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  BFH-Urteil vom 22.3.1990 (IV R 145/88) BStBl. 1990 II S. 643

Ein Klavierstimmer übt auch dann keine künstlerische Tätigkeit aus, wenn er ausschließlich Instrumente stimmt, die von namhaften Pianisten bei Konzerten und Tonaufnahmen verwendet werden.

EStG 1979 § 18 Abs. 1 Nr. 1; UStG 1980 § 12 Abs. 2 Nr. 5.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist als selbständiger Klavierstimmer tätig. Obwohl er von Jugend an eine ausgeprägte Neigung zur Musik zeigte, absolvierte er nach dem Besuch der Handelsschule auf Wunsch seiner Eltern zunächst eine kaufmännische Lehre. Im Anschluß hieran betrieb er zunächst ein Klaviergeschäft. Während dieser Zeit eignete er sich mit Hilfe eines Angestellten erste Kenntnisse auf dem Gebiet des Klavierstimmens an. Nach Aufgabe des Geschäftes arbeitete er - auch zu seiner Weiterbildung - zwei Jahre lang als angestellter Klavierstimmer, bevor er sich selbständig machte. Der Kläger stimmt - und zwar nach Gehör - fast ausschließlich Flügel und Cembali für Konzerte oder Tonaufnahmen bekannter Pianisten. Er unterhält keine Geschäftseinrichtung und beschäftigt keine Mitarbeiter.

Nachdem der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Einkünfte des Klägers in den vorangegangenen Jahren als solche aus selbständiger Arbeit behandelt hatte, stellte er sich bei Erlaß der Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide 1981 sowie der Gewerbesteuermeßbescheide 1980 und 1981 auf den Standpunkt, daß der Kläger eine gewerbliche Tätigkeit ausübe. Hiergegen wandte sich der Kläger nach erfolglosem Einspruch mit der Klage, wobei er sich auf Anerkennungsschreiben bekannter Künstler stützte. Das Finanzgericht (FG) vernahm den Aufnahmeleiter und Tonmeister (producer) der Firma X als Zeugen. Das darüber hinaus vom Kläger beantragte Sachverständigengutachten holte das FG nicht ein. Die Klage hatte keinen Erfolg.

Mit der vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Unter Vorlage weiterer Schreiben anerkannter Musikinterpreten rügt er die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils die angefochtenen Bescheide in der Weise zu ändern, daß bei der Einkommensteuerveranlagung 1981 der Freibetrag für freie Berufe gewährt, die Umsatzsteuer 1981 mit dem ermäßigten Steuersatz festgesetzt wird und die Gewerbesteuermeßbescheide 1980 und 1981 aufgehoben werden.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG hat zu Recht angenommen, daß die Voraussetzungen für die Gewährung des Freibetrags für freie Berufe nach § 18 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG), des ermäßigten Umsatzsteuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 5 des Umsatzsteuergesetzes 1980 (UStG 1980) und der Gewerbesteuerfreiheit nicht vorgelegen haben.

1. Die genannten Steuervergünstigungen kommen nur für Einkünfte bzw. Leistungen aus freier Berufstätigkeit in Betracht. Zu den freiberuflichen Tätigkeiten im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehört auch die selbständig ausgeübte künstlerische Tätigkeit. Eine künstlerische Tätigkeit übt ein Steuerpflichtiger nach ständiger Rechtsprechung des BFH - neben anderen Voraussetzungen - nur dann aus, wenn er eine eigenschöpferische Leistung vollbringt, d.h. eine Leistung, in der seine individuelle Anschauungsweise und seine besondere Gestaltungskraft zum Ausdruck kommt (Urteil vom 26. Februar 1987 IV R 105/85, BFHE 149, 231, BStBl II 1987, 376 m. w. N.). Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sieht das Wesentliche der künstlerischen Betätigung in der freien schöpferischen Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden (Entscheidungen vom 24. Februar 1971 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173, 188; vom 17. Juli 1984 1 BvR 816/82, BVerfGE 67, 213).

Im Streitfall hat das FG zu Recht festgestellt, daß der Kläger keine eigenschöpferische Leistung im vorgenannten Sinne erbracht hat.

Es kann dahinstehen, ob dieses Ergebnis - wie das FG angenommen hat - bereits daraus folgt, daß der Kläger an dem künstlerischen Produkt nur mittelbar beteiligt ist. Während nämlich der BFH die Tätigkeit eines Instrumentenbauers mit dieser Begründung nicht als künstlerisch angesehen hat (Urteil vom 3. Oktober 1963 V 23/61, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1964, 104), hat er es in seinem Urteil vom 14. November 1968 I R 11/66 (BFHE 94, 210, BStBl II 1969, 138) für möglich gehalten, daß auch die beratende Tätigkeit eines Modeschöpfers künstlerisch sein könne, sofern sich dessen gedankliche Leistung in der Gestaltung der Erzeugnisse des Beratenen niederschlage. Auch wenn man der letztgenannten Entscheidung folgt (kritisch hierzu Nieland in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., § 18 EStG Rdnr. 91b), kann die Tätigkeit des Klägers nicht als eigenschöpferisch angesehen werden.

Der Revision ist zuzugeben, daß gerade im Bereich musikalischer Aufführungen dem partnerschaftlichen Zusammenwirken verschiedener Personen eine besondere Bedeutung zukommt. Das Zusammenwirken zwischen Klavierstimmer und Pianist ist jedoch mit dem Zusammenspiel zwischen mehreren Instrumentalisten, zwischen Instrumentalisten und Sängern oder zwischen Solisten, Ensemble und Dirigent nicht zu vergleichen. Kennzeichnend für die künstlerische Qualität des Musikinterpreten ist, daß er das aufzuführende Werk geistig und seelisch verarbeitet hat, um es in dem ihm eigenen Stil eigenschöpferisch aufführen zu können (BFH-Urteil vom 26. Mai 1971 IV 280/65, BFHE 102, 509, BStBl II 1971, 703). Der BFH hat für das Instrumentalspiel - und als solches stellt sich das künstlerische Produkt, an dem der Kläger mitwirkt, dar - die hochentwickelte manuelle Geschicklichkeit, die Tongebung, die rhythmische Genauigkeit, die Sauberkeit der Intonation sowie die Wendigkeit in der Umsetzung des musikalischen Textes als die wesentlichen Kennzeichen für künstlerische Fähigkeiten angesehen (Urteil vom 19. August 1982 IV R 64/79, BFHE 136, 474, BStBl II 1983, 7). Diese Elemente - ergänzt um andere, wie Stilempfinden und musikalisches Gehör - versetzen den Musiker in die Lage, seine höchstpersönliche Auffassung des jeweiligen Musikstücks zum Ausdruck zu bringen.

Von diesen Elementen kann der Kläger lediglich zwei, nämlich Tongebung und Intonation, beeinflussen. Bereits im Bereich der Tongebung hat er jedoch keinen Einfluß mehr auf die vom Interpreten verwendete Anschlagtechnik und auf die von diesem gewählte Dynamik. Auch rhythmische Genauigkeit, Geläufigkeit der Finger, Wahl der Tempi sowie die Fähigkeit, Noten zu lesen oder auswendig zu behalten, sind seiner Mitwirkung entzogen. Erst recht trifft das auf das Stilempfinden des Interpreten, auf dessen Gemütslage sowie auf jene Imponderabilien der musikalischen Begabung zu, die den Pianisten der Spitzenklasse von der Vielzahl anderer guter Pianisten unterscheidet.

Der Senat verkennt nicht, daß der Klavierstimmer eine unabdingbare Voraussetzung für ein Gelingen der Aufführung schafft. Dem Kläger ist auch zuzugestehen, daß für eine Tätigkeit, wie er sie ausübt, außergewöhnliche, nicht erlernbare Musikalität erforderlich ist. Gegen die Künstlereigenschaft des Klägers spricht jedoch entscheidend, daß angesichts der vielfältigen Möglichkeiten, die es dem Pianisten gestatten, der Aufführung oder Einspielung den Stempel seiner Persönlichkeit aufzudrücken, die Möglichkeiten des Kläger, die Produktion auch als sein eigenschöpferisches Werk darzustellen, in den Hintergrund tritt. Es verhält sich insoweit nicht anders als bei Darbietungen von Spielern anderer Saiteninstrumente, die ihr Instrument selbst zu stimmen pflegen. Auch insoweit setzt der Zuhörer die perfekte Stimmung voraus, das musikalische Erlebnis beginnt erst jenseits dieser Voraussetzung.

2. Ist nach dem Vorstehenden die Tätigkeit eines Klavierstimmers aus rechtlichen Gründen nicht als künstlerisch anzusehen, bedurfte es der Einholung des vom Kläger beantragten Sachverständigengutachtens über die Qualität seiner Tätigkeit nicht. Die Verfahrensrüge erweist sich somit ebenfalls als unbegründet.

3. Entgegen der Auffassung des Klägers war das FA auch nicht aufgrund der steuerlichen Behandlung seiner Tätigkeit in den Vorjahren gehalten, seine Umsätze und Einkünfte auch in den Streitjahren als solche aus freiberuflicher Tätigkeit anzusehen.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 19. November 1985 VIII R 25/85, BFHE 146, 32, BStBl II 1986, 520; vom 3. Juni 1987 X R 23/80, BFH/NV 1987, 758, und vom 13. September 1988 V R 155/84, BFH/NV 1989, 430 jeweils m. w. N.) ist ein FA bei der Durchführung einer Veranlagung grundsätzlich nicht an Auffassungen gebunden, die es bei vorhergehenden Veranlagungen vertreten hat. Nach den Grundsätzen der Abschnittsbesteuerung bewirkt die Beurteilung in einem Veranlagungszeitraum keine Bindung des FA für künftige Steuerabschnitte. Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen gilt nur dann, wenn das FA eine Zusage erteilt oder durch sein früheres Verhalten außerhalb einer Zusage einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat. Im Streitfall ist eine Zusage nicht erteilt worden. Das FA hat auch nicht auf andere Weise einen Vertrauenstatbestand geschaffen. Da allein von vorangegangenen Veranlagungen keine Bindungswirkung ausgeht, hat es kein Verhalten gezeigt, durch das sich der Kläger zu Vermögensdispositionen veranlaßt fühlen durfte. Derartige Vermögensdispositionen hat der Kläger auch nicht vorgetragen.