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  BFH-Urteil vom 10.4.1991 (I R 71/87) BStBl. 1992 II S. 40

Als Kapitalgesellschaften i. S. des KVStG 1972 gelten keine Kommanditgesellschaften, deren persönlich haftender Gesellschafter eine OHG ist, auch wenn zu den Mitgliedern der OHG eine GmbH zählt (Abweichung vom BFH-Urteil vom 26. Januar 1983 II R 119/81, BFHE 138, 103, BStBl II 1983, 423).

KVStG 1972 § 5 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1.

Vorinstanz: FG Hamburg (EFG 1987, 419)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine OHG & Co. KG mit Sitz und Geschäftsleitung im Inland, die durch Gesellschaftsvertrag vom 23. Oktober 1980 errichtet wurde. Bei Gründung hatte die Klägerin sieben Kommanditisten mit Einlagen in Höhe von insgesamt 1.940.000 DM, die vollständig eingezahlt wurden. Komplementärin wurde die X-Ltd & Co., eine OHG mit Sitz im Inland. An der X-Ltd & Co. waren damals als Gesellschafter eine inländische OHG, eine inländische GmbH und die X-Ltd., eine Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in Großbritannien, beteiligt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) behandelte die Klägerin als Kapitalgesellschaft i. S. des § 5 Abs. 2 Nr. 3 des Kapitalverkehrsteuergesetzes (KVStG) 1972. Es sah in dem Ersterwerb von Kommanditanteilen an der Klägerin einen steuerpflichtigen Rechtsvorgang i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVStG 1972 und setzte am 21. April 1983 eine Gesellschaftsteuerschuld in Höhe von (1 v. H. von 1.940.000 DM =) 19.400 DM fest.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Die Vorentscheidung ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1987, 419 veröffentlicht.

Mit ihrer vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 5 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 und § 6 Abs. 1 Nr. 1 KVStG 1972.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung und den Gesellschaftsteuerbescheid vom 21. April 1983 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, des Gesellschaftsteuerbescheides vom 21. April 1983 und der Einspruchsentscheidung vom 6. Januar 1984 (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVStG 1972 unterliegt der Erwerb von Gesellschaftsrechten an einer inländischen Kapitalgesellschaft durch den ersten Erwerber der Gesellschaftsteuer. Ergänzend dazu regeln die §§ 5 und 6 KVStG 1972, was unter einer inländischen Kapitalgesellschaft und was unter Gesellschaftsrechten i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVStG 1972 zu verstehen ist. Nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 KVStG 1972 gilt als Kapitalgesellschaft auch eine Kommanditgesellschaft, zu deren persönlich haftenden Gesellschaftern eine der in § 5 Abs. 1 oder Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 KVStG 1972 bezeichneten Gesellschaften gehört. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 KVStG 1972 gelten die Kommanditanteile an einer Kommanditgesellschaft i. S. des § 5 Abs. 2 Nr. 3 KVStG 1972 als Gesellschaftsrechte.

Zu diesen Voraussetzungen hat das FG in tatsächlicher Hinsicht und den erkennenden Senat bindend festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO), daß die Klägerin eine OHG & Co. KG war. Ihre einzige Komplementärin war die inländische X-Ltd & Co., an der wiederum eine inländische OHG, eine inländische GmbH und eine britische Kapitalgesellschaft beteiligt waren. Auf der Grundlage dieser Feststellungen war die Klägerin im Zeitpunkt ihrer Errichtung keine Kapitalgesellschaft i. S. des § 5 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 KVStG 1972.

2. Die Klägerin war zwar eine Kommanditgesellschaft. Zu ihren persönlich haftenden Gesellschaftern gehörte aber keine der in § 5 Abs. 1 oder Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 KVStG 1972 bezeichneten Gesellschaften. Dazu ist davon auszugehen, daß an der Klägerin nur ein einziger Komplementäranteil bestand. Dieser war der X-Ltd & Co. zuzurechnen. Die Klägerin hatte deshalb nur eine persönlich haftende Gesellschafterin. Diese war OHG und schon deshalb keine Kapitalgesellschaft i. S. des § 5 Abs. 1 oder Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 KVStG 1972. Für die OHG schreibt § 124 des Handelsgesetzbuches (HGB) vor, daß sie unter ihrer Firma Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen kann. Deshalb ist die OHG ggf. selbst Mitglied einer privatrechtlichen Vereinigung, d. h. sie ist selbst Gesellschafter einer GmbH, einer anderen OHG oder einer KG (vgl. Baumbach/Duden/Hopt, Handelsgesetzbuch, § 105 Anm. 1 C, § 124 Anm. 4 A, § 161 Anm. 2 A, C; Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl., S. 22; Schlegelberger/Geßler, Handelsgesetzbuch, 4. Aufl., § 105 Anm. 27; Westermann, Handbuch der Personengesellschaft, I 118). Für die Beteiligung einer OHG an einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GdbR) hat dies schon das Reichsgericht (RG) im Urteil vom 10. Oktober 1933 II 148/33 (RGZ 142, 13 ff., 21) entschieden. Der Gesellschaftsanteil der OHG an einer nachgeschalteten KG ist dann aber begrifflich kein Gesellschaftsanteil der Gesellschafter der OHG. Die Gesellschafter der OHG haften zwar für die Verbindlichkeiten der OHG (§ 128 HGB) und damit auch für deren Schulden als Gesellschafter einer nachgeschalteten KG. Sie sind deshalb aber keine persönlich haftenden Gesellschafter der KG. Insbesondere wird nicht der eine Gesellschaftsanteil, den die OHG an der KG hält, in mehrere umgewandelt, die die Gesellschafter der OHG an der KG halten.

3. Bei dieser Sachlage sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 KVStG 1972 im Streitfall nicht erfüllt. Die Vorschrift verlangt, daß zumindest einer der persönlich haftenden Gesellschafter der KG Kapitalgesellschaft i. S. des § 5 Abs. 1 oder Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 KVStG 1972 ist. Sie läßt es nicht genügen, daß eine Kapitalgesellschaft i. S. des § 5 Abs. 1 Nr. 3 KVStG 1972 für die Schulden einer KG gemäß § 128 HGB persönlich haftet. Die Gesellschafterstellung muß zusätzlich neben die persönliche Haftung treten. Daran fehlt es, wenn eine Kapitalgesellschaft i. S. des § 5 Abs. 1 Nr. 3 KVStG 1972 an einer OHG beteiligt ist, die ihrerseits persönlich haftende Gesellschafterin einer KG ist. Ob mit Rücksicht auf § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) etwas anderes gilt, wenn sich nur zwei Kapitalgesellschaften zu einer OHG zusammenschließen und diese persönlich haftende Gesellschafterin einer KG wird, bedarf keiner Entscheidung, weil im Streitfall an der X-Ltd & Co. nicht ausschließlich Kapitalgesellschaften i. S. des § 5 Abs. 1 Nr. 3 KVStG 1972 beteiligt waren und Anhaltspunkte für eine mißbräuchliche Zwischenschaltung der X-Ltd & Co. nicht festgestellt sind.

4. War die Klägerin nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 2 Nr. 3 KVStG 1972 keine Kapitalgesellschaft i. S. der Vorschrift, so könnte sie nur dann wie eine solche behandelt werden, wenn eine Gesetzeslücke anzunehmen wäre, die zu Lasten der Klägerin geschlossen werden müßte. Einer solchen Annahme steht jedoch § 5 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 KVStG 1972 entgegen. Danach ist nur die sog. doppel- oder mehrstöckige GmbH & Co. KG fiktiv zur Kapitalgesellschaft erklärt. Die aus dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift sich ergebende Beschränkung auf Kommanditgesellschaften schließt es aus, die Regelung auf eine OHG auszudehnen, die ihrerseits persönlich haftende Gesellschafterin einer KG ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Gesetzesmaterialien. Zwar ist in der Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf eines Kapitalverkehrsteueränderungsgesetzes - KVStÄndG - 1971 (BTDrucks VI/2769, S. 6, rechte Spalte am Ende) von einem praktischen Bedürfnis die Rede, Kommanditgesellschaften einzubeziehen, zu deren persönlich haftenden Gesellschaftern eine als Kapitalgesellschaft geltende Kommanditgesellschaft gehört. Daraus läßt sich jedoch nicht ableiten, daß auch die OHG in die Regelung mit einzubeziehen ist.

5. Die vom erkennenden Senat vertretene Auffassung erscheint auch mit Rücksicht auf die Regelung in Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 69/335/EWG vom 17. Juli 1969 (Amtsblatt - ABl - vom 3. Oktober 1969 Nr. L 249/25) geboten, wobei davon auszugehen ist, daß das KVStG 1972 der Umsetzung der Richtlinie 69/335/EWG dient und deshalb im Zweifel i. S. der Richtlinie auszulegen ist. Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. c 2. Halbsatz der Richtlinie 69/335/EWG sind Kapitalgesellschaften (hier:) nur solche Gesellschaften oder Personenvereinigungen mit Erwerbszweck, deren Mitglieder für Schulden der Gesellschaft oder Personenvereinigung nur bis zur Höhe ihrer Beteiligung haften. Eine OHG, die persönlich haftende Gesellschafterin einer KG ist, haftet für die Schulden der KG ohne Beschränkung auf die Höhe ihrer Beteiligung an der KG. Dies gilt entsprechend für eine Kapitalgesellschaft i. S. des § 5 Abs. 1 Nr. 3 KVStG 1972, die an der OHG beteiligt ist. Sie haftet als Mitglied der OHG mit ihrem gesamten Vermögen für die Gesellschaftsschulden der OHG. Eine Haftungsbeschränkung auf die Höhe der eigenen Beteiligung findet nicht statt.

6. Soweit der II. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) im Urteil vom 26. Januar 1983 II R 119/81 (BFHE 138, 103, BStBl II 1983, 423) eine andere Auffassung vertreten hat, hält der erkennende Senat daran nicht fest. Einer Anrufung des Großen Senats des BFH gemäß § 11 Abs. 3 FGO bedarf es deshalb nicht, weil der I. Senat für Rechtsstreitigkeiten in Gesellschaftsteuersachen heute allein sachlich zuständig ist (vgl. Geschäftsverteilungsplan 1991 des BFH in BStBl II 1991, 111, unter A. I. Senat Nr. 8). Die vom II. Senat vertretene Rechtsauffassung ist durch den Beschluß des Großen Senats des BFH vom 25. Februar 1991 GrS 7/89 (BFHE 163, 1, BStBl II 1991, 691, unter C.III.1) überholt.

7. Das FG ist von einer abweichenden Rechtsauffassung ausgegangen. Seine Entscheidung kann deshalb keinen Bestand haben. Die Sache ist entscheidungsreif. Da die Klägerin keine Kapitalgesellschaft i. S. des § 5 Abs. 2 Nr. 3 KVStG 1972 im Zeitpunkt ihrer Errichtung war, sind die Vorentscheidung, der angefochtene Gesellschaftsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben.