| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 19.1.1990 (VI R 42/86) BStBl. 1990 II S. 679

Der Vorsteher eines Verbandes, der die Bewohner der Mitgliedsgemeinden mit Wasser versorgt, leistet keine öffentliche Dienste i.S. von § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG; die von ihm bezogene Aufwandsentschädigung ist daher auch nicht teilweise steuerfrei.

EStG § 3 Nr. 12 Satz 2.

Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG (EFG 1986, 333)

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) bezog im Streitjahr 1979 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Außerdem erhielt er Aufwandsentschädigungen, u.a. von einem Wasserbeschaffungsverband (im folgenden: Verband).

In seiner Einkommensteuererklärung beantragte der Kläger, diese Aufwandsentschädigung in Höhe von 33 1/3 v.H. von der Einkommensteuer freizustellen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erfaßte demgegenüber in seinem geänderten Einkommensteuerbescheid vom 12. Februar 1982 diese Aufwandsentschädigung als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage des Klägers mit der in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1986, 333 veröffentlichten Begründung statt. Es vertrat die Ansicht, die an den Kläger gezahlte Aufwandsentschädigung sei gemäß § 3 Nr. 12 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von einem Drittel steuerfrei.

Die Aufwandsentschädigung des Verbandes sei aus einer öffentlichen Kasse an eine öffentliche Dienste leistende Person gezahlt worden. Daß sie für Verdienstausfall oder Zeitverlust gezahlt worden sei oder den Aufwand, der dem Empfänger erwachsen sei, offenbar überstiegen habe, sei nicht festgestellt.

Der Kläger habe öffentliche Dienste geleistet. Denn der Begriff "öffentliche Dienste" sei im Sinne des allgemeinen Verwaltungsrechts zu verstehen. Im Sinne des allgemeinen Verwaltungsrechts könnten "öffentliche Dienste" nur im Rahmen der öffentlichen Verwaltung ausgeübt werden.

Der Kläger habe seine Tätigkeit im Rahmen der Daseinsvorsorge ausgeübt.

Die Aufgaben des Verbandes seien in einer öffentlich-rechtlichen Rechts- und Organisationsform erfüllt worden. Das Verhältnis des Verbandes zu seinen Mitgliedern habe öffentlich-rechtlichen Charakter gehabt. Der Verband habe z.B. das Recht besessen, Beiträge in der Form von Anschluß- und Benutzungsgebühren von den Mitgliedsgemeinden zu erheben. Er habe die Beiträge durch Bescheid (= Verwaltungsakt) festgesetzt. Hiergegen seien Widerspruch und Klage zum Verwaltungsgericht (VG) gegeben gewesen. Der Kläger habe als Verbandsvorsteher auch öffentlichen Zwang ausüben können.

Das FG trat der Auffassung des Bundesfinanzhofs (BFH) und der Finanzverwaltung entgegen, daß die Versorgung der Bevölkerung mit Wasser eine gewerbliche Tätigkeit (= fiskalische Verwaltung) darstelle (so z.B. BFH-Urteile vom 15. März 1972 I R 232/71, BFHE 105, 27, BStBl II 1972, 500; vom 16. März 1965 I 277/62, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1965, 423; Abschn. 7 Abs. 2 Satz 9 der Lohnsteuer-Richtlinien - LStR -). Nach heutigem Verständnis sei auch die Versorgung der Bevölkerung mit Wasser eine öffentliche Aufgabe.

Denn die Versorgung der Bevölkerung mit Wasser sei den Gemeinden zugewiesen (Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes - GG -; Art. 39 der Landessatzung für Schleswig-Holstein - LS -; § 2 Abs. 1 i.V.m. § 17 Abs. 2 der Gemeindeordnung - GO -). Die Gemeinden könnten die Aufgabe der Wasserversorgung auch Zweckverbänden übertragen (§ 2 Abs. 1 des Gesetzes über kommunale Zusammenarbeit, Gesetz- und Verordnungsblatt - GVBl - 1977, 454). Wenn auch an die Stelle der Zuständigkeit der Gemeinden die des Verbandes getreten sei, so sei doch die Aufgabe der Wasserversorgung im kommunalen Kompetenzbereich verblieben und damit öffentliche Aufgabe.

Das FA hat gegen das Urteil des FG Revision eingelegt. Es rügt die Verletzung des § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG.

Das angefochtene Urteil weiche von den BFH-Urteilen in BFHE 105, 27, BStBl II 1972, 500, sowie in HFR 1965, 423 ab. Wenngleich auch das erstgenannte Urteil anläßlich eines Rechtsstreits aus dem Bereich des Körperschaftsteuerrechts ergangen sei, so werde dort unmißverständlich (und zwar ohne ausdrückliche Beschränkung auf das Körperschaftsteuerrecht) ausgeführt, daß der BFH die Wasserversorgung - im Gegensatz zur Wasserbeschaffung - stets als gewerbliche Tätigkeit angesehen habe. Auch nach Abschn. 7 Abs. 2 LStR werde die Wasserversorgung als gewerbliche Tätigkeit eingestuft. Dabei sei gemäß Abschn. 7 Abs. 2 Satz 7 LStR die Entscheidung der Frage, ob es sich um einen Betrieb gewerblicher Art einer juristischen Person des öffentlichen Rechts handle, nach den Vorschriften des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) zu beurteilen. Gemäß § 4 Abs. 3 KStG gehörten zu den Betrieben gewerblicher Art u.a. auch Betriebe, die der Versorgung der Bevölkerung mit Wasser dienen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung. Das FG hat zu Unrecht die vom Kläger bezogene Aufwandsentschädigung als gemäß § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG teilweise steuerfrei angesehen.

In § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG werden nicht unter Satz 1 dieser Bestimmung fallende Bezüge steuerfrei gestellt, die als Aufwandsentschädigung aus öffentlichen Kassen an öffentliche Dienste leistende Personen gezahlt werden, soweit nicht festgestellt wird, daß sie für Verdienstausfall oder Zeitverlust gewährt werden oder den Aufwand, der dem Empfänger erwächst, offenbar übersteigen.

Die Auffassung des FG, die dem Kläger gewährte Aufwandsentschädigung falle unter Satz 2 dieser Bestimmung, trifft schon deshalb nicht zu, weil der Kläger keine öffentlichen Dienste im Sinne dieser Vorschrift leistet.

Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß zu den öffentlichen Diensten in diesem Sinne neben der Ausübung einer eigentlichen hoheitlichen Tätigkeit der Gesamtbereich der hoheitlichen Verwaltung einschließlich der schlichten Hoheitsverwaltung gehört (Urteil vom 27. Februar 1976 VI R 97/72, BFHE 118, 339, BStBl II 1976, 418, m.w.N.).

Nach der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) und des Bundesgerichtshofs (BGH) fällt zwar auch die Versorgung der Allgemeinheit mit Wasser als Maßnahme der Daseinsvorsorge in den Rahmen öffentlicher (schlicht hoheitlicher) Verwaltung; gleichwohl kann auch nach deren Auffassung eine Gemeinde die Wasserversorgung nicht nur in eigener Regie und mit den Gestaltungsmitteln des öffentlichen Rechts sicherstellen, sondern auch in privatrechtlicher Form und durch einen Rechtsträger des Privatrechts (BVerwG-Urteil vom 29. April 1988 8 C 33.85, BVerwGE 79, 266; BGH-Urteil vom 24. September 1987 III ZR 91/86, BGH Warn 1987, Nr. 282 m.w.N.).

Der BFH hat aber in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, daß eine Gemeinde bei der Wasserversorgung der Bevölkerung nicht in Ausübung öffentlicher Gewalt handelt (Urteile vom 28. Januar 1988 V R 112/86, BFHE 152, 360, BStBl II 1988, 473; vom 12. März 1975 I R 255/72, BFHE 115, 391, BStBl II 1975, 549; in BFHE 105, 27, BStBl II 1972, 500; zustimmend das BVerwG in BVerwGE 79, 266). Dies gilt auch für die Wasserversorgung durch einen Wasserversorgungs- und Wasserbeschaffungsverband (Urteile in HFR 1965, 423, und vom 20. Januar 1972 I R 92/70, nicht veröffentlicht - NV -).

Der Verband, der es nach der Wasserverbandsverordnung und nach § 3 seiner Satzung übernommen hat, die Bewohner der Mitgliedsgemeinden mit Trink- und Brauchwasser zu versorgen, ist demgemäß der fiskalischen Verwaltung zuzuordnen.

In der Rechtsprechung des BFH wird dies unter Hinweis auf § 1 Nr. 6 KStG, § 4 Abs. 1, 3 und 5 KStG (bzw. auf die inhaltlich mit § 4 Abs. 3 und 5 KStG übereinstimmende Rechtslage gemäß §§ 2 und 4 Satz 1 der Körperschaftsteuer-Durchführungsverordnung a.F.) damit begründet, daß § 4 Abs. 3 KStG die speziellere Norm sei und § 4 Abs. 5 KStG vorgehe. Da die in § 4 Abs. 3 KStG angeführten Betriebe - demgemäß auch die Betriebe, die der Versorgung der Bevölkerung mit Wasser dienen -, soweit sie nicht in Rechtsformen des Privatrechts tätig würden, nach zum öffentlichen Recht vertretener Auffassung öffentliche Gewalt ausübten (schlichte Hoheitsverwaltung, Daseinsfürsorge), ergebe sich hieraus zugleich, daß das Körperschaftsteuerrecht (§ 4 Abs. 5 KStG) und damit auch das diesem insoweit angeglichene Umsatzsteuerrecht (§ 2 Abs. 3 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes) im Verhältnis zum allgemeinen Verwaltungsrecht den Begriff der Ausübung öffentlicher Gewalt enger faßten und dementsprechend nicht jede Ausübung öffentlicher Gewalt im verwaltungsrechtlichen Sinne als Hoheitsbetrieb behandelten.

Dies gilt ungeachtet dessen, daß der Verband selbst eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist (§ 1 Abs. 1 1. WVO i.V.m. § 4 Abs. 2 KStG).

In BFHE 115, 118, BStBl II 1975, 563, und in BFHE 103, 165, BStBl II 1971, 818 ist ausgeführt, daß bei der Anwendung des § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG die zu § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG anerkannten Auslegungsgrundsätze zugrunde zu legen sind, soweit es sich um den Begriff "öffentliche Dienste leistende Personen" handelt.

An dieser Rechtsprechung wird festgehalten.

Danach ist der Verband, soweit er als Zweckverband die Wasserversorgung vornimmt, steuerrechtlich nicht als Hoheitsbetrieb, sondern als ein als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisierter Gewerbebetrieb aufzufassen.

Soweit das FG meint, daß nach heutigem Verständnis die Versorgung der Bevölkerung mit Wasser eine öffentliche Aufgabe sei, verkennt es die streitentscheidenden Vorschriften des Steuerrechts.

Da die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit nicht als Leistung öffentlicher Dienste anzusehen ist, kommt eine Anerkennung der Aufwandsentschädigung als teilweise steuerfrei nicht in Betracht. Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.