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  BFH-Urteil vom 23.5.1990 (III R 44/87) BStBl. 1990 II S. 1037

Die sog. Beschäftigungszulage nach § 4b InvZulG 1982 ist auch dann zu gewähren, wenn ein Steuerpflichtiger in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1982 mit den Bauarbeiten ohne die erforderliche Baugenehmigung begonnen hat, sofern ihm diese Genehmigung nach Ablauf des Begünstigungszeitraumes erteilt worden ist (Fortführung der Rechtsprechung im Urteil vom 8. Februar 1980 III R 100/78, BFHE 130, 105, BStBl II 1980, 473, zu § 4b InvZulG 1975).

InvZulG 1982 § 4b.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt auf einem eigenen Grundstück eine Gaststätte mit Fremdenzimmern. Im Streitjahr (1982) verblendete sie, ohne zuvor eine Baugenehmigung beantragt zu haben, die Vorderfront des Gebäudes mit Klinkern.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte die von der Klägerin u.a. auch für diese Maßnahme gemäß § 4b des Investitionszulagengesetzes 1982 (InvZulG 1982) beantragte Investitionszulage ab. Das FA war - auch in der Einspruchsentscheidung - der Auffassung, die Verklinkerung sei keine begünstigte Investition, da es an der dafür notwendigen Baugenehmigung fehle. Die übrigen Aufwendungen überträfen nicht das anzusetzende Vergleichsvolumen.

Während des anschließenden Klageverfahrens beantragte die Klägerin für die Verblendung des Gebäudes eine Baugenehmigung. Nachdem diese erteilt und dem Finanzgericht (FG) vorgelegt worden war, gab dieses der Klage statt. Zur Begründung vertrat es die Auffassung, daß die Voraussetzungen des § 4b Abs. 2 InvZulG 1982 zwar formal nicht erfüllt seien, da der Antrag auf Baugenehmigung außerhalb des Begünstigungszeitraums gestellt worden sei. Andererseits enthalte § 4b InvZulG 1982 keine ausdrückliche Regelung darüber, wie zu verfahren sei, wenn zwar der Beginn der Bauarbeiten innerhalb des Begünstigungszeitraums liege, der Bauantrag aber erst nach dessen Ablauf gestellt werde. Stelle man auf den Sinn und Zweck der Beschäftigungszulage ab, müsse die Vorschrift jedoch dahin ergänzt werden, daß es in Fällen, in denen mit einer genehmigungspflichtigen Baumaßnahme innerhalb des Begünstigungszeitraumes tatsächlich begonnen werde, ausreiche, wenn durch nachträgliche Vorlage der Baugenehmigung der Nachweis erbracht werde, daß die Baumaßnahme nicht gegen materielles Baurecht verstoße.

Dagegen wendet sich das FA mit der vom FG zugelassenen Revision; es rügt die Verletzung materiellen Rechts. Es ist insbesondere der Auffassung, die Gewährung einer Investitionszulage sei im Streitfall wegen der Einheit der Rechtsordnung nicht möglich. Die Außenverblendung sei ohne Baugenehmigung vorgenommen worden und stelle mithin eine Verletzung des Baurechts dar.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat die Baumaßnahme zu Recht als begünstigte Investition im Sinne des § 4b InvZulG 1982 angesehen.

1. Die Gewährung einer Investitionszulage nach dieser Vorschrift setzt u.a. voraus, daß die betreffenden Wirtschaftsgüter nachweislich nach dem 31. Dezember 1981 und vor dem 1. Januar 1983 bestellt worden sind oder der Steuerpflichtige in diesem Zeitraum mit der Herstellung oder - wie im Streitfall - den nachträglichen Herstellungsarbeiten begonnen hat (§ 4b Abs. 2 Satz 2 InvZulG 1982). Nach Abs. 2 Satz 3 gilt bei Baumaßnahmen, zu deren Durchführung eine Baugenehmigung erforderlich ist, als Beginn der Herstellung der Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Baugenehmigung gestellt wird. Danach sind dem Gesetzeswortlaut nach baugenehmigungspflichtige Maßnahmen grundsätzlich nur dann zulagebegünstigt, wenn der Antrag auf Baugenehmigung innerhalb des Begünstigungszeitraumes gestellt worden ist.

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist nach Auffassung des erkennenden Senats jedoch dann geboten, wenn ein Steuerpflichtiger - wie im Streitfall - mit den genehmigungspflichtigen Arbeiten innerhalb des Begünstigungszeitraumes begonnen hat, der Antrag auf Baugenehmigung aber erst nach Ablauf dieses Zeitraumes gestellt und die Genehmigung anschließend auch tatsächlich erteilt worden ist. In einem solchen Fall ist gemäß der Grundsatzregelung in § 4b Abs. 2 Satz 2 InvZulG 1982 auf den tatsächlichen Beginn der Arbeiten abzustellen.

a) Der Senat schließt dies aus Sinn und Zweck des § 4b InvZulG 1982. Mit der Zulagengewährung nach dieser Vorschrift sollte eine Verstärkung der Investitionstätigkeit, der Investitionen und des Produktivitätsanstiegs in der ganzen Breite der volkswirtschaftlichen Angebotspalette bewirkt werden (BTDrucks 9/1488, S. 10 und BTDrucks 9/1500, S. 1).

Andererseits wollte der Gesetzgeber bereits getroffene Investitionsentschlüsse, die noch nicht zur Ausführung gekommen waren, nicht fördern. Eine dem § 4b Abs. 2 Satz 6 InvZulG 1975 entsprechende Vorschrift, wonach im Falle der Stellung eines Antrags auf Baugenehmigung vor dem 1. Januar 1982 auf den (tatsächlichen) Beginn der Bauarbeiten abzustellen gewesen wäre, wurde bewußt nicht in das Gesetz aufgenommen; es überwogen insoweit Bedenken wegen der zusätzlichen Belastung des Haushalts für das Jahr 1983 (siehe BTDrucks 9/1507, S. 8).

Es entspricht diesen Gesetzeszwecken, in Fällen, in denen eine notwendige Baugenehmigung noch nicht beantragt worden war, für die Bestimmung des Zeitpunkts des Herstellungsbeginns auf den im Begünstigungszeitraum gelegenen tatsächlichen Beginn der Bauarbeiten abzustellen. Denn mit dem Beginn der Bauarbeiten innerhalb des Begünstigungszeitraumes dokumentiert der Steuerpflichtige seine im Begünstigungszeitraum getroffene Investitionsentscheidung ebenso, als hätte er in diesem Zeitraum einen Antrag auf Baugenehmigung gestellt. Er trägt - bei materieller Baurechtsmäßigkeit (siehe hierzu näher unten Buchst. d) - sogar früher und intensiver zur Ankurbelung der Wirtschaft bei, als wenn er erst die Erteilung der Baugenehmigung abwarten müßte.

b) Hinzu kommt, daß § 4b Abs. 2 Satz 3 InvZulG 1982 - mit seiner Fiktion des Herstellungsbeginns - als Ausnahme vom Grundtatbestand des § 4b Abs. 2 Satz 2 InvZulG 1982 zu verstehen ist, wonach für die Gewährung der Zulage entscheidend ist, wann ein Wirtschaftsgut bestellt oder wann mit seiner Herstellung (tatsächlich) begonnen worden ist.

Der Sinn und Zweck dieser Ausnahmeregelung besteht nicht darin, mittels der Fiktion eines Herstellungsbeginns den tatsächlichen Beginn der Herstellungsarbeiten völlig zu vernachlässigen und den zulagerechtlichen Herstellungsbeginn von der Einhaltung formeller bauordnungsrechtlicher Regelungen abhängig zu machen. Sinn und Zweck von § 4b Abs. 2 Satz 3 InvZulG 1982 sind vielmehr vor folgendem Hintergrund zu sehen: Kann eine verstärkte, zusätzliche Investitionstätigkeit nur durch befristete Investitionszulagen angeregt werden (vgl. BTDrucks 9/1488, S. 10) und sollen Mitnahmeeffekte weitgehend ausgeschaltet werden (BTDrucks 9/1507, S. 8 f.; siehe auch List, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1983, 111, 113, und Söffing, Der Betrieb - DB - 1982, 871, 874), so muß der Gesetzgeber den Entschluß zur Investition in einem bestimmten Zeitraum wecken und seine Förderung von der Einhaltung dieses Zeitraumes abhängig machen. Wie alle inneren Tatsachen bedarf ein solcher Entschluß der Dokumentation, die der Gesetzgeber grundsätzlich im Zeitpunkt der Bestellung oder im Beginn der Herstellung gesehen hat (§ 4b Abs. 2 Satz 2 InvZulG 1982). Eine Ausnahme hielt er nur für solche Bauvorhaben für geboten, deren Durchführung einer Baugenehmigung bedurfte. Denn nur in diesen Fällen ist der Beginn der Herstellung nicht allein vom Willen des Investors, sondern auch von der kaum absehbaren Bearbeitungszeit der Baubehörde abhängig (siehe hierzu auch das Urteil des Senats vom 18. April 1990 III R 12/88, BFHE 160, 383, BStBl II 1990, 754). Dokumentiert der Investor seinen Investitionsentschluß aber dadurch, daß er - vor Stellung des Bauantrags - tatsächlich mit den Bauarbeiten beginnt, besteht für die nach dem gesetzlichen Zweck den Investor begünstigende Fiktion des § 4b Abs. 2 Satz 3 InvZulG 1982 kein Bedarf mehr. Ein Festhalten an ihr würde im Gegenteil den Investor - wie der Streitfall zeigt - benachteiligen.

c) Zu dem gleichen Ergebnis ist der Senat bereits in seinem zu § 4b InvZulG 1975 ergangenen Urteil vom 8. Februar 1980 III R 100/78 (BFHE 130, 105, BStBl II 1980, 473) gelangt. Er hatte seine Entscheidung damals zwar auch mit dem Hinweis auf § 4b Abs. 2 Satz 6 InvZulG 1975 begründet, wonach der tatsächliche Baubeginn - ausdrücklich - dann entscheidend war, wenn der Antrag auf Baugenehmigung vor Beginn des Begünstigungszeitraumes gestellt worden war.

Doch kann der Umstand, daß § 4b InvZulG 1982 eine entsprechende Regelung nicht kennt, jetzt nicht zu einer anderen Auslegung der im übrigen weitgehend identischen Vorschrift führen. Der Verzicht auf eine dem § 4b Abs. 2 Satz 6 InvZulG 1975 entsprechende Regelung hatte - wie oben dargestellt - in erster Linie den Zweck, sog. Mitnahmeeffekte auszuschließen; d.h., es sollten nur solche Steuerpflichtige gefördert werden, die ihre Investitionsentschlüsse innerhalb des Begünstigungszeitraums faßten und alsdann zügig verwirklichten. Gerade diesen Vorstellungen des Gesetzgebers entspricht aber die vom Senat zu § 4b InvZulG 1982 gefundene Auslegung.

Im übrigen nimmt auch das für die Zulagengewährung nach § 4b InvZulG 1982 maßgebende Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 16. Juni 1982 IV B 2-InvZ 1010 - 16/82 (BStBl I 1982, 569) unter Tz. 63 nur zu den Fällen Stellung, in denen der Antrag auf Baugenehmigung vor dem 1. Januar 1982 gestellt worden ist, und schließt insoweit eine Zulagengewährung - nach den obigen Ausführungen folgerichtig - aus. Zu Sachverhalten wie dem vorliegenden enthält das Schreiben - trotz des Senatsurteils in BFHE 130, 105, BStBl II 1980, 473 - keine Anweisungen an die nachgeordneten Behörden.

d) Entgegen der Auffassung des FA ist bei der vom Senat vorgenommenen Auslegung des § 4b Abs. 2 Sätze 2 und 3 InvZulG 1982 auch nicht die Einheit der Rechtsordnung verletzt. Denn Voraussetzung für eine Zulagengewährung in einem Fall wie dem vorliegenden ist, daß der Steuerpflichtige spätestens bis zum Ablauf der mündlichen Verhandlung vor dem FG den Nachweis erbringt, daß die Baumaßnahme, für deren Herstellung er die Zulage begehrt, dem materiellen Baurecht entspricht. Dies hat regelmäßig durch Vorlage der Baugenehmigung zu geschehen. Wie der Senat bereits im Urteil vom 8. Februar 1980 III R 104/78 (BFHE 130, 439, BStBl II 1980, 474) dargelegt hat, ist nur dann ein Verstoß gegen die Einheit der Rechtsordnung anzunehmen, wenn die genehmigungspflichtige Baumaßnahme entgegen den materiellen baurechtlichen Vorschriften ohne Baugenehmigung errichtet wird (siehe auch das Senatsurteil vom 21. Juli 1989 III R 89/85, BFHE 158, 280, BStBl II 1989, 906). Baumaßnahmen, die mit dem materiellen Baurecht übereinstimmen, aber - zunächst - ohne die notwendige Baugenehmigung durchgeführt werden (sog. formelle Illegalität), können hingegen grundsätzlich durch Gewährung einer Investitionszulage gefördert werden.

2. Unter Beachtung der vorstehenden Rechtsgrundsätze ist der Klägerin für die Verblendung der Gebäudefront eine Investitionszulage zu gewähren. Wie den nicht angegriffenen und damit den Senat bindenden Feststellungen der Vorinstanz (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) zu entnehmen ist, hat die Klägerin im Streitjahr mit der Verblendung der Außenfront des Gaststättengebäudes begonnen. Die materielle Rechtmäßigkeit dieser Baumaßnahme wies sie durch Vorlage der nachträglich beantragten und erteilten Baugenehmigung beim FG nach.