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  BFH-Urteil vom 26.2.1991 (IX R 95/88) BStBl. 1991 II S. 572

Zur Anwendung der Übergangsregelung des BMF betreffend die einkommensteuerrechtliche Behandlung des Nießbrauchs im Schreiben vom 25. Mai 1981 IV B 4 - S 2113 - 28/81 (BStBl I 1981, 335).

AO 1977 § 163 Abs. 1.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

Die damals noch verheirateten Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) waren im Streitjahr 1981 Eigentümer einer Eigentumswohnung. Sie bestellten mit notariell beurkundetem Vertrag vom 17. Dezember 1980 der Mutter des Klägers ein auf sechs Jahre befristetes unentgeltliches Nießbrauchsrecht an dieser Eigentumswohnung. Sie verpflichteten sich, sämtliche mit der Eigentumswohnung verbundenen Aufwendungen weiterhin zu tragen.

Die Kläger gaben in ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr Einnahmen aus der Eigentumswohnung von 0 DM an. Als Werbungskosten machten sie Schuldzinsen, Wohngeld, Grundsteuer, erhöhte Absetzungen und Absetzungen für Abnutzung (AfA) in Höhe von insgesamt 29.915 DM geltend. Zugleich beantragten sie, die Einkommensteuer aus Billigkeitsgründen nach § 163 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) unter Berücksichtigung der strittigen Aufwendungen als Werbungskosten niedriger festzusetzen.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erkannte zunächst in seinem Einkommensteuerbescheid 1981 die erhöhten Absetzungen und die AfA als abziehbare Werbungskosten an. In der Einspruchsentscheidung berücksichtigt das FA dann jedoch nach einem vorherigen Hinweis überhaupt keine Werbungskosten mehr. Die von den Klägern begehrte Billigkeitsmaßnahme lehnte es ab. Die Beschwerde der Kläger wies die Oberfinanzdirektion (OFD) mit Beschwerdeentscheidung vom 25. Januar 1984 zurück.

Die Kläger verfolgten die begehrte Billigkeitsmaßnahme mit ihrer Klage weiter, die sie erst nach Ablauf der Klagefrist eindeutig gegen das FA richteten.

Das Finanzgericht (FG) gab ihrer Klage statt. Es verpflichtete das FA unter Aufhebung der Beschwerdeentscheidung der OFD, den Einkommensteuerbescheid 1981 dahingehend zu ändern, daß bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung weitere Werbungskosten in Höhe von 29.915 DM in Ansatz gebracht werden. Die Kläger hätten einen Rechtsanspruch auf die begehrte Billigkeitsmaßnahme. Das FA und die OFD seien in der Ausübung ihres Ermessens durch das Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 25. Mai 1981 IV B 4 - S 2113 - 28/81 - (BStBl I 1981, 335) gebunden. Der Senat wisse aus eigener Erfahrung, daß es früher Verwaltungspraxis gewesen sei, daß im Falle eines unentgeltlich bestellten Nießbrauchs derjenige die Werbungskosten abziehen dürfe, der sie getragen habe. Dies gelte insbesondere für den Bereich des beklagten FA.

Das FA rügt mit seiner vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unbegründet.

1. Das FG ist - entgegen der Auffassung des FA - zutreffend davon ausgegangen, daß die Klage zulässig ist. Die von den Klägern erhobene Klage muß dahin ausgelegt werden, daß sie sich entsprechend § 63 Abs. 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gegen das FA als die Behörde richtet, die den beantragten Verwaltungsakt abgelehnt hat.

Die Bezeichnung des Beklagten in der Klageschrift ist allerdings widersprüchlich. Eingangs ist als Beklagter die OFD benannt. Anschließend ist demgegenüber das FA als diejenige Behörde angeführt, die den beantragten Verwaltungsakt abgelehnt hat. Der Name des FA läßt sich aus der der Klageschrift beigefügten Beschwerdeentscheidung der OFD entnehmen.

Es mußte den Klägern jedoch gestattet sein, die Unklarheit in der Bezeichnung des Beklagten auch noch nach Ablauf der Klagefrist durch Benennung des FA als Beklagten zu berichtigen. Denn für einen kundigen Leser der Klageschrift und der ihr beigefügten Beschwerdeentscheidung der OFD war von Anfang an erkennbar, daß der Klägervertreter sich in der Bezeichnung der Person des Beklagten geirrt hatte und bei objektiver Betrachtung nur das FA als richtiger Beklagter in Betracht kam (ebenso zur Berichtigung einer unklaren Parteibezeichnung BFH-Urteil vom 12. Mai 1989 III R 132/85, BFHE 157, 296, BStBl II 1989, 846; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 65 FGO Tz. 2; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 65 FGO Anm. 22; unentschieden BFH-Urteil vom 26. Februar 1980 VII R 60/78, BFHE 130, 12, BStBl II 1980, 331).

2. Das FG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß die Kläger Anspruch auf Gewährung von Billigkeitsmaßnahmen haben.

a) Nach § 163 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 können Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Ein solcher Erlaß kommt aus sachlichen oder persönlichen Gründen in Betracht. Das FG hat rechtsfehlerfrei sachliche Billigkeitsgründe bejaht.

Über die Gewährung der von den Klägern begehrten Billigkeitsmaßnahme hatte das FA nach pflichtgemäßem Ermessen zu befinden. Eine solche Entscheidung kann von den Steuergerichten nur darauf überprüft werden, ob es die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihm eingeräumten Ermessen in zweckwidriger Weise Gebrauch gemacht hat (§ 102 FGO). Eine Verpflichtung zum Erlaß kann nur dann ausgesprochen werden, wenn nach den Umständen des Einzelfalles jede andere Entscheidung ermessensfehlerhaft wäre (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603).

b) Das FG hat die Verpflichtung des FA, die Einkommensteuer für das Streitjahr niedriger festzusetzen, zutreffend aus dem Schreiben des BMF vom 25. Mai 1981 IV B 4 - S 2113 - 28/81 (BStBl I 1981, 335; gleichlautend der vom FA angeführte Erlaß des Hessischen Ministers der Finanzen vom 25. Mai 1981 S 2113 A - 15 - II B 1 a Abschn. IV. 1.) entnommen. Es handelt sich dabei um eine aufgrund des § 163 Abs. 1 und des § 227 Abs. 1 AO 1977 ergangene Übergangs- und Billigkeitsregelung, die auch die Steuergerichte zu beachten haben (vgl. BFH-Beschluß vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, 417, BStBl II 1984, 751, 757).

Nach Nr. 1 des BMF-Schreibens sind bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung die BFH-Urteile vom 13. Mai 1980 VIII R 75/79, 63/79, 128/78 (BFHE 131, 208, 212, 216, BStBl II 1981, 295, 297, 299) erstmals für den Veranlagungszeitraum 1982 anzuwenden, soweit sie gegenüber der bisherigen Verwaltungspraxis zu einer Verschärfung der Besteuerung führen. Ist der Nießbrauch erst nach der Veröffentlichung dieser Verwaltungsanweisung im Bundessteuerblatt bestellt worden, so ist die Übergangsregelung nicht anzuwenden. Die Kläger erfüllen aufgrund des von ihnen am 17. Dezember 1980 bestellten Nießbrauchs die Voraussetzungen für die Anwendung der Übergangsregelung.

Das BFH-Urteil in BFHE 131, 216, BStBl II 1981, 299 hatte für die Kläger nachteilige Folgen, die durch die Übergangsregelung des BMF für die Vergangenheit vermieden werden sollten. Die in dem BFH-Urteil enthaltene Rechtserkenntnis, daß der Eigentümer als Besteller eines unentgeltlichen Nießbrauchs mangels Einkunftserzielung keine Werbungskosten abziehen darf, war damals neu. Nach den BFH-Urteilen vom 5. Juli 1957 VI 74/55 U (BFHE 65, 419, BStBl III 1957, 393), und vom 4. August 1961 VI 269/60 S (BFHE 73, 183, BStBl III 1961, 562) konnte der Eigentümer im Hinblick auf die künftige Nutzung die Kosten aus dem Grundstück, soweit sie zu seinen Lasten gingen, als eigene Werbungskosten geltend machen. Aus dem BFH-Urteil vom 19. Oktober 1976 VIII R 65/73 (BFHE 120, 234, BStBl II 1977, 72), auf das sich das FA als Grundlage für die zuvor gegebene "objektive Rechtslage" beruft, mögen sich zwar Zweifel an der Rechtsprechung herauslesen lassen; mit der Entscheidung hatte der BFH diese Rechtsprechung jedoch noch nicht aufgegeben (ebenso zur Entwicklung der Rechtsprechung bereits Urteil vom 20. Januar 1987 IX R 49/82, BFH/NV 1987, 433).

c) Dementsprechend verfuhr auch das beklagte FA - nach den den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG - früher gemäß dem Grundsatz, daß im Falle eines unentgeltlichen Zuwendungsnießbrauchs derjenige Aufwendungen auf die überlassene Sache als Werbungskosten abziehen durfte, der sie tatsächlich getragen hat. Die Verwaltungspraxis ist als ein tatsächlich geübtes Verhalten eine Tatsache. Ihre Feststellung obliegt dem FG (ebenso zur Feststellung der Verkehrsauffassung BFH-Urteil vom 2. Februar 1967 V 99/64, BFHE 88, 396, BStBl III 1967, 403). Das FG konnte die Tatsachenfeststellung aufgrund eigener Kenntnis treffen.

3. Das angefochtene Urteil war - entgegen der Auffassung des FA - schließlich auch nicht allein deswegen aufzuheben, weil das FG das FA verpflichtet hat, den Einkommensteuerbescheid 1981 unter Berücksichtigung der strittigen Werbungskosten zu ändern. Dem FA ist allerdings darin zuzustimmen, daß die Urteilsformel des angefochtenen Urteils nicht der Unterscheidung zwischen der Billigkeitsentscheidung nach § 163 AO 1977 und der Steuerfestsetzung gerecht wird. Die Zulassung einer niedrigeren Besteuerung und die Steuerfestsetzung bilden zwei in getrennten Verfahren ergehende selbständige Verwaltungsakte (BFH-Urteile vom 4. Februar 1987 I R 252/83, BFHE 149, 50, BStBl II 1987, 682; vom 13. April 1989 IV R 196/85, BFHE 156, 489, BStBl II 1989, 614). Der Verwaltungsakt, der die Billigkeitsmaßnahme zuläßt, bildet einen Grundlagenbescheid für die Steuerfestsetzung. Folgt die Billigkeitsmaßnahme der Steuerfestsetzung nach, so muß diese nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 geändert werden.

Das FG hätte demnach das FA zum Erlaß des Grundlagenbescheids mit der von den Klägern begehrten Billigkeitsmaßnahme verpflichten müssen. Der Urteilsausspruch wird deswegen dahin berichtigt, daß das FA unter Aufhebung seiner ablehnenden Entscheidung in der Gestalt der Beschwerdeentscheidung der OFD vom 25. Januar 1984 verpflichtet wird, zuzulassen, daß die Einkommensteuer 1981 unter Berücksichtigung weiterer Werbungskosten von 29.915 DM bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung niedriger festgesetzt wird.