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  BFH-Urteil vom 26.9.1990 (II R 117/86) BStBl. 1990 II S. 1067

Im Falle eines gemeinschaftlichen Testaments findet § 15 Abs. 3 ErbStG 1974 keine Anwendung, wenn der zuletzt verstorbene Ehegatte testamentarisch berechtigt war, über den Nachlaß frei zu verfügen und durch eine letztwillige Verfügung die Erbfolge teilweise neu regelt.

ErbStG 1974 § 15 Abs. 3.

Vorinstanz: FG Nürnberg (EFG 1986, 571)

Sachverhalt

I.

Der 1980 verstorbene E X und seine 1984 verstorbene Ehefrau (Erblasserin) hatten durch gemeinschaftliches Testament i.S. des § 2269 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sich gegenseitig zu alleinigen Erben des gesamten Nachlasses eingesetzt. Als Schlußerbe wurde u.a. zu 1/4 die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) eingesetzt. Weiterhin hatten die Eheleute verfügt:

"Der Überlebende ist berechtigt, das Testament bezüglich der Erbeinsetzungen und der Vermächtnisanordnungen jederzeit zu ändern, jedoch ist im Fall einer Wiederverheiratung jegliches Vermächtnis und eine Erbfolge zugunsten eines neuen Ehepartners ausgeschlossen."

Nach dem Tode des Ehemannes errichtete die Erblasserin am 4. Oktober 1983 ein eigenhändiges Testament, das u.a. wie folgt lautete:

"Aufgrund der Ermächtigung meines verstorbenen Mannes ändere ich dieses Testament wie folgt ab: Erben meines Vermögens sind: 1. zu 5/20 wie bisher Frau G X .." (Klägerin).

Anstelle eines bereits verstorbenen Schlußerben setzte die Erblasserin andere Personen ein, minderte den Erbanteil des dritten Geschwisters ihres verstorbenen Ehemannes um die Hälfte und wendete die frei werdende Hälfte einer anderen Person zu.

Die Klägerin beantragte als Schwester des vorverstorbenen E X, die Erbschaftsteuer gemäß § 15 Abs. 3 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) 1974 nach Steuerklasse III zu berechnen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) sah in dem Testament vom 4. Oktober 1983 eine neue Erbeinsetzung und setzte Erbschaftsteuer unter Anwendung der Steuerklasse IV in dem Erbschaftsteuerbescheid vom 1. August 1984 in Höhe von 49.530 DM fest. Das Einspruchsverfahren führte zu einer Minderung der Erbschaftsteuer auf 44.150 DM.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und setzte die Erbschaftsteuer unter Anwendung des § 15 Abs. 3 ErbStG 1974 auf 25.041 DM herab.

Das FA legte Revision ein.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist begründet und führt zur Aufhebung des FG-Urteils und Abweisung der Klage.

Haben sich Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Erben eingesetzt und bestimmt, daß nach dem Tod des Überlebenden der Nachlaß an einen Dritten fallen soll (Berliner Testament), so ist bürgerlich-rechtlich im Zweifel anzunehmen, daß der Dritte für den gesamten Nachlaß als Erbe des Zuletztversterbenden eingesetzt ist (§ 2269 Abs. 1 BGB). Erbschaftsteuerrechtlich sind nach § 15 Abs. 3 ErbStG 1974 (und auch schon der Vorgängervorschrift § 10 Abs. 3 ErbStG 1959) die mit dem zuerst versterbenden Ehegatten näher verwandten Erben (und Vermächtnisnehmer) als dessen Erben anzusehen, soweit der überlebende Ehegatte an die Verfügungen des gemeinschaftlichen Testaments gebunden und soweit Vermögen des zuerst verstorbenen Ehegatten beim Tod des überlebenden Ehegatten noch vorhanden ist. Diese Vorschrift beruht auf der Überlegung, daß es unbillig ist, allein auf das Verwandtschaftsverhältnis zu dem zuletzt versterbenden Ehegatten abzustellen, soweit das dem Schlußerben anfallende Vermögen von dem zuerst verstorbenen Ehegatten stammt und der Erbe aufgrund seines Verwandtschaftsverhältnisses zu diesem Ehegatten in eine günstigere Steuerklasse fällt (vgl. BTDrucks VI/3418, S. 69 zu § 15); denn beim gemeinschaftlichen Testament mit Bindung des zuletzt versterbenden Ehegatten erwirbt der Schlußerbe nach dem Tod des zuletzt versterbenden Ehegatten die Erbschaft aufgrund des Willens beider Ehegatten. Aus dem Sinn und Zweck dieser Regelung hat der Senat in seiner Entscheidung vom 16. September 1982 II R 20/81 (BFHE 136, 552, BStBl II 1983, 44) gefolgert, daß die Anwendung des § 15 Abs. 3 ErbStG 1974 nicht ausgeschlossen ist, wenn dem überlebenden Ehegatten das Recht eingeräumt wurde, nach dem Tod des zuerst Versterbenden anderweitig zu testieren, wenn er von dieser Möglichkeit aber keinen Gebraucht gemacht hat. Denn auch in diesem Fall ist die Rechtsgrundlage für die Erbschaft des Schlußerben der in dem gemeinschaftlichen Testament niedergelegte Wille beider Ehegatten.

Im vorliegenden Fall bildet das gemeinschaftliche Testament der Erblasserin und ihres verstorbenen Ehemannes nicht die Rechtsgrundlage für den Erwerb der Klägerin. Die Erblasserin hat von ihrem Recht, anderweitig zu testieren, Gebrauch gemacht und in ihrem eigenhändigen Testament vom 4. Oktober 1983 das gemeinschaftliche Testament abgeändert. Soweit sie dabei die Klägerin zu 5/20 als Erbin eingesetzt hat, entspricht diese Erbeinsetzung nach Person und Quote zwar der die Klägerin betreffenden Bestimmung im gemeinschaftlichen Testament. Die Erbeinsetzung mag auch durch das gemeinschaftliche Testament motiviert gewesen sein, sie beruht jedoch auf einer eigenständigen Entschließung der Erblasserin, von der ihr eingeräumten Befugnis zur Änderung Gebrauch zu machen und insoweit dieselbe Regelung zu treffen. Damit ist die Klägerin nicht aufgrund gemeinschaftlichen Testaments, sondern aufgrund Einzeltestaments der Erblasserin Erbin geworden, so daß § 15 Abs. 3 ErbStG 1974 nicht angewendet werden kann.