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  BFH-Urteil vom 24.7.1991 (II R 81/88) BStBl. 1991 II S. 909

1. Für die Zurechnung bei der Einheitsbewertung ist der Vorbehaltsnießbraucher im Normalfall nicht wirtschaftlicher Eigentümer des Grundstücks.

2. Auch wenn sich der Eigentümer gegenüber dem Nießbraucher verpflichtet hat, das Grundstück während der Dauer des Nießbrauchs nicht mit Grundpfandrechten zu belasten, ist der Nießbraucher nicht wirtschaftlicher Eigentümer.

AO 1977 § 39 Abs. 2 Nr. 1; BewG § 2.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

I.

Streitig ist, ob den Klägern ein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück steuerlich zuzurechnen ist.

Der Kläger erwarb dieses Grundstück im Jahre 1973. Durch notariell beurkundeten Übertragungsvertrag vom 21. Dezember 1973 übertrug der Kläger das Eigentum an diesem Grundstück als "vorweggenommene Teilerbregelung" auf seine Tochter. Die Tochter räumte dem Kläger und der Klägerin - der inzwischen verstorbenen Ehefrau des Klägers - den lebenslangen Nießbrauch an dem ihr übertragenen Grundbesitz ein. Die Kläger übernahmen die Verpflichtung, während der Dauer des Nießbrauchs für den wirtschaftlichen Bestand des Grundstücks, die laufenden Instandsetzungen sowie die öffentlichen Abgaben, Steuern und die Versicherungsprämien aufzukommen. Ihnen sollte auch die Absetzung für Abnutzung (AfA) zustehen. Die Tochter verpflichtete sich, den Grundbesitz während der Dauer des Nießbrauchs nicht ohne Zustimmung der Nießbraucher zu belasten. Sie übernahm die Verpflichtung, auf Verlangen der Nießbraucher das Grundstück mit einem Grundpfandrecht zu belasten für zweckgebundene Aufwendungen, die den wirtschaftlichen Bestand des Hausgrundstücks sichern. Die aus einem solchen Grundpfandrecht anfallenden Zinsen sollten die Nießbraucher als Gesamtschuldner tragen.

Die Tochter bewohnte das Einfamilienhaus mit ihrer Familie vom 1. Januar 1974 bis 30. September 1977 und zahlte Miete an die Kläger. Im Jahre 1977 ließen die Kläger dieses Einfamilienhaus auf eigene Rechnung abreißen und durch einen im Jahre 1979 bezugsfertigen Einfamilienhausneubau ersetzen. Dem Abriß und Neubau des Gebäudes hatte die Tochter zugestimmt. Der Neubau wurde nach Fertigstellung durch die Kläger selbst genutzt.

Aufgrund des Übergabevertrags rechnete das damals zuständige Finanzamt (FA) durch Einheitswertbescheid das Grundstück der Tochter zu. Nachdem die Bewertungsstelle des inzwischen zuständig gewordenen beklagten FA im Jahre 1982 von dem Neubau erfuhr, überprüfte es den Übertragungsvertrag aus dem Jahre 1973. Es sah nunmehr die Kläger als wirtschaftliche Eigentümer an. Durch Einheitswertbescheid vom 29. Dezember 1983 rechnete es das als Einfamilienhaus bewertete Grundstück durch fehlerbeseitigende Zurechnungsfortschreibung auf den 1. Januar 1983 den Klägern zu.

Hiergegen richtete sich die Klage. Die Kläger machten geltend, daß sie nicht wirtschaftliche Eigentümer des Grundstücks seien. Sie hätten das Grundstück weder veräußern noch vererben können. Im übrigen handele es sich nicht um einen klarliegenden, einwandfrei feststellbaren Fehler.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Die Kläger seien wirtschaftliche Eigentümer geworden. Das FG stützt sich dabei auf die Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 8. März 1977 VIII R 180/74 (BFHE 122, 64, BStBl II 1977, 629) und vom 21. Juni 1977 VIII R 18/75 (BFHE 124, 313, BStBl II 1978, 303). Durch das den Klägern eingeräumte Nutzungsrecht sei das Grundstück - wirtschaftlich gesehen - für die Tochter (Eigentümerin) wertlos gewesen, solange die Eltern lebten. Eine fehlerbeseitigende Zurechnungsfortschreibung sei zulässig gewesen, obwohl es sich bei dem vorliegenden Fehler um keinen klarliegenden, einwandfrei feststellbaren Bewertungsfehler handele.

Mit der Revision machen die Kläger Verletzung materiellen Rechts geltend. Sie beantragen Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung und des Einheitswertbescheids.

Das beklagte FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie des Einheitswertbescheids (Zurechnungsfortschreibung auf den 1. Januar 1983) und der diesen bestätigenden Einspruchsentscheidung.

Das als Einfamilienhaus bewertete Grundstück war - entgegen der Auffassung des FG - den Klägern nicht zuzurechnen. Diese sind nicht wirtschaftliche Eigentümer des Grundstücks i.S. des § 39 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geblieben bzw. geworden.

Eine wirtschaftliche Einheit ist grundsätzlich dem bürgerlich-rechtlichen Eigentümer zuzurechnen. Übt jedoch ein anderer als der zivilrechtliche Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise aus, daß er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann, so ist ihm das Wirtschaftsgut zuzurechnen (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977). Der Nießbraucher ist im Normalfall nicht wirtschaftlicher Eigentümer des seiner Nutzung unterliegenden Wirtschaftsguts (BFH-Urteil vom 21. Februar 1967 VI 263/65, BFHE 88, 168, BStBl III 1967, 311, und vom 28. Juli 1981 VIII R 141/77, BFHE 134, 409, BStBl II 1982, 454). Dies gilt grundsätzlich auch für den Fall, daß Eltern im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge ihren Kindern schenkweise Grundstücke übertragen und sich gleichzeitig den unentgeltlichen, lebenslänglichen Nießbrauch an dem Grundstück vorbehalten. Nach inzwischen ständiger Rechtsprechung zur Einkommensteuer bleiben die Eltern auch bei einem derartigen Vorbehaltsnießbrauch im Normalfall nicht wirtschaftliche Eigentümer des Grundstücks (vgl. BFH-Urteil vom 16. Dezember 1988 III R 113/85, BFHE 155, 380, BStBl II 1989, 763, und vom 8. Dezember 1983 IV R 20/82, BFHE 139, 556, BStBl II 1984, 202, m.w. Rechtsprechungsnachweisen). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung für die Zurechnung im Rahmen der Einheitsbewertung ausdrücklich an.

Die BFH-Urteile in BFHE 122, 64, BStBl II 1977, 629, und in BFHE 124, 313, BStBl II 1978, 303, auf die sich das FG stützt, sind inzwischen überholt (vgl. auch BFH-Urteile vom 28. Juli 1981 VIII R 35/79, BFHE 134, 133, BStBl II 1982, 380; vom 23. Januar 1987 III R 240/83, BFH/NV 1987, 502, m.w.N.). Entscheidungsunerheblich ist es daher auch, daß im Streitfall nur der Kläger Vorbehaltsnießbraucher, seine verstorbene Ehefrau dagegen Zuwendungsnießbraucherin war.

Im Streitfall unterscheidet sich die rechtliche und tatsächliche Stellung der Kläger gegenüber dem zivilrechtlichen Eigentümer des Grundstücks nicht so deutlich von der Stellung eines Nießbrauchers, daß sie abweichend vom Normalfall als wirtschaftliche Eigentümer des Grundstücks anzusehen wären. Keinesfalls kann sich dies daraus ergeben, daß die Kläger während der Dauer des Nießbrauchs die laufenden Aufwendungen für Instandsetzungen und die öffentlichen Abgaben und Versicherungsprämien zu tragen haben (BFH-Urteil in BFHE 134, 409, BStBl II 1982, 454). Nicht ausschlaggebend ist es auch, daß die Kläger verlangen konnten, daß das Grundstück unter bestimmten Voraussetzungen und in bestimmter Höhe mit Grundpfandrechten belastet wird. Die vertragliche Regelung beschränkte diese Befugnis ausdrücklich auf (die Kreditfinanzierung für) "zweckgebundene Aufwendungen, die den wirtschaftlichen Bestand des Hausgrundstücks sichern sollen". Das (schuldrechtliche) Belastungsrecht der Kläger ist damit beschränkt auf die Finanzierung von Aufwendungen, die den Grundstückseigentümern zugute kommen und ohne Bestehen eines Nießbrauchs von diesen selbst zu tragen wären. Eine Aushöhlung der Stellung des Grundstückseigentümers gegenüber dem Nießbraucher ist darin nicht zu sehen. Insbesondere ermöglicht es diese vertragliche Regelung den Klägern (Nießbrauchern) nicht, sich durch eine "Beleihung" des Grundstücks dessen Substanzwert anzueignen.

Eine Einschränkung der normalerweise einem Eigentümer eines nießbrauchsbelasteten Grundstücks zustehenden Befugnisse ergibt sich im Streitfall aus dem für den zivilrechtlichen Eigentümer zumindest schuldrechtlich bestehenden Verbot, seinerseits das Grundstück mit Grundpfandrechten zu belasten. Die - weitergehende - Befugnis zur Veräußerung des Grundstücks hat der Grundstückseigentümer jedoch uneingeschränkt behalten. Der Einschränkung seiner Befugnis zur Belastung des Grundstücks mit Grundpfandrechten mißt der Senat daher keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Nach der vertraglichen Regelung sind im Ergebnis allein der zivilrechtliche Eigentümer und nicht die Nießbraucher zur Verwertung des Grundstücks durch Verkauf berechtigt. Die vertragliche Gestaltung des Nießbrauchs gibt den Klägern insgesamt nicht die Stellung von wirtschaftlichen Eigentümern des Grundstücks.

Auch die Tatsache, daß die Kläger während des Bestehens des Nießbrauchs auf ihre Kosten das vorhandene Gebäude abgerissen und ein neues errichtet haben, führt nicht dazu, daß sie wirtschaftliche Eigentümer des Grundstücks wurden. Es sind ihnen dadurch keine zusätzlichen rechtlichen oder tatsächlichen Befugnisse gegenüber dem Eigentümer im Hinblick auf das Grundstück als solchem zugewachsen.

Da die Kläger weder rechtliche noch wirtschaftliche Eigentümer des Grundstücks geworden sind, konnte ihnen diese wirtschaftliche Einheit nicht zugerechnet werden.

Der Senat kann offenlassen, ob diese wirtschaftliche Einheit (als Einfamilienhaus bewertetes Grundstück) noch besteht oder ob nicht zwei wirtschaftliche Einheiten - Gebäude auf fremdem Grund und Boden einerseits und Grund und Boden andererseits - entstanden sind (§ 70 Abs. 1 und 3, § 94 des Bewertungsgesetzes - BewG -).

Die wirtschaftliche Einheit des als Einfamilienhaus bewerteten Grundstücks ist den Klägern jedenfalls zu Unrecht zugerechnet worden. Auf die weitere Frage, ob materiell-rechtlich diese Einheit überhaupt besteht, kommt es in dem allein gegen die Zurechnung geführten Rechtsstreit nicht an.

Da die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Zurechnung des Grundstücks an die Kläger nicht erfüllt sind, kommt es nicht mehr darauf an, ob das FA nach § 22 Abs. 2 und 3 BewG zu einer Zurechnungsfortschreibung berechtigt war (vgl. dazu inzwischen BFH-Urteil vom 29. November 1989 II R 53/87, BFHE 159, 215, BStBl II 1990, 149).

Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen, seine Entscheidung ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Senat entscheidet in der Sache selbst. Der Einheitswertbescheid (Zurechnungsfortschreibung auf den 1. Januar 1983) und die diesen bestätigende Einspruchsentscheidung sind rechtswidrig und daher aufzuheben.