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  BFH-Urteil vom 31.10.1990 (II R 45/88) BStBl. 1991 II S. 102

1. Ergeht während eines Klageverfahrens ein die Hauptsache dieses Verfahrens materiell erledigender Änderungsbescheid, der mit Einspruch angefochten wird, so kann das FG nicht deshalb, weil der Kläger auf Aufforderung des Berichterstatters Ausführungen zu Rechtsbehauptungen macht, die vom Kläger im Einspruchsverfahren vorgetragen werden, dieses Verhalten als Antrag nach § 68 FGO würdigen.

2. § 68 FGO ist nicht mehr anwendbar, wenn ein die Hauptsache des Klageverfahrens materiell erledigender Änderungsbescheid ergeht.

FGO § 68.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

Dem Kläger, dem ein im Grundbuch eingetragenes Vorkaufsrecht an einem von ihm gepachteten Ackergrundstück zustand, übte nach Verkauf des Grundstücks durch den Eigentümer an einen Dritten (Kaufvertrag vom 25. November 1977) fristgemäß sein Vorkaufsrecht aus. Entsprechend den Bestimmungen des Kaufvertrages zwischen Eigentümer und Drittem veranlaßte er eine Bank, sich zur jederzeitigen kurzfristigen Bezahlung des Kaufpreises zu verpflichten. Die Auflassung des Ackergrundstücks an den Kläger erfolgte erst im August 1982, nachdem er in einem von dem Dritten angestrengten Prozeß obgesiegt hatte.

Der Kläger begehrte Berücksichtigung des auf das Ackergrundstück gerichteten Sachleistungsanspruchs als sonstiges Vermögen sowie des Kaufpreises und der Maklergebühr als Schuldposten. Das Finanzamt (FA) lehnte dieses Begehren in dem unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Vermögensteuerbescheid auf den 1. Januar 1980 vom 26. Oktober 1981 ab.

Den Einspruch hat der Kläger zunächst nicht begründet. In einem Schreiben vom 18. März 1983 erinnerte das FA an die Einreichung der Einspruchsbegründung und wies den Kläger gleichzeitig auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung hin. Es kündigte an, ein bislang nicht berücksichtigtes Nießbrauchsrecht an dem inländischen Grundbesitz der Schwester des Klägers als sonstiges Vermögen anzusetzen. Hiergegen brachte der Kläger mit Schreiben vom 29. August 1983 vor, der Ansatz eines solchen Rechtes sei nicht gerechtfertigt, weil sein Vater seiner Schwester den Grundbesitz nur mit der Bestimmung überlassen habe, daß der Besitz durch ihn, den Kläger, gegen eine Vergütung von 5 v.H. des Nettoertrags betreut werde. Mit Schreiben vom 13. März 1984 erwiderte das FA darauf, die Schwester des Klägers habe in ihrer Vermögensteuererklärung eine Nießbrauchslast in Höhe von 280.102 DM geltend gemacht; dementsprechend sei beim Kläger ein Nießbrauchsrecht in gleicher Höhe zu berücksichtigen. Im übrigen wies es den Kläger darauf hin, daß ein bisher mit einem Drittel des Einheitswerts berücksichtigtes Wohngrundstück mit dem vollen Einheitswert anzusetzen sei, weil der Kläger mit Vertrag vom 28. September 1978 die restlichen Anteile an diesem Grundstück erworben habe.

Der Kläger nahm hierzu nicht Stellung. Am 3. Mai 1984 erließ das FA einen nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Vermögensteuerbescheid, in dem es das Nießbrauchsrecht und - wie weiter angekündigt - das Wohngrundstück mit dem vollen Einheitswert ansetzte.

Mit Entscheidung vom 7. September 1984 wies das FA den Einspruch des Klägers gegen den Vermögensteuerbescheid vom "26. Okt. 1981/3. Mai 1984" als unbegründet zurück.

Am 11. Oktober 1984 hat der Kläger Klage erhoben. Im Klagebegründungsschriftsatz vom 10. Januar 1985 hat er den Ansatz des Werts des Nießbrauchsrechts und die volle Erfassung des Einheitswertes des Wohngrundstückes beanstandet und beantragt, "die beiden vorgenannten Veranlagungsfehler zu beheben".

Das FA hat dem mit der Klage geltend gemachten Begehren durch nach § 164 Abs. 2 AO 1977 geänderten Vermögensteuerbescheid vom 12. Dezember 1985 abgeholfen. Dem Finanzgericht (FG) gegenüber hat das FA daraufhin die Hauptsache für erledigt erklärt. Auf entsprechende Anfrage des FG hat der Kläger diesem gegenüber erklärt, er stehe noch in Verhandlungen mit dem FA.

Gegen den Änderungsbescheid vom 12. Dezember 1985 hat der Kläger fristgerecht "vorsorglich" Klage erhoben. Das FG hat diese Klage unter einem neuen Aktenzeichen registriert und mangels Zustimmung des FA zur Sprungklage als Einspruch behandelt. Der Vorsitzende des Senats des FG hat den Kläger hiervon mit Verfügung vom 22. Juli 1986 in Kenntnis gesetzt und ihn darauf hingewiesen, er könne das Einspruchsverfahren gegen den geänderten Vermögensteuerbescheid vom 12. Dezember 1985 weiter betreiben oder aber den Änderungsbescheid zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens erklären. Der Kläger hat daraufhin mit Schriftsatz vom 4. August 1986 geantwortet, er verhandle außergerichtlich mit dem FA und bitte um Fristverlängerung bis 31. Januar 1987.

Mit Verfügung vom 7. August 1987 hat der Berichterstatter des FG den Kläger aufgefordert darzulegen, wann er das Vorkaufsrecht ausgeübt habe und wie der Rechtsstreit mit dem ursprünglichen Käufer des Grundstücks verlaufen sei. Der Kläger hat die erbetenen Angaben mit Schriftsatz vom 12. September 1987 gemacht und die angeforderten Unterlagen vorgelegt. Nach Ladung zur mündlichen Verhandlung zum 18. Dezember 1987 ging beim FG zu dem Aktenzeichen 3 K 338/84 am 16. Dezember 1987 ein Schriftsatz des Klägers ein, dessen Eingangssatz wie folgt lautet:

"Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist die Frage, wie das Vermögen des Unterzeichneten in Bezug auf den nachstehend beschriebenen Grundstückserwerb zum 1.1.1980 zu bewerten ist."

In der mündlichen Verhandlung beantragte der Kläger, den Anspruch auf Grundstücksübertragung mit 140 v.H. des Einheitswerts anzusetzen und den Kaufpreis in Höhe von 404.811 DM zuzüglich einer Maklergebühr in Höhe von 13.480 DM als Schuldposten abzuziehen.

Das FG hat diesem Begehren dadurch stattgegeben, daß es das FA unter teilweiser Aufhebung des geänderten Vermögensteuerbescheids vom 12. Dezember 1985 verpflichtete, im Ergebnis diesem Begehren Folge zu leisten. Zur Zulässigkeit der Klage hat das FG ausgeführt, der Kläger habe zwar auf die Verfügung des Vorsitzenden in dem Verfahren X hin nicht ausdrücklich erklärt, er mache durch Antrag nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) den Änderungsbescheid vom 12. Dezember 1985 zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Einen derartigen Antrag habe er jedoch sinngemäß gestellt, weil er seinen Sachvortrag in dem Verfahren X im vorliegenden Verfahren wiederholt habe und schließlich mit Schriftsatz vom 16. Dezember 1987 ausdrücklich erklärt habe, Gegenstand des Rechtsstreits sei die Frage der vermögensteuerrechtlichen Auswirkungen des Grundstücksgeschäfts bezüglich des Ackergrundstücks. Da das FA dem ursprünglichen Begehren mit dem Änderungsbescheid vom 12. Dezember 1985 abgeholfen hatte, habe sich das Klagebegehren nur gegen diesen Bescheid richten können, wobei der Kläger auch seinen Klageantrag angepaßt habe.

Mit der Revision beantragt das FA, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, weil das FG unzutreffend davon ausgegangen ist, die Voraussetzungen für eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit des Änderungsbescheids vom 12. Dezember 1985 seien erfüllt.

Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt, so wird dieser nach § 68 FGO auf Antrag des Klägers Gegenstand des Verfahrens. Diese Regelung ist die Konsequenz daraus, daß das finanzgerichtliche Verfahren ein reines Rechtsschutzverfahren darstellt, das losgelöst vom Verwaltungsverfahren stattfindet. Die Anhängigkeit eines Finanzprozesses hindert nämlich die Finanzbehörde nicht daran, den angefochtenen Verwaltungsakt zu ändern (§ 132 AO 1977; vgl. auch § 77 Abs. 3 FGO). Mit dieser einseitigen Befugnis der Finanzbehörde korrespondiert das Recht des Klägers, seinerseits durch Antrag einen ändernden Verwaltungsakt zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, sofern er nicht den Änderungsbescheid selbständig anfechten will. Denn aus § 68 FGO läßt sich keine Verpflichtung des Klägers, jeden Änderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, herleiten (vgl. Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231).

a) Aus der vom FG mitgeteilten Prozeßgeschichte läßt sich ein Antrag des Klägers, den Änderungsbescheid vom 12. Dezember 1985 zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, entgegen der Auffassung des FG nicht entnehmen. Denn der Kläger hat weder ausdrücklich einen derartigen Antrag gestellt noch kann sein Antrag in der mündlichen Verhandlung vor dem FG dahingehend ausgelegt werden. Soweit das FG darauf abstellt, der Kläger habe seinen Sachvortrag im Verfahren X - das ist dasjenige Verfahren, das mangels Zustimmung des FA zur Sprungklage als Einspruch behandelt wurde - im vorliegenden Verfahren wiederholt, woraus sich sinngemäß die Stellung des Antrags ergäbe, ist festzuhalten, daß der Kläger zu den Fragen betreffend die Ausübung des Vorkaufsrechts hinsichtlich des Ackergrundstücks auf Aufforderung des Berichterstatters Ausführungen gemacht hat. Soweit in dem Schriftsatz des Klägers zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung ausgeführt wird, Gegenstand des Rechtsstreits sei die vermögensteuerrechtliche Auswirkung dieser Vorgänge, kann aus den gleichen Gründen nicht daraus geschlossen werden, der Kläger habe den geänderten Vermögensteuerbescheid vom 12. Dezember 1985 zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Auch diese Äußerung des Klägers ist nämlich im Zusammenhang mit der Verfügung des Berichterstatters zu sehen, die beim Kläger den Eindruck erwecken mußte, ohne weiteres Zutun seinerseits sei im anhängigen Verfahren über diese Frage zu befinden und dieser Streitstoff Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

b) Hinzu kommt, daß dem ursprünglichen Klagebegehren des Klägers durch diesen Änderungsbescheid in vollem Umfang Rechnung getragen wurde und schon deshalb dem Kläger nicht unterstellt werden konnte, in seiner Einlassung zur Sache auf Aufforderung des Berichterstatters sei konkludent ein Antrag nach § 68 FGO zu sehen. Denn durch diesen Änderungsbescheid war materiell die Hauptsache des angestrengten Klageverfahrens erledigt (vgl. auch § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO). Da bei (zulässiger) Klage der Antrag nach § 68 FGO die Rücknahme eines (zunächst eingelegten) Einspruchs beinhaltet (BFH-Urteile vom 8. Oktober 1985 VIII R 78/82, BFHE 145, 106, BStBl II 1986, 302, und vom 11. Dezember 1986 IV R 184/84, BFHE 148, 422, BStBl II 1987, 303), konnte sich das FG über das Fehlen eines ausdrücklichen Antrags nach § 68 FGO nicht hinwegsetzen und den Kläger in die Lage versetzen, seine Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheids vom 12. Dezember 1985 nicht mehr gerichtlich überprüfen lassen zu können. Denn § 68 FGO ist nicht mehr anwendbar, wenn ein die Hauptsache des Klageverfahrens materiell erledigender Änderungsbescheid ergeht.

2. Die Sache ist nicht spruchreif, sie ist deshalb an das FG zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Das FG wird dem Kläger Gelegenheit geben müssen, sich eindeutig der durch den Änderungsbescheid vom 12. Dezember 1985 veränderten Prozeßlage anzupassen.