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  BFH-Urteil vom 15.11.1991 (III R 84/89) BStBl. 1992 II S. 245

Unterstützt ein Steuerpflichtiger seinen Sohn und die mit diesem in Haushaltsgemeinschaft lebende Schwiegertochter, so sind für die Anwendung des § 33 a Abs. 1 Satz 3 EStG die Einkünfte der Ehegatten zusammenzurechnen. Die Anweisung in Abschn. 190 Abs. 3 Sätze 2 bis 4 EStR 1984 (Abschn. 190 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 EStR 1990) entspricht insoweit dem Gesetz (Bestätigung des Urteils vom 31. Januar 1958 VI 207/57 U, BFHE 66, 277, BStBl III 1958, 108).

EStG § 33 a Abs. 1; EStR 1984 Abschn. 190 Abs. 3 (EStR 1990 Abschn. 190 Abs. 7).

Vorinstanz: Niedersächsisches FG (EFG 1988, 77)

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), zusammenveranlagte aus der Türkei stammende Eheleute, waren im Streitjahr 1985 in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) wohnhaft und erzielten hier Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In ihrem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich machten sie Unterhaltsleistungen an ihren Sohn und dessen Ehefrau, die ebenfalls in der Bundesrepublik lebten, im Gesamtbetrag von 7.200 DM als außergewöhnliche Belastung geltend. Der Sohn der Kläger bezog im Streitjahr Arbeitslohn in Höhe von 9.840 DM; die Schwiegertochter hatte keine eigenen Einkünfte oder Bezüge.

Die Kläger trugen vor, sie hätten sich den Unterhaltsleistungen an Sohn und Schwiegertochter nicht entziehen können; der Verdienst ihres Sohnes sei für den Unterhalt des jungen Paares nicht ausreichend gewesen. Die Schwiegertochter habe keine Arbeitserlaubnis erhalten. Sie laufe Gefahr, die Aufenthaltserlaubnis zu verlieren, wenn sie Sozialhilfe beantrage (§ 10 Abs. 1 des Ausländergesetzes).

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erkannte nur die Unterhaltsleistungen der Kläger an ihren Sohn in Höhe von 3.600 DM als außergewöhnliche Belastung an. Die Aufwendungen für den Unterhalt der Schwiegertochter sah das FA - auch im Einspruchsverfahren - nicht als zwangsläufig an.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1988, 77 veröffentlichten Entscheidung im wesentlichen aus: Soweit nach Abschn. 190 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 1984 bei in Haushaltsgemeinschaft lebenden Ehegatten die Einkünfte und Bezüge für jede Person gesondert festzustellen, zusammenzurechnen und sodann durch die Zahl der haushaltsangehörigen Personen zu teilen seien, könne dieser Berechnung nicht gefolgt werden. Nach der eindeutigen gesetzlichen Regelung des § 33 a Abs. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) seien die eigenen Einkünfte und Bezüge des Unterhaltenen in den gesetzlichen Grenzen in voller Höhe zu berücksichtigen. Etwas anderes folge auch nicht aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 31. Januar 1958 VI 207/57 U (BFHE 66, 277, BStBl III 1958, 108). Nach dieser Entscheidung fehle es nämlich nur dann an der Zwangsläufigkeit der Unterstützungsleistungen Dritter an einen Ehegatten, wenn der andere Ehegatte über Einkünfte und Bezüge verfüge, welche die doppelten Höchstbeträge des § 33 a Abs. 1 Satz 3 EStG überstiegen.

Im Streitfall hätten deshalb nur die Zahlungen an die Schwiegertochter als außergewöhnliche Belastung in Betracht kommen können. Die Frage, ob die Kläger zu diesen Leistungen aus tatsächlichen oder sittlichen Gründen verpflichtet gewesen seien, könne aber offenbleiben, da die Zahlungen an den Sohn zu Unrecht berücksichtigt worden seien und deshalb ggf. mit den Zahlungen an die Schwiegertochter saldiert werden müßten.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger, daß das FG mit seiner Entscheidung von dem Urteil des BFH in BFHE 66, 277, BStBl III 1958, 108 abgewichen sei. Denn dort habe der BFH ausgeführt, daß die Regelung in Abschn. 190 Abs. 3 EStR 1955 jedenfalls dann mit § 33 a EStG übereinstimme, wenn es sich um in Haushaltsgemeinschaft lebende Ehegatten handele. So aber sei es hier. Die Entscheidung des FG beruhe auch auf dieser Abweichung. Denn wenn entsprechend Abschn. 190 Abs. 3 EStR 1984 aufgeteilt worden wäre, hätte sich folgende Berechnungsweise ergeben: Bei einem Einkommen des Sohnes und der Schwiegertochter von 9.840 DM ergäben sich nach Verminderung um Weihnachtsfreibetrag, Arbeitnehmerfreibetrag und Werbungskostenpauschbetrag Einkünfte von 8.196 DM. Nach Kürzung um 4.200 DM für jede haushaltsangehörige Person, also insgesamt 8.400 DM, verbleibe kein positiver Betrag, so daß Freibeträge von jeweils 3.600 DM für Sohn und Schwiegertochter hätten anerkannt werden müssen.

Die Kläger beantragen sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung und Abänderung des angefochtenen Bescheids über den Lohnsteuer-Jahresausgleich in der Form der Einspruchsentscheidung bei der Ermittlung der Lohnsteuer für 1985 einen zusätzlichen Freibetrag nach § 33 a Abs. 1 EStG in Höhe von 3.600 DM zu berücksichtigen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Der VI. Senat des BFH hat im Urteil in BFHE 66, 277, BStBl III 1958, 108 entschieden, daß die Regelung in Abschn. 190 Abs. 3 EStR 1955 mit § 33 a Abs. 1 EStG vereinbar sei. Die Richtlinienregelung sah vor, daß die Einkünfte und Bezüge unterhaltener Personen, die einen gemeinsamen Haushalt führen, bei der Anwendung des § 33 a Abs. 1 EStG zusammenzurechnen sind und auf die Summe der Einkünfte und Bezüge für jede unterhaltene Person der Betrag von 480 DM anzurechnen ist; der übersteigende Betrag sollte von der Summe der Höchstbeträge von 720 DM je unterhaltener Person abgezogen werden. Diese Regelung entsprach - von den unterschiedlichen Höchstbeträgen abgesehen - bereits der Regelung in Abschn. 190 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStR 1984, die allerdings auf Eheleute beschränkt ist. Der VI. Senat des BFH hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, daß die selbständige Feststellung der Einkünfte und Bezüge für jeden Ehegatten, im damaligen Streitfall für jeden Elternteil, der natürlichen Betrachtung der Dinge und der Lebenserfahrung widerspreche. Die Lebenserfahrung besage nämlich, daß Eheleute aus einer gemeinsamen Wirtschaftskasse leben, so daß dasjenige, was einem von ihnen zugewendet werde, auch dem anderen zugute komme. Dies beruhe nicht zuletzt darauf, daß Ehegatten einander nach bürgerlichem Recht unterhaltspflichtig seien. Lebe ein Ehegatte in guten Verhältnissen, so sei damit auch der Unterhalt des anderen Teils rechtlich sichergestellt; für Unterstützungen von dritter Seite bestehe dann in der Regel kein Bedürfnis. Die Richtlinienregelung sei deshalb jedenfalls dann zutreffend, wenn es sich um in Haushaltsgemeinschaft lebende Ehegatten handele.

Entgegen der Auffassung des FG sind die Grundsätze der vorerwähnten Entscheidung auch auf den vorliegenden Fall anwendbar. Denn nach den Grundsätzen des Urteils in BFHE 66, 277, BStBl III 1958, 108 kommt es nicht darauf an, welcher Ehegatte über die schädlichen Einkünfte verfügt, sondern diese sind in jedem Fall zusammenzurechnen. Es ist deshalb gleichgültig, ob der Empfänger einkommenslos, sein Ehegatte aber die schädlichen Einkünfte hat, oder ob an den einkünftebeziehenden Ehegatten oder an beide Ehegatten gezahlt worden ist.

Das Urteil stellt auch nicht entscheidend darauf ab, ob die unterstützten Eheleute einen eigenen Haushalt führen, oder ob dieser zusammen mit anderen geführt wird. Es kommt deshalb für die Anwendung der vorerwähnten Grundsätze nicht darauf an, ob die Empfänger, wie das FA zunächst behauptet hatte, in derselben Wohnung leben wie die Kläger selbst. Im übrigen haben die Kläger im Revisionsverfahren die Fotokopie eines Mietvertrages sowie zweier Schreiben an den Kläger und den Schwiegersohn des Klägers vorgelegt, in dem die Vermieterin unterschiedlich hohe Mieterhöhungen verlangt, was für den Vortrag der Kläger im Revisionsverfahren sprechen würde, daß die Kläger einerseits und Sohn und Schwiegertochter andererseits verschiedene Wohnungen bewohnt haben.

Der erkennende Senat sieht auch keine Veranlassung, von der Auffassung des VI. Senats im Urteil in BFHE 66, 277, BStBl III 1958, 108 abzuweichen. Sie ist von der Literatur übernommen worden (Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., § 33 a Anm. 2 e; Borggreve in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., § 33 a Rdnr. 47; Fitsch in Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 33 a Rdnr. 55; Blümich/Oepen, Einkommensteuergesetz, 14. Aufl., § 33 a Anm. 143; Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 33 a EStG Anm. 111; wohl auch Arndt in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 33 a Rdnr. B 138). Der Gedanke, daß Eheleute einander (vorrangig) unterhaltsverpflichtet sind (§§ 1360 f., 1609 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -), ist für die Auslegung des § 33 a Abs. 1 EStG vom Senat wiederholt betont worden, insbesondere bei der Anerkennung der zur Auslegung und Abgrenzung des Begriffs der Zwangsläufigkeit ergangenen Opfergrenzenregelung (Urteil vom 4. April 1986 III R 245/83, BFHE 147, 231, BStBl II 1986, 852). Aber auch soweit es nicht um die Sicherstellung des gegenseitigen notwendigen Unterhalts geht, nimmt die Rechtsprechung des BFH wie auch die des Bundesgerichtshofs (BGH) im Zweifel an, daß Eheleute in einen "gemeinsamen Topf" wirtschaften. Dieser Gedanke liegt z. B. dem Urteil des BFH vom 12. Februar 1988 VI R 141/85 (BFHE 152, 491, BStBl II 1988, 764) zugrunde, das zur Frage der Berechtigung zur Absetzung für Abnutzung (AfA) bei einem Arbeitszimmer ergangen ist, das sich in einem den Ehegatten je zur Hälfte gehörenden Einfamilienhaus befand. Der VI. Senat des BFH hat hier nicht darauf abgestellt, welcher der Ehegatten die Anschaffungs- oder Herstellungskosten tatsächlich aufgebracht hat. Ausgehend von der grundsätzlichen Gleichwertigkeit der beiderseitigen Beiträge zur ehelichen Lebensgemeinschaft nimmt der BGH bei stark differierenden Einkommensverhältnissen an, daß der verdienende Teil die gemeinschaftlichen finanziellen Verpflichtungen trägt, auch wenn sie dem gemeinsamen Vermögenserwerb dienen (vgl. BGH-Urteile vom 6. Dezember 1965 II ZR 137/63, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1966, 542, und vom 17. Mai 1983 IX ZR 14/82, NJW 1983, 1845, 1846, rechte Spalte). Wenn der Gedanke des gemeinsamen Wirtschaftens aber sogar beim Vermögenserwerb durchschlägt, muß er erst recht gelten, soweit es um die Befriedigung des unbedingt notwendigen Lebensunterhalts geht.

Zuzugeben ist, daß es Fälle gibt, in denen der verdienende Ehegatte seiner Unterhaltsverpflichtung nicht in dem erforderlichen Umfang nachkommt, bzw. in denen Ehegatten nicht in der vorerwähnten Weise die gemeinschaftlichen finanziellen Verpflichtungen tragen. Für diese Fälle sieht der Senat aber mit Kanzler (a. a. O., § 33 a Anm. 111) die vorliegende Ausnahme vom Grundsatz der Einzelermittlung aus Gründen der Vereinfachung und zur Mißbrauchsabwehr als gerechtfertigt an. Denn in jedem Fall erspart die Zusammenrechnung eine genaue Ermittlung und Bewertung der dem bedürftigen Ehegatten zugeflossenen Beträge bzw. Sachleistungen, die den Aufwendungen des Steuerpflichtigen gegenzurechnen wären.

Die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung des FA, die der Rechtsauffassung des Senats nicht entsprechen, sind aufzuheben. Die Sache ist entscheidungsreif; der Senat hat keine Bedenken, auch gegenüber der in Wirtschaftsgemeinschaft mit dem Sohn der Kläger lebenden Schwiegertochter eine sittliche Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung anzunehmen.

Gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) setzt der Senat den Lohnsteuer-Erstattungsbetrag für 1985 wie folgt fest: ....