint zu Unrecht, der Kläger dürfe sich auf einen etwaigen Vorbehalt, einen dauerhaften Aufenthalt seiner Ehefrau nicht gewollt zu haben, nicht berufen, da seine Ehefrau zur Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis vor einer anderen staatlichen Stelle erklärt habe, ihr Antrag werde zum Zwecke der Familienzusammenführung gestellt. Denn die mit dem Antrag verfolgte Absicht kann - wie der Senat im letztgenannten Urteil hervorhob - während des vorübergehenden Aufenthalts im Inland wieder aufgegeben werden und der Antrag besagt nichts darüber, ob und welche weiteren Maßnahmen zum Zwecke der Familienzusammenführung bereits getroffen worden sind.