| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 3.5.1990 (VII R 108/88) BStBl. 1990 II S. 767

Wird der Geschäftsführer einer GmbH als Haftungsschuldner für die pauschale Lohnsteuer der GmbH (§ 40 Abs. 1 Nr. 2 EStG) in Anspruch genommen, so bestimmt sich die Pflichtverletzung und sein Verschulden gemäß § 69 AO 1977 nicht nach den Zeitpunkten der Nichteinbehaltung, -anmeldung und -abführung der individuellen Lohnsteuer der Arbeitnehmer, sondern nach dem Zeitpunkt der Fälligkeit der pauschalierten Lohnsteuer. Der Geschäftsführer haftet nur insoweit, als er das FA hinsichtlich der im Nachforderungsbescheid festgesetzten pauschalen Lohnsteuer gegenüber den anderen Gläubigern der GmbH benachteiligt hat.

AO 1977 §§ 34, 69, 191; EStG § 40 Abs. 1 und Abs. 3.

Vorinstanz: FG Nürnberg (EFG 1989, 46)

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war einer von zwei Geschäftsführern einer GmbH, deren Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens im August 1985 mangels Masse abgelehnt worden ist. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nahm den Kläger und den anderen Geschäftsführer der GmbH wegen rückständiger Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer und Säumniszuschlägen als Haftungsschuldner nach § 69 i.V.m. § 34 der Abgabenordnung (AO 1977) in Anspruch. Die im Einspruchsverfahren auf insgesamt 13.320 DM herabgesetzte Haftungsschuld beruht auf den Feststellungen einer Lohnsteuer-Außenprüfung, die für eine Betriebstätte der GmbH durchgeführt worden war.

Danach sind im Prüfungszeitraum 1983 und 1984 Bruttoarbeitslöhne an ausländische Arbeitnehmer in Höhe von 6.300 DM nicht der Lohnsteuer unterworfen und insgesamt 56.000 DM (40 % von 140.000 DM) zu Unrecht als Spesen und Auslösungen steuerfrei ausgezahlt worden. Der Prüfer unterwarf, nachdem die GmbH den Antrag gestellt hatte, die nachzufordernde Lohnsteuer pauschal zu übernehmen (§ 40 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes - EStG -), die nicht versteuerten Beträge einem Pauschalsteuersatz von 28,2 v.H. Mit bestandskräftigem Nachforderungsbescheid vom 1. November 1984 setzte das Betriebstätten-FA die pauschalierte Lohnsteuer und Kirchenlohnsteuer entsprechend den Prüfungsfeststellungen gegenüber der GmbH fest. Die nachgeforderten Steuern - fällig am 5. Dezember 1984 - wurden von der GmbH nicht mehr gezahlt, weil diese in Zahlungsschwierigkeiten geraten war.

Auf die Klage des Klägers hob das Finanzgericht (FG) den gegen diesen ergangenen Haftungsbescheid in der Fassung der Einspruchsentscheidung auf. Es führte aus, das FA habe zu Unrecht das Verschulden des Klägers darin gesehen, daß dieser entgegen der Verpflichtung nach § 41a Abs. 1 EStG die Lohnsteuer nicht ordnungsgemäß einbehalten und abgeführt und bei unzureichenden Mitteln die Lohnzahlungen nicht entsprechend gekürzt habe. Da der Kläger hier für die pauschale Lohnsteuer der GmbH in Anspruch genommen werde, komme es für sein Verschulden allein darauf an, ob er zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuerschuld aus dem Nachforderungsbescheid gegen die GmbH - am 5. Dezember 1984 - diese Steuerschulden nicht anteilig und gleichmäßig wie andere Schulden der GmbH erfüllt habe. Hierzu fehle es aber an Feststellungen des FA. Das FA habe auch insoweit keine Ermessenserwägungen angestellt. Der Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung seien deshalb nach § 100 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufzuheben. Wegen der Begründung im einzelnen wird auf das in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1989, 46 veröffentlichte Urteil des FG Bezug genommen.

Mit der vom FG zugelassenen Revision macht das FA geltend, die Vorentscheidung beruhe auf einer Verletzung des § 69 Satz 1 AO 1977, indem sie für die Prüfung der Pflichtverletzung und des Verschuldens des Klägers auf den Zeitpunkt der Fälligkeit der mit dem Nachforderungsbescheid festgesetzten pauschalen Lohnsteuer abstelle. Nach richtiger Auffassung liege die Pflichtverletzung des Klägers bereits darin begründet, daß dieser zuvor Bruttolöhne und überhöhte Auslösungen ausgezahlt habe, ohne den erforderlichen Lohnsteuerabzug vorzunehmen und die einbehaltenen Beträge an das FA abzuführen.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Das FA nimmt den Kläger für die pauschale Lohnsteuer und Kirchenlohnsteuer als Haftungsschuldner gemäß §§ 69, 34 AO 1977 in Anspruch, die das Betriebstätten-FA durch Nachforderungsbescheid vom 1. November 1984 gegen die GmbH festgesetzt hat. Das hier angewandte Pauschalierungsverfahren und seine Rechtsfolgen sind geregelt in § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Sätze 2 bis 5 und Abs. 3 EStG. Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG kann das FA auf Antrag zulassen, daß die Lohnsteuer nach einem unter Berücksichtigung der Vorschriften des § 38a EStG zu ermittelnden Pauschsteuersatz erhoben wird, wenn in einer größeren Zahl von Fällen Lohnsteuer vom Arbeitgeber nachzuerheben ist, weil er die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig einbehalten hat. Weitere Voraussetzung ist, daß eine Berechnung der Lohnsteuer nach den §§ 39b bis 39d EStG schwierig ist oder einen unverhältnismäßigen Arbeitsaufwand erfordern würde (§ 40 Abs. 1 Satz 3 EStG). Nach § 40 Abs. 3 EStG hat der Arbeitgeber die pauschale Lohnsteuer zu übernehmen. Er ist Schuldner der Lohnsteuer. Der pauschal besteuerte Arbeitslohn und die pauschale Lohnsteuer bleiben bei einer Veranlagung der Arbeitnehmer zur Einkommensteuer und bei deren Lohnsteuer-Jahresausgleich außer Ansatz. Die pauschale Lohnsteuer ist weder auf die Einkommensteuer noch auf die Jahreslohnsteuer der Arbeitnehmer anzurechnen.

Der VI. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat in seinem Urteil vom 5. November 1982 VI R 219/80 (BFHE 137, 46, BStBl II 1983, 91) aus der gesetzlichen Regelung über die Lohnsteuerpauschalierung folgende Rechtsfolgerungen gezogen: Es handelt sich bei der pauschalen Lohnsteuer nicht um eine Lohnsteuer der Arbeitnehmer, sondern um eine Unternehmenssteuer eigener Art, die in der Person des Arbeitgebers originär entsteht, und zwar im Zeitpunkt der Durchführung der Pauschalierung. Die individuelle Steuerschuld des Arbeitnehmers, die zunächst - vor der Pauschalierung - mit dem Zufluß der nachzuversteuernden Bezüge entstanden ist und für die der Arbeitgeber haften würde (§ 42d EStG), geht mit der Pauschalierung in der betriebsbezogenen Steuerschuld des Arbeitgebers auf; die individuelle Lohnsteuer der Arbeitnehmer erlischt. Die nunmehr vom Arbeitgeber geschuldete unternehmensbezogene pauschale Lohnsteuer ist allerdings auflösend bedingt bis spätestens zu dem Zeitpunkt, in dem der Pauschalierungsbescheid - wie auch im Streitfall eingetreten - unanfechtbar geworden ist; denn spätestens von diesem Zeitpunkt an ist eine Rücknahme des Pauschalierungsantrags mit der Übernahmeerklärung durch den Arbeitgeber nicht mehr möglich.

2. a) Für die Haftung der gesetzlichen Vertreter des Arbeitgebers und der sonstigen in den §§ 34, 35 AO 1977 bezeichneten Personen nach § 69 AO 1977 ergibt sich im Falle der Pauschalierung der Lohnsteuer keine grundsätzliche Einschränkung. Denn die Haftung der Vertreter greift unabhängig davon ein, ob der Vertretene - wie nach § 40 Abs. 3 EStG - die Lohnsteuer selbst schuldet oder ob er - wie bei der individuellen Lohnsteuer nach § 42d EStG - für diese nur haftet (vgl. Urteil des Senats vom 29. Januar 1985 VII R 67/81, BFH/NV 1986, 256, 259). Das FG ist aber in der angefochtenen Entscheidung zutreffend davon ausgegangen, daß sich die Pflichtverletzung und das Verschulden des Haftungsschuldners nach § 69 Satz 1 AO 1977 im Falle der Lohnsteuerpauschalierung nach dem Zeitpunkt der Fälligkeit der durch den Pauschalierungs-(Nachforderungs-)Bescheid festgesetzten pauschalen Lohnsteuer bestimmen und nicht - wie in den Fällen der Haftung des Geschäftsführers für die individuelle Lohnsteuer - nach dem in § 41a Abs. 1 EStG geregelten Zeitpunkt der Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer (hier bei nicht ausreichenden Zahlungsmitteln ggf. sogar rückbezogen auf den Zeitpunkt der Lohnzahlung - Pflicht zur Lohnkürzung -; vgl. Urteil des Senats vom 20. April 1982 VII R 96/79, BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521, 523).

Dies ergibt sich daraus, daß die pauschale Lohnsteuerschuld des Arbeitgebers erst mit der Durchführung der Pauschalierung, d.h. mit dem Erlaß des Nachforderungsbescheids zur Entstehung gelangt. Vor der Fälligkeit der durch den Nachforderungsbescheid festgesetzten Steuer treffen den Arbeitgeber und die ihn vertretenden Personen hinsichtlich dieser Unternehmensteuer eigener Art keinerlei Einbehaltens-, Anmeldungs- und Abführungsverpflichtungen. Dem Haftungsschuldner kann deshalb vor diesem Zeitpunkt in bezug auf die pauschale Lohnsteuer in der Regel keine schuldhafte Pflichtverletzung i.S. der §§ 34, 69 AO 1977 zum Vorwurf gemacht werden (vgl. Urteil des Hessischen FG vom 29. Juni 1988 1 K 630/83, EFG 1989, 83; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 8. Aufl., § 40 Anm. 8).

b) Zwar trifft es zu, daß der Kläger vor der Pauschalierung als Geschäftsführer der GmbH verpflichtet war, bei jeder Lohnzahlung von den Arbeitslöhnen Lohnsteuer den gesetzlichen Vorschriften entsprechend in der zutreffenden Höhe einzubehalten, am Fälligkeitszeitpunkt dem Betriebstätten-FA anzumelden und an dieses abzuführen (§§ 38 Abs. 3, 41a Abs. 1 EStG, 34 Abs. 1 AO 1977, 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -). Dieser Verpflichtung ist er - wie das FG festgestellt hat - nicht nachgekommen, da Löhne an ausländische Arbeitnehmer der GmbH teilweise ohne Lohnsteuerabzug ausbezahlt und im überhöhten Maße steuerfreie Auslösungen an die Arbeitnehmer geleistet worden sind. Insoweit käme eine Haftung des Klägers nach § 69 AO 1977 in Betracht, die sich nach dem Umfang der Pflichtverletzung und dem Grad des Verschuldens im Zeitpunkt der Nichteinbehaltung und der Nichtanmeldung und -abführung der Lohnsteuer zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten bestimmte.

Das FA hat den Kläger aber nicht für diese individuelle Lohnsteuer der Arbeitnehmer der GmbH als Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Der Haftungsbescheid bezieht sich vielmehr auf die durch den Nachforderungsbescheid festgesetzte pauschale Lohnsteuer der GmbH. Hierbei handelt es sich im Verhältnis zu der von den Arbeitnehmern geschuldeten individuellen Lohnsteuer um eine andere, neue Steuer. Die pauschale Lohnsteuer ist - wie der BFH mehrfach ausgesprochen hat - anders als die individuelle Lohnsteuer keine Einkommensteuer, sondern eine Unternehmenssteuer eigener Art (BFH-Urteile in BFHE 137, 46, BStBl II 1983, 91; vom 28. Januar 1983 VI R 35/78, BFHE 138, 188, BStBl II 1983, 472; Beschluß vom 29. April 1983 VI S 10/82, BFHE 138, 379, BStBl II 1983, 517). Die wesensmäßige Verschiedenheit der beiden Steuerarten zeigt sich - abgesehen von der Person des Steuerschuldners - insbesondere darin, daß die pauschale Lohnsteuer wegen der damit verbundenen Schwierigkeiten und des unverhältnismäßigen Arbeitsaufwands (§ 40 Abs. 1 Satz 3 EStG) nicht nach den individuellen Steuermerkmalen der Arbeitnehmer, sondern nach einem besonderen Pauschalierungsverfahren (§ 40 Abs. 1 Sätze 1, 2 und 5 EStG) ermittelt wird. So ist auch im Streitfall ein einheitlicher Pauschsteuersatz von 28,2 v.H. für die nachzuversteuernden Arbeitslöhne festgesetzt worden, wobei die Höhe der Beträge, die zu Unrecht als steuerfreie Auslösungen gezahlt worden sind, im Einvernehmen zwischen dem Lohnsteuer-Außenprüfer und der GmbH mit 40 v.H. der gesamten Auslösungen geschätzt worden ist. Die festgesetzte pauschale Lohnsteuer entspricht damit auch wirtschaftlich nicht der Lohnsteuer, hinsichtlich derer dem Kläger zum Vorwurf gemacht werden könnte, daß er nicht für ihre ordnungsgemäße Einbehaltung von den Arbeitslöhnen und ihre Anmeldung und Abführung zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten an das FA gesorgt hat. Da die individuelle Lohnsteuerschuld der Arbeitnehmer und damit die Haftung des Arbeitgebers nach § 42d EStG mit der Pauschalierung erloschen ist, kann hinsichtlich der Haftung für die pauschale Lohnsteuer für die Pflichtverletzung und das Verschulden des Geschäftsführers nicht mehr auf die Zeitpunkte abgestellt werden, die für die individuelle Lohnsteuer maßgeblich waren.

c) Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, daß die Pauschalierung der Lohnsteuer nach § 40 Abs. 1 EStG auf Antrag des Arbeitgebers erfolgt, so daß es der Geschäftsführer einer GmbH - wie der Kläger vorträgt - bei Verschlechterung der Finanzsituation der Gesellschaft möglicherweise in der Hand hat, über den Pauschalierungsantrag eine Verbesserung seiner Haftungssituation für die nicht vorschriftsmäßig einbehaltene Lohnsteuer zu erreichen. Im Streitfall bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß der während der Lohnsteuer-Außenprüfung gestellte Antrag der GmbH, die nicht einbehaltene Lohnsteuer zu pauschalieren, in dem vorstehenden Sinne mißbräuchlich erfolgt ist. Der Senat braucht auch nicht zu entscheiden, ob das Betriebstätten-FA den Antrag auf Pauschalierung der Lohnsteuer nach § 40 Abs. 1 Nr. 2 EStG hätte ablehnen können (vgl. dazu BFH-Urteil vom 7. Dezember 1984 VI R 72/82, BFHE 142, 494, 499, BStBl II 1985, 170, m.w.N.). Da das Betriebstätten-FA mit dem Erlaß des Nachforderungsbescheids das Pauschalierungsverfahren durchgeführt hat, kann nunmehr - unabhängig von der Kenntnis der Finanzbehörden von der finanziellen Lage der Gesellschaft - der Geschäftsführer der GmbH als Haftungsschuldner gemäß § 69 AO 1977 nur für die pauschale Lohnsteuer und nach den für diese geltenden Besonderheiten (Entstehung, Fälligkeit, Höhe der Steuer) in Anspruch genommen werden. Die Finanzbehörden müssen auch sonstige für sie nachteiligen Folgen der Lohnsteuerpauschalierung hinnehmen; so kann z.B. ihre Stellung als Steuergläubiger auch dadurch beeinträchtigt sein, daß die Arbeitnehmer dann nicht mehr als Steuerschuldner herangezogen werden können.

d) Den Kläger traf demnach als Geschäftsführer der GmbH hinsichtlich der pauschalen Lohnsteuer lediglich die Verpflichtung, diese zum Fälligkeitszeitpunkt - 5. Dezember 1984 -, der sich aus dem Nachforderungsbescheid ergab, an das FA zu zahlen (§ 34 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Eine vor diesem Zeitpunkt liegende Pflichtverletzung des Klägers käme allenfalls dann in Betracht, wenn er sich durch Vorwegbefriedigung anderer Gläubiger oder in sonstiger Weise schuldhaft außerstande gesetzt hätte, die bereits entstandene, aber noch nicht fällige Steuerforderung im Zeitpunkt der Fälligkeit zu tilgen (vgl. BFH-Urteil vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776, 779). Für eine solche der Nichtzahlung zum Fälligkeitszeitpunkt vorausgehende Pflichtverletzung bestehen aber angesichts des kurzen Zeitraums zwischen der Durchführung der Pauschalierung (Nachforderungsbescheid vom 1. November 1984) und dem Zeitpunkt der Fälligkeit der pauschalen Lohnsteuer im Streitfall keine Anhaltspunkte.

Nach den Feststellungen des FG hat die GmbH die pauschale Lohnsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt nicht bezahlt, weil sie in Zahlungsschwierigkeiten geraten war. Eine völlige Zahlungsunfähigkeit kann aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgelegen haben, weil nach den Ausführungen der Vorentscheidung der Konkursantrag für die GmbH erst einige Monate später gestellt worden ist. Bei insgesamt nicht ausreichenden Zahlungsmitteln konnte von den Geschäftsführern der GmbH eine Tilgung der pauschalen Lohnsteuerschuld nur in dem Umfang verlangt werden, wie sie in etwa dem Grad der Befriedigung der anderen Gläubiger der GmbH entsprach (BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776). Eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Pflichtverletzung des Klägers nach § 69 AO 1977 kann demnach nur insoweit angenommen werden, als dieser ab dem Zeitpunkt der Fälligkeit der pauschalen Lohnsteuer bis zum Eintritt der Zahlungsunfähigkeit das FA hinsichtlich dieser Steuer gegenüber den anderen Gläubigern der GmbH benachteiligt hat. Für den Umfang der Haftung des Geschäftsführers für die pauschalierte Lohnsteuer als Unternehmenssteuer der GmbH gelten somit die Grundsätze, die der Senat bei nicht ausreichenden Zahlungsmitteln für die "anteilige" Umsatzsteuerhaftung entwickelt hat (vgl. BFH-Urteil vom 14. Juli 1987 VII R 188/82, BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172, m.w.N.), entsprechend.

3. a) Das FG ist ebenfalls davon ausgegangen, daß ein haftungsbegründendes Verschulden des Klägers nach § 69 AO 1977 nur dann vorliegt, wenn zum Zeitpunkt der Fälligkeit der mit dem Nachforderungsbescheid festgesetzten Steuerschuld Mittel der GmbH vorhanden gewesen sind, mit denen die pauschalierte Steuer ganz oder anteilig hätte getilgt werden können. Es hat hierzu aber keine tatsächlichen Feststellungen getroffen, sondern den Haftungsbescheid wegen Verfahrensmängeln - fehlende Ermittlungen des FA, Ermessensfehler - nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO aufgehoben. Die Entscheidung nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO ist rechtsfehlerhaft. Das FG hätte die notwendigen Sachverhaltsermittlungen zum Verschulden des Klägers, d.h. inwieweit diesem unter Berücksichtigung der vorhandenen Zahlungsmittel der GmbH und der Gesamtverbindlichkeiten zum Fälligkeitszeitpunkt die anteilige Tilgung der pauschalen Lohnsteuer möglich gewesen wäre, selbst treffen müssen. Die Vorentscheidung war deshalb aufzuheben und zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen die Sache an das FG zurückzuverweisen.

b) Das FG hat den Sachverhalt unter Heranziehung der Beteiligten von Amts wegen zu erforschen (§ 76 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FGO) und sodann nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Es kann den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO nur dann aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, wenn es wesentliche Verfahrensmängel feststellt und eine weitere, einen erheblichen Aufwand an Kosten und Zeit erforderliche Aufklärung für nötig hält. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist eine im Revisionsverfahren nachprüfbare Rechtsentscheidung (Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Rdnr. 9563). Einen wesentlichen Mangel des Verwaltungsverfahrens in diesem Sinne kann auch eine Verletzung der Pflicht zur Sachaufklärung durch das FA (§ 88 AO 1977) darstellen. Ob dem FA ein Verfahrensmangel unterlaufen ist, ist aber nach der materiellen Rechtsauffassung zu beurteilen, die das FA seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (BFH-Urteil vom 15. September 1988 IV R 134/86, BFH/NV 1990, 10, m.w.N.).

Das FA hatte im Streitfall bei Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung keinen Anlaß zur weiteren Sachaufklärung über die Höhe der vorhandenen Zahlungsmittel der GmbH im Zeitpunkt der Fälligkeit der pauschalen Lohnsteuer und den möglichen Umfang einer anteiligen Befriedigung des FA unter Berücksichtigung der sonstigen Verbindlichkeiten der GmbH zu diesem Zeitpunkt. Denn das FA ist - wenn auch zu Unrecht - im Haftungsbescheid und in der Einspruchsentscheidung davon ausgegangen, daß eine grob fahrlässige Pflichtverletzung des Klägers bereits darin zu sehen sei, daß er die individuelle Lohnsteuer der Arbeitnehmer bei der Lohnzahlung nicht einbehalten hat - ggf. im Wege der Lohnkürzung - und sie nicht fristgerecht an das FA abgeführt hat. Da der Kläger nach dieser Rechtsauffassung in voller Höhe haftete, bedurfte es keiner Ermittlungen über den Umfang der möglichen Gläubigerbefriedigung im Zeitpunkt der Fälligkeit des Nachforderungsbescheids. Ein Fehler des Verwaltungsverfahrens liegt deshalb nicht vor. Da erst das FG die Bedeutung der Lohnsteuerpauschalierung für den Umfang der Haftung des Geschäftsführers zutreffend erkannt hat, hätte es die hierfür erforderlichen Sachverhaltsermittlungen nach § 76 Abs. 1 FGO selbst vornehmen müssen.

c) Die Aufhebung des Haftungsbescheids und der Einspruchsentscheidung ohne Sachentscheidung durch das FG war auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil das FA sein Ermessen, den Kläger als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen (§ 191 Abs. 1 AO 1977), fehlerhaft - wie das FG meint - ausgeübt hat. Die Ermessensentscheidung des FA ist auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung, daß der Kläger bereits mit der nicht ordnungsgemäßen Einbehaltung der Lohnsteuer den Haftungstatbestand des § 69 AO 1977 verwirklicht habe, nicht zu beanstanden. Sie ist in den Verwaltungsentscheidungen (Haftungsbescheid, Einspruchsentscheidung) auch sorgfältig begründet worden, insbesondere im Hinblick auf die Ausübung des Auswahlermessens. Das FA ist gerade nicht - wie das FG anzunehmen scheint - davon ausgegangen, daß die Ermessensentscheidung durch die Rechtsentscheidung zum Verschulden des Klägers vorgeprägt sei und deshalb nicht näher begründet zu werden brauchte (vgl. BFH-Urteil vom 13. April 1978 V R 109/75, BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508). Die fehlerhafte Beurteilung des maßgeblichen Zeitpunkts für das Verschulden des Klägers durch das FA hatte keinen Einfluß auf dessen Ermessensentscheidung. Die angestellten Ermessenserwägungen behalten ihre Bedeutung auch dann, wenn sich eine zumindest grob fahrlässige Pflichtverletzung des Klägers daraus ergeben sollte, daß er im Zeitpunkt der Fälligkeit der pauschalen Lohnsteuer über Zahlungsmittel der GmbH verfügen konnte und er das FA gegenüber den sonstigen Gläubigern benachteiligt hat. Denn aus der Begründung der Ermessensentscheidung ergibt sich, daß das FA den Kläger auf jeden Fall als Haftungsschuldner in Anspruch nehmen wollte, soweit er den Haftungstatbestand erfüllt. Daß das FA in seinen Erwägungen zum Auswahlermessen die Arbeitnehmer miteinbezogen hat, die bei der Pauschalierung der Lohnsteuer aber keine Steuerschuldner sind, macht die Ermessensentscheidung hinsichtlich der Haftung des Klägers nicht unbrauchbar. Denn das FA hat eine Inanspruchnahme der Arbeitnehmer auch unter Ermessensgesichtspunkten abgelehnt.

Das FG wird demnach auf der Grundlage der vorstehenden Rechtsausführungen lediglich zu prüfen haben, ob der Kläger den Haftungstatbestand des § 69 AO 1977 auch für die pauschalierte Lohnsteuer erfüllt.