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  BFH-Urteil vom 18.4.1990 (III R 12/88) BStBl. 1990 II S. 754

Eine nach § 89 BauO NW a.F. ausreichende Bauanzeige ist zulagenrechtlich einem Antrag auf Baugenehmigung i.S. des § 4b Abs. 2 Satz 3 InvZulG 1982 gleichzustellen.

GG Art. 3 Abs. 1; InvZulG 1982 § 4b Abs. 2 Satz 3; BauO NW a.F. (bis 1983) § 89.

Vorinstanz: FG Münster (EFG 1988, 198)

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes. Am 26. Juli 1985 beantragte er für das Wirtschaftsjahr 1983/1984 die Gewährung einer Investitionszulage nach § 4b des Investitionszulagengesetzes 1982 - InvZulG 1982 - (sog. Beschäftigungszulage) für die Herstellungskosten einer Maschinen- und Gerätehalle in Höhe von 22.075 DM. In seinem Antrag erklärte der Kläger, er habe im September 1982 mit der Investition begonnen.

Am 5. August 1982 hatte der Kläger für diese Baumaßnahme bei der Bauaufsichtsbehörde des Kreises Borken eine Bauanzeige eingereicht. Nachdem die Baubehörde die Prüfungsfrist gemäß § 89 Abs. 4 der Bauordnung Nordrhein-Westfalen (BauO NW) 1970 vom 27. Januar 1970 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen - GVBL NW - S. 96 mit Änderungen) zunächst bis zum 17. November 1982 verlängert hatte, wurde die Zustimmung zu der Baumaßnahme am 21. September 1982 erteilt. Der Kläger begann im Frühjahr 1983 mit den Bauarbeiten, nachdem er noch im Jahre 1982 einen alten hölzernen Wagenschuppen abgerissen hatte.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte es ab, eine Investitionszulage zu gewähren und wies zur Begründung darauf hin, daß der Kläger erst im Jahre 1983 mit den Bauarbeiten begonnen habe. Als Beginn der Herstellung von Baumaßnahmen, zu deren Durchführung eine Baugenehmigung nicht erforderlich sei, müsse auf den tatsächlichen Beginn der Herstellung und nicht auf die Abgabe einer Bauanzeige abgestellt werden.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte in seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1988, 198 veröffentlichten Entscheidung im wesentlichen aus: Da für die Baumaßnahme des Klägers keine Baugenehmigung nach § 88 BauO NW 1970, sondern nur eine Bauanzeige nach § 89 BauO NW 1970 erforderlich gewesen sei, sei allein auf den nach Ablauf der Investitionsfrist erfolgten Beginn der Herstellung des Gebäudes abzustellen. Die Bauanzeige könne weder bauordnungsrechtlich noch dem Sinn und Zweck des § 4b InvZulG 1982 nach einem Bauantrag gleichgestellt werden.

Dagegen richtet sich die Revision, mit der der Kläger die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die beantragte Investitionszulage 1983/1984 zu gewähren.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Das FG hat zu Unrecht entschieden, daß dem Kläger die Investitionszulage nach § 4b InvZulG 1982 (sog. Beschäftigungszulage) für die Herstellung der Maschinen- und Gerätehalle zu versagen war, weil er mit seinen Baumaßnahmen erst nach Ablauf des in § 4b Abs. 2 Satz 2 InvZulG 1982 festgelegten Begünstigungszeitraums tatsächlich begonnen habe. Entgegen der Auffassung des FG ist für den Beginn der Herstellung im Streitfall die innerhalb der Frist gestellte Bauanzeige maßgebend.

1. Nach § 4b Abs. 2 Satz 2 InvZulG 1982 ist u.a. auch die Herstellung abnutzbarer unbeweglicher Wirtschaftsgüter nur begünstigt, wenn der Steuerpflichtige nachweislich nach dem 31. Dezember 1981 und vor dem 1. Januar 1983 mit der Herstellung tatsächlich begonnen hat. Als Ausnahme davon gilt für Baumaßnahmen, zu deren Durchführung eine Baugenehmigung erforderlich ist, als Beginn der Herstellung der Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Baugenehmigung gestellt wird (§ 4b Abs. 2 Satz 3 InvZulG 1982).

a) Den im InvZulG nicht erläuterten Begriff "Antrag auf Baugenehmigung" hat der erkennende Senat in einer zum InvZulG 1975 ergangenen Entscheidung, in Anlehnung an das Baurecht, als den Bauantrag, d.h. den an die Baugenehmigungsbehörde gerichteten Antrag auf Erteilung der Genehmigung für ein bestimmtes Bauvorhaben verstanden (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. März 1980 III R 45/78, BFHE 130, 218, BStBl II 1980, 411 m.w.N.). Ob man das Bauanzeigeverfahren als vereinfachtes Genehmigungsverfahren bezeichnen und hieraus folgern kann, daß die Bauanzeige dem Bauantrag investitionszulagenrechtlich gleichzustellen sei, mag dahingestellt bleiben (so aber FG Münster, Urteil vom 22. November 1988 VI 4175/86 F, EFG 1989, 198). Hat die Bauanzeige im Grunde auch die gleiche Funktion wie ein Bauantrag, mit dem die Erteilung der Baugenehmigung erstrebt wird (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 12. November 1964 I C 58.64, BVerwGE 20, 12), so bestehen doch auch bauordnungsrechtlich gewichtige Unterschiede, auf die die Vorentscheidung zutreffend hingewiesen hat. Entscheidend für die Anwendung des § 4b Abs. 2 Satz 2 InvZulG 1982 auch auf Bauanzeigen ist jedoch die erforderliche Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen im Bundesgebiet, die es gebietet, die Bauanzeige dem Bauantrag im Wege verfassungskonformer Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Antrag auf Baugenehmigung" gleichzustellen.

b) Mit der Fristenregelung in § 4b Abs. 2 Satz 2 InvZulG 1982 sollte eine verstärkte, zusätzliche Investitionstätigkeit angeregt (vgl. BTDrucks 9/1488 S. 10), andererseits aber die Möglichkeit von Mitnahmeeffekten weitgehend ausgeschaltet werden (BTDrucks 9/1507 S. 8 f.). Der Gesetzgeber mußte daher den Entschluß zur Investition wecken oder fördern. Wie alle inneren Tatsachen bedarf ein solcher Entschluß der Dokumentation, die der Gesetzgeber grundsätzlich im Beginn der Herstellung oder dem Zeitpunkt der Bestellung gesehen hat. Eine Ausnahme hielt er für solche Investitionen geboten, deren Durchführung behördlicher Zustimmung bedarf; denn in diesen Fällen ist der Beginn der Herstellung nicht allein vom Willen des Investors, sondern entscheidend von der regelmäßig nicht absehbaren Bearbeitungszeit der Behörde abhängig. Aus diesem Grunde gilt der Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Baugenehmigung gestellt wird, nach § 4b Abs. 2 Satz 3 InvZulG 1982 als Beginn der Herstellung genehmigungsbedürftiger Baumaßnahmen.

c) Einer solchen Gesetzesfiktion bedürfen indessen auch anzeigepflichtige Baumaßnahmen, mit deren Ausführung grundsätzlich erst einen Monat nach Eingang der Bauanzeige bei der zuständigen Behörde begonnen werden kann, es sei denn, daß die untere Bauaufsichtsbehörde bis zum Ablauf dieser Frist das Bauvorhaben untersagt oder die Frist aus wichtigem Grund verlängert hat (vgl. §§ 80, 89 BauO NW 1970). In derartigen Fällen wird der Investitionsentschluß nach Ablauf der Monatsfrist zwar durch den tatsächlichen Baubeginn hinreichend und zeitnah dokumentiert. Der Investor mußte diesen Entschluß jedoch spätestens bis zum 30. November 1982, also einen Monat vor Ablauf der in § 4b Abs. 2 Satz 2 InvZulG 1982 vorgesehenen Investitionsfrist gefaßt haben, wenn die Zulagengewährung vom tatsächlichen Baubeginn abhinge. Allein diese Verkürzung der Investitionsfrist für anzeigepflichtige Bauvorhaben führt zu einer Benachteiligung von Steuerpflichtigen aus solchen Bundesländern, deren Bauordnungen eine Anzeigepflicht vorsehen, gegenüber anderen Steuerpflichtigen, die für vergleichbare, aber genehmigungsbedürftige Maßnahmen die gesetzlich vorgesehene Investitionsfrist in vollem Umfang ausnutzen konnten. Eine derartige Differenzierung aber verstieße gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -), weil sie durch sachliche Gründe nicht gerechtfertigt ist.

d) Zwar lag der Fristenregelung auch die Absicht des Gesetzgebers zugrunde, die Investitionstätigkeit durch eine zügige Auftragsvergabe nachhaltig zu beleben (BTDrucks 9/1488 S. 16). Nach Auffassung des erkennenden Senats vermag diese Zielsetzung eine Benachteiligung einzelner Bauherren mit anzeigepflichtigen Vorhaben jedoch sachlich nicht zu rechtfertigen. Schon wegen der Monatsfrist konnte der Bauherr seinen einmal gefaßten und durch die Bauanzeige dokumentierten Investitionsentschluß nicht unmittelbar in die Tat umsetzen, ohne eine Ordnungswidrigkeit zu begehen. In vielen Fällen war dies aber auch nach Ablauf der Monatsfrist nicht möglich, weil die Bauaufsichtsbehörde diese Frist gemäß § 89 Abs. 4 Satz 1 BauO NW 1970 verlängern konnte. Zwar war es nicht zulässig, die in § 89 Abs. 3 BauO NW 1970 vorgesehene Frist nur zu dem Zweck zu verlängern, um für die Prüfung der Bauanzeige Zeit zu gewinnen (vgl. Gädtke/Temme, Kommentar zur Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, 6. Aufl. 1979 S. 603). Als wichtiger Grund für eine Fristverlängerung galt jedoch insbesondere die Beteiligung anderer Dienststellen oder Behörden (§ 89 Abs. 4 Satz 2 BauO NW 1970). Nach § 3 der Bauanzeigeverordnung vom 20. September 1978 (GVBl NW S. 534) war die Bauaufsichtsbehörde gerade bei landwirtschaftlichen Betriebsgebäuden gehalten, von dieser Ausnahmeregelung Gebrauch zu machen, weil ihr durch Runderlaß (RdErl) die Beteiligung der Bauberatungsstellen der Landwirtschaftskammern vorgeschrieben war (RdErl des Innenministers vom 16. Juni 1975, Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen - MinBl NW - S. 1169, geändert durch RdErl vom 16. August 1977, MinBl NW S. 1391), es sei denn, der Bauherr hätte sich schon vor Einreichen der Bauanzeige um eine entsprechende Äußerung der Kammer bemüht.

2. Die Absicht einer nachhaltigen Belebung der Investitionstätigkeit durch zügige Auftragsvergabe wird im übrigen durch die in § 4b Abs. 2 Satz 5 InvZulG 1982 vorgesehene Fertigstellungsfrist in angemessener Weise gewährleistet. Auch der Umstand, daß die für unbewegliche Wirtschaftsgüter um ein Jahr verlängerte Fertigstellungsfrist nicht danach unterscheidet, ob es sich um ein anzeigepflichtiges oder ein genehmigungsbedürftiges Bauvorhaben handelt, spricht auch hinsichtlich des Investitionsbeginns für eine Gleichbehandlung beider Sachverhalte.

3. Die vom FG vertretene, am Gesetzeswortlaut orientierte Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Antrag auf Baugenehmigung" müßte nach alledem insoweit zur Verfassungswidrigkeit des § 4b Abs. 2 Satz 3 InvZulG 1982 führen, als die Förderung bestimmter Vorhaben von einem rechtzeitigen Bauantrag, in einigen Bundesländern aber vom rechtzeitigen Baubeginn abhängig wäre. In einem solchen Fall ist die Auslegung vorzuziehen, die mit dem GG in Einklang steht (vgl. etwa Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 17. Oktober 1973 1 BvL 20/72, BVerfGE 36, 126, 135, und vom 1. März 1978 1 BvL 20/77, BVerfGE 48, 40, 45). Die danach gebotene verfassungskonforme Auslegung des § 4b Abs. 2 Satz 3 InvZulG 1982 kann zwar nicht den gesetzgeberischen Willen unbeachtet lassen, wenn dieser im Gesetz selbst einen konkreten Ausdruck gefunden hat (vgl. etwa Beschluß des BVerfG vom 6. Februar 1979 2 BvL 5/76, BVerfGE 50, 217, 233). Die erweiternde Auslegung des Begriffs "Antrag auf Baugenehmigung" entspricht aber gerade dem der Gesetzesfiktion in § 4b Abs. 2 Satz 3 InvZulG 1982 zugrunde liegenden gesetzgeberischen Willen. Auch aus der amtlichen Gesetzesbegründung ergibt sich nichts Gegenteiliges. Entgegen der Vorentscheidung vermag der erkennende Senat daher auch dem Umstand keine entscheidende Bedeutung beizumessen, daß der Gesetzgeber kurze Zeit vor und nach Inkrafttreten des InvZulG 1982 in Vorschriften anderer Gesetze ausdrücklich die Bauanzeige dem Bauantrag gleichgestellt hat. Hätte der Gesetzgeber eine Gleichstellung von Bauantrag und Bauanzeige - wie in § 21a Abs. 7 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des 2. Haushaltsstrukturgesetzes (2. HStruktG) vom 22. Dezember 1981 und in § 21a Abs. 4 Satz 6 EStG i.d.F. des Haushaltsbegleitgesetzes 1982 (HBegleitG 1983) vom 20. Dezember 1982 ausdrücklich vorgesehen - in § 4b Abs. 2 Satz 3 InvZulG 1982 bewußt unterlassen, so hätte es nahegelegen, den Zweck dieser Einschränkung in der Gesetzesbegründung zu erläutern.

4. Die bisherige Rechtsprechung des erkennenden Senats steht der hier vertretenen Auslegung des Begriffs "Antrag auf Baugenehmigung" nicht entgegen.

a) Zwar hat der Senat in seinem Urteil in BFHE 130, 218, BStBl II 1980, 411 entschieden, daß unter dem Antrag auf Baugenehmigung der formelle Bauantrag zu verstehen ist und daß daher eine Bauvoranfrage nicht als Antrag auf Baugenehmigung beurteilt werden könne. Eine Bauvoranfrage dokumentiert jedoch im Unterschied zu Bauantrag und Bauanzeige noch nicht den endgültigen Entschluß zu einer beabsichtigten Investition; sie führt auch nicht unmittelbar zu einer Genehmigung des Bauvorhabens, mit der Folge einer zügigen Auftragsvergabe.

b) Unter Hinweis auf die eindeutige Gesetzesfassung hat es der Senat ferner abgelehnt, die Fristenregelung für Gebäude und Gebäudeteile über den Wortlaut des § 4b Abs. 2 Satz 5 InvZulG 1975 hinaus auch auf solche anderen Baumaßnahmen auszudehnen, die im Zusammenhang mit der Herstellung eines Gebäudes durchgeführt werden, ohne einer Baugenehmigung zu bedürfen (BFH-Urteil vom 1. Juli 1983 III R 161/81, BFHE 138, 513, BStBl II 1983, 686). In dieser Entscheidung führte der Senat u.a. aus, daß Hofbefestigungen, Straßenzufahrten, Umzäunungen und in aller Regel auch Betriebsvorrichtungen nicht in einer derart engen bautechnischen Verbindung zum Gebäude stehen, daß eine Übertragung der für Gebäude vorgesehenen Fristenregelung gerechtfertigt wäre. In Abgrenzung zu seiner Entscheidung vom 23. November 1979 III R 4/79 (BFHE 130, 475, BStBl II 1980, 554) vertrat der Senat die Auffassung, daß für die genannten Wirtschaftsgüter der Beginn der Herstellung bzw. der Zeitpunkt der Bestellung maßgebend gewesen sei. Herstellungsbeginn und Bestellungszeitpunkt waren mit anderen Worten unabhängig von einem Bauantrag möglich und damit in erster Linie vom Willen des Investors abhängig. Dies ist - wie ausgeführt - bei anzeigepflichtigen Bauvorhaben aber gerade nicht gewährleistet.

5. Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung und ist daher aufzuheben. Der Senat kann jedoch nicht durcherkennen, da die Sache nicht spruchreif ist. Das FG hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, ob die weiteren Voraussetzungen des § 4b InvZulG 1982 erfüllt sind.