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  BFH-Urteil vom 23.4.1991 (VII R 37/90) BStBl. 1991 II S. 742

Ein Vollstreckungsaufschub bewirkt nur dann eine Unterbrechung der Verjährung, wenn er dem Vollstreckungsschuldner mitgeteilt worden ist.

AO §§ 147 Abs. 1, 333; AO 1977 §§ 231, 258.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war geschäftsführender Gesellschafter der .... GmbH & Co. KG (KG). Im Jahre 1973 wurde über das Vermögen der KG das Konkursverfahren eröffnet. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erließ gegenüber dem Kläger einen Haftungsbescheid über Lohnsteuer, Kirchensteuer, Ergänzungsabgaben und Stabilitätszuschlag nebst Säumniszuschlägen. Nach erfolglosem Einspruch erhob der Kläger Klage, zu deren Begründung er sich auf die Verjährung der Erstschuld der KG berief.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit der Begründung statt, daß die Erstschuld der KG bei Erlaß des Haftungsbescheides bereits verjährt gewesen sei und ein Haftungsbescheid deswegen nicht mehr habe ergehen dürfen. Soweit in einem an die Mutter des Klägers gerichteten Schreiben mitgeteilt worden sei, daß die Zwangsvollstreckung hinsichtlich der Steuerrückstände der KG ausgesetzt werde, wenn Teilzahlungen in Höhe von .... DM entrichtet würden, habe darin keine Bekanntgabe des Vollstreckungsaufschubs an den Steuerschuldner gelegen. Denn die Mutter sei vom Kläger lediglich bevollmächtigt gewesen, in seinen eigenen steuerlichen Angelegenheiten zu verhandeln. Damit hätten nur die Haftungsschulden des Klägers gemeint sein können. Die dem Schuldner nicht bekanntgegebene Einstellung der Zwangsvollstreckung sei kein die Verjährung unterbrechender Vollstreckungsaufschub i.S. des § 147 der Reichsabgabenordnung (AO).

Zur Begründung der vom FG zugelassenen Revision trägt das FA vor, daß der Vollstreckungsaufschub ausdrücklich in § 147 AO als verjährungsunterbrechend aufgeführt sei und das Gesetz nicht zwischen dem mitgeteilten und dem innerdienstlichen Vollstreckungsaufschub unterscheide.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Auffassung des FG, die Erstschuld der KG sei verjährt und der Haftungsbescheid deshalb rechtswidrig, ist nicht zu beanstanden. Die Ansicht, daß auch bereits vor Inkrafttreten der Abgabenordnung - AO 1977 - (vgl. § 191 Abs. 5 Nr. 2 AO 1977) nach Eintritt der Verjährung der Erstschuld diese nicht mehr durch Haftungsbescheid geltend gemacht werden kann, entspricht der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 16. Juli 1985 VII R 185/82, BFH/NV 1987, 210). Die in dem Haftungsbescheid geltend gemachte Erstschuld der KG war bei Erlaß des Haftungsbescheides verjährt.

1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß sich die Verjährung der Erstschuld der KG aus dem Jahre 1973 gemäß Art. 97 § 10 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) nach den Vorschriften der AO richtet. Gegen die Ausführungen der Vorinstanz, ausweislich des Inhalts der beigezogenen Akten seien Vollstreckungsakte gegenüber der KG in den Jahren 1973 und 1974 vorgenommen worden, sind keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben worden. Diese Feststellung ist deshalb für das Revisionsverfahren bindend (§ 118 Abs. 2 FGO). Da Vollstreckungshandlungen im Jahre 1974 die Verjährung des im Jahre 1973 entstandenen primären Lohnsteuer-Haftungsanspruchs gegenüber der KG unterbrochen und gemäß § 147 Abs. 2 AO eine neue Frist mit Ablauf des Jahres 1974 in Lauf gesetzt haben, ist die Verjährungsfrist von fünf Jahren (§§ 144, 145 AO) für die Erstschuld am 31. Dezember 1979 abgelaufen.

a) Die Verjährungsfrist für die Erstschuld war auch nicht vor ihrem Ablauf durch einen der KG mitgeteilten Vollstreckungsaufschub gemäß § 147 Abs. 1 AO unterbrochen worden. Für das Revisionsverfahren ist davon auszugehen, daß in dem Schreiben an die Mutter des Klägers keine Mitteilung des Vollstreckungsaufschubs an die KG als die Erstschuldnerin zu sehen ist. Gegen die Auffassung der Vorentscheidung, durch dieses Schreiben sei der darin zum Ausdruck gekommene Vollstreckungsaufschub nicht der KG mitgeteilt worden, sind vom FA keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben worden. Die Würdigung des FG widerspricht auch nicht Denkgesetzen und Erfahrungssätzen; sie ist deshalb für das Revisionsgericht verbindlich.

b) Eine Unterbrechung der Verjährung der Erstschuld ist auch nicht dadurch eingetreten, daß in der Zusage an die Mutter des Klägers ein Vollstreckungsaufschub bezüglich der Haftungsschuld des Klägers zu sehen ist. Denn eine Unterbrechung der Verjährung nach § 147 AO tritt nach der neueren Rechtsprechung des Senats, mit der er seine früher vertretene abweichende Auffassung aufgegeben hat, nur für denjenigen Vollstreckungsschuldner ein, gegen den sich die jeweiligen Maßnahmen richten (vgl. Senatsurteile vom 11. Juli 1979 VII R 64/76, BFHE 128, 567, BStBl II 1980, 33; vom 8. Dezember 1981 VII R 105/78, BFHE 134, 532, BStBl II 1982, 226). Das bedeutet, daß der die Unterbrechung der Verjährung der Haftungsschuld des Klägers bewirkende und diesem gewährte Vollstreckungsaufschub nicht auch gleichzeitig eine Unterbrechung der Verjährung der Erstschuld der KG zur Folge hatte.

2. Ein der KG gewährter Vollstreckungsaufschub konnte ohne Bekanntgabe an die KG keine Unterbrechung der Verjährung der Erstschuld der KG herbeiführen. Nach § 147 Abs. 1 AO wird die Verjährung unterbrochen durch schriftliche Zahlungsaufforderung, durch Zahlungsaufschub, durch Stundung, durch Aussetzung der Vollziehung, durch Sicherheitsleistung, durch eine Vollstreckungsmaßnahme, durch Vollstreckungsaufschub, durch Anmeldung im Konkurs und durch Ermittlungen des FA über Wohnsitz oder Aufenthalt des Zahlungspflichtigen. Die zwischen den Beteiligten streitige Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Vollstreckungsaufschub die Unterbrechung der Verjährung gemäß § 147 AO herbeizuführen geeignet ist, ist von der Vorinstanz zutreffend dahin entschieden worden, daß ein dem Vollstreckungsschuldner nicht bekanntgegebener Vollstreckungsaufschub eine Unterbrechung der Verjährung nach § 147 AO nicht bewirken kann. Ein Vollstreckungsaufschub i.S. des § 147 AO liegt vielmehr nur bei einer Bekanntgabe an den Vollstreckungsschuldner vor.

a) Der in § 147 Abs. 1 AO (§ 231 AO 1977) verwendete Begriff des Vollstreckungsaufschubs ist im Gesetz selbst nicht definiert. Nach § 333 AO (§ 258 AO 1977) kann die Behörde die Zwangsvollstreckung einstweilen einstellen oder beschränken oder eine Vollstreckungsmaßnahme aufheben, soweit sie im Einzelfall unbillig ist. Der Begriff des Vollstreckungsaufschubs wird in § 333 AO (§ 258 AO 1977) nicht verwendet. Die ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen lassen danach offen, ob die Entscheidung über die Einstellung, Beschränkung oder Aufhebung der Zwangsvollstreckung zur Herbeiführung einer Verjährungsunterbrechung nach § 147 AO (§ 231 AO 1977) der Bekanntgabe bedarf oder ob es ausreicht, daß die Behörde eine entsprechende Entscheidung getroffen hat, ohne sie dem Vollstreckungsschuldner mitzuteilen.

b) Bereits im Schrifttum zur AO ist die Frage, ob zur Herbeiführung einer Unterbrechung der Verjährung durch Vollstreckungsaufschub dessen Bekanntgabe an den Vollstreckungsschuldner erfolgt sein muß, umstritten gewesen. Hübschmann/Hepp/Spitaler (Kommentar zur Reichsabgabenordnung, 1. - 6. Aufl., § 147 Anm. 6) haben die Auffassung vertreten, daß es sich beim Vollstreckungsaufschub um eine innerdienstliche Anweisung aus Gründen der Billigkeit oder Zweckmäßigkeit handele. Da das Gesetz nicht zwischen dem mitgeteilten und dem innerdienstlichen Vollstreckungsaufschub unterscheide, sei die Frage, ob eine Bekanntgabe erfolgt sei, unerheblich. Demgegenüber haben Tipke/ Kruse (Reichsabgabenordnung, 7. Aufl., § 147 Tz. 9) für eine Unterbrechung der Verjährung nach § 147 AO verlangt, daß der Vollstreckungsaufschub dem Steuerpflichtigen mitgeteilt worden sein müsse.

In den Kommentierungen zur AO 1977 wird überwiegend die Auffassung vertreten, daß ein Vollstreckungsaufschub (§ 258 AO 1977) die Verjährung gemäß § 231 AO 1977 nur unterbricht, wenn er dem Vollstreckungsschuldner mitgeteilt worden ist. Zur Begründung wird auf die Rechtssicherheit (Höllig in Koch, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 231 Tz. 8; Lohmeyer in Mittelbach/Lohmeyer/Kühr, Handbuch des Abgabenrechts, § 231 Anm. 2 g unter Hinweis auf Koch/Höllig), auf das Wesen des Vollstreckungsaufschubs als Verwaltungsakt (Frotscher in Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, § 231 Tz. 9) sowie auf die Rechtsprechung (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 231 AO 1977 Tz. 10) hingewiesen oder die Bekanntgabe ohne nähere Begründung verlangt (Reth in Gröger/Schöll, Abgabenordnung - Praktikerkommentar - , § 231 Anm. 2). Demgegenüber halten - soweit ersichtlich - ausdrücklich nur von Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler (Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 231 AO 1977 Anm. 8) und Klein/Orlopp (Abgabenordnung, 4. Aufl., § 258 Tz. 4) eine Mitteilung an den Vollstreckungsschuldner zur Herbeiführung der Verjährungsunterbrechung nach § 231 AO 1977 nicht für erforderlich.

c) Zu den in § 147 Abs. 1 AO (§ 231 AO 1977) angeführten Ereignissen, die eine Unterbrechung der Verjährung bewirken, gehören zwar neben Verwaltungsakten, die zu ihrer Wirksamkeit bekanntzugeben sind (vgl. § 91 AO, § 124 AO 1977) auch andere Maßnahmen, und zwar solche tatsächlicher Art, wie z.B. Ermittlungen des FA über Wohnsitz oder Aufenthalt des Zahlungspflichtigen oder eine Sicherheitsleistung durch diesen. Es kann aber dahingestellt bleiben, ob gleichwohl schon der in diesem Zusammenhang verwendete Begriff des Vollstreckungsaufschubs dahin auszulegen ist, daß durch ihn ein bekanntzugebender Verwaltungsakt bezeichnet wird oder ob dieser Begriff auch für eine innerdienstliche Maßnahme verwendet werden kann. Denn ungeachtet der Frage, ob es sich bei dem Vollstreckungsaufschub i.S. der §§ 147 Abs. 1 AO, 231 AO 1977 um einen für seine Wirksamkeit bekanntzugebenden Verwaltungsakt handelt, ist zu beachten, daß eine Handlung oder Maßnahme, soll sie eine Unterbrechung der Verjährung herbeiführen, den inneren Dienstbereich überschritten haben muß (vgl. Becker/Riewald/Koch, Reichsabgabenordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 147 Anm. 2 b, Abs. 5). So hat sich der Bundesfinanzhof (BFH) auch schon der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Obersten Finanzgerichtshofs angeschlossen, daß nicht jede innerdienstliche Handlung geeignet sei, die Verjährung nach § 147 Abs. 1 AO zu unterbrechen, sondern nur solche Handlungen des FA, die nach außen wirken (BFH-Urteil vom 20. Februar 1958 V 140/57 U, BFHE 67, 421, BStBl III 1958, 433, 434). Diese Forderung dient der Rechtssicherheit. Nur bei Mitteilung eines bewilligten Vollstreckungsaufschubs weiß der Vollstreckungsschuldner, daß eine Verjährung nicht eintreten kann. Bei einem nur innerdienstlichen Vollstreckungsaufschub kann der Schuldner demgegenüber nicht erkennen, ob ein (nicht bekanntgegebener) Vollstreckungsaufschub oder etwa lediglich eine Untätigkeit der Behörde vorliegt. Daraus folgt in Übereinstimmung mit der Vorentscheidung für den Vollstreckungsaufschub, daß er die Verjährung gemäß § 147 Abs. 1 AO (§ 231 AO 1977) nur dann unterbricht, wenn er dem Vollstreckungsschuldner mitgeteilt worden ist.

Dem Erfordernis der Außenwirkung ist im Falle des Vollstreckungsaufschubs auch nicht durch eine Mitteilung an Dritte - so im Streitfall auch nicht durch die nach den für das Revisionsverfahren verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz erfolgte Mitteilung an die Mutter des Klägers - genügt. Zwar entfalten bestimmte Vollstreckungsmaßnahmen mit Außenwirkung, wie z.B. der Antrag auf Konkurseröffnung oder der Antrag auf Eintragung einer Sicherungshypothek, ihre die Unterbrechung der Verjährung herbeiführende Wirkung auch ohne Bekanntgabe an den Vollstreckungsschuldner (vgl. Senatsurteil vom 17. Oktober 1989 VII R 77/88, BFHE 158, 310, 316, BStBl II 1990, 44). Während aber die vorgenannten Vollstreckungsmaßnahmen oder Ermittlungshandlungen ihrer Zielrichtung nach ein Tätigwerden gegenüber Dritten erforderlich machen, ist der Vollstreckungsaufschub eine ausschließlich dem Vollstreckungsschuldner bewilligte Begünstigung. Durch den Vollstreckungsaufschub sagt das FA dem Vollstreckungsschuldner das Unterlassen von Vollstreckungshandlungen zu (vgl. BFH-Urteil vom 15. März 1979 IV R 174/78, BFHE 127, 311, BStBl II 1979, 429, 430). Eine solche Zusage bedarf aber ihrer Zielrichtung nach zu ihrer Wirksamkeit einer Bekanntgabe an den von ihr betroffenen Vollstreckungsschuldner.

Die Auffassung, daß ein Vollstreckungsaufschub zu seiner Wirksamkeit einer Bekanntgabe bedarf, steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des V. Senats des BFH. Dieser hat entschieden, daß ein dem Vollstreckungsschuldner nicht bekanntgegebener Vollstreckungsaufschub eine nur innerdienstlich wirkende Maßnahme sei, die das FA dem Steuerpflichtigen gegenüber nicht verpflichte; eine derartige Maßnahme berühre - anders als die mitgeteilte Gewährung von Vollstreckungsaufschub während der Geltung der AO (bis 31. Dezember 1976) - die Fälligkeit der Steuerschuld nicht (Urteil vom 28. November 1985 V R 139/81, BFH/NV 1987, 8, 9). Einer das FA zu nichts verpflichtenden, nur innerdienstlich wirkenden Maßnahme kann keine die Verjährung unterbrechende Wirkung beigemessen werden. Der interne Vollstreckungsaufschub als eine zu nichts verpflichtende Maßnahme ist insofern - worauf bereits die Vorinstanz hingewiesen hat - mit der Niederschlagung (§ 130 AO, § 261 AO 1977) vergleichbar, die ebenfalls keine Außenwirkung entfaltet und dementsprechend nicht in § 147 Abs. 1 AO, § 231 AO 1977 angeführt ist.