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  BFH-Urteil vom 11.10.1990 (V R 75/85) BStBl. 1991 II S. 191

Führt der Testamentsvollstrecker ein Handelsgeschäft als Treuhänder der Erben im eigenen Namen weiter, ist er der Unternehmer und Umsatzsteuerschuldner.

UStG 1967/1973 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1, § 13 Abs. 2.

Sachverhalt

I.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Geschwister. Sie haben je zur Hälfte ihren am 8. April 1966 verstorbenen Vater (im folgenden auch: Erblasser) beerbt.

Der Erblasser war u.a. Inhaber der im Handelsregister eingetragenen Einzelfirma W in B gewesen. Mit Testament vom 30. Januar 1962 hatte er die Teilung des Nachlasses auf die Dauer von 20 Jahren ausgeschlossen. Gleichzeitig hatte er seinen Geschäftsführer H zum Testamentsvollstrecker bestimmt. Dieser mußte jedem Erben aus den Nachlaßerträgen einen am Lebenshaltungskostenindex orientierten Betrag auszahlen, der im Testament mit monatlich 1.000 DM beziffert war. Der Testamentsvollstrecker mußte ferner innerhalb von drei Monaten nach Jahresschluß Bilanzen vorlegen, gegen die eine Erinnerung nur bei offensichtlichen Unrichtigkeiten zulässig war.

Der Testamentsvollstrecker wurde auf seinen Antrag im September 1967 als Geschäftsinhaber der Firma W im Handelsregister eingetragen. Ergänzend wurde zu den Rechtsverhältnissen vermerkt: "Firma wird unverändert von Testamentsvollstrecker H, Kaufmann, B, fortgeführt." Dem Antrag auf Änderung des Handelsregisters war eine Erklärung der Kläger beigefügt, daß sie den Testamentsvollstrecker ermächtigen, die Firma W und eine weitere Firma unverändert in seinem eigenen Namen für ihre Rechnung treuhänderisch fortzuführen.

Nachdem der Testamentsvollstrecker durch Verpfändung eines zum Betriebsvermögen gehörenden Festgeldkontos zugunsten eines Dritten seine Befugnisse als Testamentsvollstrecker überschritten hatte und nachdem gegen ihn das Konkursverfahren eröffnet worden war, kamen er und die Kläger im September 1975 überein, daß er die Führung und Leitung der laufenden Geschäfte an die Prokuristen abgab und sich verpflichtete, sich jeden eigenen Handelns zu enthalten. Hernach entließ das Amtsgericht H mit Beschluß vom 5. Juni 1978 aus seinem Amt als Testamentsvollstrecker.

In den Jahren 1978 und 1979 fand bei dem Unternehmen eine Betriebsprüfung statt, die auch die Umsatzsteuer für 1972 bis 1976 betraf. Der Prüfer stellte u.a. fest, daß der Testamentsvollstrecker und die Prokuristin A verschiedene Leistungen des Unternehmens in Anspruch genommen hatten. Diese sah er als entgeltliche Umsätze an (Tz. 10 des Bp-Berichts vom 28. März 1979). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erließ daraufhin entsprechende Umsatzsteueränderungsbescheide (Umsatzsteueränderungsbescheide vom 15. August 1979). Da das FA davon ausging, daß das Unternehmen von den Klägern in Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) geführt worden sei, hat es die Umsatzsteuerbescheide an die "W Montage-Bau GbR bestehend aus: 1 Frau E, 2 Herrn R" gerichtet. Der Einspruch der Kläger hatte insoweit Erfolg, als das FA einen Teil der Sachzuwendungen an die Familie H (gemäß Tz. 10 Buchst. d und e des Bp-Berichts vom 28. März 1979) nicht mehr als entgeltliche Umsätze des Unternehmens erfaßte (Einspruchsentscheidung vom 24. November 1981).

Auf die Klage der Kläger hob das Finanzgericht (FG) Köln die Umsatzsteueränderungsbescheide vom 15. August 1979 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 24. November 1981 auf, da sie an eine nicht existierende GbR gerichtet seien (Urteil vom 16. März 1981 I 463/81 U).

Das FA erließ darauf am 28. April 1983 - bis auf die Adressierung inhaltsgleiche - neue Umsatzsteuerbescheide, die Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sind. Sie sind an die "Erbengemeinschaft R u. E" gerichtet und enthalten den Vermerk: "Geändert gemäß § 164 AO".

Die darauf erhobene Sprungklage der Kläger wies das FG ab. Zuvor hatte es durch Einholung eines Sachverständigengutachtens und durch Einnahme des Augenscheins in die Geschäftsunterlagen der "Fa. W" Beweis darüber erhoben, ob der Testamentsvollstrecker H in der Zeit ab dem 1. Januar 1972 bis 8. Juni 1978 die Firma W wie ein Inhaber der Firma oder wie ein gesetzlicher Verwalter des Firmenvermögens oder als Bevollmächtigter der Kläger oder als deren Treuhänder fortführte. Das FG kam zwar zur Überzeugung, nach außen seien nicht die Kläger, sondern der Testamentsvollstrecker als Geschäftsinhaber aufgetreten; gleichwohl meinte es, die Kläger seien Unternehmer i. S. des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1967/1973 gewesen. Es sei allgemein anerkannt, daß bei Fortführung des ererbten Unternehmens durch den Testamentsvollstrecker nicht dieser, sondern die Erben als Unternehmer und Steuerschuldner anzusehen seien. Im übrigen führte das FG aus: Die Umsatzsteuer sei nicht verjährt, da durch den Beginn der Betriebsprüfung im Jahre 1978 eine Ablaufhemmung gemäß § 146a Abs. 3 der Reichsabgabenordnung (AO) eingetreten sei. Die Umsatzsteuerbescheide seien auch nicht deshalb nichtig, weil das FA sie als Änderungsbescheide bezeichnet habe, obwohl sie erstmals an die Erbengemeinschaft W und E ergangen seien. Allenfalls liege eine Verletzung von Formvorschriften vor, die gemäß § 127 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht zur Aufhebung der Bescheide führen könne.

Mit der Revision rügen die Kläger zunächst "die Verletzung des Grundrechtes auf rechtliches Gehör - insbesondere durch Unterlassung der Bekanntgabe der angeblich die Verjährung unterbrechenden Prüfungsanordnung gegenüber den beiden Erben, die gesetzwidrige Ausweitung des Unterbrechungstatbestandes nach § 146a AO, des § 127 AO 1977".

Materiell-rechtlich machen sie insbesondere geltend, sie seien nicht Unternehmer gewesen, die Geschäftsumsätze habe der Testamentsvollstrecker ausgeführt. Demgegenüber habe das FG Unterschlagungen und Veruntreuungen des Testamentsvollstreckers zu Umsätzen der Kläger gemacht.

Die Kläger beantragen sinngemäß, das Urteil des FG und die Umsatzsteuerbescheide für 1972 bis 1976 vom 28. April 1983 aufzuheben.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Im Streitfall haben nicht die Kläger, sondern der Testamentsvollstrecker die Geschäftsumsätze, um die es geht, gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967/1973 ausgeführt. Unternehmer (§ 2 Abs. 1 UStG 1967/1973) und Steuerschuldner (§ 13 Abs. 2 UStG 1967/1973) sind nicht die Kläger, sondern der Testamentsvollstrecker.

Erstreckt sich die Verwaltungsbefugnis des Testamentsvollstreckers auf ein Unternehmen, richtet sich die Beantwortung der Frage, ob bei dessen Fortführung die Erben oder der Testamentsvollstrecker Steuerschuldner der Umsatzsteuer ist, nach dem Auftreten des Testamentsvollstreckers nach außen.

1. Gehört zu dem der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegenden Nachlaß ein Unternehmen, das (vom Testamentsvollstrecker als solchem) für den Erben fortgeführt wird, ist grundsätzlich der Erbe der Unternehmer und nicht der Testamentsvollstrecker. Es gelten dann dieselben Grundsätze wie bei der Führung eines Unternehmens durch den Sachwalter i. S. der §§ 91, 92 der Vergleichsordnung (VerglO), durch den Zwangsverwalter im Rahmen seiner Verwaltungstätigkeit nach § 152 Abs. 1 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung (ZVG) oder durch den Konkursverwalter. In allen Fällen ist nicht der Amtsinhaber der Unternehmer, sondern der Inhaber der Vermögensmasse, für die er tätig wird (vgl. z.B. Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 18. Mai 1988 X R 27/80, BFHE 159, 299, BStBl II 1988, 716, für den Sachwalter nach §§ 91, 92 VerglO; BFH-Urteil vom 23. Juni 1988 V R 203/83, BFHE 154, 181, BStBl II 1988, 920 für den Zwangsverwalter, und BFH-Urteil vom 16. Juli 1987 V R 80/82, BFHE 150, 211, BStBl II 1987, 691 für den Konkursverwalter).

So ist es grundsätzlich auch beim Testamentsvollstrecker. Soweit der Testamentsvollstrecker als solcher über Nachlaßgegenstände verfügt oder sonstige Leistungen für den Nachlaß erbringt, handelt es sich um Umsätze der Erben. Der Testamentsvollstrecker handelt kraft Amtes für die Erben.

2. Ist das fortzuführende Unternehmen ein Handelsgeschäft, so kann der Testamentsvollstrecker nach der ganz herrschenden Meinung das Handelsgeschäft nicht als solcher fortführen, weil es den Bestimmungen des Handelsrechts widersprechen würde, wenn die Haftung des Geschäftsinhabers (des Erben) für die nach dem Erbfall begründeten Geschäftsverbindlichkeiten auf den Nachlaß beschränkt werden könnte (vgl. § 27 des Handelsgesetzbuches - HGB -, §§ 1975, 2.206 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB - und John, Testamentsvollstreckung über ein einzelkaufmännisches Unternehmen, Betriebs-Berater - BB - 1980, 757, mit weiteren Nachweisen).

Der Testamentsvollstrecker kann das Geschäft im eigenen Namen oder im Namen der Erben fortführen. Im ersten Fall spricht man von der Treuhandlösung, im zweiten Fall von der Vollmachtlösung (vgl. z.B. Brandner in Münchner Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 2.205 Rz. 20 ff.; Hägele/Winkler, Der Testamentsvollstrecker, 10. Aufl., Rz. 297 ff.).

Betreibt der Testamentsvollstrecker das Handelsgeschäft im eigenen Namen weiter, hat er es im Innenverhältnis im Interesse und für Rechnung der Erben als deren Treuhänder fortzuführen. Dabei wird unterschieden zwischen der sog. Ermächtigungstreuhand und der Vollrechtstreuhand. Bei der Ermächtigungstreuhand erhält der Treuhänder nicht das Vollrecht an den zu verwaltenden Gegenständen, sondern nur die Macht, im eigenen Namen darüber zu verfügen (Hägele/Winkler, a.a.O., Rz. 299). Bei der Vollrechtstreuhand werden dem Testamentsvollstrecker bei der Übernahme des Handelsgeschäfts alle zu diesem gehörenden Gegenstände voll übertragen (vgl. Hägele/Winkler, a.a.O., Rz. 300). Bei der Vollrechtstreuhand werden nicht die Erben, sondern allein der Testamentsvollstrecker aus Geschäften, die das Handelsgeschäft betreffen, berechtigt und verpflichtet. Er ist der zivilrechtliche Vertragspartner.

Auch bei der Ermächtigungstreuhand wird aus Verpflichtungsgeschäften des Testamentsvollstreckers nur dieser und nicht auch der Nachlaß verpflichtet (Hägele/Winkler, a.a.O., Rz. 306; anderer Ansicht Brandner, a.a.O., Rz. 22). Dem entspricht es für die Umsatzsteuer, bei der Treuhandlösung nur den Testamentsvollstrecker und nicht (auch) den Erben als Unternehmer anzusehen.

Daß der Testamentsvollstrecker das Handelsgeschäft für Rechnung der Erben fortführt, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Es gelten dieselben Grundsätze, die der Senat bereits seinem Urteil vom 24. September 1987 V R 152/78 (BFHE 151, 90, BStBl II 1988, 29) zugrunde gelegt hat. Danach werden bei Geldspielautomaten die Spielumsätze von dem Automatenaufsteller erbracht, auf den das auf dem Automaten angebrachte Namensschild hinweist, auch wenn der Automat in fremden Geschäftsräumen aufgestellt ist und der Inhalt der Vereinbarungen zwischen dem Unternehmer und dem Inhaber der Geschäftsräume darauf hindeutet, daß Automatenmietverträge und nicht Automatenaufstellverträge haben abgeschlossen werden sollen. Da der Automatenaufsteller entsprechend den schuldrechtlichen Beziehungen zu dem Automatenbenutzer die Spielumsätze im eigenen Namen bewirkt, kommt es auf ein Tätigwerden für eigene Rechnung nicht an; diese Frage betrifft lediglich das Innenverhältnis. Entsprechendes gilt für den Testamentsvollstrecker, der nach außen nicht als Testamentsvollstrecker, sondern im eigenen Namen auftritt.

3. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG hat der Testamentsvollstrecker das Handelsgeschäft der Kläger jedenfalls bis zum September 1975 im eigenen Namen fortgeführt. Er ist gegenüber den Behörden und im Geschäftsverkehr ohne jeden Zusatz als Geschäftsinhaber aufgetreten. Briefköpfe und Rechnungsformulare der Firma enthielten keinen Hinweis auf die Testamentsvollstreckung. Lediglich das Handelsregister enthielt einen - nach der herrschenden Meinung unzulässigen - Testamentsvollstreckervermerk. Hieraus kann jedoch nicht geschlossen werden, daß der Testamentsvollstrecker als solcher im Geschäftsverkehr auftrat. Er trat vielmehr entsprechend der geschilderten Treuhandlösung im eigenen Namen als Geschäftsinhaber auf und war demnach der Unternehmer.

4. An der geschilderten Rechtslage hat sich auch nichts durch die Vereinbarung vom 6. September 1975 geändert.

In dieser Vereinbarung gab der Testamentsvollstrecker zwar die Führung und Leitung der laufenden Geschäfte an die Prokuristen ab und verpflichtete sich, nicht mehr für den Betrieb zu handeln. Bis zu der in Aussicht genommenen Neuregelung der Verhältnisse blieb er aber der Geschäftsinhaber. Die Eintragung im Handelsregister wurde nicht geändert. Die Prokuristen blieben seine Vertreter, so daß er weiterhin aus ihren Geschäften berechtigt und verpflichtet wurde.

Nur im Innenverhältnis zu den Erben wurden die Befugnisse des Testamentsvollstreckers durch die Vereinbarung vom 6. September 1975 beschränkt. Im Außenverhältnis zu den Geschäftspartnern des Unternehmens änderte sich an den Leistungsbezügen nichts. Demnach blieb der Testamentsvollstrecker auch über den 6. September 1975 hinaus der Unternehmer. Er war nach § 13 Abs. 2 UStG 1967/1973 der Steuerschuldner.

5. Da das angefochtene FG-Urteil und die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen sind, können sie keinen Bestand haben.