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  BFH-Urteil vom 19.6.1991 (IX R 134/86) BStBl. 1991 II S. 904

Eine wechselseitige Vermietung kann Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts i.S. von § 42 AO 1977 sein.

AO 1977 § 42; EStG § 21.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erwarb aufgrund Kaufvertrags vom 4. Februar 1982 eine Dreizimmer-Eigentumswohnung in L. Er schloß mit seinem Arbeitskollegen H., der am selben Tage eine gleichgroße Eigentumswohnung in derselben Wohnanlage gekauft hatte, wechselseitige Mietverträge ab: Er vermietete mit Mietvertrag vom 2. Juni 1982 seine Eigentumswohnung an H. für die Zeit vom 1. Juli 1982 bis 30. April 1986 gegen eine Grundmiete von monatlich 516 DM zuzüglich 150 DM Betriebskostenvorauszahlungen. H. zahlte den vereinbarten Mietzins. Er hielt sich jedoch nur gelegentlich in der Wohnung des Klägers, die keine eingerichtete Küche besaß, auf und stellte dort persönliche Habe unter.

H. wohnte während des Streitjahres 1982 in B. H. vermietete mit Mietvertrag vom 16. Juni 1982 zwei Zimmer seiner Eigentumswohnung an den Kläger ebenfalls für die Zeit vom 1. Juli 1982 bis 30. April 1986 zu einer Grundmiete von monatlich 408 DM zuzüglich 150 DM Betriebskostenvorauszahlungen. Das dritte Zimmer vermietete er mit Mietvertrag vom selben Tage an den gemeinsamen Arbeitskollegen M. für eine Grundmiete von 108 DM. Der Kläger nutzte die von H. gemieteten zwei Zimmer nur gelegentlich, und zwar im wesentlichen nur das Arbeitszimmer. Er wohnte im Streitjahr zusammen mit einer Studentin in einer dem M. gehörenden Eigentumswohnung in B.

Der Kläger erklärte in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr aufgrund seiner Eigentumswohnung einen Werbungskostenüberschuß aus Vermietung und Verpachtung von 30.653 DM. In einer Anlage zur Einkommensteuererklärung für das Vorjahr hatte er zu der Anschaffung der Eigentumswohnung angegeben, er habe seit Anfang 1981 aus Spekulationsgründen eine Eigentumswohnung gesucht.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ermittelte den Nutzungswert der Eigentumswohnung des Klägers ab 1. August 1982 nach § 21a des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit 0 DM. Er ließ zuvor angefallene Aufwendungen von 21.058 DM als vorabentstandene Werbungskosten zum Abzug zu.

Das Finanzgericht (FG) erkannte den vom Kläger geltend gemachten Werbungskostenüberschuß aus Vermietung und Verpachtung an. Der Mietvertrag des Klägers mit H. sei bürgerlich-rechtlich wirksam zustande gekommen und auch tatsächlich durchgeführt worden. Es handele sich dabei weder um ein Scheingeschäft i.S. von § 117 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), noch um ein Umgehungsgeschäft i.S. von § 42 der Abgabenordnung (AO 1977). Es müsse dem Kläger überlassen bleiben zu entscheiden, ob er seine Eigentumswohnung selbst nutzen oder vermieten wolle, auch wenn er diese Wahl allein aufgrund steuerlicher Erwägungen getroffen habe. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Das FA rügt mit seiner vom FG zugelassenen Revision Verletzung des § 42 AO 1977 sowie der §§ 21 und 21a EStG.

Das FA beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Entscheidung in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das angefochtene Urteil war aufzuheben, weil es § 42 AO 1977 verletzt. Die Auffassung des FG, die Vermietung der Eigentumswohnung des Klägers an H. sei nicht als Gestaltungsmißbrauch zu beurteilen, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

Es kann für die Entscheidung des Rechtsstreits dahinstehen, ob der Mietvertrag des Klägers mit H. vom 2. Juni 1982 als ein Scheingeschäft i.S. von § 117 Abs. 1 BGB zu beurteilen ist, das nach § 41 Abs. 2 AO 1977 für die Besteuerung unbeachtlich wäre.

Der erkennende Senat braucht auch nicht darüber zu entscheiden, ob die einkommensteuerrechtliche Anerkennung des Mietverhältnisses bereits an dessen fehlender tatsächlicher Durchführung scheitert, die im Hinblick auf gleichgerichtete Interessen des Klägers und seines Arbeitskollegen H. erforderlich gewesen sein könnte, oder ob der Überschuß der Aufwendungen nach den Grundsätzen der "Liebhaberei" außer Ansatz zu lassen ist.

Das wechselseitige Mietverhältnis des Klägers mit H. kann jedenfalls als Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts nach § 42 AO 1977 nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden.

Nach dieser Vorschrift kann das Steuergesetz durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts nicht umgangen werden. Ein solcher Mißbrauch liegt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) dann vor, wenn eine Gestaltung gewählt wird, die gemessen an dem angestrebten Ziel unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (Urteile vom 31. Juli 1984 IX R 3/79, BFHE 142, 347, BStBl II 1985, 33; vom 23. Februar 1988 IX R 157/84, BFHE 152, 496, BStBl II 1988, 604). Liegt ein Mißbrauch vor, so entsteht nach § 42 Satz 2 AO 1977 der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.

Dem FG ist zwar darin zuzustimmen, daß es grundsätzlich der Entscheidung eines Steuerpflichtigen überlassen bleiben muß, ob er seine Eigentumswohnung als eigene Wohnung nutzt oder sie vermietet. Jedoch ist die vom Kläger gewählte wechselseitige Vermietung dem vorliegenden wirtschaftlichen Vorgang nicht angemessen. Die bürgerlich-rechtlichen Vertragsbeziehungen des Klägers mit H. waren nicht durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe zu rechtfertigen. Sie bildeten lediglich eine rein formale Anknüpfung zum Zweck der Minderung der Einkommensteuerbelastung des Klägers und auch von H.

Ein verständiger Eigentümer hätte nicht seine Eigentumswohnung vermietet und zugleich von seinem Mieter dessen gleichartige Eigentumswohnung in derselben Wohnanlage angemietet, um sich in den Mieträumen nur selten aufzuhalten. Er wohnte nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG zusammen mit einer Studentin in B. H. verfuhr gleichermaßen mit der Eigentumswohnung, die er vom Kläger gemietet hatte. Er wohnte nicht in der Eigentumswohnung des Klägers in L., sondern in B. H. war in die Wohnung des Klägers tatsächlich nicht eingezogen. Sie war nicht als Wohnung nutzbar, da sie nach den tatsächlichen Feststellungen des FG nicht mit einer Küche ausgestattet war. Infolge der gleichzeitigen Anmietung zahlte der Kläger zudem den von H. empfangenen Mietzins an diesen zum ganz überwiegenden Teil wieder zurück, ohne die Eigentumswohnung des H. wie üblich zu nutzen. Dies alles ist vor dem Hintergrund der vom Kläger geäußerten Spekulationsabsicht zu beurteilen.

Der einzige Sinn der wechselseitigen Vermietung der Eigentumswohnungen des Klägers und seines Arbeitskollegen H. bestand darin, gegenüber dem FA den Tatbestand der Vermietung und Verpachtung nach § 21 Abs. 1 EStG zu verwirklichen und Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung durch Gegenüberstellung von Einnahmen und Werbungskosten zu ermitteln, um auf diese Weise die hohen Schuldzinsen und sonstigen Belastungen als Werbungskosten geltend machen zu können. Die Gesamtumstände des Streitfalls rechtfertigen es - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht, dem Umstand, daß der Kläger nur zwei Räume angemietet hat, eine entscheidungserhebliche Bedeutung zuzumessen.

Der Streitfall bietet keinen Anlaß zu entscheiden, ob die Annahme eines Gestaltungsmißbrauchs auch eine darauf gerichtete Absicht der Vertragsparteien voraussetzt. Denn die wechselseitige Vermietung indiziert bei Berücksichtigung der Gesamtumstände des Streitfalls eine Umgehungsabsicht (ebenso zur Vermietung einer Eigentumswohnung an ein unterhaltsberechtigtes studierendes Kind zu einem aus dem Barunterhalt zu bestreitenden Mietzins: BFH-Urteil in BFHE 152, 496, BStBl II 1988, 604). Die Umgehungsabsicht wird zusätzlich durch die Angabe des Klägers in seiner Einkommensteuererklärung 1981 belegt, er habe die Eigentumswohnung in spekulativer Absicht in Erwartung einer Wertsteigerung angeschafft.

Der Einkommensbesteuerung des Klägers ist nach § 42 Satz 2 AO 1977 der tatsächliche wirtschaftliche Vorgang ohne die unangemessene Gestaltung durch das Mietverhältnis mit H. zugrunde zu legen. Dies führt dazu, daß der Kläger sich so behandeln lassen muß, als hätte er seine Eigentumswohnung im Streitjahr nicht vermietet. Infolgedessen hat er den Tatbestand des § 21 Abs. 1 EStG nicht verwirklicht. Die Eigentumswohnung war auch für den Kläger selbst schon mangels einer Küche nicht i.S. von § 21 Abs. 2 Alternative 1 EStG nutzbar (vgl. zu den Voraussetzungen für den Ansatz des Nutzungswerts einer Wohnung nach § 21 Abs. 2 Alternative 1 EStG: BFH-Urteile vom 7. April 1987 IX R 133-135/84, BFHE 150, 12, BStBl II 1987, 565, und vom selben Tage IX R 140/84, BFHE 150, 16, BStBl II 1987, 567). Da der Kläger somit keinen der Tatbestände des § 21 EStG erfüllt hat, sind bei seiner Einkommensbesteuerung weder Mieteinnahmen noch Werbungskosten anzusetzen.

Das FA ist ab 1. August 1982 zahlenmäßig zu dem gleichen Ergebnis gelangt, indem es von diesem Zeitpunkt an die Einkünfte des Klägers aus seiner Eigentumswohnung mit 0 DM berechnet hat. Über die Rechtmäßigkeit der dem Kläger vom FA zuerkannten vorabentstandenen Werbungskosten von 21.058 DM brauchte der Senat wegen der ihm verwehrten Verböserung nicht zu entscheiden.

Die Sache ist spruchreif. Nach den vorstehenden Ausführungen war die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils in vollem Umfang abzuweisen.