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BFH-Urteil vom 6.12.1990 (IV R 65/90) BStBl. 1991 II S. 348

Aufwendungen für Kleidung, die ein Arzt bei der Berufsausübung trägt, sind nur dann Betriebsausgaben, wenn die außerberufliche Verwendung der Kleidungsstücke wegen ihres rein funktionalen Charakters als ausgeschlossen erscheint.

EStG § 4 Abs. 4, § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6.

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist selbständiger Arzt für Orthopädie. Er machte in seiner Einkommensteuererklärung 1985 Kosten für Praxiswäsche und Berufskleidung in Höhe von 4.084,50 DM geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte hiervon 1.507,32 DM, ließ dagegen folgende

Positionen nicht zum Abzug zu:

weiße Hemden                                                         765,00 DM

weiße Hosen                                                         1.041,00 DM

weiße Schuhe                                                          314,90 DM

weiße Socken                                                          155,90 DM

sonstige Berufskleidung                                            241,88 DM

Reparatur Praxisschuhe                                              58,50 DM

                                                                                 --------------

Summe                                                                 2.577,18 DM.

Hiergegen und gegen die Nichtanerkennung der Kosten einer Kongreßreise als Betriebsausgaben wandte sich der Kläger mit der zum Finanzgericht (FG) erhobenen Klage. Die Klage hatte hinsichtlich der Aufwendungen für "Berufskleidung" Erfolg.

Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des FA mit der Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.

Das FA beantragt, das finanzgerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Aufwendungen für Kleidung sind - wie z.B. auch Aufwendungen für Wohnung und Verpflegung - grundsätzlich Kosten der Lebensführung, die nach § 12 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auch dann nicht abzugsfähig sind, wenn sie zugleich der Förderung des Berufs dienen. Ein Abzug als Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 EStG) oder Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 EStG) kommt daher nur in Betracht, wenn sich der den Beruf fördernde Teil der Aufwendungen nach objektiven Maßstäben zutreffend und in leicht nachprüfbarer Weise abgrenzen läßt und nicht nur von untergeordneter Bedeutung ist (Beschlüsse des Großen Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19. Oktober 1970 GrS 2/70, BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17; vom 27. November 1978 GrS 8/77, BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213). Eine solche Abgrenzbarkeit ist in aller Regel bei Bekleidungsaufwand nicht gegeben. Sie kann nicht einmal bei der sog. typischen Berufskleidung stets angenommen werden; denn auch wer Berufskleidung trägt, trägt sie in vielen Fällen in erster Linie deshalb, um - wie andere Menschen auch - bekleidet zu sein (Tipke, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1979, 193, 202). Daher hat auch der in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 EStG vom Gesetzgeber ausdrücklich zugelassene Abzug der Aufwendungen für (typische) Berufskleidung nicht nur klarstellenden, sondern zum Teil auch rechtsbegründenden Charakter (BFH-Urteil vom 20. November 1979 VI R 143/77, BFHE 129, 153, BStBl II 1980, 73).

Grundsätzlich handelt es sich bei der typischen Berufskleidung um solche, die ihrer Beschaffenheit nach objektiv nahezu ausschließlich für die berufliche Verwendung bestimmt und wegen der Eigenart des Berufs nötig ist (vgl. BFH-Urteil vom 9. März 1979 VI R 171/77, BFHE 127, 522, BStBl II 1979, 519). Erforderlich für die Annahme typischer Berufskleidung ist allerdings nicht, daß ein anderer Gebrauch, nämlich eine Verwendung als sog. bürgerliche Kleidung in jedem Fall ausgeschlossen sein muß, sie also als bürgerliche Kleidung überhaupt nicht getragen werden kann. Der BFH hat in der Entscheidung in BFHE 127, 522, BStBl II 1979, 519 ausgeführt, daß ausnahmsweise zur typischen Berufskleidung auch Kleidungsstücke gehören können, die ihrer Art nach der bürgerlichen Kleidung zuzurechnen sind, wenn eine Verwendung dieser Kleidungsstücke zum Zwecke der privaten Lebensführung aufgrund berufsspezifischer Eigenschaften so gut wie ausgeschlossen ist. Derartige Fälle hat der BFH angenommen beim Kellnerfrack, beim Cut eines Empfangschefs, dem schwarzen Anzug eines Leichenbestatters (BFH-Urteil vom 30. September 1970 I R 33/69, BFHE 100, 243, BStBl II 1971, 50), beim schwarzen Anzug eines Kellners (BFHE 127, 522, BStBl II 1979, 519) und eines katholischen Geistlichen (BFH-Urteil vom 10. November 1989 VI R 159/86, BFH/NV 1990, 288), schließlich auch bei der schwarzen Hose eines Kellners (BFH-Urteil vom 4. Dezember 1987 VI R 20/85, BFH/NV 1988, 703). Das letztgenannte Urteil ist allerdings als Einzelfallentscheidung anzusehen (Schmidt/ Drenseck, Einkommensteuergesetz, 9. Aufl., § 9 Anm. 10; vgl. auch Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, § 4 Anm. 99 "Kleidung"; Conradi in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., § 12 EStG Anm. 54 zum schwarzen Rock einer Kellnerin).

Liegt dagegen die Benutzung eines Kleidungsstücks als normale bürgerliche Kleidung im Rahmen des Möglichen und Üblichen, so sind die Aufwendungen für diese Kleidung wegen des Abzugsverbots des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG ebensowenig als Werbungskosten absetzbar, wie die für jede andere bürgerliche Kleidung, die überwiegend oder auch so gut wie ausschließlich im Beruf getragen wird (BFHE 129, 153, BStBl II 1980, 73, betreffend den Trachtenanzug des Geschäftsführers eines im bayerischen Stil gehaltenen Restaurants). Das gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige die beruflich getragene Kleidung am Arbeitsplatz aufbewahrt, sich demzufolge bei Arbeitsbeginn und -ende umzieht (BFH-Urteil vom 20. November 1979 VI R 25/78, BFHE 129, 149, BStBl II 1980, 75 - Kleidung eines Dekorateurs).

2. Demnach gilt für die weiße Kleidung eines Arztes folgendes:

a) Zur typischen Berufskleidung gehört der weiße Arztkittel. Das folgt schon daraus, daß er nicht wegen des Bedürfnisses, bekleidet zu sein, sondern zusätzlich zu der bürgerlichen Kleidung getragen wird (Conradi in Littmann/Bitz/Meincke, a.a.O.). An seine Stelle ist heute vielfach die sog. Arztjacke getreten. Bei ihr ist die Qualifizierung als Berufskleidung nicht so eindeutig wie beim Kittel, weil sie gewöhnlich statt eines Oberhemdes getragen wird. Sie unterscheidet sich indessen vom Oberhemd dadurch, daß sie über die Hose fällt, weshalb sie gewöhnlich in Höhe der Taille mit aufgesetzten Taschen versehen ist. Ihre Verwendung als bürgerliche Kleidung ist so gut wie ausgeschlossen.

b) Eine weiße Hose stellt nicht ohne weiteres typische Berufskleidung dar. Wie der Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren eingeräumt hat, ist ihre Verwendung als sportliches Freizeitkleidungsstück nicht ungewöhnlich. Das zeigt sich auch daran, daß - wie aus anderen beim Senat anhängigen Fällen hervorgeht - auch Ärzte sie vielfach nicht über den Handel mit Berufsbedarfsartikeln, sondern in Boutiquen und Sportbekleidungsgeschäften erwerben. Allein die weiße Farbe ist nicht geeignet, Kleidungsstücken den Charakter von Berufskleidung zu verleihen (Urteil des FG München vom 30. Juni 1987 II 461/83 E, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1988, 300; Urteil des V. Senats des FG Hamburg vom 11. September 1987 V 181/86, EFG 1988, 116; a.A. I. Senat des FG Hamburg, Urteil vom 28. November 1986 I 134/83, EFG 1987, 396).

Das schließt allerdings nicht aus, daß weiße Hosen ihrer Beschaffenheit nach objektiv für die berufliche Verwendung bestimmt und wegen der Eigenart des Berufs notwendig sind. In vielen Bereichen ärztlicher Tätigkeit besteht ein Interesse daran, daß die bei der Arbeit getragene Kleidung erhöhten hygienischen Anforderungen entspricht und/oder leicht und gründlich gereinigt werden kann. Demzufolge können solche weißen Hosen als "Arbeitshosen" anerkannt werden, deren außerberufliche Verwendung wegen ihres rein funktionalen Charakters als ausgeschlossen erscheint. Das ist dann der Fall, wenn sie in Schnitt und Material denen entsprechen, die auch bei Operationen getragen werden. Bei Hosen, die nicht im Fachhandel für Berufsbedarf angeschafft worden sind, spricht eine widerlegliche Vermutung gegen das Vorliegen dieser Eigenschaft.

c) Weiße Hemden (T-Shirts) und Schuhe erfüllen nicht die eingangs dargestellten Bedingungen, die an typische Berufskleidung zu stellen sind (vgl. BFH-Urteil in BFHE 127, 522, BStBl II 1979, 519 zu den weißen Hemden und schwarzen Schuhen eines Oberkellners). Bei weißen Hemden handelt es sich um Kleidungsstücke, die von jedermann getragen werden. Weiße Schuhe verschiedener Art sind im Bereich der sportlichen Kleidung und bei Damenbekleidung allgemein üblich. Die von zahlreichen Ärzten bei der Berufsausübung getragenen Schuhe weisen außer ihrer Farbe keine Eigenschaften auf, die einen spezifischen Bezug zum Arztberuf erkennen ließen. Hierdurch unterscheiden sie sich von den im gewerblichen Bereich getragenen Schutzschuhen. Was für weiße Hemden und Schuhe gilt, gilt gleichermaßen für weiße Socken.

Wie der BFH bereits in seinem Urteil in BFHE 129, 149, BStBl II 1980, 75 entschieden hat, ist es unerheblich, wenn die bei der Berufsausübung getragene bürgerliche Kleidung in den Praxisräumen aufbewahrt wird. Das gilt auch dann, wenn das Umziehen zu Beginn und Ende der Arbeit aus hygienischen Gründen erfolgt. Zu Recht weist das FA darauf hin, daß aus hygienischen Gründen zwar ein ständiger Wechsel zwischen beruflicher und privater Verwendung ausgeschlossen sein mag, daß aber ein gelegentlicher Wechsel nach gründlicher Reinigung durchaus möglich erscheint. Ob der Steuerpflichtige von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, ist unerheblich. Der in diesem Zusammenhang häufig vorgebrachte Hinweis auf die Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege geht fehl. Zwar heißt es in § 7 Abs. 5 dieser Vorschriften, daß "Schutzkleidung" getrennt von anderer Bekleidung aufzubewahren sei. In den Durchführungsanweisungen hierzu wird jedoch präzisiert: "Schutzkleidung hat die Aufgabe, zu verhindern, daß die Kleidung (auch Berufskleidung) der Beschäftigten mit Krankheitskeimen verschmutzt wird." Die im Beruf getragene Kleidung fällt demnach gerade nicht unter den Begriff der Schutzkleidung.

3. Die Entscheidung der Vorinstanz war aufzuheben, weil sie von anderen Voraussetzungen ausgegangen ist. Sie hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob die vom Kläger als Berufskleidung angeschafften Hosen den oben zu 2 b gestellten Anforderungen entsprechen. Diese Feststellungen wird das FG nachzuholen haben. Der Kläger wird im zweiten Rechtszug auch Gelegenheit haben, den Beweis zu erbringen, daß mit "weißen Hemden" - wie erstmalig im Revisionsverfahren vorgetragen - in Wirklichkeit sog. Arztjacken (s.o. unter 2 a) gemeint waren. Sollte er diesen Beweis nicht führen können, kann er allerdings nicht mit dem Vorbringen durchdringen, er habe die weißen Hemden anstelle der Arztjacken getragen. Schließlich wird im zweiten Rechtszug auch aufzuklären sein, welche Anschaffungen unter der Rubrik "sonstige Berufskleidung" erfaßt sind.