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  BFH-Urteil vom 25.7.1991 (XI R 30, 31/89) BStBl. 1991 II S. 842

Bei langzeitiger Nichtauszahlung von Arbeitslohn kommt im Rahmen eines Ehegatten-Arbeitsverhältnisses ein Betriebsausgabenabzug selbst dann nicht in Betracht, wenn das Arbeitsverhältnis bereits seit mehreren Jahren ordnungsgemäß durchgeführt worden war und im Streitjahr Lohnsteuer und Sozialabgaben abgeführt wurden.

EStG § 4 Abs. 4.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

I.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin bezog aus dem Betrieb einer Gaststätte seit 1977 Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Der Kläger war von Anfang an in der Gaststätte nichtselbständig tätig. Kläger und Klägerin schlossen über die Art der Arbeitsleistung und das Arbeitsentgelt einen Arbeitsvertrag.

In der Gewinnermittlung für das Streitjahr hatte die Klägerin das Gehalt des Klägers in Höhe von 25.824 DM und den Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung in Höhe von 4.498 DM als Betriebsausgaben abgezogen. Der Lohn wurde im Lohnkonto monatlich abgerechnet, die Lohn- und Lohnkirchensteuer sowie die Sozialversicherungsbeiträge wurden abgeführt. Aus der Bilanz zum 31. Dezember 1983 geht hervor, daß das Gehalt des Klägers für die Monate Januar bis September und November bis Dezember 1983 nicht ausgezahlt wurde. In der Buchführung wurden die Gehaltsansprüche des Klägers als Verbindlichkeiten passiviert. Die Löhne der übrigen Arbeitnehmer wurden ausbezahlt.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erkannte das Arbeitsverhältnis steuerlich nicht an und erhöhte den Gewinn aus Gewerbebetrieb um 30.322 DM. Gleichzeitig wurden die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers auf 0 DM festgesetzt und der Arbeitnehmerbeitrag zur Sozialversicherung unter den Vorsorgeaufwendungen erfaßt.

Der Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid hatte teilweise Erfolg. Das FA erkannte zwar nach wie vor den Arbeitsvertrag zwischen den Klägern nicht an, berücksichtigte aber eine Gewerbesteuerrückstellung in Höhe von 3.072 DM und setzte auch den Arbeitgeberbeitrag zur Sozialversicherung ab.

Den gegen den Einkommensteuerbescheid und den Gewerbesteuermeßbescheid gerichteten Klagen gab das Finanzgericht (FG) statt. Im wesentlichen führte das FG aus:

Einem Arbeitsvertrag, der offensichtlich ernsthaft vereinbart und über viele Jahre ernsthaft durchgeführt worden sei, könne nicht deswegen die Anerkennung versagt werden, weil für eine zeitweilige Aussetzung der Lohnauszahlungen kein schriftlicher Darlehensvertrag abgeschlossen worden sei. Durch die Passivierung der Gehaltsforderungen in der Bilanz sei deutlich zum Ausdruck gebracht worden, daß eine rechtliche Verpflichtung zur Lohnzahlung anerkannt werde. Ggf. hätte der Kläger seine Lohnforderung gerichtlich durchsetzen können.

Im Streitfall sei nicht bereits zu Beginn des Arbeitsverhältnisses oder während des Arbeitsverhältnisses für die weitere Zeit bis zum Ende der Beschäftigung auf die Auszahlung des Lohns verzichtet, es sei vielmehr ein schon lange bestehendes und tatsächlich durchgeführtes Arbeitsverhältnis modifiziert worden. Der Kläger habe auf die Auszahlung des Lohns solange verzichtet, bis die Liquiditätsschwierigkeiten des Arbeitgebers überwunden gewesen seien. Solche Vereinbarungen könnten - ohne Abschluß eines Darlehensvertrages - in wirtschaftlich schwierigen Zeiten bei kleinen Unternehmen auch mit fremden Arbeitnehmern getroffen werden. Diese Vereinbarungen hätten Stundungscharakter und gälten nur für die Zeit des finanziellen Engpasses. Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung dargelegt, daß nach Überwindung der wirtschaftlichen Notlage das Gehalt des Klägers wieder an diesen ausbezahlt worden sei.

Mit den Revisionen rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.

Es beantragt, die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revisionen zurückzuweisen.

Unter dem 20. März 1991 hat das FA einen geänderten Einkommensteuerbescheid erlassen. Die Kläger haben den Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revisionen, die der Senat gemäß §§ 73 Abs. 1, 121 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur gemeinsamen Entscheidung verbindet, sind begründet und führen gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO zur Aufhebung der angefochtenen Urteile und zur Abweisung der Klagen.

Nach ständiger Rechtsprechung können Leistungen aufgrund eines zwischen Ehegatten abgeschlossenen Arbeitsvertrages gemäß § 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als Betriebsausgaben abgezogen werden, wenn der Arbeitsvertrag ernstlich gewollt ist, tatsächlich (vereinbarungsgemäß) durchgeführt wird und seine Bedingungen angemessen und üblich sind, also einem Fremdvergleich standhalten (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. November 1989 GrS 1/88, BFHE 158, 563, BStBl II 1990, 160 - unter C III 2, 3 -; BFH-Urteil vom 24. Januar 1990 X R 152/87, BFH/NV 1990, 695).

Diese besonderen Anforderungen sind - auch im Hinblick auf Art. 3 des Grundgesetzes (GG) - gerechtfertigt, weil im Unterschied zu Rechtsbeziehungen zwischen einander fremden Personen Verträge zwischen Ehegatten nicht betrieblich, sondern auch durch familiäre Gründe veranlaßt sein können (vgl. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 17. April 1984 1 BvR 11/83, Die Information über Steuer und Wirtschaft - Inf - 1984, 335, und vom 27. März 1985 1 BvR 1415/84, Inf 1985, 310).

In Anwendung dieser Grundsätze verlangt die Rechtsprechung des BFH, daß dem Arbeitnehmer-Ehegatten das vereinbarte Gehalt auch tatsächlich zeitgerecht ausgezahlt wird und in seinen alleinigen Einkommens- und Vermögensbereich übergeht (BFH-Urteile vom 6. März 1985 I R 279/81, BFH/NV 1986, 82; vom 13. November 1986 IV R 322/84, BFHE 148, 168, BStBl II 1987, 121; vom 11. Oktober 1989 I R 161/85, BFH/NV 1990, 364; Beschluß in BFHE 158, 563, BStBl II 1990, 160, unter C III 3).

Ausnahmsweise ist die Nichtauszahlung unschädlich, wenn zum Fälligkeitszeitpunkt ein den oben dargelegten Kriterien genügender Darlehensvertrag abgeschlossen wird oder wenn beachtliche betriebliche Gründe zu einer kurzfristigen Verschiebung einzelner Gehaltszahlungen geführt haben (vgl. BFH-Urteile vom 30. März 1962 IV 401/61, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1963, 286; vom 14. Oktober 1981 I R 34/80, BFHE 134, 293, BStBl II 1982, 119; vom 8. Dezember 1983 IV R 69/81, nicht veröffentlicht - NV -; vom 17. Juli 1984 VIII R 69/84, BFHE 142, 215, BStBl II 1986, 48; vom 5. Februar 1988 III R 216/84, BFH/NV 1988, 553; in BFH/NV 1990, 364; vom 18. Oktober 1989 I R 203/84, BFHE 158, 421, BStBl II 1990, 68; vom 31. Oktober 1989 VIII R 293/84, BFH/NV 1990, 759; in BFH/NV 1990, 695).

Im Streitfall weisen die Kläger zu Recht darauf hin, daß diese Grundsätze nicht schematisch und formalistisch angewendet werden dürfen. Vielmehr sind die einzelnen Umstände in ihrer Bedeutung für die Beurteilung der betrieblichen Veranlassung zu gewichten (ähnlich auch BFH in BFH/NV 1990, 759). Einzelne Umstände, die gegen die betriebliche Veranlassung sprechen, können im Einzelfall durch andere (im Ergebnis gewichtigere) Umstände, die für die betriebliche Veranlassung angeführt werden können, ausgeglichen werden. Derart gewichtige Umstände sind z.B. die bisherige Dauer des Arbeitsverhältnisses, dessen langjährige beanstandungsfreie Abwicklung und die Abführung der Lohnsteuer und der Sozialabgaben. Eine ähnliche Gewichtung ist z.B. auch in anderen Fällen zu treffen, in denen der betriebliche von dem privaten Bereich abzugrenzen ist (so z.B. bei der Beurteilung von Informationsreisen, vgl. BFH-Urteil vom 15. Dezember 1982 I R 73/79, BFHE 138, 40, BStBl II 1983, 409, beim gewerblichen Grundstückshandel, vgl. BFH-Urteil vom 5. September 1990 X R 107, 108/89, BFHE 163, 404 oder bei der Abgrenzung einer stillen Gesellschaft von einem partiarischen Arbeitsverhältnis, vgl. BFH-Urteil vom 7. Dezember 1983 I R 144/79, BFHE 140, 275, BStBl II 1984, 373).

Im Streitfall führt jedoch auch diese differenzierende Beurteilung zu dem Ergebnis, daß die dem Kläger zustehenden Gehälter nicht als Betriebsausgaben qualifiziert werden können. Der jahrelange Auszahlungsverzicht ist so gravierend, daß selbst die langjährige frühere ordnungsgemäße Abwicklung des Arbeitsverhältnisses und die Abführung von Lohnsteuer und Sozialabgaben diesen Mangel nicht ausgleichen können. Im Unterschied zu der Situation bei einer kurzfristigen Verschiebung des Auszahlungszeitpunktes wegen besonderer betrieblicher Gegebenheiten hätte es in diesem Fall einer besonderen und ausdrücklichen (einem Fremdvergleich standhaltenden) Vereinbarung über die Nichtauszahlung (z. B. in Gestalt einer Darlehensabrede) bedurft. Die jahrelange Nichtauszahlung ohne besondere Vereinbarung spricht in entscheidendem Maße dagegen, daß das Arbeitsverhältnis im Streitjahr noch ernstlich wie ein Arbeitsverhältnis unter Fremden gewollt war.

Die von den Klägern in diesem Zusammenhang vorgenommene Unterscheidung von Einkommenserzielung und Einkommensverwendung liegt neben der Sache; sie verkennt, daß die vereinbarungsgemäße Auszahlung des Gehaltes ein wesentlicher Anhaltspunkt bei der Beurteilung der betrieblichen Veranlassung der Gehaltszahlungen darstellt. Ebensowenig bedeutet die dargelegte Rechtsauslegung eine "steuerliche Bestrafung" von Unternehmen, die in Liquiditätsschwierigkeiten geraten; denn es besteht ohne weiteres die Möglichkeit, dieser Situation durch Abschluß und Durchführung entsprechender Regelungen auch steuerlich wirksam Rechnung zu tragen.