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  BFH-Urteil vom 13.2.1990 (VIII R 188/85) BStBl. 1990 II S. 582

1. Durch einen Beschluß, mit dem das Verwaltungsgericht das Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung an das FG verweist, tritt eine erweiterte Bindungswirkung für ein später beim FG anhängig werdendes Klageverfahren in der Hauptsache nicht ein (Anschluß an BFH-Urteil vom 28. Januar 1986 VII R 37/85, BFHE 146, 7, BStBl II 1986, 410).

2. Für Streitigkeiten betreffend einen Verwaltungsakt einer Gemeinde, mit dem diese die Teilnahme eines Gemeindebediensteten an einer Außenprüfung anordnet, ist der Finanzrechtsweg nicht gegeben.

FGO § 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 34 Abs. 2 und 3; FVG § 21 Abs. 3.

Vorinstanz: FG Münster (EFG 1986, 194)

Sachverhalt

Die Finanzverwaltung ordnete bei der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), der S-KG, am 5. Februar 1985 eine Außenprüfung für die Jahre 1980 bis 1983 an. Am 6. Februar 1985 erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte, die Stadt B, eine auf § 21 Abs. 3 des Finanzverwaltungsgesetzes (FVG) gestützte Teilnahmeanordnung. Mit dieser Anordnung teilte die Stadt B der Klägerin mit, daß ihr Abgabenprüfer, Stadtamtsrat B, an der Außenprüfung der Großbetriebsprüfungsstelle des Finanzamts (FA) B teilnehmen wird.

Am 6. Februar 1985 erließ die Stadt B eine inhaltsgleiche Teilnahmeanordnung gegenüber der S-GmbH (im folgenden: GmbH). Am 13. Februar 1985 legte nur die GmbH schriftlich Widerspruch ein. Aufgrund eines Telefongesprächs mit der Klägerin vermerkte die Stadt B am 18. Februar 1985 in den Akten, daß dieser Widerspruch auch für die Klägerin gelten soll. Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 1985 wies die Stadt B den Widerspruch zurück. Im Betreff der Entscheidung sind die GmbH und die Klägerin aufgeführt. In der Rechtsmittelbelehrung wird auf den Verwaltungsrechtsweg verwiesen.

Am 27. Februar 1985 beantragte die Klägerin beim Verwaltungsgericht (VG) X die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen, hilfsweise die Sache an das Finanzgericht (FG) Münster zu verweisen. Die Stadt B war mit der Verweisung einverstanden.

Mit rechtskräftigem Beschluß vom 15. März 1985 sprach das VG X aus, es halte den zu ihm beschrittenen Rechtsweg nicht für gegeben; zugleich verwies es den Rechtsstreit auf den von der Klägerin gestellten Hilfsantrag an das FG Münster.

Am 18. April 1985 erhob die Klägerin vor dem FG Klage mit dem Antrag, die Teilnahmeanordnung der Stadt B vom 6. Februar 1985 aufzuheben. Diese Klage wies das FG mit der Begründung ab, § 21 Abs. 3 FVG gebe der Stadt B das Recht, die Teilnahmeanordnung vom 6. Februar 1985 in eigener Verwaltungskompetenz gegenüber der Klägerin zu erlassen. Das angefochtene Urteil des FG ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1986, 194 veröffentlicht.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die rechtsfehlerhafte Anwendung des § 21 Abs. 3 FVG.

Die Klägerin beantragt die Aufhebung der Vorentscheidung sowie der Anordnung der Stadt B vom 6. Februar 1985; hilfsweise, Aufhebung der Vorentscheidung und Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige VG X.

Die Stadt B beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, Feststellung der Unzulässigkeit des Finanzrechtswegs und, entsprechend dem von der Klägerin gestellten Hilfsantrag, zur Verweisung der Sache an das Gericht des ersten Rechtszuges der Gerichtsbarkeit, zu der der Rechtsweg eröffnet ist (§ 34 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -); im Streitfall das VG X.

Das Urteil des FG ist aufzuheben, weil das FG zu Unrecht eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit über Abgabenangelegenheiten und damit die Zulässigkeit des Finanzrechtswegs bejaht hat.

1. An der Feststellung, daß der Finanzrechtsweg nicht eröffnet ist, ist der Senat nicht dadurch gehindert, daß das VG X durch rechtskräftig gewordenen Beschluß den Rechtsweg zu den allgemeinen VG im Verfahren wegen Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung - Antrag nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) - für unzulässig erklärt hat und "diesen Rechtsstreit" an das FG verwiesen hat.

Nach § 34 Abs. 2 FGO sind, wenn ein Gericht einer anderen Gerichtsbarkeit den zu ihm beschrittenen Rechtsweg zuvor rechtskräftig für unzulässig erklärt hat, die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit an diese Entscheidung gebunden.

Der VII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat jedoch mit Urteil vom 28. Januar 1986 VII R 37/85 (BFHE 146, 7, BStBl II 1986, 410) entschieden, daß sich die Bindungswirkung des § 34 Abs. 2 FGO nur auf das Verfahren ("die Sache") bezieht, hinsichtlich dessen die Verweisung ausgesprochen wurde und nicht auf etwaige Folgesachen. Der Senat hat eine "erweiterte Bindungswirkung", wie sie für die Verweisung im Verfahren wegen Bewilligung von Prozeßkostenhilfe (PKH) mit Bezug auf das nachfolgende Klageverfahren vertreten wird (Beschluß des Bundesarbeitsgerichts - BAG - vom 29. September 1981 5 AR 141/81, BAGE 36, 89), für ein später beim FG anhängig gewordenes Klageverfahren in der Hauptsache verneint, in dem zuvor das Verfahren wegen einstweiliger Anordnung durch rechtskräftigen Beschluß vom VG an das FG verwiesen wurde, weil das PKH-Verfahren und das Verfahren der einstweiligen Anordnung insofern nicht vergleichbar seien.

Der erkennende Senat schließt sich der Rechtsprechung des VII. Senats an. Deren Grundsätze gelten auch für den Fall, daß das VG ein Verfahren über einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5 VwGO) an das FG verweist und später beim FG das Klageverfahren in der Hauptsache anhängig wird. Denn das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gleicht insoweit dem Verfahren nach § 123 VwGO (einstweilige Anordnung).

Für den Streitfall bedeutet dies, daß durch den Verweisungsbeschluß des VG X (unabhängig von der Frage, ob dieser in Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO überhaupt zulässig ist; zum Meinungsstreit vgl. Urteil in BFHE 146, 7, BStBl 1986, 410) keine Bindungswirkung für das später beim FG anhängig gewordene Verfahren in der Hauptsache eintritt.

2. Der Finanzrechtsweg ist nicht zulässig, weil keiner der in § 33 FGO aufgeführten Fälle vorliegt.

a) Die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO sind im Streitfall nicht erfüllt.

Gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist der Finanzrechtsweg nur in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten gegeben, soweit die Abgaben der Gesetzgebung des Bundes unterliegen und durch Bundes- oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden. § 33 Abs. 2 Satz 1 FGO definiert als Abgabenangelegenheiten in diesem Sinne alle mit der Verwaltung der Abgaben oder sonst mit der Anwendung der abgabenrechtlichen Vorschriften durch die Finanzbehörden zusammenhängenden Angelegenheiten. Danach ist mit dem Begriff der Verwaltung der Abgaben eindeutig die Verwaltungstätigkeit der Finanzbehörden gegenüber den gewaltunterworfenen Bürgern gemeint (vgl. BFH-Urteil vom 6. Oktober 1982 II R 90/79, BFHE 137, 192, BStBl II 1983, 180). Die Vorschrift setzt das Verwaltungshandeln einer Finanzbehörde voraus (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, § 33 Rz. 10 f.). Die Definition der Finanzbehörden ergibt sich aus § 6 der Abgabenordnung (AO 1977), §§ 1, 2 FVG. Danach gehören die Gemeinden nicht zu den Finanzbehörden, auch nicht, bei der Verwaltung der kommunalen Steuern in eigener Kompetenz (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 2 FVG Rz. 1). Verwaltungsakte der Gemeinde sind keine von Finanzbehörden i.S. des § 33 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 FGO. Gegen Verwaltungsakte der Gemeinde auf dem Gebiet der Realsteuern ist deshalb der Verwaltungsrechtsweg gegeben (vgl. BFH-Urteile vom 9. Januar 1962 I 101/60 S, BFHE 74, 641, BStBl III 1962, 238; vom 8. November 1962 IV 162/62 S, BFHE 76, 390, BStBl III 1963, 143; BFH-Beschluß vom 7. Juli 1971 I B 18/71, BFHE 103, 32, BStBl II 1971, 738; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 26. Juni 1964 VII C 6.64, BVerwGE 19, 68; Tipke/Kruse, a.a.O., § 33 FGO Rz. 20, § 2 FVG Tz. 1; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 33 FGO Rz. 64; Ziemer/Haarmann/Lohse/ Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Rz. 1049 bis 1051, 5393 f.).

Der Rechtsstreit betrifft den Verwaltungsakt der Stadt B vom 6. Februar 1985. Mit diesem Verwaltungsakt hat die Stadt B aufgrund § 21 Abs. 3 FVG die Teilnahme ihres Abgabenprüfers an einer Außenprüfung der Finanzverwaltung in eigener Verwaltungszuständigkeit angeordnet. Der Rechtsstreit richtet sich gegen eine Verfügung einer Gemeinde. Die Gemeinde ist insoweit auch nicht als Landesfinanzbehörde tätig geworden, wie dies ausnahmsweise z.B. beim Ausschreiben und Berichtigen von Lohnsteuerkarten der Fall ist (§ 39 Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Gegen die Teilnahmeanordnung ist deshalb der Rechtsweg zu den VG gegeben. Entscheidend für die Frage, welcher Rechtsweg gegeben ist, ist dabei nicht, ob die Teilnahmebefugnis nach § 21 Abs. 3 FVG von der Gemeinde (so FG Köln, Urteil vom 19. Mai 1981 VIII 40/79 S, EFG 1982, 256) oder vom FA (so FG Düsseldorf, Beschluß vom 18. November 1983 XV 243/83 A (AO), EFG 1984, 300) hätte angeordnet werden müssen. Entscheidend ist allein, daß die Gemeinde unter Inanspruchnahme ihrer Verwaltungskompetenz einen Verwaltungsakt erlassen hat (vgl. Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, a.a.O., Rz. 1050 f.). Dies verkennt das FG Düsseldorf bei seiner Entscheidung in EFG 1984, 300, in welcher es den Finanzrechtsweg in einem gleichgelagerten Fall nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO für eröffnet hält, weil es aus der materiell-rechtlichen Anordnungsbefugnis der FÄ im Rahmen des § 21 Abs. 3 FVG - wobei der Senat offenlassen kann, ob diese Rechtsauffassung zutreffend ist - auf den Finanzrechtsweg schließt.

b) Der Finanzrechtsweg ist auch nicht nach § 33 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 FGO gegeben. Eine Rechtswegzuweisung nach § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO ist für Fälle der vorliegenden Art nicht erfolgt.

c) Der Senat weicht bei seiner Entscheidung nicht von dem Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (Beschluß vom 10. Juli 1989 GmS-OGB 1/88) ab. Mit diesem Beschluß wurde entschieden, daß für Rechtsstreitigkeiten zwischen einer Ersatzkasse und einer Allgemeinen Ortskrankenkasse über die Zulässigkeit von Maßnahmen auf dem Gebiet der Mitgliederwerbung der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit (§ 51 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) gegeben ist und nicht zu den ordentlichen Gerichten (§ 13 des Gerichtsverfassungsgesetzes - GVG -). Der Gemeinsame Senat stellt bei der Entscheidung der Frage, ob diese Streitigkeit öffentlich- oder bürgerlich-rechtlich ist, auf die wahre Natur des streitigen Rechtsverhältnisses ab, weil es für diesen Rechtsstreit an einer ausdrücklichen Rechtswegzuweisung (Zivilgerichte oder Sozialgerichte) fehlte.

Im zu entscheidenden Streitfall fehlt es nicht an einer ausdrücklichen Rechtswegzuweisung. Im Streit steht die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes der Stadt B, einer Gemeinde. Eine Streitigkeit über die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts einer Gemeinde ist immer eine öffentlich-rechtliche. Für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten besteht eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung des Gesetzgebers. Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art die Zuständigkeit der allgemeinen VG gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht (z.B. einem besonderen VG - FG -) ausdrücklich zugewiesen sind. Bei dieser allgemeinen Zuständigkeit der VG bleibt es auch dann, wenn die spezielle Verweisung an ein besonderes VG den Streitfall nicht ausdrücklich erfaßt (vgl. Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 40 Rz. 134). Letzteres ist hier der Fall (vgl. oben 2.a). Für eine Zuweisung des Rechtsstreits an die FG entsprechend seiner "Natur" in analoger Anwendung der Grundsätze des Gemeinsamen Senats bleibt im Hinblick auf die grundsätzliche Rechtswegzuweisung kein Raum.

3. Auf den Hilfsantrag der Klägerin war die Sache an das zuständige VG X unter gleichzeitigem Ausspruch der Unzulässigkeit des Finanzrechtswegs zu verweisen (§ 34 Abs. 3 Satz 1 FGO). Die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs ergibt sich aus § 40 Abs. 1 VwGO. Es liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vor, die nicht durch Bundesgesetz oder Landesgesetz einem anderen Gericht zugewiesen worden ist. Die Zuständigkeit des VG X ergibt sich aus § 52 VwGO i.V.m. § 1 Abs. 2 Buchst. f des Nordrhein-Westfälischen Ausführungsgesetzes zur Verwaltungsgerichtsordnung (Gesetz- und Verordnungsblatt Nordrhein-Westfalen 1960, 47).

4. Übereinstimmend mit dem Urteil des BFH vom 6. Oktober 1982 II R 90/79 (BFHE 137, 192, BStBl II 1983, 180) hat der erkennende Senat keine Entscheidung über die Kosten getroffen.