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  BFH-Urteil vom 12.7.1991 (III R 90/89) BStBl. 1992 II S. 15

"Auftraggeber" i. S. des § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. cc BerlinFG (erhöhte Investitionszulage bei sog. fernabsatzorientierten Umsätzen) ist der umsatzsteuerrechtliche Leistungsempfänger.

BerlinFG a. F. § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. cc.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt in Berlin (West) ein Dienstleistungsgewerbe. Gegenstand des Unternehmens ist u. a. die Textverarbeitung und Satzherstellung unter Verwendung von Wirtschaftsgütern der Datenverarbeitung.

In den Streitjahren (1985 bis 1987) schaffte die Klägerin verschiedene Wirtschaftsgüter an; darunter befanden sich auch solche, für die sie eine erhöhte Investitionszulage nach § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 a) cc) des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) in der für die Streitjahre geltenden Fassung begehrte. Im wesentlichen gewährte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die beantragten Zulagen.

Anläßlich einer Investitionszulagen-Sonderprüfung für das Jahr 1987 stellte der Prüfer fest, daß von dem Jahresgesamtumsatz unter 50 v. H. auf Umsätze an Auftraggeber, die ihren Sitz außerhalb von Berlin (West) hatten, entfielen. Die Umsätze an Westberliner Auftraggeber waren vornehmlich auf einen Auftrag der Bundesdruckerei in Berlin zurückzuführen. Das FA änderte daher die Investitionszulagenbescheide. Es gewährte nunmehr nur die Grundzulage in Höhe von 10 v. H. und forderte den jeweiligen Differenzbetrag nebst Zinsen von der Klägerin zurück.

Gegen diese Änderungsbescheide legte die Klägerin Einspruch ein, mit dem sie geltend machte, sie habe im Jahre 1987 überwiegend Umsätze mit Auftraggebern außerhalb von Berlin (West) getätigt. Zwar sei sie formell gesehen mit der Bundesdruckerei ein Auftragsverhältnis eingegangen. Dies sei jedoch allein auf Betreiben und im Interesse des Deutschen Patentamtes in München geschehen. Wirtschaftlich betrachtet müsse daher das Deutsche Patentamt als Auftraggeber angesehen werden, so daß die mit der Bundesdruckerei getätigten Umsätze solche an Auftraggeber außerhalb von Berlin (West) darstellten.

Der Einspruch war lediglich insoweit erfolgreich, als das FA die Zinsen bezüglich des Rückforderungsanspruches 1985 herabsetzte.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) begründete die Klageabweisung damit, daß die Umsätze an Auftraggeber außerhalb von Berlin (West) in dem Dreijahreszeitraum des § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 a) cc) BerlinFG nicht überwögen. Der Begriff "Auftraggeber" sei im Gesetz nicht definiert. Er sei in Übereinstimmung mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) dahin zu bestimmen, daß auf das den Leistungen zugrunde liegende Vertragsverhältnis abzustellen sei. Danach sei im Streitfall nicht das Deutsche Patentamt, sondern die Bundesdruckerei Auftraggeber der Klägerin gewesen. Denn es sei allein zwischen dieser und der Klägerin ein Vertrag abgeschlossen worden.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Die Auslegung des Begriffs "Auftraggeber außerhalb von Berlin (West)" habe nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu erfolgen. Hieraus folge für den Streitfall, daß es nicht auf das formaljuristische Auftragsverhältnis zur Bundesdruckerei ankomme. Entscheidend sei vielmehr, daß wegen der wirtschaftlichen Eigenverantwortlichkeit das Deutsche Patentamt für den Auftrag als eigentlicher Auftraggeber anzusehen sei. Auch sei das FG-Urteil insoweit rechtsfehlerhaft, als es verlange, daß das Überwiegen der maßgeblichen Umsätze für jedes der drei Jahre festgestellt werden müsse.

Während des Revisionsverfahrens hat das FA für die Jahre 1986 und 1987 Änderungsbescheide erlassen. Die Klägerin hat diese Bescheide zum Gegenstand des Verfahrens erklärt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Einspruchsentscheidung für das Streitjahr 1985 aufzuheben und die Investitionszulagenbescheide 1985 bis 1987 entsprechend ihrem Klagebegehren zu ändern.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Das FG hat es zu Recht abgelehnt, eine erhöhte Investitionszulage nach § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 a) cc) BerlinFG zu gewähren. Nach dieser Vorschrift erhalten Steuerpflichtige für abnutzbare bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens nur dann eine auf 25 v. H. der Anschaffungs- oder Herstellungskosten erhöhte Investitionszulage, wenn die Wirtschaftsgüter mindestens drei Jahre nach ihrer Anschaffung oder Herstellung in einem Betrieb (einer Betriebsstätte) des Dienstleistungsgewerbes unmittelbar der Datenverarbeitung dienen und der Umsatz des Betriebs (der Betriebsstätte) in Berlin (West) im Kalenderjahr der Anschaffung oder Herstellung und in den beiden folgenden Kalenderjahren überwiegend auf sonstige Leistungen an Auftraggeber außerhalb von Berlin (West) entfällt (sog. fernabsatzorientierte Umsätze).

1. Die Beteiligten streiten im wesentlichen darüber, wie das Tatbestandsmerkmal "Auftraggeber" zu verstehen ist. Unter Rückgriff auf das Umsatzsteuerrecht ist unter einem Auftraggeber der umsatzsteuerrechtliche Leistungsempfänger zu verstehen, also grundsätzlich derjenige, der aus dem der Leistung zugrunde liegenden Schuldverhältnis einen Anspruch auf die Leistung hat (s. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. November 1987 V R 85/83, BFHE 151, 479, BStBl II 1988, 158, und vom 1. Juni 1989 V R 72/84, BFHE 157, 255, BStBl II 1989, 677). Lediglich dann, wenn unter Mißachtung dieses Anspruchs die Leistung tatsächlich gegenüber einem Dritten erbracht wird, ist nicht der Anspruchsberechtigte, sondern der Dritte Leistungsempfänger (BFH in BFHE 157, 255, 260, BStBl II 1989, 677) und damit Auftraggeber.

a) Der Rückgriff auf das Umsatzsteuerrecht zur Auslegung des Begriffs "Auftraggeber" i. S. des § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 a) cc) BerlinFG rechtfertigt sich aus der redaktionellen Fassung dieser Vorschrift. Der erkennende Senat hat bereits in dem Urteil vom 13. Juli 1990 III R 29/87 (BFHE 161, 285, 289, BStBl II 1990, 949) dargelegt, daß die ebenfalls in § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 a) cc) BerlinFG verwandten Begriffe "Umsatz" und "sonstige Leistungen" dem Umsatzsteuerrecht entstammen, und hierbei auch auf den Zusammenhang und den Zweck dieser Regelung hingewiesen. Der in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Begriffen stehende Ausdruck "Auftraggeber" muß daher ebenfalls umsatzsteuerrechtlich verstanden werden.

Diese Auslegung des Begriffs "Auftraggeber" mißachtet nicht die im Rahmen der Steuerrechtsanwendung anerkannte wirtschaftliche Betrachtungsweise (s. dazu Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 4 AO 1977 Rdnrn. 106 ff.). Zwar ist die Auslegung des Begriffs des Auftraggebers nach umsatzsteuerrechtlichen Grundsätzen in erster Linie zivilrechtlich geprägt, da auf das der Leistung zugrundeliegende Schuldverhältnis abzustellen ist. Jedoch erfährt dieser Grundsatz dort Durchbrechungen, wo die Leistung (und nicht nur die Auslieferung) nicht gegenüber dem eigentlichen zivilrechtlichen Anspruchsberechtigten, sondern tatsächlich gegenüber einem Dritten unter Beiseiteschiebung der Rechtsposition des eigentlichen Anspruchsberechtigten erbracht worden ist (s. BFH in BFHE 157, 255, 260, BStBl II 1989, 677).

Der Einwand der Revision, daß bei Beachtung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise derjenige Auftraggeber sei, bei dem sich die Leistung wirtschaftlich auswirke, führt nicht zu einer anderen Beurteilung des Streitfalles. Der Tatbestand des § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 a) cc) BerlinFG verlangt für die Gewährung der erhöhten Zulage u. a. ein Überwiegen sog. fernabsatzorientierter Umsätze. Die gesetzliche Regelung stellt mithin auf die an einem Leistungsaustauschverhältnis beteiligten Personen ab. Diese sind vom Grundsatz her die aufgrund eines Schuldverhältnisses berechtigten und verpflichteten Personen und in Ausnahmefällen die Personen, zwischen denen eine Leistung tatsächlich bewirkt wird. Das Gesetz bezieht damit nicht die Personen in das Leistungsaustauschverhältnis ein, bei denen sich eine Leistung zuletzt wirtschaftlich auswirkt. Dies erscheint unter dem Gesichtspunkt des rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatzes und unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität als gerechtfertigt. Denn bei wem sich eine Leistung wirtschaftlich auswirkt, wird sich in vielen Fällen nur schwer oder überhaupt nicht feststellen lassen.

b) Im Streitfall ist das FG demgemäß zutreffend davon ausgegangen, daß die Bundesdruckerei und nicht das Deutsche Patentamt Auftraggeberin war. Nach den nicht angegriffenen und damit den erkennenden Senat bindenden Feststellungen der Vorinstanz (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) ist allein zwischen der Klägerin und der Bundesdruckerei ein Vertrag abgeschlossen worden. Die Lieferung ist auch an die Bundesdruckerei erfolgt.

2. Die Klägerin geht ferner zu Unrecht davon aus, daß es für die Gewährung einer Investitionszulage nach § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 a) cc) BerlinFG ausreichend sei, wenn die fernabsatzorientierten Umsätze im Durchschnitt aller drei Jahre überwögen. Der Senat hat bereits in dem Urteil in BFHE 161, 285, BStBl II 1990, 949 entschieden, daß eine erhöhte Investitionszulage nach § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 a) cc) BerlinFG nur dann gewährt wird, wenn die fernabsatzorientierten Umsätze in jedem Kalenderjahr des Dreijahreszeitraums und nicht nur im Durchschnitt der drei Jahre überwiegen. Auf dieses Urteil wird Bezug genommen. Der Streitfall bietet keine neuen Gesichtspunkte, die zu einer Änderung der Rechtsprechung führen könnten.