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  BFH-Urteil vom 22.8.1990 (I R 69/89) BStBl. 1991 II S. 38

1. Der Gläubigerbegriff i.S. des § 44c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG dient dazu, den Schuldner der Kapitalertragsteuer zu umschreiben. Er ist in einem steuerrechtlichen und nicht in einem zivilrechtlichen Sinne zu verstehen.

2. Bestellt ein typisch stiller Gesellschafter unentgeltlich einen Nießbrauch an seiner typischen stillen Beteiligung, so sind die Einnahmen aus der Beteiligung an dem Handelsgewerbe (§§ 230 ff. HGB n.F.) einkommensteuerrechtlich weiterhin dem stillen Gesellschafter zuzurechnen; dieser "erzielt" die Einkünfte aus der stillen Beteiligung (§ 2 Abs. 1 EStG).

3. Der stille Gesellschafter ist in diesem Fall Gläubiger der Kapitalerträge i.S. des § 44 Abs. 1 Satz 1 EStG.

EStG § 2 Abs. 1, § 20, § 44 Abs. 1, § 44c Abs. 1; HGB n.F. §§ 230 ff.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist als eingetragener Verein eine inländische Körperschaft i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1977. Durch Vertrag vom 19. April 1977 bestellte A mit Wirkung ab dem 1. Januar 1977 zugunsten des Klägers den unentgeltlichen Nießbrauch an seiner Beteiligung als typischer stiller Gesellschafter an der A-GmbH. Die typische stille Beteiligung ging zurück auf einen Vertrag, den A und die A-GmbH ebenfalls mit Wirkung ab dem 1. Januar 1977 geschlossen hatten. In dem Nießbrauchsbestellungsvertrag gingen A und der Kläger davon aus, daß die Einnahmen aus der Beteiligung i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) von dem Kläger erzielt würden. Der Vertrag enthält eine Steuerklausel, wonach er von Anfang an unwirksam ist, wenn die Finanzverwaltung feststellen sollte, daß die Einnahmen aus der Beteiligung von A erzielt werden.

Für die Geschäftsjahre 1977 bis 1979 zahlte die A-GmbH als Gewinnanteile aus der stillen Beteiligung insgesamt 45.000 DM unmittelbar an den Kläger. Davon behielt sie Kapitalertragsteuer in Höhe von 25 v.H. = 11.250 DM ein und führte sie an das zuständige Finanzamt (FA) ab.

Am 23. Oktober 1980 beantragte der Kläger beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Bundesamt für Finanzen - BfF -), ihm die einbehaltene Kapitalertragsteuer in Höhe von 11.250 DM gemäß § 44c Abs. 1 EStG zu erstatten. Dies lehnte das BfF durch Bescheid vom 26. März 1981 ab. Gläubiger der Kapitalerträge sei A. Außerdem sei der Antrag verspätet gestellt worden, soweit er die Erstattung von Kapitalertragsteuer betreffe, die auf den Gewinnanteil für das Jahr 1977 entfalle. Der Einspruch und die Klage blieben erfolglos.

Mit seiner vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung der §§ 2 Abs. 1, 20 Abs. 1 Nr. 4 und 44 ff. EStG.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Finanzgerichts (FG) Köln vom 24. August 1988 6 K 288/81 aufzuheben und das BfF zu verpflichten, den Ablehnungsbescheid vom 26. März 1981 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. Juli 1981 zu ändern und dem Antrag des Klägers vom 23. Oktober 1980 auf Erstattung der Kapitalertragsteuer stattzugeben.

Das BfF beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Gemäß § 44c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ist auf Antrag des Gläubigers die einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer zu erstatten, wenn der Gläubiger eine inländische Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG 1977 ist. Die Vorschrift verwendet den Begriff "Gläubiger" i.S. von "Gläubiger der Kapitalerträge". Der Begriff ist insoweit der gleiche wie der in § 43 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b aa und Buchst. c, Abs. 2 und 4, in § 43a Abs. 1 Nrn. 1, 2, 3 und 5, in § 44 Abs. 1, 2, 4 und 5, in § 44a Abs. 1, 2, 4 und 5 und in § 44b Abs. 1 bis 5 EStG verwendete. Er dient dazu, den Schuldner der Kapitalertragsteuer zu umschreiben (§ 44 Abs. 1 Satz 1 EStG). Insoweit hat er die gleiche Funktion wie der Arbeitnehmerbegriff im Lohnsteuerabzugsverfahren (§ 38 Abs. 2 Satz 1, § 42d Abs. 3 EStG) und der Begriff des "beschränkt steuerpflichtigen Gläubigers" i.S. des § 50a Abs. 5 Sätze 1, 4 und 6 EStG. Alle genannten Vorschriften gehören zu denjenigen, die die Erhebung der Einkommensteuer, der Lohnsteuer und der Kapitalertragsteuer im VI. Teil des EStG regeln. Ihnen stehen die Vorschriften des I. und II. Teils des EStG gegenüber, die das Einkommensteuerschuldverhältnis nach seinen persönlichen und sachlichen Voraussetzungen regeln. Die Verwendung des Gläubigerbegriffes in den Vorschriften des VI. Teils des EStG dient dem Zweck, die Person zu umschreiben, die den maßgeblichen Besteuerungstatbestand i.S. des I. und II. Teils des EStG verwirklicht hat und deshalb der Steuerschuldner ist. § 44c Abs. 1 Satz 1 EStG nimmt insoweit auf §§ 2 Abs. 1 und 20 EStG Bezug. Entsprechend ist der Gläubigerbegriff nicht in einem zivilrechtlichen, sondern in einem steuerrechtlichen Sinne zu verstehen. Es kommt nicht darauf an, wer zivilrechtlich (z.B. auf Grund einer Abtretung gemäß § 398 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB - oder auf Grund einer Nießbrauchsbestellung gemäß § 1068 BGB) Gläubiger der Kapitalerträge ist, sondern darauf, wer sie im steuerrechtlichen Sinne erzielt (§ 2 Abs. 1 EStG) und zu wessen Lasten deshalb die Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt wurde.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH (vgl. Großer Senat, Beschluß vom 29. November 1982 GrS 1/81, BFHE 137, 433, 438, BStBl II 1983, 272, 274; Urteile vom 9. März 1982 VIII R 160/81, BFHE 136, 72, BStBl II 1982, 540; vom 18. Dezember 1986 I R 52/83, BFHE 149, 440, 445, BStBl II 1988, 521, 524; vom 24. April 1990 VIII R 170/83, BFHE 160, 256, BStBl II 1990, 539) erzielt Einnahmen aus Kapitalvermögen derjenige, der das Kapitalvermögen gegen Entgelt zur Nutzung überläßt. Dies ist derjenige, der die rechtliche und tatsächliche Macht hat, das in § 20 Abs. 1 Nrn. 1 bis 7 EStG genannte Kapitalvermögen entgeltlich auf Zeit zur Nutzung zu überlassen (ähnlich für die in § 21 Abs. 1 EStG genannten Wirtschaftsgüter: BFH-Urteile vom 15. April 1986 IX R 52/83, BFHE 146, 415, 417, BStBl II 1986, 605; vom 7. Oktober 1986 IX R 167/83, BFHE 148, 501, 505, BStBl II 1987, 322). Dem entspricht die in § 24 Nr. 2 EStG enthaltene Regelung. Danach liegen den Einkünften i.S. des § 2 Abs. 1 Nrn. 5 bis 7 EStG Rechtsverhältnisse zugrunde. Bezogen auf die Einkünfte i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 5 EStG ist das Rechtsverhältnis maßgebend, auf dem die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung beruht. In den Fällen des § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist dies die Beteiligung als stiller Gesellschafter als solche. Unmaßgeblich ist dagegen, ob der stille Gesellschafter seinen zivilrechtlichen Anspruch auf den Gewinnanteil durch Abtretung oder in sonstiger Weise auf eine andere Person übertragen hat. Im Sinne von § 2 Abs. 1 EStG erzielt deshalb der stille Gesellschafter stets selbst die Einnahmen aus der Beteiligung an einem Handelsgewerbe gemäß §§ 230 ff. des Handelsgesetzbuches (HGB) n.F. Er ist insoweit Gläubiger der Kapitalerträge i.S. des § 44c Abs. 1 Satz 1 EStG.

3. Für den Streitfall folgt aus der Nießbrauchsbestellung zugunsten des Klägers an der Beteiligung des A als stiller Gesellschafter der A-GmbH nichts anderes. Dazu kann dahinstehen, wie die Nießbrauchsbestellung zivilrechtlich zu verstehen ist. Sollte der Nießbrauch sich nur auf die Gewinnanteile des A als stiller Gesellschafter beziehen, so wäre das BFH-Urteil vom 14. Dezember 1976 VIII R 146/73 (BFHE 121, 53, BStBl II 1977, 115) einschlägig. Der Kläger wäre dann schon zivilrechtlich nicht die Person, die Kapital zur Nutzung überläßt. Er würde nur die Kapitalerträge beziehen wie jemand, an den der entsprechende Anspruch abgetreten wurde. Ob der Nießbrauch auch als ein solcher an dem Gewinnstammrecht als dem Inbegriff aller aus der Beteiligung fließender Gewinnansprüche verstanden werden kann (vgl. dazu BFH-Urteil vom 13. Mai 1976 IV R 83/75, BFHE 119, 63, BStBl II 1976, 592), ist im Hinblick auf § 717 BGB schon zivilrechtlich umstritten (vgl. Zutt in: Großkommentar zum Handelsgesetzbuch, 4. Aufl., § 230 Rdnr. 97; Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 12. Dezember 1974 II ZR 166/72, Betriebs-Berater - BB - 1975, 295). Ebenso umstritten ist, ob der Nießbrauch in dem Sinne am ganzen Anteil bestellt werden kann, daß die Mitgliedschaft zwischen Nießbraucher und Besteller aufgespalten wird (vgl. Münchner Kommentar/Ulmer, Bürgerliches Gesetzbuch, § 705 Rdnr. 84 m.w.N.). Selbst wenn man jedoch zugunsten des Klägers von einer entsprechenden, zivilrechtlich wirksamen Nießbrauchsbestellung ausgeht, so wären nur die laufenden Verwaltungsbefugnisse auf den Kläger als den Nießbraucher übergegangen. Die Nießbrauchsbestellung würde die Stellung des A als stiller Gesellschafter der A-GmbH und damit als desjenigen, der die Vermögenseinlage bewirkt und das sie zu verkörpernde Kapital zur Nutzung überläßt, nicht berühren. A bliebe derjenige, der i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG rechtlich und tatsächlich Kapitalvermögen zur Nutzung überließ. Da es steuerrechtlich nur darauf ankommt, ändert die Nießbrauchsbestellung nichts daran, daß A Gläubiger der Kapitalerträge i.S. des § 44c Abs. 1 Satz 1 EStG bleibt. Dies schließt einen Erstattungsanspruch des Klägers aus Rechtsgründen aus.

4. Auch § 20 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 EStG steht der getroffenen Entscheidung nicht entgegen. Die Vorschrift regelt nur die Rechtsfolgen, die sich ergeben, wenn Einnahmen dem Nießbraucher zuzurechnen sind. Sie betrifft jedoch nicht die Voraussetzungen, unter denen eine entsprechende Zurechnung vorzunehmen ist.

5. Soweit der Kläger die Erstattung der Kapitalertragsteuer aus Billigkeitsgründen entsprechend dem Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 21. Juli 1978 IV B 4 - S 2252 - 112/78 (BStBl I 1978, 315) begehrt, kann über das Begehren in dem anhängigen Verfahren nicht entschieden werden. Seit Inkrafttreten der Abgabenordnung (AO 1977) ist die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme Gegenstand eines besonderen Verwaltungsaktes, der zwar mit der Steuerfestsetzung äußerlich verbunden werden kann, der jedoch gesondert anzufechten ist. Das Rechtsbehelfsverfahren ist insoweit zweigleisig (vgl. BFH-Urteile vom 21. Dezember 1977 I R 247/74, BFHE 124, 199, BStBl II 1978, 305; vom 28. Februar 1980 IV R 19/78, BFHE 130, 244, BStBl II 1980, 528; vom 28. November 1980 VI R 226/77, BFHE 132, 264, BStBl II 1981, 319; vom 20. November 1987 VI R 140/84, BFHE 152, 310, BStBl II 1988, 402; vom 13. April 1989 IV R 196/85, BFHE 156, 489, BStBl II 1989, 614). Gegen die Steuerfestsetzung ist nur der Einspruch (§ 348 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977) und gegen die die Billigkeitsmaßnahme ablehnende Entscheidung nur die Beschwerde (§ 349 i.V.m. § 348 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977) gegeben. Das im Streitfall anhängige Verfahren betrifft ausschließlich das durch den Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 26. März 1981 eingeleitete Rechtsbehelfsverfahren. In ihm kann deshalb nur die Erstattung der Kapitalertragsteuer aus Rechtsgründen überprüft werden.

6. Das FG hat daher die Klage des Klägers im Ergebnis zutreffend abgewiesen. Die Vorentscheidung verletzt insoweit kein Bundesrecht. Die Revision ist unbegründet.