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  BFH-Urteil vom 11.4.1990 (I R 38/85) BStBl. 1990 II S. 580

Ein durch die Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung im Bundesgebiet entstehender Veräußerungsgewinn im Sinne des § 17 EStG rechnet auch dann nicht zu den Einkünften aus Berlin (West) im Sinne des § 23 BerlinFG, wenn die Kapitalgesellschaft eine Betriebsstätte in Berlin (West) unterhält.

EStG § 17; BerlinFG § 23.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind die Erben der im Februar 1982 verstorbenen Frau X, die ihren ständigen Wohnsitz in Berlin (West) hatte. Sie war mit 240.000 DM am Stammkapital der X-GmbH beteiligt, die ihren Firmensitz in Y (Rheinland) hatte. Diese Anteile veräußerte sie im August 1980 und erzielte dabei einen Veräußerungsgewinn von 480.000 DM.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) veranlagte die Kläger durch (Änderungs-)Bescheid vom 30. Mai 1983 zur Einkommensteuer 1980, indem er auch den Veräußerungsgewinn als steuerbegünstigte Einkünfte aus Berlin (West) behandelte; allerdings stellte er den Bescheid weiterhin unter den Vorbehalt der Nachprüfung.

Die Kläger legten Einspruch ein. Im Verlauf des Einspruchsverfahrens wies das FA ausdrücklich darauf hin, daß es nunmehr den Steuerfall, insbesondere die Besteuerung des Veräußerungsgewinns, abschließend prüfen wolle. Durch Einspruchsentscheidung vom 4. Oktober 1983 hob es den Vorbehalt der Nachprüfung auf, wies den Einspruch im hier nicht interessierenden Zusammenhang zurück und setzte die Steuer von 92.329 DM auf 129.713 DM herauf, indem es darauf hinwies, daß der Veräußerungsgewinn bisher irrtümlich den Einkünften aus Berlin (West) zugerechnet worden sei.

Mit der Klage rügten die Kläger, das FA habe sie entgegen § 367 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht auf die Heraufsetzung der Steuer hingewiesen; dieser Verfahrensfehler müsse zur Aufhebung der Einspruchsentscheidung führen, denn die genannte Vorschrift gelte auch für Vorbehaltsbescheide. Hilfsweise machten die Kläger geltend, auch Veräußerungsgewinne seien Einkünfte aus Berlin (West) im Sinne des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG).

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung des § 367 Abs. 2 AO 1977 und des § 21 i.V.m. § 23 BerlinFG.

Sie beantragen, das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung aufzuheben, hilfsweise, das Urteil des FG aufzuheben und unter Abänderung des Einkommensteuerbescheids in Gestalt der Einspruchsentscheidung die Ermäßigung für Einkünfte aus Berlin (West) auf 38.914 DM und die Einkommensteuerschuld auf 92.329 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet; sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

1. Das FG war nicht verpflichtet, die Einspruchsentscheidung aufzuheben, um den Klägern die Möglichkeit zu geben, den Einspruch zurückzunehmen. Der Senat verweist auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 10. November 1989 VI R 124/88 (BFHE 159, 405, BStBl II 1990, 414), denen er folgt.

2. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß sich die tarifliche Einkommensteuer im Streitfall nicht nach § 21 Abs. 1 BerlinFG ermäßigt; denn es liegen keine Einkünfte aus Berlin (West) im Sinne des § 23 BerlinFG vor. Der Veräußerungsgewinn gemäß § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) fällt nicht unter die Einkünfte aus Berlin (West) im Sinne des § 23 BerlinFG. Bei dem Veräußerungsgewinn handelt es sich zwar um Einkünfte aus Gewerbebetrieb (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG). Einkünfte aus Gewerbebetrieb begründen jedoch nur dann Einkünfte aus Berlin (West) im Sinne des § 23 BerlinFG, wenn von dem Steuerpflichtigen eine Betriebsstätte in Berlin (West) unterhalten wurde (§ 23 Nr. 2 BerlinFG). Die Rechtsvorgängerin der Kläger unterhielt keine Betriebsstätte in Berlin (West).

Der Senat kann offenlassen, ob Einkünfte aus Berlin (West) vorliegen, wenn Anteile an einer Kapitalgesellschaft veräußert werden, die ihren Sitz und ihre Geschäftsleitung in Berlin (West) hat (so Sönksen/Söffing, Berlinförderungsgesetz, Kommentar, § 23 Rdnr. 16). Selbst wenn diese Ansicht zutrifft, kann die Klage keinen Erfolg haben. Eine Ausdehnung des Kreises der Einkünfte aus Berlin (West) über den Wortlaut des § 23 BerlinFG hinaus kommt nur in Betracht, wenn die Einkünfte selbst eine bestimmte räumliche Beziehung zu Berlin (West) haben. Die Vorschrift des § 23 BerlinFG macht nämlich - von dem Fall des § 23 Nr. 7 BerlinFG abgesehen - das Vorliegen von Einkünften aus Berlin (West) stets von einer bestimmten räumlichen Beziehung der bezogenen Einkünfte zu Berlin (West) abhängig. Eine solche räumliche Beziehung besteht nicht bei einem Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, die ihren Sitz und ihre Geschäftsleitung im Bundesgebiet hat.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Kapitalgesellschaft, deren Anteile veräußert werden, eine Betriebsstätte in Berlin (West) unterhält. Der Systematik der Regelung in § 23 BerlinFG entspricht es, bei Einkünften, die der Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft bezieht, allein auf den Sitz und die Geschäftsleitung der Kapitalgesellschaft abzustellen und nicht darauf, wo die Kapitalgesellschaft ihrerseits tätig wird. Das Gesetz spricht den Anteilseigner einer Kapitalgesellschaft in § 23 Nr. 5 BerlinFG an und stellt dort für die Einkünfte aus Kapitalvermögen auf den Sitz und die Geschäftsleitung der Kapitalgesellschaft in Berlin (West) ab. Einer entsprechenden Anwendung des § 23 Nr. 2 BerlinFG im Falle einer von der Kapitalgesellschaft in Berlin (West) unterhaltenen Betriebsstätte steht entgegen, daß nach § 23 Nr. 2 BerlinFG die Einkünfte in einer Betriebsstätte in Berlin (West) erzielt werden müssen. Der Gewinn gemäß § 17 EStG wird jedoch nicht innerhalb einer Betriebsstätte erzielt, er wird unabhängig von den Ergebnissen der Betriebsstätte der Kapitalgesellschaft ermittelt.

Der Wohnsitz des Veräußerers ist - entgegen der Ansicht der Kläger - nicht das entscheidende Anknüpfungsmerkmal für eine entsprechende Anwendung des § 23 BerlinFG. In § 23 BerlinFG ist nicht auf den Wohnsitz des Steuerpflichtigen abgestellt. Außerdem ist der Wohnsitz nach § 21 Abs. 1 BerlinFG der entscheidende Anknüpfungspunkt für die Berlinvergünstigung. Daraus ergibt sich, daß der Wohnsitz nicht auch im Rahmen der ebenfalls die Vergünstigung nach dem BerlinFG betreffenden Vorschrift des § 23 BerlinFG maßgebend sein kann.