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  BFH-Urteil vom 12.12.1990 (I R 18/89) BStBl. 1991 II S. 485

1. Ist eine bei Abschluß eines Bausparvertrages erhobene "Abschlußgebühr" bei Darlehensverzicht dem Bausparer zurückzuzahlen, so ist bei der Bausparkasse eine Rückstellung wegen ungewisser Verbindlichkeiten zu bilden.

2. Bei Bewertung dieser Rückstellung sind die tatsächlichen Rückzahlungen in der Vergangenheit zu berücksichtigen.

KStG 1977 § 8 Abs. 1; EStG § 5 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2; AktG 1965 § 152 Abs. 8 Satz 1, Abs. 9; HGB n.F. §§ 242 Abs. 1 Satz 1, 246 Abs. 1, 249 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

I.

Streitig ist die Bildung einer Rückstellung für die von einer Bausparkasse vereinnahmten, teilweise aber an die Bausparer zurückzugewährenden Abschlußgebühren.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Bausparkasse in der Rechtsform einer AG. In ihren im November 1984 neu gefaßten Allgemeinen Bedingungen für Bausparverträge (ABB) ist für Tarif B in § 4 Abs. 2 bestimmt, daß die bei Vertragsabschluß zu entrichtende Abschlußgebühr bei einem Verzicht auf das Bauspardarlehen nach Zuteilung an den Bausparer zurückzuerstatten ist.

Die Klägerin hat im Streitjahr 1985 .... Mio DM an Abschlußgebühren aus Verträgen des Tarifs B vereinnahmt. Für ca. 15 v.H. der dabei vereinbarten Bausparsumme verzichten die Bausparer nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) erfahrungsgemäß auf das ihnen zustehende Bauspardarlehen. Die Klägerin bildete wegen der zu erwartenden Rückzahlungspflicht in ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1985 eine Rückstellung in Höhe von .... Mio DM (= 15 v.H. aus .... Mio DM).

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erkannte die Rückstellung im Körperschaftsteuerbescheid 1985 vom 20. Januar 1987 nicht an und setzte die Körperschaftsteuer auf einer um diesen Betrag erhöhten Bemessungsgrundlage fest.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wurde vom FG zurückgewiesen. Das FG lehnte eine Rückstellung ab, da der Tatbestand, an den sich die Leistungspflicht der Klägerin knüpfe, im Streitjahr noch nicht erfüllt sei.

Mit ihrer vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) n.F.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Körperschaftsteuer auf .... DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führte zur Aufhebung des Urteils des FG und zur Zurückverweisung an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

A. 1. Gemäß § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1977, § 5 Abs. 1 EStG 1985 ist bei Gewerbetreibenden, die aufgrund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet sind, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen, für den Schluß des Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist.

Die Klägerin war im Streitjahr zur Buchführung und zu regelmäßigen Abschlüssen verpflichtet (§ 148 ff. des Aktiengesetzes - AktG - 1965; jetzt: § 238 Abs. 1 HGB n.F.). Für Zwecke der von ihr zu entrichtenden Körperschaftsteuer war deshalb das nach handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisende Betriebsvermögen anzusetzen (§ 8 Abs. 1 KStG 1977, § 5 Abs. 1 EStG 1981). In der Bilanz der Klägerin waren nach diesen Grundsätzen Verbindlichkeiten, Rechnungsabgrenzungsposten und Rückstellungen zu passivieren. Das ergibt sich für Verbindlichkeiten aus § 40 der im Streitjahr geltenden Fassung des HGB (jetzt: § 247 Abs. 1, § 266 Abs. 3 Abschn. C HGB n.F.; Clemm/Nonnenmacher in Beck'scher Bilanzkommentar, 1986, § 247 Rdnr. 352). Passive Rechnungsabgrenzungsposten waren nach § 5 Abs. 3 EStG 1981, § 152 Abs. 9 AktG 1965 für Einnahmen vor dem Abschlußstichtag zu bilden, soweit sie Ertrag für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellten. Für ungewisse Verbindlichkeiten waren im Streitjahr gemäß § 152 Abs. 7 AktG a.F. i.V.m. § 39 HGB a.F. (jetzt: § 249 Abs. 1, § 266 Abs. 3 Abschn. B HGB n.F.) Rückstellungen zu passivieren.

2. Wegen der Verpflichtung zur Rückzahlung eines Teils der Abschlußgebühren ist die Klägerin verpflichtet, eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden.

a) Eine ungewisse Verbindlichkeit ist eine gegenüber Dritten bestehende Verpflichtung, die nach Grund oder Höhe unsicher ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. Februar 1987 IV R 81/84, BFHE 149, 55, BStBl II 1987, 845; Küting/Weber, Handbuch der Rechnungslegung, 3. Aufl., § 249 Rz. 12; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 9. Aufl., § 5 Rz. 39). Da die Abschlußgebühren nur an Bausparer zurückzugewähren sind, die nach Zuteilung auf die Darlehensgewährung verzichten, ist im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht absehbar, welche Abschlußgebühren zurückzuzahlen sind. Es besteht eine - bezogen auf den einzelnen Bausparer - dem Grunde nach ungewisse Rückzahlungsverpflichtung. Bezogen auf die Gesamtheit aller Bausparer besteht eine zumindest der Höhe nach ungewisse Rückzahlungsverpflichtung.

b) Ungewisse Verbindlichkeiten führen nur dann zur Bildung einer Rückstellung, wenn die Verbindlichkeit am Bilanzstichtag entweder dem Grunde nach entstanden oder wirtschaftlich im abgelaufenen oder früheren Wirtschaftsjahren verursacht worden ist (BFH-Urteile vom 19. Mai 1983 IV R 205/79, BFHE 139, 41, BStBl II 1983, 670; vom 20. Januar 1983 IV R 168/81, BFHE 137, 489, BStBl II 1983, 375; vom 19. Mai 1987 VIII R 327/83, BFHE 150, 140, BStBl II 1987, 848). Sind ungewisse Verbindlichkeiten wirtschaftlich einem künftigen Wirtschaftsjahr zuzuordnen, so dürfen sie das Ergebnis des laufenden Wirtschaftsjahres nicht belasten.

c) Im Streitfall ist die ungewisse Verpflichtung zur Rückzahlung der Abschlußgebühr im Jahre des Vertragsabschlusses wirtschaftlich verursacht. Die wirtschaftliche Verursachung einer Verbindlichkeit im abgelaufenen Wirtschaftsjahr setzt voraus, daß die Verbindlichkeit so eng mit dem betrieblichen Geschehen des abgelaufenen Wirtschaftsjahres verknüpft ist, daß es gerechtfertigt erscheint, sie wirtschaftlich diesem Wirtschaftsjahr zuzuordnen. Das ist der Fall, da die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale der Rückzahlungspflicht in diesem Zeitraum erfüllt wurden und das Entstehen der Verbindlichkeit nur noch von wirtschaftlich unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt (vgl. BFH-Urteile vom 1. August 1984 I R 88/80, BFHE 142, 226, BStBl II 1985, 44; in BFHE 150, 140, BStBl II 1987, 848). Das für die Entstehung einer Rückzahlungsverpflichtung wirtschaftlich wesentliche Tatbestandsmerkmal ist die Zahlung der Abschlußgebühr durch den Bausparer. Zwar trägt die Entscheidung des Bausparers, auf das Darlehen zu verzichten, ebenfalls wesentlich zur Entstehung der Rückzahlungsverpflichtung bei. Aus der Sicht der Klägerin ist jedoch das für ihren Vermögensstand wirtschaftlich wesentliche Ereignis die Zahlung bei Vertragsabschluß in Verbindung mit der Rückzahlungspflicht bei Darlehensverzicht. Hängt die Pflicht der Klägerin zur Rückzahlung eines erhaltenen Betrags nach den Vertragsbestimmungen nur noch von einem von ihrem Willen unabhängigen Verhalten des Bausparers ab, so ist die wirtschaftliche Verursachung im Zahlungsjahr zu bejahen. Die wirtschaftliche Verursachung ist ebenso gegeben, wie bei der Zusage von Gratifikationen oder Jubiläumszuwendungen, die auf bereits erbrachten Leistungen der Arbeitnehmer beruhen, aber noch vom Kündigungsverhalten der Arbeitnehmer abhängen (BFH-Urteile vom 7. Juli 1983 IV R 47/80, BFHE 139, 154, BStBl II 1983, 753, 755; vom 5. Februar 1987 IV R 81/84, BFHE 149, 55, BStBl II 1987, 845). Mit der Zahlung der Abschlußgebühr sind Mittel des Bausparers in das Vermögen der Klägerin übergegangen. Würde der zu bilanzierende Vermögensstand der Klägerin nicht um die wahrscheinlichen Rückzahlungsbeträge gemindert, würde die Klägerin im Jahr des Vertragsabschlusses einen von ihr nicht erwirtschafteten Gewinn ausweisen. Bei dieser Situation ist die auf der Zahlung der Abschlußgebühr beruhende ungewisse Verbindlichkeit wirtschaftlich dem Jahr zuzuordnen, in dem die Abschlußgebühr gezahlt wurde.

d) Der Senat weicht damit nicht vom Urteil des BFH vom 8. Oktober 1987 IV R 18/86 (BFHE 151, 153, BStBl II 1988, 57) ab. In dieser Entscheidung hat der BFH eine Rückstellung bei einem Leasing-Unternehmen abgelehnt, die für die Verpflichtung zu einer "Mietrückvergütung" an den Leasingnehmer gebildet worden war. Der BFH hat die Voraussetzungen einer Rückstellung verneint, weil die Mietzahlungen des Leasingnehmers Gegenleistung für die laufende Überlassung des Leasingguts waren. Die "Rückvergütung" war ausschließlich als Anspruch auf Beteiligung am künftigen Erlös aus dem Verkauf des Leasingguts zu beurteilen.

Im Streitfall ist demgegenüber die Rückzahlung der Abschlußgebühr nicht Folge eines künftigen, das Wirtschaftsjahr nicht berührenden Geschäfts. Sie hängt vielmehr unmittelbar mit dem Empfang der Abschlußgebühr bei Vertragsabschluß zusammen.

3. Die Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten sind mit dem Betrag anzusetzen, der nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendig ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 und 3 EStG, § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB n.F.).

a) Bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung kann nicht außer Betracht bleiben, daß die Klägerin die gezahlte Abschlußgebühr an solche Bausparer nicht zurückzuzahlen braucht, die das Darlehen in Anspruch nehmen (vgl. BFH-Urteil vom 7. Juli 1983 IV R 47/80, BFHE 139, 154, 156, BStBl II 1983, 753).

Da bei den meist über mehrere Jahre laufenden Bausparverträgen im Wirtschaftsjahr des Vertragsabschlusses nicht zu übersehen ist, wieviele Fälle zu einer Rückzahlung der Abschlußgebühr führen werden, muß die Berechnung des Rückstellungsbetrages auf statistische Zahlen der Vergangenheit gestützt werden.

Nach den Feststellungen des FG ist in einem auf die Bausparsummen bezogenen Bruchteil von 15 v.H. ein Verzicht der Bausparer auf das Darlehen zu erwarten. Es bestehen keine Bedenken, im zweiten Rechtsgang diese Feststellung der Berechnung der Rückstellung zugrunde zu legen.

b) Die Unverzinslichkeit der teilweise zurückzugewährenden Abschlußgebühren kann sich nicht auf die Bewertung der Rückstellung auswirken.

aa) Bei einer empfangenen und ohne Zinsberechnung nach längerer Zeit in gleicher Höhe zurückzugewährenden Geldleistung ist die Verpflichtung mit dem Nennbetrag zu passivieren.

bb) Für die Bewertung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten gelten die allgemeinen Grundsätze für die Bewertung von Verbindlichkeiten (BFH-Urteile vom 19. Januar 1972 I 114/65, BFHE 104, 422, BStBl II 1972, 392; vom 7. Juli 1983 IV R 47/80, BFHE 139, 154, BStBl II 1983, 753). Verbindlichkeiten sind gemäß § 8 Abs. 1 KStG 1977, § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG unter sinngemäßer Anwendung der Vorschriften des § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG anzusetzen. Daraus folgt, daß Verbindlichkeiten sinngemäß mit den "Anschaffungskosten" oder einem höheren Teilwert anzusetzen sind (BFH-Urteil vom 31. Januar 1980 IV R 126/76, BFHE 130, 372, BStBl II 1980, 491, 493; vgl. auch Groh, Betriebs-Berater - BB - 1988, 1919). Die "Anschaffungskosten einer Verbindlichkeit" sind nach der neueren Rechtsprechung gemäß den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung zu ermitteln. Danach gilt als Anschaffungskosten der Nennbetrag einer Verbindlichkeit (BFH-Urteile vom 4. März 1976 IV R 78/72, BFHE 121, 318, BStBl II 1977, 380; in BFHE 130, 372, BStBl II 1980, 491, 493; E. Strobl in Festschrift Döllerer, S. 617).

Ist allerdings im Erfüllungsbetrag (= Rückzahlungsbetrag) ein Zinsanteil enthalten, so kann eine Abzinsung sowohl nach handelsrechtlichen als auch nach steuerrechtlichen Grundsätzen geboten sein (BFH-Urteile vom 25. Februar 1975 VIII R 19/70, BFHE 115, 514, BStBl II 1975, 647, 648; in BFHE 139, 154, BStBl II 1983, 753). Der Zinsbestandteil wird in diesem Fall aus dem Schuldbetrag herausgelöst.

Bei tatsächlich unverzinslichen Schulden ist jedoch eine Abzinsung nicht möglich (vgl. Clemm/Nonnenmacher, a.a.O., § 253 Anm. 63; E. Strobl, a.a.O., S. 620). Anders als in den vom BFH entschiedenen Fällen in BFHE 115, 514, BStBl II 1975, 647, 648 und in BFHE 139, 154, BStBl II 1983, 753 ist in den von der Klägerin zurückzuzahlenden Abschlußgebühren kein Zinsanteil enthalten. Der an die Klägerin bei Abschluß des Bausparvertrages entrichtete "Verfügungsbetrag" (= Auszahlungsbetrag) deckt sich mit dem "Erfüllungsbetrag" (= Rückzahlungsbetrag).

Der Senat weicht mit dieser Auffassung nicht vom Urteil des BFH in BFHE 115, 514, BStBl II 1975, 647, 648 ab. Zwar hat der BFH in dieser Entscheidung ausgeführt, daß nach einem allgemeinen Erfahrungssatz längerfristige "unverzinsliche" Verbindlichkeiten einen Zinsanteil enthielten. Das kann jedoch nicht gelten, wenn sich Auszahlungsbetrag und Rückzahlungsbetrag decken. Es liegt auch keine Abweichung vom BFH-Urteil vom 19. Juli 1983 VIII R 160/79 (BFHE 139, 244, BStBl II 1984, 56) vor. In dieser Entscheidung hatte der BFH bei der Bewertung einer Rückstellung für drohende Verluste aus künftigen Dienstleistungen eine Abzinsung bejaht. Demgegenüber kann bei ungewissen Geldschulden - ebenso wie bei gewissen Geldschulden - der Nennwert der Verbindlichkeit nur unterschritten werden, wenn im Erfüllungsbetrag ein Zinsanteil enthalten ist. Diese Voraussetzung liegt im Streitfall nach den obigen Ausführungen nicht vor.

B. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Es fehlen Feststellungen zur Höhe der in die Körperschaftsteuer 1985 eingehenden Ausschüttungsbelastung. Aus dem angefochtenen Körperschaftsteuerbescheid vom 20. Januar 1987 ist zu entnehmen, daß eine Steuerminderung nach § 27 KStG 1977 berücksichtigt wurde. Eine Überprüfung dieser Steuerberechnung wäre dem Revisionsgericht nur möglich, wenn das FG Feststellungen - sei es auch durch Verweisung auf den Bescheid gemäß § 47 KStG 1977 - zum verwendbaren Eigenkapital getroffen hätte. Die Sache muß deshalb zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen werden. Das FG wird die entsprechenden Feststellungen noch ergänzen müssen.