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  BFH-Urteil vom 17.7.1991 (X R 120/90) BStBl. 1992 II S. 36

Wird der angefochtene Steuerbescheid während des Revisionsverfahrens aus nicht im Streit befindlichen Gründen geändert, kann ein nicht gemäß Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG vertretener Revisionsbeklagter den Antrag nach § 68 FGO persönlich stellen. Die Bestellung eines Rechtsanwalts, Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers ist hierfür nicht erforderlich.

BFHEntlG Art. 1 Nr. 1; FGO § 68.

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) machte in der Einkommensteuererklärung 1988 Aufwendungen für Fahrten mit dem eigenen PKW als Werbungskosten geltend.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid 1988 die Fahrtkosten nicht. Den Einspruch des Klägers wies das FA zurück.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der nicht durch einen Prozeßbevollmächtigten i. S. des Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) vertretene Kläger stellte keinen Antrag.

Während des Revisionsverfahrens erließ das FA einen nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten, hinsichtlich des Kinderfreibetrags und des Grundfreibetrags vorläufigen Einkommensteuerbescheid 1988. Der Kläger beantragte, den geänderten Bescheid gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

Der Senat kann über die materiell-rechtliche Streitfrage entscheiden. Zwar ist anstelle des angefochtenen Einkommensteuerbescheids 1988 der während des Revisionsverfahrens erlassene Änderungsbescheid getreten. Der Kläger hat aber gemäß § 68 FGO beantragt, den geänderten Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Der vom Kläger persönlich gestellte Antrag war im Streitfall als wirksam anzusehen, obwohl er als Prozeßhandlung grundsätzlich dem Vertretungszwang des Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG unterliegt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) gilt der Vertretungszwang nicht ausnahmslos. Prozeßhandlungen, die zur Beendigung des Verfahrens führen, wie z. B. eine Rücknahme der Revision oder eine Erledigungserklärung, kann der Kläger persönlich vornehmen (Beschluß vom 16. Januar 1984 GrS 5/82, BFHE 140, 408, BStBl II 1984, 439, mit weiteren Nachweisen). Nach Auffassung des BFH sind diese Ausnahmen notwendig, um eine unbillige Förmelei zu vermeiden, die mit dem Zweck des BFHEntlG, den Zugang zum BFH einzuschränken und das Verfahren vor dem BFH zu vereinfachen, nicht zu vereinbaren wäre. Die Vorschriften über den Vertretungszwang sind daher großzügig auszulegen, wenn es um die Beendigung eines beim BFH anhängigen Verfahrens geht (BFH-Beschluß vom 17. Februar 1981 VII R 14/80, BFHE 132, 400, BStBl II 1981, 395).

Darüber hinaus kann eine großzügige Auslegung der Vorschriften über den Vertretungszwang in Ausnahmefällen aber auch geboten sein bei einfachen, im Interesse des Klägers liegenden, einmaligen Prozeßerklärungen, die zur Fortführung des Revisionsverfahrens erforderlich sind.

Im Streitfall erstritt der Kläger ein obsiegendes Urteil des FG. Sofern er keine Anschlußrevision einlegen und nicht auf die Revision des FA erwidern wollte, brauchte er keinen Prozeßvertreter zu bestellen. Der Senat hätte also ohne die Mitwirkung durch einen Prozeßvertreter zur Sache entscheiden können. Durch ein Urteil des BFH wäre aber der Einkommensteuerbescheid 1988 rechtskräftig geworden, so daß sich die anstehenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über die Kinderfreibeträge und den Grundfreibetrag des Streitjahres 1988 im Falle einer Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz (GG) nicht mehr zugunsten des Klägers hätten auswirken können. Daher regte der Senatsvorsitzende beim FA an, den Einkommensteuerbescheid 1988 nachträglich durch Änderungsbescheid in gewissem Umfang für vorläufig zu erklären. Da die nachträgliche Vorläufigkeitserklärung ausschließlich im Interesse des Klägers vorgenommen wurde, kommt ein Einspruch gegen den Änderungsbescheid im Streitfall vernünftigerweise nicht in Betracht. Unternimmt der Kläger nichts, wird infolge des an die Stelle des angefochtenen Bescheids getretenen Änderungsbescheids die Klage unzulässig. Im Ergebnis hätte die Revision des FA Erfolg und das dem Kläger günstige FG-Urteil müßte aus formellen Gründen aufgehoben werden. Allein der Antrag nach § 68 FGO entspricht den Interessen des Klägers, weil er dadurch in die prozessuale Ausgangslage vor Erlaß des Änderungsbescheids versetzt wird. Für die einfache Erklärung, der geänderte Bescheid werde zum Gegenstand des Verfahrens gemacht, ist es aber trotz des für Verfahren vor dem BFH geltenden Vertretungszwangs nicht notwendig, einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer zu bestellen. Dies von dem Kläger zu verlangen, wäre eine unnötige und unbillige Förmelei, die weder zum Schutz des Klägers erforderlich ist noch der Beschleunigung oder Vereinfachung des Revisionsverfahrens dient.