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  BFH-Urteil vom 12.9.1990 (I R 60/86) BStBl. 1991 II S. 418

Für die Ermittlung der Überschuldung einer inländischen Kapitalgesellschaft i.S. von § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a KVStG 1959 ist auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem der Anspruch auf Deckung der Überschuldung entsteht.

KVStG 1959 § 2 Nr. 2, § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg (EFG 1986, 514)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH, die am 1. März 1968 einen schriftlichen Organschafts- und Ergebnisabführungsvertrag mit der OT-AG abschloß. Danach war die Klägerin als Organgesellschaft verpflichtet, ihren gesamten Gewinn an die OT-AG als Organträger abzuführen. Die OT-AG mußte die Verluste der Klägerin ausgleichen.

Für das Jahr 1970 erwirtschaftete die Klägerin einen Verlust in Höhe von 2.104.924 DM. In ihrem Jahresabschluß 1970 wies deshalb die Klägerin eine Ausgleichsforderung gegen die OT-AG in Höhe von 2.104.924 DM aus. Der Forderungsbetrag wurde auf dem Kontokorrent der Klägerin bei der OT-AG am 30. Juni 1971 verrechnet. Der Jahresabschluß 1970 der Klägerin wurde von der OT-AG am 26. Juli 1971 genehmigt.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) setzte durch Bescheid vom 14. August 1974 die Gesellschaftsteuer auf die Verlustübernahme durch die OT-AG auf 23.779,20 DM fest. Dabei ging er von einer Bemessungsgrundlage in Höhe von 2.353.924 DM aus. Diese Bemessungsgrundlage setzt sich aus dem o.g. Verlust und einer negativen Gewerbesteuerumlage in Höhe von 249.000 DM zusammen. Von der Bemessungsgrundlage besteuerte das FA einen Teilbetrag in Höhe von 16.000 DM mit 2,5 v.H. (§ 9 Abs. 1 des Kapitalverkehrsteuergesetzes - KVStG - 1959) und den Restbetrag mit 1 v.H. (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1959).

Am 21. Juni 1978 änderte das FA den Bescheid vom 14. August 1974 gemäß § 165 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977). Es ermittelte bei einer Kapitalverkehrsteuer-Außenprüfung die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1959 neu. Dabei stellte es die negative Gewerbesteuerumlage mit 432.000 DM fest, wodurch sich die Bemessungsgrundlage auf 2.536.924 DM erhöhte. Der Bemessungsgrundlage stellte es einen Vermögenswert der Klägerin zum 26. Juli 1971 in Höhe von 11.875.323 DM gegenüber. Dieser Vermögenswert war durch das Stammkapital in Höhe von 10 Mio DM gedeckt, weshalb der Normalsteuersatz von 2,5 v.H. auf den Differenzbetrag in Höhe von 1.875.323 DM angewendet wurde. Der ermäßigte Steuersatz von 1 v.H. wurde nur für einen Teilbetrag von 661.601 DM gewährt. Insgesamt wurde die Gesellschaftsteuer in dem gemäß § 165 Abs. 2 AO 1977 geänderten Steuerbescheid vom 21. Juni 1978 auf 53.499,05 DM festgesetzt.

Im Einspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, daß der übernommene Verlust nur 2.104.924 DM betrage. Die Gewerbesteuergutschrift in Höhe von 432.000 DM sei nicht der Gesellschaftsteuer unterworfen, weil es sich insoweit um eine Verpflichtung der OT-AG aus dem Organschafts - und Ergebnisabführungsvertrag handele. Außerdem vertrat die Klägerin die Auffassung, ihr Vermögenswert sei auf den 31. Dezember 1970 (Abschlußstichtag) zu ermitteln. Dann ergebe sich aber ein Vermögenswert von nur 10.527.323 DM. Der Prüfer habe zum 26. Juli 1971 dem Vermögenswert den Betrag von 1.348.000 DM hinzugerechnet, weil die Klägerin in Höhe dieses Betrages im Jahresabschluß 1970 eine Rückstellung gebildet habe und auf Grund eines in der Zeit nach dem 1. Januar 1971 und vor dem 26. Juli 1971 abgeschlossenen außergerichtlichen Vergleiches feststehe, daß die Klägerin diesen Betrag nicht zahlen müsse. In der Einspruchsentscheidung vom 12. Oktober 1979 setzte das FA die Gesellschaftsteuer auf 51.569,05 DM herab. Es ging weiterhin von einer Überdeckung des Stammkapitals in Höhe von 1.875.323 DM aus. Es setzte jedoch als Bemessungsgrundlage wieder (2.104.924 DM + 249.000 DM =) 2.343.924 DM an.

Nach Klageerhebung änderte das FA den angefochtenen Gesellschaftsteuerbescheid am 28. Dezember 1979 erneut gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977. Es ging von einer unveränderten Bemessungsgrundlage aus. Es ermittelte jedoch die Überdeckung mit 2.336.323 DM, weshalb der ermäßigte Steuersatz nur noch auf den Teilbetrag von 17.601 DM gewährt wurde. Insgesamt wurde die Gesellschaftsteuer auf 58.584,05 DM erhöht.

Am 1. Juli 1981 änderte das FA den angefochtenen Steuerbescheid mit Rücksicht auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 30. April 1980 II R 133/77 (BFHE 130, 469, BStBl II 1980, 521) ein weiteres Mal. Nunmehr ging es nur noch von einer Bemessungsgrundlage in Höhe von 2.104.924 DM aus, die es ungekürzt dem normalen Steuersatz unterwarf. Die Gesellschaftsteuer wurde auf 52.623,10 DM festgesetzt. Die Klägerin leitete den geänderten Steuerbescheid in das Klageverfahren über (§ 68 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1986, 514 veröffentlicht.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1959.

Es beantragt, das Urteil des FG Baden-Württemberg aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

1. Gemäß § 2 Nr. 2 KVStG 1959 unterliegen Leistungen, die von den Gesellschaftern einer inländischen Kapitalgesellschaft auf Grund einer im Gesellschaftsverhältnis begründeten Verpflichtung bewirkt werden, der Gesellschaftsteuer. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung gilt als Pflichtleistung im Sinn der Vorschrift auch die Übernahme des Verlustes einer Kapitalgesellschaft auf Grund eines schriftlichen Ergebnisabführungsvertrages (BFH-Urteile vom 6. Mai 1964 II 183/59 U, BFHE 79, 417, BStBl III 1964, 384; vom 20. Mai 1964 II 232/59 U, BFHE 79, 426, BStBl III 1964, 387; vom 8. November 1967 II 176/61, BFHE 91, 172, BStBl II 1968, 213; vom 7. Mai 1968 II 94/62, BFHE 92, 534, BStBl II 1968, 617; vom 27. August 1968 II R 82/67, BFHE 93, 344, BStBl II 1968, 781; vom 28. Januar 1969 II 189/65, BFHE 95, 121, BStBl II 1969, 323; vom 17. März 1970 II 64/62, BFHE 99, 393, BStBl II 1970, 702; vom 25. Mai 1971 II R 38/70, BFHE 103, 355, BStBl II 1971, 786; vom 11. Juli 1973 II R 148/72, BFHE 110, 305, BStBl II 1973, 855). Dieser Rechtsprechung schließt der erkennende Senat sich an. Ihr steht das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 28. März 1990 Rs. C 38/88 (EuZW 1990, 129, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1990, 342) nicht entgegen. Es betrifft nur die Anwendung des KVStG in seiner ab dem 1. Januar 1972 geltenden Fassung. Für den Streitfall ist jedoch auf das KVStG 1959 abzustellen.

Zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 Nr. 2 KVStG 1959 hat das FG in tatsächlicher Hinsicht und den erkennenden Senat bindend festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO), daß die Klägerin eine GmbH mit Sitz und Geschäftsleitung im Inland war. Damit war sie Kapitalgesellschaft i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 3 KVStG 1959. Die OT-AG war an der Klägerin beteiligt. Damit war sie Gesellschafter i.S. des § 2 Nr. 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 KVStG 1959. Die OT-AG übernahm den von der Klägerin im Geschäftsjahr 1970 in Höhe von 2.104.924 DM erwirtschafteten Verlust. Damit war der Besteuerungstatbestand des § 2 Nr. 2 KVStG 1959 verwirklicht.

2. Bei einer Leistung i.S. des § 2 Nr. 2 KVStG 1959 berechnet sich die Gesellschaftsteuer vom Wert der Leistung. Im Streitfall entspricht der Wert der Leistung dem Wert des übernommenen Verlustes. Deshalb ist die Gesellschaftsteuer von 2.104.924 DM zu berechnen.

3. Nach § 9 Abs. 1 KVStG 1959 beträgt die Gesellschaftsteuer 2,5 v.H. des Steuermaßstabes. Sie ermäßigt sich auf 1 v.H. bei Leistungen, soweit diese zur Deckung der Überschuldung einer inländischen Kapitalgesellschaft erforderlich sind (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a KVStG 1959). Das FG ist für den Bereich der Verlustübernahme auf Grund eines Ergebnisabführungsvertrages zutreffend davon ausgegangen, daß für die Ermittlung der Überschuldung einer inländischen Kapitalgesellschaft auf den Zeitpunkt abzustellen ist, in dem der Anspruch auf Verlustübernahme entsteht und damit die Überschuldung beseitigt wird.

a) Dies ergibt sich bereits aus der wortgetreuen Auslegung der Vorschrift. Danach muß die Leistung zur Deckung einer Überschuldung der Kapitalgesellschaft erforderlich sein. Daraus folgt, daß sie die Eignung haben muß, die Überschuldung abzudecken. Außerdem muß sie zur Abdeckung der Überschuldung bestimmt sein. Schließlich darf keine andere Form der Abdeckung der Überschuldung in Betracht kommen. Zu beachten ist jedoch, daß in der Überschuldungsbilanz der Kapitalgesellschaft schon deren Forderung auf Verlustausgleich und nicht erst der bewirkte Verlustausgleich zu erfassen ist. Deshalb führte schon die Entstehung des Anspruchs der Klägerin gegen die OT-AG auf Verlustübernahme zur Abdeckung der Überschuldung. Dieser Anspruch entstand aber auf Grund des Ergebnisabführungsvertrages einerseits und des von der Klägerin erwirtschafteten Verlustes (Bedingungseintritt) andererseits schon mit Ablauf des 31. Dezember 1970. Der Vollzug der Verlustübernahme (Erfüllungsgeschäft) manifestierte nur die schon vorher durch die Entstehung der Ausgleichsforderung eingetretene Abdeckung der Überschuldung. So gesehen muß bei der Auslegung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1959 immer auf die Überschuldung unmittelbar vor der Entstehung des Leistungsanspruchs abgestellt werden, wenn die Vorschrift nicht ins Leere laufen soll. Würde man nämlich der Auffassung des FA folgen, dann könnte sie nur dann angewendet werden, wenn die Entstehung der Verpflichtung zur Leistung mit deren Bewirkung (zufällig) zeitlich zusammenfiele. Schon bisher hat jedoch die höchstrichterliche Rechtsprechung einer solchen Auslegung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1959 widersprochen (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 2. August 1927 II A 95/27, RFHE 22, 34; BFH-Urteile in BFHE 93, 344, BStBl II 1968, 781, und vom 21. September 1977 II R 21/73, BFHE 124, 79, BStBl II 1978, 136).

b) Für die hier vertretene Auffassung spricht auch das im deutschen Zivilrecht geltende Abstraktionsprinzip, d.h. der Grundsatz, daß das Erfüllungsgeschäft (Leistungsbewirkung) losgelöst von dem schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäft (Grundgeschäft) zu beurteilen ist. Soll eine Leistung - wie es § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1959 fordert - einem bestimmten Zweck dienen, so kann der Zweck sich nur aus dem schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäft ergeben. Er wird durch das Erfüllungsgeschäft nicht verändert. Entsprechend ist auch im Streitfall der Zweck der bewirkten Leistung an Hand des Ergebnisabführungsvertrages und der durch Bedingungseintritt entstandenen Verlustausgleichsforderung zu ermitteln. Der sich so ergebende Zweck wird durch die Leistungsbewirkung (Erfüllungsgeschäft) nicht berührt. Der gewollte Zweck wird auch objektiv erreicht, wenn man die Leistungsbewirkung als eine Konkretisierung der schon durch Forderungsentstehung (bilanzrechtlich) eingetretenen Abdeckung der Überschuldung versteht.

c) Der hier vertretenen Auffassung steht die Systematik des KVStG 1959 nicht entgegen. Danach wird zwar der Besteuerungstatbestand des § 2 Nr. 2 KVStG 1959 erst durch die Bewirkung der Leistung verwirklicht (vgl. BFH-Urteil vom 22. Juli 1987 I R 74/85, BFHE 150, 447, BStBl II 1987, 823). Daraus folgt jedoch nicht denknotwendigerweise, daß auch § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1959 den Zeitpunkt der Überschuldung auf den Zeitpunkt der Bewirkung der Leistung beziehen müsse. § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1959 ist eine Tarifvorschrift, die als solche nicht mehr den Besteuerungstatbestand, sondern nur seine Rechtsfolge regelt. Es steht dem Gesetzgeber frei, den ermäßigten Steuersatz von der Erzielung eines bestimmten Leistungserfolges abhängig zu machen. Entscheidend ist deshalb, daß der angestrebte Leistungserfolg auch dann noch erreicht wird, wenn die bestehende Überschuldung bilanzrechtlich schon am 31. Dezember 1970 durch die Entstehung einer Ausgleichsforderung beseitigt wurde und die Erfüllung der Forderung die Abdeckung der Überschuldung nur manifestierte.

d) Nur vorsorglich wird darauf hingewiesen, daß das FA seine eigene Auffassung selbst nicht konsequent angewendet hat. Es hätte dann nämlich eine Überschuldungsbilanz zum 26. Juli 1971 aufstellen müssen und sich nicht mit der Korrektur des Jahresabschlusses 1970 in nur einer Position begnügen dürfen. Dies zeigt, daß auch Überlegungen der praktischen Gesetzesanwendung für die hier vertretene Auffassung sprechen.

4. Die Vorentscheidung entspricht den hier wiedergegebenen Rechtsgrundsätzen. Sie verletzt insoweit kein Bundesrecht. Das FG hat auch die sich daraus ergebende Gesellschaftsteuer zutreffend berechnet. Deshalb war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.