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  BFH-Urteil vom 25.1.1989 (I R 205/82) BStBl. 1990 II S. 687

1. Sog. Grenzgänger haben im Inland nicht schon deswegen ihren gewöhnlichen Aufenthalt, weil sie sich während der Arbeitszeit im Inland aufhalten.

2. Lehnt das FA es ab, eine natürliche Person als unbeschränkt steuerpflichtig zur Einkommensteuer zu veranlagen, so kann in dem sich anschließenden Rechtsbehelfsverfahren nicht darüber entschieden werden, ob die Einkommensteuer gegenüber der natürlichen Person bei beschränkter Steuerpflicht nicht höher festgesetzt werden darf, als sie bei unbeschränkter Steuerpflicht festzusetzen wäre.

EStG 1975 § 1 Abs. 1 und 3; StAnpG § 13, § 14.

Vorinstanz: FG Köln (EFG 1982, 607)

Sachverhalt

A.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Streitjahr als wissenschaftlicher Angestellter an einer inländischen Hochschule und seine Ehefrau, die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), als angestellte Fremdsprachensekretärin im Inland tätig. Sie hatten im Jahre 1973 ein Einfamilienhaus mit Garten in den Niederlanden erworben. Unstreitig hatten sie dort bis zum Jahre 1974 ihren alleinigen Wohnsitz.

In ihrer Einkommensteuererklärung 1975 gaben sie als Wohnung A-Straße 8 in A an. Dort befindet sich ein von den Eltern der Klägerin bewohntes Einfamilienhaus. Die Kläger erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit, für die nach den Lohnsteuerkarten jeweils Lohnsteuer nach Klasse IV abgezogen worden ist. Sie machten als Werbungskosten u.a. Aufwendungen für Fahrten zwischen ihrer Wohnung in den Niederlanden und ihren Arbeitsstätten geltend, und zwar der Kläger 220 Fahrten zu 18 km und die Klägerin 240 Fahrten zu 13 km. Der Kläger machte außerdem Kosten für ein Arbeitszimmer in seinem Einfamilienhaus als Werbungskosten geltend. Der PKW des Klägers hatte nach seinen eigenen Angaben ein niederländisches Kennzeichen. Ferner erklärten sie inländische Einkünfte des Klägers aus freiberuflicher Tätigkeit und aus gewerblicher Tätigkeit einen Verlust.

Bei einer Ortsbesichtigung der Wohnung in A am 10. März 1977 stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) fest, daß es sich bei dieser um einen Raum im Souterrain des Wohnhauses der Eltern der Klägerin handelte, der auch von der Gartenseite her zugänglich war. Der Raum hatte eine Größe von 3 m x 5 m; in ihm befanden sich ein Schrank, ein Bett, ein Sessel, ein Tisch - darauf im Jahre 1975 nach Behauptung der Kläger auch eine Kochplatte -, ein Ofen, ein Waschbecken und eine Truhe. Neben dem Raum lagen Dusche und Toilette.

Mit Bescheid vom 19. April 1977 lehnte das FA ab, die Kläger als unbeschränkt steuerpflichtig zur Einkommensteuer zu veranlagen, da sie im Jahre 1975 im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hätten.

Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage haben die Kläger geltend gemacht, sie hätten im Jahre 1975 ihren Wohnsitz, jedenfalls aber ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt, nämlich im Haus der Eltern der Klägerin. Dazu haben sie vorgetragen: Sie seien jeweils nach der Arbeit zu ihrer "Wohnung" in A gefahren, hätten dort ihre Freizeit verbracht, sich aber an Werktagen zum Übernachten für etwa die Zeit von 22 Uhr bis 7.30 Uhr wieder in ihr Einfamilienhaus in den Niederlanden begeben, weil die Klägerin von dort aus ihre Arbeitsstätte in ca. 10 bis 15 Minuten habe erreichen können, während sie von A aus etwa eine Stunde benötigt hätte. Der Kläger habe auch werktags häufig in dem Haus seiner Schwiegereltern übernachtet.

Die Kläger haben beantragt, sie unter Abänderung der angefochtenen Bescheide nach den Regeln für unbeschränkt Steuerpflichtige zur Einkommensteuer zu veranlagen, hilfsweise, die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) mit dem Ziel vorzulegen, zu prüfen, ob eine die Kläger beschwerende Entscheidung mit den Art. 48 und 49 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) vereinbar sei.

Das Finanzgericht (FG) hat Beweis durch Vernehmung des Vaters der Klägerin als Zeugen erhoben. Dieser hat ausgesagt, etwa zum Ende des Jahres 1975 bis zum Bezug der Wohnung der Eheleute in A hätten er und seine Ehefrau den Klägern die Möglichkeit geboten, nach Bedarf im Hause in A, zu wohnen. Den Klägern habe das im Souterrain gelegene ca. 15 qm große Zimmer mit nahegelegener Toilette und Dusche zur Verfügung gestanden, ferner auch die eigenen Wohnräume des Zeugen, wozu auch das eingerichtete ehemalige Kinderzimmer, nicht jedoch das Schlafzimmer des Zeugen gehört habe. Wie oft die Kläger von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hätten, könne er nicht mehr angeben.

Das FG hat die Klage abgewiesen (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1982, 607).

Mit ihrer Revision rügen die Kläger mangelnde Sachaufklärung und Verletzung materiellen Rechts.

In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat ist auch der Kläger davon ausgegangen, daß er und seine Ehefrau, die Klägerin, im Streitjahr weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatten. Er hat geltend gemacht, es verstoße gegen die den Einzelnen durch den EWGV garantierte Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit, daß den Klägern als Einpendlern aus den Niederlanden verschiedene Abzüge, der Verlustausgleich und der Splittingtarif im Gegensatz zu unbeschränkt Steuerpflichtigen nicht gewährt würden; dagegen wendeten sich die Kläger in diesem Verfahren.

Die Kläger beantragen, das FA zu verurteilen, die Kläger nach den Regeln für unbeschränkt Steuerpflichtige zu veranlagen, hilfsweise, die Sache dem EuGH vorzulegen, damit dieser entscheide, ob die Rechtsfolgen einer beschränkten Steuerpflicht mit dem Ziel und Geist der EG-Verträge vereinbar seien, hilfsweise eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gemäß Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) darüber einzuholen, ob § 39d Abs. 2, § 50 Abs. 2, §§ 26, 26b des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit dem GG vereinbar sind.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

B.

Die Revision der Kläger ist nicht begründet; sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat zu Recht die auf Veranlagung der Kläger zur Einkommensteuer als unbeschränkt Steuerpflichtige gerichtete Verpflichtungsklage abgewiesen; denn die Kläger waren im Streitjahr mit ihren inländischen Einkünften beschränkt steuerpflichtig.

I. Natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG 1975). Haben sie weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, sind sie vorbehaltlich des § 1 Abs. 2 EStG beschränkt steuerpflichtig, wenn sie inländische Einkünfte i.S. des § 49 EStG haben (§ 1 Abs. 3 EStG) und das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) zusteht.

II. 1. Die Auffassung des FG, die Kläger seien nicht unbeschränkt steuerpflichtig, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das FG hat die Umstände des Streitfalles ohne Verstoß gegen die Denkgesetze oder gegen Erfahrungssätze dahin gewürdigt, daß das Zimmer im Haus der Eltern der Klägerin, in dem sich nur eine Schlafgelegenheit befand, im Hinblick auf die sonstigen Lebensumstände der Kläger nicht deren zur dauernden Nutzung bestimmte Wohnung i.S. des § 13 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG - (§ 8 der Abgabenordnung - AO 1977 -) gewesen sei. Die Revision greift diese Würdigung nicht an.

a) Der in § 1 Abs. 3 EStG verwendete Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist in § 14 StAnpG (§ 9 AO 1977) näher bestimmt. Der gewöhnliche Aufenthalt ist danach an die beiden Voraussetzungen geknüpft, daß der Steuerpflichtige sich (erstens) im Inland tatsächlich aufhält, und zwar (zweitens) unter Umständen, die erkennen lassen, daß er im Inland "nicht nur vorübergehend verweilt". Sogenannte Grenzgänger, d.h. Arbeitnehmer, die sich an jedem Arbeitstag von ihrem Wohnort über die Grenze an ihre Arbeitsstätte begeben und nach Arbeitsschluß regelmäßig wieder an ihren Wohnort zurückkehren, haben im Inland nicht schon deswegen ihren gewöhnlichen Aufenthalt, weil sie sich während der Arbeitszeit im Inland aufhalten (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 1. März 1963 VI 119/61 U, BFHE 76, 580, BStBl III 1963, 212; vom 5. Februar 1965 VI 334/63 U, BFHE 82, 290, BStBl III 1965, 352, und vom 10. August 1983 I R 241/82, BFHE 139, 261, BStBl II 1984, 11).

b) Da die Kläger regelmäßig abends zu ihrem Einfamilienhaus zurückkehrten und morgens von dort aus ihre Arbeitsstätten aufsuchten, ist die Folgerung des FG, daß die Kläger im Inland nicht ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, unbedenklich. Der darüber hinausgehende zeitweilige Aufenthalt im Inland vermag daran nichts zu ändern. Die von der Revision insoweit erhobene Verfahrensrüge mangelnder Sachaufklärung ist nicht ausreichend begründet. Die Rüge wäre nur zulässig, wenn die Kläger innerhalb der Revisionsbegründungsfrist dargelegt hätten, welche Tatsachen unter Heranziehung welcher Aufklärungsmöglichkeiten das FG hätte feststellen sollen; das folgt aus dem Erfordernis der Begründung der Revision (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO), mit der, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen zu bezeichnen sind, die den Mangel ergeben (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO; BFH-Urteile vom 8. November 1973 V R 130/69, BFHE 110, 493, BStBl II 1974, 219; vom 26. Februar 1975 II R 120/73, BFHE 115, 185, 194, BStBl II 1975, 489, und Beschluß vom 24. Mai 1977 IV R 45/76, BFHE 122, 396, BStBl II 1977, 694).

c) Das FG hat schließlich nicht festgestellt, daß der Kläger in den Niederlanden lediglich in einem der beschränkten Einkommensteuerpflicht ähnlichen Umfang zu einer Steuer vom Einkommen herangezogen worden ist. Dies wäre nach § 1 Abs. 2 Satz 2 EStG Voraussetzung für die Annahme unbeschränkter deutscher Einkommensteuerpflicht des Klägers als Arbeitnehmer einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts gewesen. Das FG ist vielmehr zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger in den Niederlanden unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war, so daß sich gegen die Verneinung der unbeschränkten deutschen Einkommensteuerpflicht des Klägers aus § 1 Abs. 2 EStG keine Bedenken ergeben.

2. Soweit die Kläger im Revisionsverfahren sinngemäß geltend machen, die Einkommensteuer nicht höher festzusetzen, als sie sich bei unbeschränkter Steuerpflicht ergäbe, kann der Senat darüber im anhängigen Verfahren nicht sachlich befinden. Ihr dahingehendes Begehren ist daher im Revisionsverfahren unzulässig.

a) Das über den Revisionsantrag hinausgehende Begehren der Kläger, die Einkommensteuer - trotz beschränkter Steuerpflicht - nicht höher festzusetzen als sie bei unbeschränkter Steuerpflicht wäre, stellt prozessual eine Klageänderung dar. Im Revisionsverfahren sind Klageänderungen (mit der Ausnahme der Einschränkung des Klagebegehrens) nicht statthaft (§ 123 Satz 1 FGO). Durch die Zulassung von Klageänderungen über die Fälle des § 68 FGO hinaus würde die Zuständigkeit des FA zur Bescheidung entsprechender Anträge und das Erfordernis eines (erfolglos gebliebenen) Vorverfahrens (§ 44 Abs. 1 FGO) verletzt.

b) Der Senat ist gehindert, die Steuer im Billigkeitswege niedriger festzusetzen. Auch insoweit fehlt es an einem bei dem FA gestellten und beschiedenen Antrag und einem für die Kläger erfolglos gebliebenen Vorverfahren als Voraussetzung der Zulässigkeit einer darauf gerichteten Klage (§ 44 Abs. 1 FGO) und an einer vom Revisionsgericht überprüfbaren Entscheidung des FG. Angesichts dieser verfahrensrechtlichen Lage, muß die Frage unentschieden bleiben, ob den Klägern aus verfassungsrechtlichen Gründen ein Erlaßanspruch zusteht.

3. Da die Kläger, wie sie selbst einräumen, im Streitjahr beschränkt steuerpflichtig waren und aus verfahrensrechtlichen Gründen über ihr Begehren, die Einkommensteuer aus anderen Gründen niedriger festzusetzen, in diesem Verfahren nicht befunden werden kann, muß auch die für eine solche Abweichung von der gesetzlich vorgeschriebenen Steuer zu beantwortende Frage, ob die Bestimmungen über die Besteuerung beschränkt Steuerpflichtiger mit dem EWGV in Einklang stehen, auf sich beruhen. Eine Vorlage nach Art. 177 EWGV kam deshalb nicht in Betracht.