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  BFH-Urteil vom 27.6.1991 (V R 9/86) BStBl. 1991 II S. 822

Ein Steuerpflichtiger schuldet Hinterziehungszinsen gemäß § 235 AO 1977 auch dann, wenn ein Dritter die Steuerhinterziehung begangen und die hinterzogenen Beträge auf betrügerische und treuwidrige Weise zu Lasten des Steuerpflichtigen für sich vereinnahmt hat. § 235 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 meint nur den steuerlichen, nicht den wirtschaftlichen Vorteil.

AO 1977 § 235 Abs. 1 Satz 2.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG (EFG 1986, 104)

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatte den (damaligen) Steuerberater H beauftragt, für sein Unternehmen die Buchführung und die Umsatzsteuer-Voranmeldungen zu erstellen. Durch Urteil des Landgerichts S vom 23. Juli 1981 wurde H u.a. wegen fortgesetzten Betruges in Tateinheit mit fortgesetzter Untreue und Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Dem Urteil lag - bezogen auf den Kläger - im wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger hatte H eine Reihe von blanko unterschriebenen Vordrucken für die Umsatzsteuer-Voranmeldung überlassen. Bis Mitte 1978 hatte eine Angestellte von H die Vordrucke anhand der Buchführungsergebnisse ausgefüllt, über die errechnete Umsatzsteuer-Vorauszahlung einen Scheck beim Kläger angefordert und beides (zusammen mit einem entsprechenden Buchungsauftrag) an das Finanzamt (FA) geschickt. Für die Voranmeldungszeiträume vom Juli 1978 bis August 1979 übernahm es H, die Vordrucke auszufüllen. Die Eintragungen, die er vorsätzlich falsch vornahm, führten in elf Fällen zu einer Verkürzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung des Klägers. Die der Verkürzung entsprechenden Geldbeträge vereinnahmte H für sich selbst, indem er über die zutreffend errechneten Vorauszahlungsbeträge Schecks vom Kläger anforderte, diese zugunsten seines eigenen Bankkontos einlöste und an die Finanzkasse nur die den inhaltlich falschen Voranmeldungen entsprechenden Geldbeträge überwies.

Für die hinterzogenen - später vom Kläger entrichteten - Umsatzsteuer-Vorauszahlungen setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) mit Bescheid vom 13. Januar 1982 Hinterziehungszinsen gegen den Kläger fest. Der gegen die Zinsfestsetzung eingelegte Einspruch blieb erfolglos.

Mit seiner Klage wandte sich der Kläger gegen die Zinsfestsetzung dem Grunde nach sowie gegen die Höhe der festgesetzten Zinsen. Er machte geltend, die Steuerhinterziehung sei ohne sein Wissen und zudem zu seinem Schaden begangen worden. Da die Geldbeträge bei Fälligkeit bei ihm abgeflossen seien, sei ihm kein Zinsvorteil entstanden.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage nur insoweit statt, als es für zwei Vorauszahlungszeiträume die Zinsen herabsetzte. Im übrigen wies es die Klage mit im wesentlichen folgender Begründung ab: Hinterziehungszinsen seien auch dann festzusetzen, wenn der Steuerschuldner keine finanziellen Vorteile aus der Steuerhinterziehung erlangt habe. Bei der Auslegung des Merkmals "zu dessen Vorteil" in § 235 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) sei allein auf das Verhältnis zwischen dem Steuergläubiger und dem Steuerschuldner abzustellen. Die finanziellen Nachteile durch den Betrug von H berührten nur das Beratungsverhältnis. Der Kläger habe einen steuerlichen Vorteil erlangt, weil die Steuerschulden später fällig geworden seien.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 235 AO 1977. Hierzu führt er im wesentlichen folgendes aus: Nicht er, der Kläger, sondern H habe den Vorteil aus der Steuerhinterziehung gehabt, er hingegen den Schaden. Ersatz habe er von dem - vermögenslosen - H nicht erlangen können. Der Streitfall sei nicht vergleichbar mit dem Fall, in dem ein Dritter (z.B. Angestellter) die Steuerhinterziehung begehe und dem Steuerschuldner der ("objektive") Vorteil hieraus zugute komme. Bei der Feststellung des "objektiven" Vorteils komme es auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise an (Hinweise auf Äußerungen im Schrifttum sowie auf das Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 4. Juni 1979 3 StR 130/79, BGHSt 29, 37, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1980, 248). Zwar habe der Steuergläubiger die vollständigen Umsatzsteuer-Vorauszahlungen erst verspätet erlangt, dem stehe aber kein entsprechender Vorteil auf seiner - des Klägers - Seite gegenüber. Bei der Prüfung des Vorteils nehme das FG unzulässigerweise eine Aufspaltung zwischen dem Verhältnis zum Steuergläubiger und dem zum Steuerberater (H) vor.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung, den Zinsbescheid vom 13. Januar 1982 sowie die Einspruchsentscheidung vom 5. März 1982 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

Das FG hat zu Recht angenommen, daß die Voraussetzungen für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen gegenüber dem Kläger gegeben waren. Hinterzogene Steuern sind zu verzinsen. Zinsschuldner ist derjenige, zu dessen Vorteil die Zinsen hinterzogen worden sind (§ 235 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AO 1977).

Die Vorschrift bezweckt, den Zinsvorteil des Nutznießers einer Steuerhinterziehung abzuschöpfen. Einen Vorteil im Sinne dieser Bestimmung erlangt der Steuerschuldner auch dann, wenn er an der Steuerhinterziehung nicht mitgewirkt hat (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 11. Mai 1982 VII R 97/81, BFHE 136, 182, BStBl II 1982, 689). Der Vorteil liegt für den Steuerschuldner darin, daß er die geschuldete Steuer erst verspätet - an das FA - gezahlt hat (BFH-Urteil vom 19. April 1989 X R 3/86, BFHE 156, 383, BStBl II 1989, 596).

a) Zu Unrecht beruft sich der Kläger darauf, er habe keinen "Vorteil" i.S. des § 235 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 erlangt, weil H die von ihm hinterzogenen Steuerbeträge zum eigenen Nutzen veruntreut habe.

Auf einen Vorteil im wirtschaftlichen Sinne - so wie ihn der Kläger versteht - kommt es jedoch nicht an. § 235 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 meint nur den steuerlichen Vorteil, der mit der Verzinsung beim Steuerschuldner abgeschöpft werden soll. Dieser Vorteil besteht auch dann, wenn dem Steuerschuldner durch die Steuerhinterziehung des Dritten ein wirtschaftlicher Nachteil entstanden ist (BFH-Urteil in BFHE 156, 383, BStBl II 1989, 596 - Verlust der Kommanditeinlage -).

b) Ebenfalls zu Unrecht verweist der Kläger darauf, daß es H gewesen sei, dem die Vorteile "aus der Steuerhinterziehung" zugeflossen seien.

Der Vermögensvorteil - wie ihn der Kläger versteht - ist nicht identisch mit dem aus der Steuerhinterziehung unmittelbar erwachsenen und in § 235 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 tatbestandlich vorausgesetzten Vorteil (vgl. BFH-Urteil in BFHE 136, 182, BStBl II 1982, 689). H hat Vermögensvorteile dadurch erlangt, daß er den Kläger über die Verwendung der angeforderten Schecks täuschte, über diese treuwidrig zum Nachteil des Klägers verfügte und damit - tateinheitlich (§ 52 des Strafgesetzbuches - StGB -) mit der Steuerhinterziehung - die Straftatbestände des Betruges (§ 263 StGB) und der Untreue (§ 266 StGB) verwirklichte.

Das FG hat - entgegen der Auffassung des Klägers - insoweit zu Recht zwischen dem Steuerschuldverhältnis (Kläger - FA) und dem sog. Beratungsverhältnis (Kläger - Steuerberater H) unterschieden und dabei für die Beurteilung des (steuerlichen) "Vorteils" auf das erste abgestellt. Persönliche Beziehungen des Steuerschuldners - wie hier das "Beratungsverhältnis" zu H - berücksichtigt das Steuerrecht grundsätzlich nicht (vgl. Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 235 AO 1977 Tz. 4). Der Kläger hat sich bei Erfüllung seiner steuerlichen Erklärungspflichten des H als seines "Erfüllungsgehilfen" (vgl. § 278 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) bedient und muß sich somit dessen schuldhaftes Verhalten zurechnen lassen (vgl. BFH-Urteile vom 3. Februar 1983 IV R 153/80, BFHE 137, 547, BStBl II 1983, 324, und vom 26. August 1987 I R 144/86, BFHE 151, 299, BStBl II 1988, 109, unter II.b aa).

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zum Urteil des BGH vom 22. Juli 1987 3 StR 224/87 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1988, 244) sowie zu dem - vom Kläger erwähnten - BGH-Urteil in BGHSt 29, 37. Die genannten Urteile sind ergangen zu der Frage, ob Strafbefreiung für einen an der Tat Beteiligten eintritt, "soweit er die zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern .... entrichtet" (§ 371 Abs. 3 AO 1977). Nach Auffassung des BGH hinterzieht Steuern zu seinen Gunsten, wer die Steuern selbst schuldet, wie auch derjenige, der bei wirtschaftlicher Betrachtung einen unmittelbaren Vorteil aus der Tat erlangt. Diese - vom BGH zur Strafbefreiung durch Selbstanzeige entwickelten - Grundsätze sind auf die Regelung des § 235 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 nicht übertragbar. Für die Bestimmung des Zinsschuldners kommt es - wie dargelegt - allein auf steuerliche Gründe (hier: Zinsvorteile) an. Der BGH hingegen legt das Merkmal "zu seinen Gunsten" unter Berücksichtigung von strafrechtlichen Gesichtspunkten ("Unrecht und Schuld") aus.

d) Das FA konnte nicht davon absehen, Hinterziehungszinsen gegen den Kläger festzusetzen, insbesondere nicht im Hinblick darauf, daß H als Steuerhinterzieher gemäß § 71 AO 1977 auch für die Zinsen haftet. Es hatte insoweit keinen Ermessensspielraum (BFH-Urteil in BFHE 156, 383, BStBl II 1989, 596, unter 2.d, m.w.N.).

Der Senat verkennt nicht, daß der Kläger angesichts des erlittenen Vermögensschadens die Zinsfestsetzung als unbillige Härte empfinden mag. Ein Ausspruch darüber, ob dementsprechend ein Erlaß der Zinsen (in voller Höhe oder zum Teil) gerechtfertigt sein könnte, ist ihm jedoch im vorliegenden Verfahren verwehrt. Ein solche Entscheidung hätte in einem getrennten Verfahren zu erfolgen (vgl. BFH-Urteil vom 11. Dezember 1986 V R 167/81, BFHE 148, 551, BStBl II 1987, 313 unter II.4.).