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  BFH-Urteil vom 20.2.1990 (VII R 126/89) BStBl. 1990 II S. 763

Von einem Goldschmied individuell gefertigte Schmuckteile sind keine Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst, sondern Schmuckwaren im zolltariflichen Sinne. Die Umsätze solcher Schmuckteile sind nicht umsatzsteuerermäßigt.

UStG 1980 § 12 Abs. 2 Nr. 1, Anlage Nr. 47; GZT Tarifnr. 71.12, 99.03, Vorschrift 8a zu Kap. 71, Vorschriften 3 und 4a zu Kap. 99.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) stellt als selbständiger Goldschmied (ohne Ladengeschäft) Schmuck - Ringe, Ketten, Colliers, Armbänder u.ä. - her, im wesentlichen, nachdem er mit den künftigen Käufern, zu denen der zu fertigende Schmuck passen soll, Verbindung aufgenommen hat. Für die Umsätze dieses Schmucks in den Jahren 1982/83 beanspruchte der Kläger den ermäßigten Umsatzsteuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - 1980 i.V.m. Nr. 47 der Anlage dazu (Kunstgegenstände .... Nr. 99.03 des Zolltarifs - ZT -: Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst, aus Stoffen aller Art). Das beklagte und revisionsbeklagte Finanzamt - FA - besteuerte die Umsätze des Klägers nach dem Regelsteuersatz. Einspruch und Klage waren erfolglos. Das Finanzgericht - FG - entschied, Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst lägen nicht vor. Nr. 99.03 ZT erfasse nicht handwerkliche Erzeugnisse (z.B. Schmuckstücke). Die vom Kläger hergestellten Schmuckstücke seien dem Kapitel 71 ZT (Schmuckwaren, Gold- und Silberschmiedewaren und andere Waren) zuzuordnen, insbesondere der Tarifnr. 71.12 (Schmuckwaren aus Edelmetallen oder Edelmetallplattierungen), die entsprechenden Umsätze mithin nicht steuerbegünstigt. Das gelte auch, soweit der Kläger sich bemühe, die Schmuckstücke im Einklang mit der Persönlichkeit des künftigen Trägers zu fertigen.

Die Revision wurde nicht zugelassen. Die Rechtsmittelbelehrung der am 14. September 1988 zugestellten Vorentscheidung enthält keinen Hinweis auf die nach § 116 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - zulassungsfrei gegebene Revision.

Mit der am 3. April 1989 eingegangenen Revision rügt der Kläger, das FG habe die Schmuckstücke zolltariflich falsch eingeordnet. Es handele sich nicht um serienmäßig hergestellte - handwerkliche - Objekte des allgemeinen Gebrauchs, sondern um Einzelstücke nach eigenem Entwurf und eigener Herstellung, also um Gegenstände, die ein kreatives Erscheinungsbild zeigten und in denen ein Stilwille in adäquater Weise dokumentiert werde. Abgesehen davon, daß die Aufzählung der begünstigten Kunstgegenstände nicht erschöpfend sei (Schreiben des Bundesministers der Finanzen - BMF - vom 12. Mai 1982, BStBl I 1982, 540 Tz. 12), sei die Goldschmiedekunst als Teilbereich der Bildhauerei anzusehen, soweit es sich um kleinplastische Metallgestaltung handele. Die Arbeiten seien den Plastiken zuzuordnen und stellten Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst dar (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom 15. Mai 1985 Rs 155/84, EUGHE 1985, 1454).

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig. Sie ist zulassungsfrei gegeben, da es sich bei der Vorentscheidung um ein Urteil in einer Zolltarifsache handelt (§ 116 Abs. 2 FGO); daß über die Tarifierung nur aufgrund der im UStG enthaltenen Verweisung auf den ZT - hier den Gemeinsamen Zolltarif (GZT) - entschieden worden ist, beeinflußt nicht den Charakter der Vorentscheidung als Urteil in einer Zolltarifsache (vgl. Senat, Urteil vom 16. Oktober 1986 VII R 122/83, BFHE 148, 372, 374; Beschluß vom 20.2.1990 VII R 125/89 (BFHE 159, 573). Da die Rechtsmittelbelehrung unrichtig - unvollständig (vgl. Tipke/Kruse, AO/FGO, 13. Aufl., § 55 FGO Tz. 5; ebenso für die fehlende Belehrung über die zulassungsfreie Verfahrensrevision Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 12. Februar 1987 V R 116/86, BFHE 149, 120, BStBl II 1987, 438) - erteilt worden ist, konnte die Revision, wie hier geschehen, noch innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe der Vorentscheidung eingelegt werden; § 55 Abs. 2 FGO.

In der Sache kann die Revision keinen Erfolg haben. Das FG hat richtig entschieden, daß die vom Kläger gefertigten Schmuckstücke keine Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst, sondern Erzeugnisse des Kapitels 71 GZT sind und daß die betreffenden Umsätze demzufolge nicht umsatzsteuerermäßigt sind.

Bildhauerarbeiten, die den Charakter einer Handelsware haben (Serienerzeugnisse, Abgüsse und Handwerkserzeugnisse), gehören nicht zu Tarifnr. 99.03 (Vorschrift 3 zu Kapitel 99). Die Schmuckstücke, die der Kläger herstellt, sind zwar, wie sich den Feststellungen der Vorinstanz entnehmen läßt (individuelle Fertigung), keine Serienerzeugnisse. Das FG hat sie jedoch als "handwerkliche Erzeugnisse" beurteilt, die von Tarifnr. 99.03 ausgeschlossen sind. Diese tatsächliche Würdigung läßt keinen Rechtsfehler erkennen. "Handwerkserzeugnisse" (damit "Handelswaren" im Sinne von Vorschrift 3 zu Kapitel 99) können auch solche künstlerischer Art sein ("oeuvres artisanales" in der französischen Fassung des GZT). Sie gehören nicht zu Tarifnr. 99.03, sondern fallen als Schmuckstücke .... unter die Tarifnr. 71.12, zu der u.a. kleine Gegenstände (aus Edelmetallen ....) gehören, die als Schmuck dienen, z.B. (Finger-)Ringe, Armbänder, Colliers (Vorschrift 8 a zu Kapitel 71), nach den zolltariflichen Erläuterungen (zu Tarifnr. 71.12 Teil I Rdziff. 2) auch Ketten. Die Tarifnr. 71.12 ist auch anwendbar, wenn die Stücke auf individuelle Verhältnisse zugeschnitten gefertigt werden, denn zwischen individueller und serienmäßiger Anfertigung wird nicht unterschieden. Eine Konkurrenz mit Tarifnr. 99.03, die zugunsten dieser Position zu lösen wäre (Vorschrift 4 a zu Kapitel 99), besteht nicht. Die hier anzuwendende Vorschrift 3 zu Kapitel 99 geht vor ("vorbehaltlich"; Senat, Urteil vom 29. Oktober 1985 VII R 164/82, BFHE 144, 500); nach ihr sind Bildhauerarbeiten, die sich als Handwerkserzeugnisse darstellen, entsprechend ihrer Beschaffenheit zu tarifieren (hier Tarifnr. 71.12). Abschnitt XXI und Kapitel 99 GZT enthalten zwar die Überschrift "Kunstgegenstände ....", doch ergibt sich daraus nicht, daß alle Gegenstände, denen ein künstlerischer Charakter zukommt, unter das Kapitel 99 einzuordnen sind (EuGH, Urteil vom 13. Dezember 1989 Rs 1/89 - noch nicht veröffentlicht -, Absatz 12 der Urteilsgründe; vgl. auch Senat, Urteil vom 29. November 1988 VII R 29/86, BFHE 155, 219, 221). Schon aus diesem Grunde läßt sich auch nichts aus der von der Revision angeführten (älteren) umsatzsteuerrechtlichen Rechtsprechung gewinnen.

Die Erläuterungen in dem von der Revision angeführten BMF-Schreiben, die allerdings den Eindruck erwecken, als seien zu den begünstigten Kunstgegenständen auch andere als die in den Tarifnrn. 99.01 bis 99.03 aufgeführten Waren zu rechnen ("u.a."), sind - ebenso wie die in der Revisionsbegründung angesprochenen Verwaltungsanweisungen zur umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung von Steinmetzarbeiten - rechtlich nicht bindend; sie haben zudem später eine andere Fassung erhalten, die lediglich auf die vorbezeichneten Tarifnummern verweist (BMF-Schreiben vom 27. Dezember 1983, BStBl I 1983, 567 Tz. 155 f.). Auf das Urteil in EuGHE 1985, 1454 kann der Kläger sich nicht berufen. In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Falle war Vorschrift 3 zu Kapitel 99 nicht anwendbar; überdies war der tarifierte Kunstgegenstand (Wandrelief aus verschiedenen Stoffen), anders als die vom Kläger gefertigten Schmuckwaren, auch nicht ausdrücklich in einer anderen Zolltarifnummer aufgeführt (vgl. insoweit auch BFHE 155, 219, 222).