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  BFH-Urteil vom 13.12.1989 (I R 39/87) BStBl. 1990 II S. 379

Ob ein Steuerpflichtiger i. S. des Art. IX Abs. 3 DBA-Kanada 1956 an einer inländischen Kapitalgesellschaft wesentlich beteiligt ist, bestimmt sich für die Bundesrepublik nur nach § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG. Danach fehlt es an einer wesentlichen Beteiligung, wenn der Steuerpflichtige an der Kapitalgesellschaft nur zu 4,5 v. H. beteiligt ist, auch wenn er seinen Geschäftsanteil innerhalb der fünf Jahre vor der Veräußerung von einem wesentlich beteiligten Gesellschafter unentgeltlich erwarb.

DBA-Kanada 1956 Art. IX Abs. 1 und 3; EStG § 1 Abs. 2, § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c, § 17.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

I.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind die Kinder des A. A war bis zum 25. Januar 1972 mit Geschäftsanteilen im Wert von 33 1/3 v. H. des Stammkapitals an der A-GmbH in M beteiligt. Durch notariellen Vertrag vom 25. Januar 1972 schenkte er den Klägern Geschäftsanteile von je 4,5 v. H. des Stammkapitals. Noch im Januar 1972 verlegten die Kläger ihren Wohnsitz nach Kanada.

Durch notariellen Vertrag vom 9. Juli 1974 veräußerten die Kläger die ihnen von A geschenkten Geschäftsanteile (zweimal 4,5 v. H.) an die B-Ltd. in Kanada.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nahm in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) steuerpflichtige Veräußerungsgewinne i. S. des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c i. V. m. § 17 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und Art. IX Abs. 3 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei den Steuern vom Einkommen vom 4. Juni 1956 - DBA-Kanada 1956 - (BGBl II 1957, 187, BStBl I 1957, 253) an. Er ermittelte die Veräußerungsgewinne in den Einkommensteuerbescheiden 1974 vom 11. März 1982 mit jeweils 272.700 DM.

Die Einsprüche blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) gab den Klagen, die es zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verband, statt und hob die angefochtenen Einkommensteuerbescheide auf.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA sinngemäß die Verletzung des Art. IX Abs. 3 DBA-Kanada 1956.

Es beantragt, das Urteil des FG Baden-Württemberg vom 10. Dezember 1986 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Gemäß § 1 Abs. 2 EStG i. d. F. vom 15. August 1974 - EStG 1974 - (BGBl I 1974, 1993, BStBl I 1974, 578) sind natürliche Personen, die im Inland weder Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, mit inländischen Einkünften i. S. des § 49 EStG 1974 beschränkt einkommensteuerpflichtig. Gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c EStG 1974 gehören zu den inländischen Einkünften aus Gewerbebetrieb auch solche, die aus der Veräußerung eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft erzielt werden (§ 17 EStG 1974), die ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland hat.

Zu diesen Tatbestandsvoraussetzungen hat das FG in tatsächlicher Hinsicht und den erkennenden Senat bindend festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO), daß die Kläger im Streitjahr 1974 weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatten. Sie veräußerten am 9. Juli 1974 die von ihnen an der A-GmbH gehaltenen Geschäftsanteile (zweimal 4,5 v. H.) an die B-Ltd. in Kanada. Die dabei erzielten Veräußerungsgewinne betrugen jeweils 272.700 DM. Die A-GmbH war eine Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in der Bundesrepublik. Die von den Klägern veräußerten Geschäftsanteile machten zwar zusammen genommen nur eine Beteiligung von 9. v. H. aus. Die Kläger hatten jedoch die veräußerten Geschäftsanteile am 25. Januar 1972 von A unentgeltlich erworben. Auch war A bis zum 25. Januar 1972 zu 33 1/3 v. H. und damit wesentlich i. S. des § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG 1974 an der A-GmbH beteiligt. Aus diesen Feststellungen folgt, daß die am 9. Juli 1974 veräußerten Geschäftsanteile zwar keine wesentliche Beteiligung i. S. des § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG 1974 waren, daß sie jedoch gemäß § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG 1974 wie eine solche zu besteuern sind. Die erzielten Veräußerungsgewinne sind deshalb nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c i. V. m. § 17 Abs. 1 Sätze 1 und 4 EStG 1974 in der Bundesrepublik steuerbar.

2. Die Veräußerungsgewinne sind jedoch in der Bundesrepublik aufgrund des Art. IX Absatz 1 DBA-Kanada 1956 steuerfrei. Nach dieser Vorschrift ist eine in Kanada ansässige Person in der Bundesrepublik von jeder Steuer auf den Gewinn aus dem Verkauf von Vermögenswerten befreit, soweit nicht - was für den Streitfall nicht in Betracht kommt - Art. XIII DBA-Kanada 1956 anzuwenden ist. Zu diesen Tatbestandsmerkmalen hat das FG in tatsächlicher Hinsicht und den erkennenden Senat bindend festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO), daß die Kläger im Streitjahr 1974 ihre Wohnsitze nur in Kanada und keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik hatten. Deshalb waren sie im Sinne der kanadischen Steuergesetze und damit i. S. des Art. II Abs. 1 Buchst. e DBA-Kanada 1956 nur in Kanada ansässig. Infolgedessen sind die erzielten Veräußerungsgewinne in der Bundesrepublik steuerfrei.

3. Entgegen der Auffassung des FG steht Art. IX Abs. 3 DBA-Kanada 1956 der Anwendung des Absatzes 1 nicht entgegen. Danach gilt Absatz 1 nicht für Gewinne aus der Veräußerung eines Anteils an einer in der Bundesrepublik ansässigen Gesellschaft, an der der Veräußerer wesentlich beteiligt ist. Zur Auslegung des Art. IX Abs. 3 DBA- Kanada 1956 geht der erkennende Senat davon aus, daß die Vorschrift einmal die Rechtsfolge für die Besteuerung eines Gewinns aus der Veräußerung eines Anteils an einer in der Bundesrepublik ansässigen Gesellschaft setzt, an der der Veräußerer wesentlich beteiligt ist. In bezug auf die Tatbestandsvoraussetzungen fordert die Vorschrift nur die wesentliche Beteiligung des Veräußerers. Da ein Gesellschafter erst dann zum Veräußerer wird, wenn er es unternimmt, seine Beteiligung auf einen anderen zu übertragen, setzt die Vorschrift ihrem Wortlaut nach voraus, daß der Veräußerer noch unmittelbar vor der Veräußerung wesentlich an der in der Bundesrepublik ansässigen Gesellschaft beteiligt ist. Im übrigen baut die Vorschrift auf den dem jeweiligen innerstaatlichen Recht überlassenen Vorentscheidungen auf, wenn eine "wesentliche Beteiligung" anzunehmen ist und welcher "Gewinn" aus der Anteilsveräußerung erzielt wird (Art. II Abs. 2 DBA-Kanada 1956).

Im Streitfall ist deshalb letztlich allein entscheidend, daß nach § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG 1974 eine wesentliche Beteiligung nur dann gegeben ist, wenn der Veräußerer an der Gesellschaft zu mehr als einem Viertel unmittelbar oder mittelbar beteiligt war. Veräußert ein Gesellschafter, der - wie im Streitfall - an der inländischen Kapitalgesellschaft nur zu 4,5 v. H. beteiligt war, der jedoch seinen Geschäftsanteil innerhalb der fünf Jahre vor der Veräußerung von einem wesentlich beteiligten Gesellschafter unentgeltlich erwarb, seinen erworbenen Geschäftsanteil, so wird auch nach der Terminologie des § 17 Abs. 1 EStG 1974 eine unwesentliche Beteiligung veräußert, auf die allerdings § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG dennoch Anwendung findet. In diesem Fall wird die unwesentliche Beteiligung nur rechtsfolgemäßig wie eine wesentliche behandelt, ohne jedoch deshalb eine wesentliche i. S. des § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG 1974 zu sein. Diese Terminologie ist auch bei der Auslegung des Art. IX Abs. 3 DBA- Kanada 1956 zu beachten. Da die Vorschrift eine wesentliche Beteiligung des Veräußerers unmittelbar vor der Veräußerung voraussetzt, findet sie auf die Fälle keine Anwendung, in denen sich eine Steuerpflicht aus der Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG 1974 auf unwesentliche Beteiligungen ergibt. Aus dem Anwendungsbereich des Art. IX Abs. 3 DBA-Kanada 1956 scheiden deshalb die Fälle aus, in denen der Veräußerer nur aufgrund des § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG 1974 rechtsfolgemäßig so behandelt wird, als habe er eine wesentliche Beteiligung übertragen. Der Senat schließt sich insoweit der Auffassung von Vogel (Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 13 Rdnr. 88) an.

Aus der englischen Fassung des Art. IX Abs. 3 DBA-Kanada 1956 folgt nichts anderes. Wenn dort von "had a substantial interest" die Rede ist, dann erklärt sich die verwendete Vergangenheitsform - ähnlich wie in § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG 1974 - aus der Rückschau von dem Besteuerungszeitpunkt aus auf den Veräußerungszeitpunkt.

4. Entgegen der Auffassung des FG findet § 17 EStG i. d. F. vom 21. Dezember 1954 - EStG 1955 - (BGBl I 1954, 441, BStBl I 1954, 668) auf den Streitfall keine Anwendung. Soweit das DBA-Kanada 1956 auf Vorentscheidungen des deutschen Steuerrechts Bezug nimmt, ist das jeweils geltende deutsche Steuerrecht - hier also: das EStG 1974 - anzuwenden (vgl. Vogel, a. a. O., Art. 3 Rdnr. 61). Ob etwas anderes dann gilt, wenn das geänderte nationale Recht gegenüber dem Recht, das bei Abschluß des DBA-Kanada 1956 galt, zu Lasten des Steuerpflichtigen oder des anderen Vertragsstaates verschärft wurde, bedarf keiner Entscheidung, weil § 17 Abs. 1 EStG 1974 gegenüber § 17 EStG 1955 keine derartige Verschärfung enthält.

5. Da Art. IX Abs. 1 DBA-Kanada 1956 im Streitfall zur Anwendung kommt, sind die erzielten Veräußerungsgewinne steuerfrei. Die erlassenen Einkommensteuerbescheide 1974 sind rechtswidrig. Das FG hat sie zu Recht aufgehoben.