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  BFH-Urteil vom 31.5.1989 (III R 184/86) BStBl. 1990 II S. 355

1. § 419 BGB ist auch im Steuerrecht anwendbar (Anschluß an Urteil des BFH vom 5. Februar 1986 I R 78/82, BFHE 146, 199, BStBl II 1986, 504).

2. Die Bestellung einer Grundschuld erfüllt nicht die Voraussetzungen für eine Vermögensübertragung nach § 419 BGB, wenn das belastete Grundstück im wesentlichen das gesamte Vermögen des Bestellers ausmacht und die Grundschuld unter Berücksichtigung der anderen Belastungen den noch freien Wert des Grundstücks erfaßt.

3. Entsprechendes gilt auch dann, wenn die Grundschuld nicht neu bestellt, sondern eine an den Eigentümer zurückgefallene Grundschuld übertragen wird.

AO 1977 § 191 Abs. 4; BGB § 419.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein Alten- und Pflegeheim. Sie übernahm im Jahre 1981 durch Vertrag von Frau B, die als Gesamtschuldnerin neben ihrem Ehemann erhebliche Steuerschulden aus den Jahren 1972 und 1973 hat, eine an erster Rangstelle eingetragene Eigentümerbriefgrundschuld an dem Grundstück der Frau B in Höhe von 350.000 DM nebst Zinsen. Die Grundschuld hatte Frau B zunächst ihrer Mutter abgetreten; sie war ihr als deren Erbin wieder zugefallen. Das Grundstück ist zugunsten von anderen Gläubigern außerdem mit Zwangssicherungshypotheken belastet, von denen eine auf 300.000 DM lautet. Das Amtsgericht .... hat den Wert des Grundstücks in dem aus der genannten Zwangssicherungshypothek betriebenen Zwangsversteigerungsverfahren mit Beschluß vom Januar 1986 auf 520.000 DM festgesetzt.

In dem Abtretungsvertrag über die Grundschuld wurde außerdem die gesamte Wohnungseinrichtung des auf dem Grundstück der Frau B stehenden und von den Eheleuten B bewohnten Hauses an die Klägerin übereignet. Für die Eheleute B wurde ein lebenslängliches, unentgeltliches Nutzungsrecht an der Wohnungseinrichtung vorbehalten. Hinsichtlich der Grundschuld wurde vereinbart, daß die Verwertung des Grundstücks nur mit Zustimmung von Herrn oder Frau B erfolgen konnte. Der Grundschuldbrief wurde treuhänderisch von einem Rechtsanwalt verwaltet.

Als Gegenleistung für die Abtretung der Grundschuld und die Übereignung der Wohnungseinrichtung verpflichtete sich die Klägerin, einem der Ehegatten einen Freiplatz in dem von ihr betriebenen Alten- und Pflegeheim zu gewähren. Solange von diesem Freiplatz noch nicht Gebrauch gemacht wurde, sollte Frau B und (sofern diese verstarb) Herrn B ein Rücktrittsrecht von dem Vertrag zustehen, wenn sich der Zweck der Klägerin oder deren Leitung änderte oder Herr oder Frau B in wirtschaftliche Not gerieten.

Die Vollstreckungsstelle des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) pfändete im Jahre 1984 wegen der Steuerschulden den Anspruch von Frau B gegen die Klägerin auf Rückgewähr der Grundschuld. Daraufhin kündigte die Klägerin die Grundschuld, nachdem vorher Frau B der Verwertung der Grundschuld zugestimmt und die Aushändigung des Grundschuldbriefes an die Klägerin veranlaßt hatte.

Im Jahre 1985 schlossen die Eheleute B und die Klägerin dann eine Änderungsvereinbarung zu dem Vertrag von 1981. Darin verpflichtete sich die Klägerin, die Rechte aus der Grundschuld solange nicht geltend zu machen, als Frau B oder Herr B noch Eigentümer des Grundstücks waren und das darauf stehende Haus bewohnten, es sei denn, daß über das Grundstück eine Verfügung, gleich welcher Art, stattfände. Das Rücktrittsrecht der Eheleute B von dem Vertrag wurde ersatzlos aufgehoben.

Das FA nahm anschließend, gestützt auf § 419 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), die Klägerin durch Haftungsbescheid vom 17. Dezember 1985 in Anspruch, nachdem Beitreibungsmaßnahmen für die Steuerschulden bei den Eheleuten B erfolglos geblieben waren und festgestellt worden war, daß das mit der Grundschuld belastete Grundstück und die übereignete Wohnungseinrichtung das gesamte Vermögen der Eheleute B ausgemacht hatten.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren von der Klägerin erhobene Klage, mit der sie sich gegen eine Inanspruchnahme nach § 419 BGB schon dem Grunde nach wehrte, hatte nur hinsichtlich der Höhe der Haftungsschuld teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) verneinte zwar eine Vermögensübernahme i.S. des § 419 BGB durch den Vertrag von 1981, bejahte sie aber aufgrund der Zustimmung der Frau B zu der Verwertung der Grundschuld und der Aushändigung des Grundschuldbriefes im Jahre 1984.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin, das FG habe § 191 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) und § 419 BGB verletzt, weil das FA weder im Haftungsbescheid noch in der Einspruchsentscheidung die Ermessensgründe für die Haftung dargelegt habe. Ferner meint sie, daß der der Haftung zugrunde liegende Steueranspruch verjährt sei und die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 419 BGB nicht erfüllt seien, weil ihr die Kenntnis gefehlt habe, daß es sich um das gesamte Vermögen der Frau B gehandelt habe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil und den Haftungsbescheid in der Fassung der Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zum Erfolg der Klage.

1. Zu Unrecht hat die Vorinstanz die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Klägerin als Haftungsschuldnerin gemäß § 191 AO 1977 i.V.m. § 419 BGB bejaht. Nach § 419 BGB, der auch im Steuerrecht anwendbar ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. Februar 1986 I R 78/82, BFHE 146, 199, BStBl II 1986, 504), ist u.a. Voraussetzung für die Haftung, daß jemand durch Vertrag das im wesentlichen ganze Vermögen eines anderen übernommen hat. Eine Haftung der Klägerin wäre daher nur dann gegeben, wenn in der Übertragung der Grundschuld zusammen mit der Übereignung der Wohnungseinrichtung im Jahre 1981 oder in der Zustimmung zur Verwertung der Grundschuld mit der Aushändigung des Grundschuldbriefes im Jahre 1984 oder in dem Änderungsvertrag hinsichtlich der Grundschuld von 1985 eine Übertragung des nahezu ganzen Vermögens der Frau B liegen würde.

a) Die Bestellung einer Grundschuld erfüllt jedoch nicht die Voraussetzungen für eine Vermögensübertragung. Zwar hat das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart (Urteil vom 3. April 1952 3 U 257/51, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1952, 1019) auch in einer Grundschuldbestellung eine Vermögensübertragung i.S. des § 419 BGB gesehen, wenn die Grundschuld unter Berücksichtigung der dinglichen Vorbelastung den noch freien Wert des Grundstücks erfaßt. Demgegenüber hat der Bundesgerichtshof (BGH) jedoch entschieden, daß § 419 BGB auch dann nicht anwendbar ist, wenn eine dingliche Belastung (z.B. durch ein Grundpfandrecht) das belastete Recht wirtschaftlich praktisch ausfüllt (Urteil vom 3. Juni 1970 VIII ZR 199/68, BGHZ 54, 101, NJW 1970, 1413; vgl. auch das Urteil des BGH vom 29. März 1988 IX ZR 199/87, Betriebs-Berater - BB - 1988, 1278). Der BGH verneint aus Gründen der Rechtssicherheit eine entsprechende Anwendung des § 419 BGB auf Fälle, in denen eine Vermögensübertragung (hier: Eigentumsübertragung des Grundstücks) nicht einmal der Form nach stattgefunden hat, sondern nur eine Bestellung von Grundpfandrechten erfolgt ist. Diese Rechtsprechung wird im Schrifttum überwiegend gebilligt (vgl. u.a. Möschel in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 419 Rdnrn. 25, 26; Ott in Alternativkommentar zum BGB, § 419 Anm. 3; Scheyhing in Nörr/Scheyhing, Sukzessionen, § 29 V, S. 340; Bayer, Die Einschränkung der Haftung des Vermögensübernehmers gemäß § 419 BGB, - Diss. - S. 76 ff.; a.A. noch Soergel/Zeiss, Bürgerliches Gesetzbuch, 11. Aufl., § 419 Rdnr. 5; Grunsky, Beteiligung mehrerer am Schuldverhältnis, Atheneum-Zivilrecht I - Grundlagen des Vertrags - und Schuldrechts, S. 686). Der Senat schließt sich der Auffassung des BGH an. Dafür spricht schon die formale Betrachtungsweise, weil bei einer Bestellung eines Grundpfandrechts nur dieses dingliche Teilrecht, nicht aber das Eigentum selbst als Vermögen übertragen wird. Eine entsprechende Anwendung des § 419 BGB würde - wie der BGH zu Recht ausgeführt hat - bedenkliche Rechtsunsicherheit verursachen. Entgegen dem Zweck der Vorschrift könnte das im Rahmen eines Immobiliarkredits dazu führen, daß bei der Bestellung von Grundpfandrechten der Pfandgläubiger Gefahr läuft, für die Schulden des Verpfänders eintreten zu müssen, wenn die dingliche Belastung das belastete Recht wirtschaftlich praktisch ausfüllt. Eine solche Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Vorschrift des § 419 BGB über den Wortlaut hinaus ist angesichts der dadurch drohenden Beeinträchtigung des Immobiliarkredits auch nicht durch eine mögliche Benachteiligung der Gläubiger geboten, da diese zur Sicherung ihrer Interessen ggf. auf die Regelungen des Anfechtungsgesetzes und die Vorschriften der §§ 138 und 826 BGB zurückgreifen können.

b) Im Streitfall ist die Rechtslage nicht deshalb anders, weil Frau B gegenüber der Klägerin keine Grundschuld neu bestellt, sondern die ihr von ihrer Mutter zugefallene (Eigentümer-)Grundschuld an ihrem eigenen Grundstück auf die Klägerin übertragen hat. Zwar könnte man die Auffassung vertreten, daß angesichts des völlig ausgehöhlten Werts des Grundstücks die Grundschuld nach dem Rückfall nunmehr neben der Wohnungseinrichtung der einzige wesentliche Vermögensgegenstand der Frau B gewesen sei. Dieser Vermögensgegenstand ist auch nicht nur belastet, sondern jedenfalls mit der Einräumung des Verwertungsrechts und der Aushändigung des Grundschuldbriefes im Jahre 1984 auf die Klägerin übertragen worden. Eine Anwendung des § 419 BGB scheitert aber wiederum daran, daß Frau B ebenso wie bei der erstmaligen Bestellung einer Grundschuld bei der Übertragung der Eigentümergrundschuld das Eigentum an dem Grundstück zurückbehalten und daher nicht ihr nahezu ganzes Vermögen übertragen hat. Die Aushöhlung des Eigentums an dem Grundstück durch die Grundschuld zusammen mit den anderen dinglichen Belastungen reicht nach den obigen Ausführungen für die Haftung nach § 419 BGB nicht aus.

Im übrigen wäre bei einer Anwendung des § 419 BGB auf die Übertragung einer Eigentümergrundschuld gleichermaßen eine Beeinträchtigung des Immobiliarkredits zu befürchten wie bei der Anwendung auf die unmittelbare Bestellung einer Fremdgrundschuld, da es für einen Kreditgewährenden im Ergebnis gleichgültig ist, auf welche Art er die Grundschuld bekommt. § 1196 BGB läßt sogar eine unmittelbare Bestellung der Eigentümergrundschuld für den Eigentümer selbst zu, um durch die Übertragungsmöglichkeit die Kreditsicherung zu erleichtern. Dies kann nicht andererseits dadurch erschwert werden, daß der Kreditgewährende bei Übernahme einer solchen Grundschuld dann eine Haftung nach § 419 BGB befürchten muß, bei einer unmittelbaren Grundschuldbestellung zu seinen Gunsten dagegen nicht.

c) Eine Haftung der Klägerin aus Vermögensübernahme ergibt sich auch nicht aus der Übereignung der Wohnungseinrichtung. Zwar kann an sich auch eine wertvolle Wohnungs- oder Betriebseinrichtung ein Vermögen i.S. des § 419 BGB sein (vgl. Urteil des Reichsgerichts vom 3. März 1939 VII 132/38, RGZ 160,7). Die Wohnungseinrichtung hat im Streitfall aber nicht nahezu das gesamte Vermögen der Frau B (und ihres Ehemannes) ausgemacht. Denn Frau B hatte daneben noch das Grundstück. Da die Übertragung der Grundschuld trotz der Wertverhältnisse nicht der Übertragung dieses Grundstücks gleichkommt, konnte die zusammen mit der Grundschuld übertragene Wohnungseinrichtung auch nicht die Haftung der Klägerin begründen.

2. Die Sache ist spruchreif. Nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt sind die Voraussetzungen für die Haftung der Klägerin nicht gegeben, so daß der Anfechtungsklage gegen die Inanspruchnahme der Klägerin als Haftende stattzugeben war.