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  BFH-Urteil vom 13.11.1991 (I R 78/89) BStBl. 1992 II S. 177

Für künftige Beiträge zum Garantiefonds des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e. V. dürfen die Mitgliedsbanken keine Rückstellungen bilden.

EStG 1983 § 5 Abs. 1; AktG 1965 § 152 Abs. 7.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Kreditgenossenschaft mit Sitz in Niedersachsen. Sie ist Mitglied des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e. V. (BVR). Der BVR hat - als Teil der Einlagensicherungseinrichtung der genossenschaftlichen Kreditinstitute - einen Garantiefonds eingerichtet. Zweck des Fonds ist es, wirtschaftliche Schwierigkeiten von Mitgliedsbanken abzuwenden oder zu beheben und dadurch insbesondere die Einlagen bei diesen Banken zu sichern. Die Mitgliedsbanken sind verpflichtet, Beiträge zum Garantiefonds zu leisten. Die im Fonds angesammelten Mittel sind Vermögen des BVR. Es wird zum Teil treuhänderisch von regionalen Prüfungsverbänden verwaltet, die dem BVR angehören. Bemessungsgrundlage der jährlich zu zahlenden Beiträge ist für die Kreditgenossenschaften die Summe bestimmter Forderungen und Verbindlichkeiten nach dem Stand ihres jeweils vorletzten Jahresabschlusses. Der Grundbeitragssatz beträgt für sie 0,5 %%. Der Verbandsrat des BVR darf höhere Beitragssätze festsetzen. Außerdem dürfen Sonderbeiträge erhoben werden, wenn die von einem Prüfungsverband verwalteten Fondsmittel nicht ausreichen, um den in seinem Verbandsbereich entstandenen Sanierungsbedarf zu decken.

1984 geriet eine Kreditgenossenschaft in Hamm/Westfalen in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Der BVR entschloß sich, die Bank zu sanieren. Nach Schätzungen vom Januar 1985 mußten dafür 1985 etwa 500 Mio. DM bereitgestellt werden. Der in den Jahren bis einschließlich 1993 entstehende und aus Mitteln des Garantiefonds zu deckende Sanierungsaufwand wurde auf rd. 627 Mio. DM geschätzt. Zur Deckung dieses Sanierungsaufwands reichten die vorhandenen Fondsmittel nicht aus. Deshalb sah das Sanierungskonzept des BVR vor, den Beitragssatz zu erhöhen. Mit Schreiben vom 30. Januar 1985 informierte der BVR seine Mitgliedsbanken über das Sanierungskonzept und die sich aus ihm für den Fonds voraussichtlich ergebenden Belastungen.

Aufgrund dieser Information bildete die Klägerin in ihrer Bilanz auf den Schluß des Jahres 1984 (Streitjahr) eine Rückstellung in Höhe von 219.718 DM für den voraussichtlich von ihr zu tragenden Sanierungsaufwand. Bei der Festsetzung der Körperschaftsteuer 1984 berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) diese Rückstellung nicht steuermindernd. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Mit ihrer vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verfahrensmängel und Verletzung des § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1983.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist nicht begründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Zutreffend hat das FG entschieden, daß die Klägerin in ihrer Bilanz auf den 31. Dezember 1984 keine Rückstellung für künftige Beiträge zum Garantiefonds des BVR bilden darf.

1. Gemäß § 5 Abs. 1 EStG 1983 ist bei Gewerbetreibenden, die - wie die Klägerin - aufgrund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet sind, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen, für den Schluß des Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist. Ob in der Bilanz eine Rückstellung auszuweisen ist, ergibt sich für die Zeit vom 1. Januar 1966 bis zum Inkrafttreten des Bilanzrichtlinien-Gesetzes (BiRiLiG) vom 19. Dezember 1985 (BGBl I 1985, 2355) aus § 152 Abs. 7 des Aktiengesetzes (AktG) 1965. Diese Vorschrift enthält einen handelsrechtlichen Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung und statuiert eine auch steuerrechtlich zu beachtende Passivierungspflicht für ungewisse Verbindlichkeiten und für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften (Bundesfinanzhof - BFH -, Urteile vom 5. Februar 1987 IV R 81/84, BFHE 149, 55, BStBl II 1987, 845, und vom 19. Mai 1987 VIII R 327/83, BFHE 150, 140, BStBl II 1987, 848).

2. Eine Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften darf die Klägerin aufgrund des geschilderten Sachverhalts nicht bilden.

Ein schwebendes Geschäft setzt Rechtsbeziehungen voraus, die auf einen Leistungsaustausch gerichtet sind (s. z. B. Woerner, Grundsatzfragen zur Bilanzierung schwebender Geschäfte, Finanz-Rundschau - FR - 1984, 489, [490]; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., 1991, § 5 Anm. 45 b; Blümich/Schreiber, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, 13. Aufl., § 5 EStG Rz. 245, m. w. N.). Die Verpflichtung der Klägerin, Beiträge zum Garantiefonds zu leisten, ist kein Teil einer derartigen Rechtsbeziehung. Die Mitgliedsbanken der Einlagensicherungseinrichtungen der Bankenverbände erlangen durch die Beitragszahlungen weder für sich noch für ihre Kunden Ansprüche auf Leistungen aus den Garantiefonds (s. Beck, Gesetz über das Kreditwesen, Kommentar, § 33 Rz. 49, m. w. N.).

3. Auch eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten darf für die künftigen Beiträge zum Garantiefonds nicht gebildet werden.

a) Die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten setzt u. a. voraus, daß eine Verbindlichkeit einem anderen gegenüber dem Grunde nach zwar nicht mit Sicherheit, aber doch mit Wahrscheinlichkeit besteht oder entstehen wird, oder daß allein oder zusätzlich hinsichtlich ihrer Höhe Ungewißheit besteht (BFH-Urteil in BFHE 149, 55, BStBl II 1987, 845, m. w. N.). Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt.

Die Klägerin war dem BVR gegenüber verpflichtet, Beiträge zum Garantiefonds zu leisten. Bereits Ende 1984 war wahrscheinlich, daß sie auch für die Folgejahre Beiträge zum Garantiefonds würde leisten müssen. Sie konnte sich den künftigen Beitragszahlungen nicht entziehen, wenn sie auch in den Folgejahren als Kreditgenossenschaft Sicht- und Spareinlagen von natürlichen Personen entgegennehmen wollte. Denn sie durfte nach der damaligen Verwaltungspraxis des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen derartige Bankgeschäfte nur betreiben, wenn sie einer Einlagensicherungseinrichtung angehörte (s. Reischauer/Kleinhans, Kreditwesengesetz, Kommentar, Kza 112 S. 14, 17/18; Kza 115 § 33 des Gesetzes über das Kreditwesen - KWG - Anm. 19; Kza § 32 Anm. 20). Die Höhe der künftigen Beitragsverbindlichkeiten war ungewiß. Sie hing hinsichtlich der Beitragsbemessungsgrundlage von der künftigen Geschäftsentwicklung der Klägerin und hinsichtlich der Beitragssätze von künftigen Entscheidungen des Verbandsrats des BVR ab.

b) Der Ansicht der Klägerin, die in den Jahren 1985 bis 1993 fälligen Beitragsverbindlichkeiten seien bereits 1984 entstanden und nur der Höhe nach ungewiß gewesen, folgt der Senat nicht. Eine Verbindlichkeit ist entstanden, sobald alle Voraussetzungen erfüllt sind, von denen Gesetz, Satzung oder Vertrag die Entstehung abhängig machen. Das Entstehen der Beitragsverbindlichkeiten für die Jahre nach 1984 hängt bzw. hing davon ab, daß die Klägerin im jeweiligen Jahr, für das der Beitrag zu leisten ist (Beitragsjahr), Mitglied des BVR ist bzw. war. Denn zur Zahlung der Beiträge sind nach der den Garantiefonds betreffenden Satzung des BVR nur Mitgliedsbanken verpflichtet (zum Ende der Beitragspflicht von Vereinsmitgliedern s. Reichert/Dannecker/Kühr, Handbuch des Vereins- und Verbandsrechts, 4. Aufl., 1987, Tz. 479; zur Unwirksamkeit von Satzungsbestimmungen, durch die eine Haftung von Vereinsmitgliedern für Schulden des Vereins begründet werden soll, s. Staudinger/Coing, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Aufl., 1980, § 25 Rz. 22; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 1. Bd. 2. Teil, Die juristische Person, 1983, S. 327/328). Diese Voraussetzung für das Entstehen der Beitragsverbindlichkeit ist frühestens mit Beginn des Beitragsjahrs erfüllt. Die Fälligkeit der Verbindlichkeit ist dagegen keine Voraussetzung für ihr Entstehen (s. Bundesgerichtshof - BGH -, Urteil vom 10. März 1977 VII ZR 254/75, Wertpapier-Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht - WM - 1977, S. 553 [554]).

c) Die Bildung einer Rückstellung für eine nach Grund und/oder Höhe ungewisse Verbindlichkeit, die am Bilanzstichtag noch nicht entstanden ist, setzt u. a. voraus, daß die Verbindlichkeit im abgelaufenen oder einem vorangegangenen Wirtschaftsjahr wirtschaftlich verursacht wurde (BFH-Urteil in BFHE 150, 140, BStBl II 1987, 848). Wirtschaftlich verursacht ist eine Verbindlichkeit, sobald die wirtschaftlich wesentlichen Voraussetzungen ihres Entstehens erfüllt sind und ihre Entstehung nur noch von wirtschaftlich unwesentlichen Umständen abhängt (BFH-Urteil vom 1. August 1984 I R 88/80, BFHE 142, 226, BStBl II 1985, 44, m. w. N.).

d) Birck/Meyer (Die Bankbilanz, 3. Aufl., 1989, V 360) vertreten die Ansicht, soweit die vorhandenen Fondsmittel nicht zur Deckung der Fondsverpflichtungen ausreichten, bestünden ungewisse Verbindlichkeiten der beitragspflichtigen Banken, denen diese durch Bildung einer Rückstellung Rechnung tragen müßten. Dies würde deutlich, wenn der Fonds die Banken sofort mit dem auf sie entfallenden Anteil an den vom Fonds übernommenen Verpflichtungen belasten würde. Tatsächlich fände durch die Begrenzung der Zahlungen auf die jährlich zu leistenden Beiträge zwar eine Entkoppelung der Zahlung von der Aufwandsentstehung statt; dies ändere aber nichts daran, daß letztlich der dem Fonds entstandene Aufwand - wenn auch zeitlich gestreckt - den zur Zahlung verpflichteten Banken weiterbelastet werde.

Der Senat teilt diese Ansicht nicht. Ihre Prämisse, die Mitgliedsbanken seien verpflichtet, den beim Fonds entstandenen Aufwand zu decken, ist unzutreffend. Die Banken sind nur zur Zahlung der Mitgliedsbeiträge verpflichtet. Die den Garantiefonds betreffende Satzung des BVR verpflichtet die Banken weder zur Deckung der beim Fonds entstandenen Aufwendungen, noch beschränkt sie die Beitragszahlung auf die zum Ausgleich dieser Aufwendungen benötigten Beträge. Dies gilt auch dann, wenn eine Bank aus der Sicherungseinrichtung ausscheidet. Die Bank ist in diesem Fall nicht verpflichtet, eine Zahlung zur Deckung der Aufwendungen zu leisten, die dem Fonds nach dem Ausscheiden durch bereits vorher beschlossene Sanierungsmaßnahmen entstehen werden und die noch nicht durch die bereits entrichteten Beiträge gedeckt sind.

e) Daß beim Fonds Aufwendungen entstehen werden oder bereits entstanden sind, ist zwar die Ursache für die Erhebung - und im Streitfall für die Erhöhung - der Beiträge. Es ist aber keine Voraussetzung - und somit auch keine wirtschaftlich wesentliche Voraussetzung - für das Entstehen der Beitragsverbindlichkeiten. Die wirtschaftlich wesentliche Voraussetzung für das Entstehen der Beitragsverbindlichkeit ist die Mitgliedschaft bei der Sicherungseinrichtung des BVR im jeweiligen Beitragsjahr. Nur wenn die Bank im Beitragsjahr noch Mitglied ist, entsteht die Beitragsverbindlichkeit für das betreffende Jahr.

Die Beiträge sind wirtschaftlich Aufwand des Jahres, für das der BVR sie anfordert. Der Grund, warum die Klägerin an der Mitgliedschaft festhält, zeigt dies deutlich. Die Klägerin könnte sich der künftigen Beitragszahlung durch Kündigung der Mitgliedschaft entziehen. Mit Wirksamwerden der Kündigung würde ihre Beitragspflicht erlöschen. Sie bleibt jedoch Mitglied, weil sie auch künftig Spar- und Sichteinlagen natürlicher Personen entgegennehmen und deren Abzug - der beim Ausscheiden aus der Einlagensicherungseinrichtung droht - vermeiden will. Der wirtschaftlich entscheidende Grund für die Zahlung der Beiträge ist daher nicht der beim Garantiefonds entstandene oder noch entstehende Aufwand, sondern das Einlagengeschäft der Klägerin im jeweiligen Beitragsjahr.

Der Senat muß nicht entscheiden, ob für Sonderbeiträge etwas anderes gilt. Die Klägerin bildete die Rückstellung für Teilbeträge der künftigen erhöhten regulären Beiträge.