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BFH-Urteil vom 23.1.1991 (I R 113/88) BStBl. 1991 II S. 379

1. Pensionsrückstellungen für beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer sind auch dann grundsätzlich nach einem Ruhestandsalter von 65 Jahren zu berechnen, wenn der Begünstigte auf Antrag bereits ab dem 63. Lebensjahr seine Tätigkeit aufgeben und Pensionsbezüge beanspruchen könnte.

2. Nach den gegenwärtigen Erkenntnissen ist es nicht als hinreichend wahrscheinlich anzusehen, daß beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer von der Möglichkeit eines vorzeitigen Ruhestands mit 63 Jahren Gebrauch machen.

EStG § 5 Abs. 1, § 6a; HGB §§ 249, 253 Abs. 1 Satz 2.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg (EFG 1989, 79)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine in 1966 gegründete GmbH mit einem Stammkapital von 50.000 DM. An ihr sind beteiligt

W G mit einem Anteil von                  33.000 DM

H L mit einem Anteil von                    16.000 DM

M G mit einem Anteil von                       500 DM

C K mit einem Anteil von                        500 DM

                                                        ---------------

                                                       50.000 DM

Abweichend von den Beteiligungsverhältnissen ist das Stimmrecht wie folgt geregelt:

W G                                 98 Stimmen

H L                                  98 Stimmen

M G                                   2 Stimmen

C K                                    2 Stimmen

                                        -----------------

insgesamt                       200 Stimmen

W G und H L sind zu Geschäftsführern der Klägerin bestellt.

In der Gesellschafterversammlung vom 15. Dezember 1975 beschlossen die Gesellschafter einstimmig, den beiden Geschäftsführern nach den Vorschriften des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) eine arbeitsvertraglich abzusichernde Pensionszusage in Höhe von monatlich 800 DM u.a. bei Eintritt folgender Ereignisse zu gewähren:

"Erreichen des 65. Lebensjahres oder falls von der Möglichkeit des vorgezogenen Altersruhegelds Gebrauch gemacht wird, ist die Pension schon zu dem dann gesetzlich zulässigen vorgezogenen Altersruhegeldstermin zu bezahlen."

Entsprechend wurden die mit den Geschäftsführern geschlossenen Arbeitsverträge ergänzt.

In den Folgejahren wies die Klägerin in ihren Bilanzen Pensionsrückstellungen für ihre Geschäftsführer aus. Den Berechnungen der Pensionsrückstellungen für das Streitjahr legte sie hierbei als Pensionsalter das 63. Lebensjahr zugrunde.

Bei einer Außenprüfung vertrat der Prüfer unter Hinweis auf den Erlaß des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 15. Dezember 1982 IV B 7 - S 2.742 - 15/82 (BStBl I 1982, 988) die Ansicht, daß die Pensionsrückstellungen auf ein Pensionsalter von 65 Jahren zu berechnen seien.

Dem folgend setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) mit geändertem Bescheid vom 10. Mai 1984 die Körperschaftsteuer für 1981 fest.

Der dagegen erhobenen Sprungklage gab das Finanzgericht (FG) mit seinem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1989, 79 veröffentlichten Urteil statt.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung von § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1977 i.V. m. § 6a des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Es beantragt, das Urteil des FG Baden-Württemberg vom 15. September 1988 III K 252/84 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Zu Recht hat das FG angenommen, daß die beiden Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin im Zeitpunkt der Beschlußfassung über die Pensionszusage am 15. Dezember 1975 sowie der am gleichen Tage vorgenommenen Änderung der Arbeitsverträge beherrschende Gesellschafter der Klägerin waren. Zwar konnte jeder für sich infolge der 49 %igen Stimmrechtsbeteiligung keine Mehrheitsentscheidung der Klägerin herbeiführen. Für die zu beurteilende Pensionszusage bestanden jedoch gleichgerichtete Interessen der beiden Gesellschafter-Geschäftsführer. Beide erhielten eine Pensionszusage in gleicher Höhe und zu den gleichen Bedingungen. In derartigen Fällen sind die Gesellschafter auch dann als beherrschend anzusehen, wenn jeder von ihnen für sich betrachtet nicht die Mehrheit der Stimmen hat (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. April 1987 I R 192/82, BFHE 150, 412, BStBl II 1987, 797).

2. Jedoch durfte das FG im Streitfall nicht von einem Pensionsalter von 63 Jahren ausgehen.

In seinem Urteil vom 28. April 1982 I R 51/76 (BFHE 135, 519, BStBl II 1982, 612) hat der Senat seine frühere Rechtsprechung aufgegeben, wonach Pensionsrückstellungen für beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer unter der Annahme berechnet werden müssen, daß der Pensionsfall mit Vollendung des 75. Lebensjahres eintritt. In dieser Entscheidung hat der Senat nicht verlangt, nunmehr für die Berechnung der Pensionsrückstellung nach § 6a EStG die vertraglich vorgesehene Altersgrenze, mindestens jedoch eine solche von 65 Jahren zugrunde zu legen (so aber BMF-Schreiben vom 15. Dezember 1982, BStBl I 1982, 988). Der Senat hat es vielmehr für gerechtfertigt gehalten, für die Bemessung der Pensionsrückstellungen für beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften nach den allgemeinen Grundsätzen den in der Pensionszusage vorgesehenen Zeitpunkt des Eintritts des Versorgungsfalls zugrunde zu legen. Nach den allgemeinen Grundsätzen bestimmt sich aber die Höhe einer zu bildenden Rückstellung nach der wahrscheinlich zu erbringenden Leistung (vgl. BFH-Urteil vom 5. Februar 1987 IV R 81/84, BFHE 149, 55, BStBl II 1987, 845, und Schmidt, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 8. Aufl. 1989, § 5 Anm. 40). Bezogen auf das in der jeweiligen Pensionszusage vorgesehene Pensionsalter muß es deshalb hinreichend wahrscheinlich sein, daß die Kapitalgesellschaft nach Maßgabe der Pensionsrückstellung in Anspruch genommen wird (vgl. bereits BFH-Urteil vom 25. September 1968 I 195/65, BFHE 93, 385, BStBl II 1968, 810). Zur Vereinfachung hat der Senat dafür eine typisierende Betrachtung zugelassen, bei welcher die statistischen Erkenntnisse darüber zu berücksichtigen sind, ob die beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer zu den vertraglich vorgesehenen Zeiten in den Ruhestand getreten sind. Hiernach bestand in dem in BFHE 135, 519, BStBl II 1982, 612 entschiedenen Fall hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, daß Angehörige dieses Personenkreises mit dem vertraglich vorgesehenen Pensionsalter von 65 Jahren zu diesem Zeitpunkt in den Ruhestand traten.

3. a) Im Streitfall hat das FG festgestellt, daß keine neueren statistischen Erkenntnisse über das Ruhestandsverhalten dieses Personenkreises vorliegen. Daran ist der erkennende Senat mangels Rüge gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Es läßt sich somit keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür begründen, daß beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH zu dem im Streitfall vertraglich vorgesehenen Pensionsalter von 63 Jahren in den Ruhestand treten. Nach den Grundsätzen über die objektive Feststellungslast wirkt sich dies zuungunsten der Klägerin aus, weil es um die Anerkennung von Betriebsausgaben und damit um einen ihr günstigen Sachverhalt geht (vgl. Schmidt/Seeger, a.a.O., § 6a Anm. 7a).

Das FG hat zwar angenommen - ohne dies statistisch zu belegen -, daß (männliche) Arbeitnehmer in der gesetzlichen Rentenversicherung im allgemeinen spätestens mit 63 Jahren in den Ruhestand träten, und daraus gefolgert, die Inanspruchnahme der Leistungen der Altersversorgung durch den Gesellschafter-Geschäftsführer bei einem vereinbarten Pensionierungsalter von 63 Jahren sei als hinreichend wahrscheinlich anzusehen. Dieser Schluß ist jedoch nicht frei von Denkfehlern. Zum einen ist das Ruhestandsverhalten der beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer mit dem rentenversicherter Arbeitnehmer im allgemeinen nicht vergleichbar. Denn beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer befinden sich gegenüber sonstigen Arbeitnehmern in der Regel in einer herausgehobenen, attraktiveren Position. Zudem kann der beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer nicht gezwungen werden, tatsächlich zu dem angenommenen Zeitpunkt in Pension zu gehen (BFH in BFHE 93, 385, BStBl II 1968, 810).

Auch in der Handelsbilanz ist die Bandbreite möglicher Inanspruchnahme (Wahrscheinlichkeitsverteilung) bei der Bemessung von Rückstellungen zu berücksichtigen. Sie sind nur in Höhe des Betrages anzusetzen, der bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendig ist (§ 253 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuches n. F.; Clemm/Nonnenmacher in Beck'scher Bilanzkommentar, 2. Aufl., § 253 Rz. 153). Dabei ist von der höchsten Wahrscheinlichkeit auszugehen (Knobbe/Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 7. Aufl., § 5 VIII Nr. 2 S. 213).

Das bedarf indes keiner endgültigen Entscheidung, da andernfalls insoweit eine verdeckte Gewinnausschüttung (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG 1977) anzunehmen wäre.

b) Von der derzeitigen rentenrechtlichen Situation kann nicht auf das künftige Ruhestandsverhalten der Arbeitnehmer oder die dann geltende gesetzliche Altersgrenze für das Altersruhegeld geschlossen werden. Wie aus dem Rentenreformgesetz 1992 vom 18. Dezember 1989 (BGBl I, 2.261, §§ 35 ff.) ersichtlich ist, wird als zukünftiges Regelalter für die Altersrente wieder das 65. Lebensjahr angestrebt. Es ist deshalb im Streitfall nicht als hinreichend wahrscheinlich anzusehen, daß die beiden Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin entsprechend ihren Anstellungsverträgen bereits mit einem Alter von 63 Lebensjahren einen Anspruch auf Altersruhegeld haben werden. Denn die Anstellungsverträge heben auf den "dann gesetzlich zulässigen vorgezogenen Altersruhegeldstermin" ab. Zum anderen ist angesichts der unterschiedlichen Interessenlage zwischen beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführern und Arbeitnehmern im übrigen nicht hinreichend wahrscheinlich, daß die beiden Geschäftsführer der Klägerin von ihrem vertraglich eingeräumten Wahlrecht tatsächlich Gebrauch machen werden.