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  BFH-Urteil vom 23.4.1991 (IX R 86/89) BStBl. 1991 II S. 712

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob Erschließungskosten, die der Erbbauberechtigte zunächst an den Grundstückseigentümer gezahlt hat und die später bei Erwerb des Grundstücks auf den Grundstückskaufpreis angerechnet werden, im Jahr des Erwerbs bei dem Erbbauberechtigten als Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung zu erfassen sind.

EStG § 9 Abs. 1 Satz 1, § 21.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) - zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute - erwarben durch Erbbaurechtsvertrag vom 9. September 1980 von einer Anstalt öffentlichen Rechts (Eigentümerin) ein am 1. Dezember 1980 in das Grundbuch eingetragenes Erbbaurecht mit einer Laufzeit von 99 Jahren. 1981 errichteten sie auf dem Erbbaugrundstück ein Zwei-Familien-Haus, dessen Hauptwohnung sie selbst nutzen und dessen Einliegerwohnung sie vermietet haben. In dem Erbbaurechtsvertrag heißt es u.a.: "Der vorgenannte Grundbesitz wird vom Eigentümer erschlossen. Der Eigentümer wird den Erschließungsaufwand, einschließlich der Zinsen und aller Nebenkosten anteilig auf die einzelnen Baugrundstücke umlegen und für ca. 200 Häuser Erbbaurechte ausgeben. Bei der Erbbaurechtsausgabe sind die errechneten Erschließungskosten dem Eigentümer zu erstatten. Das Erbbaurecht und der Erbbauzins bezieht sich somit auf das Baugrundstück im unerschlossenen Zustand." Außerdem räumt die Eigentümerin dem Erbbauberechtigten ein Ankaufsrecht nach Ablauf von 30 Jahren ein. Der Kaufpreis soll zwischen den Beteiligten vereinbart werden. Bei der Ermittlung des Kaufpreises soll berücksichtigt werden, daß die Erschließungskosten des Grundbesitzes bereits von den Erbbauberechtigten und nicht von der Eigentümerin bezahlt wurden. In einem Erschließungsvertrag hatte sich die Eigentümerin ihrerseits gegenüber der Stadt S zur Durchführung der Erschließung des Baugebietes verpflichtet.

Die Kläger zahlten ihren Erschließungskostenanteil von 27.048 DM am 31. Dezember 1980 an die Eigentümerin. Außer den Erschließungskosten hatten sie an die Eigentümerin eine einmalige Leistung von 10.626 DM und einen Erbbauzins von vierteljährlich 551,83 DM zu zahlen.

Mit Kaufvertrag vom 9. Februar 1987 verkaufte die Eigentümerin das Grundstück an die Kläger. In dem Grundstückskaufvertrag ist bezüglich des Kaufpreises vereinbart: "Der Kaufpreis beträgt 82.110 DM. Darauf werden angerechnet die von den Käufern geleisteten Zahlungen aufgrund des Erbbaurechtsvertrages vom 9. September 1980 in Höhe von 30.569,73 DM sowie ein Betrag in Höhe von 2.424,85 DM anteilige Guthabenzinsen für vorausgezahlte Erschließungskosten".

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte bei der Einkommensteuerfestsetzung für 1980 die Zahlung der Erschließungskosten zunächst nicht. Nach Unanfechtbarkeit des Bescheides beantragten die Kläger, 1/99 der 1980 gezahlten Erschließungs- und Vorkosten von 27.048 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abzuziehen und den Einkommensteuerbescheid nach § 173 der Abgabenordnung (AO 1977) zu ändern. Das FA änderte daraufhin den Einkommensteuerbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 und zog den gesamten Erschließungsaufwand von 27.048 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung ab.

Bei der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr 1987 erfaßte es die auf den Kaufpreis angerechneten Erschließungskosten als Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung und die Guthabenzinsen von 2.424,85 DM als Einnahmen aus Kapitalvermögen. Unter Berücksichtigung des Werbungskostenpauschbetrags von 200 DM und des Sparerfreibetrages von 600 DM ergaben sich Einkünfte aus Kapitalvermögen von 1.624 DM. Auf den Einspruch der Kläger hin verböserte das FA die Einkommensteuerfestsetzung insoweit, als es die Guthabenzinsen nunmehr zu den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung rechnete; dadurch entfiel der Abzug des Werbungskostenpauschbetrags und des Sparerfreibetrags.

Über die Anfechtungsklage gegen die Einkommensteuerfestsetzung 1987 ist noch nicht entschieden. Das FA lehnte außerdem den mit dem Einspruch gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides für das Streitjahr ab. Die Oberfinanzdirektion (OFD) wies die Beschwerde zurück. Die Verpflichtungsklage, mit der die Kläger begehrten, das FA zu verpflichten, die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 1987 ab dem Zeitpunkt der Fälligkeit in Höhe der Abschlußzahlung von 7.426 DM auszusetzen, hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) sah es als ernstlich zweifelhaft an, ob das FA zu Recht die auf den Kaufpreis angerechneten Erschließungskosten sowie die Guthabenzinsen als Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung beurteilt habe.

Dagegen richtet sich die Revision des FA, mit der es geltend macht, es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheides. Anders als in den vom FG zur Begründung seiner Entscheidung in Bezug genommenen Beschlüssen sei hier ausdrücklich die Anrechnung der Erschließungskosten auf den Kaufpreis vereinbart. Der Streitfall sei auch anders gelagert als der vom Bundesfinanzhof (BFH) im Urteil vom 17. April 1985 I R 132/81 (BFHE 144, 213, BStBl II 1985, 617) beurteilte Sachverhalt.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage auf Aussetzung der Vollziehung abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen.

Nach § 361 Abs. 2 AO 1977 kann die Finanzbehörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, auf Antrag die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Das ist der Fall, wenn neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Dies ist aufgrund einer summarischen Prüfung der tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen des angefochtenen Bescheides zu entscheiden (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung seit dem Beschluß des BFH vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182 zu § 69 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Bei summarischer Prüfung ist ernstlich zweifelhaft, ob die Anrechnung der Erschließungskosten auf den Grundstückskaufpreis bei den Klägern im Streitjahr zu Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) führt. Der Senat hat bisher nicht abschließend entschieden, wie Erschließungskosten, die der Erbbauberechtigte an den Grundstückseigentümer zahlt, bei der Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung des Erbbauberechtigten zu beurteilen sind. Er hat in seinem Urteil vom 21. November 1989 IX R 170/85 (BFHE 159, 72, BStBl II 1990, 310) offengelassen, ob er sich der Rechtsprechung der Ertragsteuersenate anschließen wird, die in der Übernahme der Erschließungskosten durch den Erbbauberechtigten ein zusätzliches Entgelt für die Nutzungsüberlassung des Grundstücks sehen, das der Erbbauberechtigte über einen aktiven Rechnungsabgrenzungsposten auf die Dauer des Erbbaurechts verteilt als Betriebsausgabe abziehen kann. Nach dieser Rechtsprechung ist es gleichgültig, ob der Erbbauberechtigte die Erschließungskosten unmittelbar trägt oder ob er sie dem Grundstückseigentümer erstattet (vgl. die Nachweise in dem Senatsurteil in BFHE 159, 72, BStBl II 1990, 310, und im Urteil vom 8. Dezember 1988 IV R 33/87, BFHE 155, 532, BStBl II 1989, 407). Die Anwendung der für bilanzierende Erbbauberechtigte geltenden Rechtsprechung im Bereich der Überschußeinkünfte ist deshalb zweifelhaft, weil bei den Überschußeinkünften nicht die Möglichkeit besteht, ein Nutzungsentgelt auf die Laufzeit des Nutzungsrechts zu verteilen (BFH-Urteil vom 11. Oktober 1983 VIII R 61/81, BFHE 140, 177, BStBl II 1984, 267, a.E. für Pachtvorauszahlungen).

Soweit sich der BFH bisher zur Beurteilung der Erschließungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geäußert hat, rechnet er sie zu den Anschaffungskosten des Erbbauberechtigten auf das Erbbaurecht, die im Ergebnis - wie die Erschließungskosten im gewerblichen Bereich - auf die Laufzeit des Erbbaurechts zu verteilen sind (BFH-Urteil vom 22. Februar 1967 VI 295/65, BFHE 88, 285, BStBl III 1967, 417). Dem entspricht es, daß die ältere höchstrichterliche Rechtsprechung einmalige Aufwendungen für den Erwerb eines Erbbaurechts (Notariats-, Vermessungs- und Gerichtskosten) als auf die Laufzeit des Erbbaurechts zu verteilende Anschaffungskosten für dieses Recht beurteilt (BFH-Urteil vom 31. Januar 1964 VI 252/62 U, BFHE 78, 487, BStBl III 1964, 187).

Die Verrechnung der Erschließungskosten mit dem Grundstückskaufpreis führt im Streitjahr auch nicht deshalb zweifelsfrei zu Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung, weil das FA bei der Einkommensteuerfestsetzung für 1980 auf den Antrag der Kläger die Erschließungskosten als Werbungskosten abgezogen hat. War der Abzug als Werbungskosten bei der Einkommensteuerfestsetzung für 1980 fehlerhaft, so bestehen bei summarischer Prüfung mindestens ernstliche Zweifel, ob dieser Fehler durch Ansatz einer entsprechenden Einnahme im Streitjahr korrigiert werden kann (vgl. auch den Senats-Beschluß vom 3. Dezember 1990 IX B 136/89, BFH/NV 1991, 316 zum Rückfluß von Anschaffungskosten bzw. Werbungskosten). Den Klägern kann auch nicht ohne weiteres der Vorwurf gemacht werden, sie setzten sich zu ihrem eigenen Verhalten in Widerspruch und verhielten sich treuwidrig, indem sie bei der Einkommensteuerfestsetzung 1980 beantragt haben, die Erschließungskosten als Werbungskosten abzuziehen, sich aber gegen den Ansatz einer entsprechenden Einnahme im Streitjahr wehren. Sie hatten seinerzeit nur beantragt, die Erschließungskosten - wie Anschaffungskosten auf das Erbbaurecht - auf die Laufzeit des Erbbaurechts zu verteilen und jährlich 1/99 dieser Aufwendungen als Werbungskosten abzuziehen. Das FA hat von sich aus bei der Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für 1980 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 - über den Antrag der Kläger hinaus - den Gesamtbetrag der Erschließungskosten als Werbungskosten abgezogen.

Die Vorinstanz hat danach zu Recht das FA für verpflichtet erklärt, die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides in der beantragten Höhe auszusetzen. Da die Kläger nur beantragt haben, die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 1987 in Höhe der Abschlußzahlung auszusetzen und dieser Antrag schon wegen der Zweifelhaftigkeit der Beurteilung der Erschließungskosten begründet ist, kann offenbleiben, wie die den Klägern im Kaufvertrag zugebilligten Guthabenzinsen einkommensteuerrechtlich zu beurteilen sind.