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  BFH-Urteil vom 29.11.1991 (III R 191/90) BStBl. 1992 II S. 293

Beiträge zur Krankenversicherung eines an sich beihilfeberechtigten Angehörigen des öffentlichen Dienstes können auch dann nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden, wenn der Steuerpflichtige wegen seines von Kindheit an bestehenden Leidens keine Aufnahme in eine private Krankenversicherung gefunden hat.

In einem solchen Fall kann jedoch Anlaß für eine Billigkeitsmaßnahme der Verwaltung bestehen.

EStG § 10 Abs. 1 und Abs. 3, § 33; AO 1977 § 163 Abs. 1, § 227 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg (EFG 1989, 288)

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein Beamter, ist infolge einer von Kindheit an bestehenden Dauererkrankung zu 100 % in der Erwerbsfähigkeit gemindert und zu seiner Fortbewegung auf einen Rollstuhl angewiesen. Seine Ehefrau steht in einem Angestelltenverhältnis.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) gewährte dem Kläger für die Streitjahre 1984 und 1985 jeweils den Pauschbetrag nach § 33 b Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung (EStG) in Höhe von 7.200 DM. Da eine Aufnahme des Klägers in eine private Krankenversicherung wegen seiner Erkrankung nicht möglich war, entstanden ihm für die notwendige Versicherung bei einer gesetzlichen Krankenkasse Beiträge in Höhe von .... DM (1984) und .... DM (1985).

Von den Versicherungsbeiträgen des Klägers und seiner Ehefrau berücksichtigte das FA wegen der Höchstbetragsregelung in § 10 Abs. 3 EStG lediglich jeweils 7.020 DM als Sonderausgaben. Das FA lehnte es ab, die Krankenversicherungsbeiträge, die sich als Sonderausgaben nicht ausgewirkt hatten, als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.

Mit der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage begehrte der Kläger, die Unterschiedsbeträge zwischen den Beiträgen zur Ersatzkasse (460 DM monatlich) und den für andere Beamte seines Alters üblichen Beiträgen zur privaten Krankenversicherung (111 DM monatlich) als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1989, 288 veröffentlichten Gründen statt. Es ging davon aus, daß Mehraufwendungen an Krankenversicherungsbeiträgen, die ein zu 100 % in seiner Erwerbsfähigkeit geminderter Rollstuhlfahrer wegen einer Dauererkrankung erbringen muß, als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen sind, wenn das vom Steuerpflichtigen erbrachte versicherungsrechtliche Sonderopfer zu haushaltsrechtlichen Entlastungen beim öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber führt.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es führt im wesentlichen aus:

Das FG habe die gezahlten Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung in zwei Teile aufgesplittet, und zwar in einen "Normalversicherungsbeitrag" und in einen "Erhöhungszuschlag"; dieser solle eine atypische Sonderleistung darstellen, die ihrem Inhalt und ihrer Funktion nach Krankheitskosten gleichzusetzen sei. Diese Auffassung sei mit § 33 Abs. 2 Satz 2 EStG nicht zu vereinbaren; sie bedeute eine Umgehung der vom Gesetz vorgesehenen Abgrenzung zwischen Sonderausgaben (hier Krankenversicherungsbeiträgen) und außergewöhnlichen Belastungen (hier Krankheitskosten). Unter Krankenversicherungsbeiträge fielen alle derartigen Beiträge, unabhängig davon, welche personenbezogenen Besonderheiten ihnen zugrunde lägen. Daß die Krankenversicherungsbeiträge je nach den personenbezogenen Umständen des Einzelfalls unterschiedlich hoch sein könnten und wegen der Kappung des § 10 Abs. 3 EStG auch steuerlich unterschiedlich zum Tragen kämen, habe der Gesetzgeber gesehen und bewußt in Kauf genommen. Eine Gesetzeslücke, die der Auslegung bedürfe, liege deshalb nicht vor.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands, so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, daß der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird (§ 33 Abs. 1 EStG). Aufwendungen, die zu den Betriebsausgaben, Werbungskosten oder Sonderausgaben gehören, bleiben dabei außer Betracht (§ 33 Abs. 2 Satz 2 EStG).

Im Streitfall kommt eine Berücksichtigung der streitigen Kosten als außergewöhnliche Belastungen schon deshalb nicht in Betracht, weil die Aufwendungen ihrer Art nach Sonderausgaben sind. Denn Krankenversicherungsbeiträge gehören zu den nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 a EStG abziehbaren Sonderausgaben. Unerheblich ist, ob die Beiträge im Einzelfall als Sonderausgaben abziehbar sind oder ob sie sich wegen Überschreitens der gesetzlichen Höchstgrenzen steuerlich nicht auswirken. Ausreichend ist vielmehr, daß die Krankenversicherungsbeiträge ihrer Art nach Sonderausgaben sind.

Daß es nicht auf die konkrete steuerliche Auswirkung als Sonderausgaben ankommt, ergibt sich schon aus der Ausnahmevorschrift des § 33 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 EStG. Denn dort ist für Aufwendungen i. S. des § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG (ab 1990 auch Nr. 8) der Ausschluß von der Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung auf die Beträge beschränkt, die tatsächlich als Sonderausgaben abgezogen werden können. Da der Sonderausgabenabzug im übrigen abschließend geregelt ist, bleibt für eine Berücksichtigung von anderen Sonderausgaben gemäß § 33 EStG kein Raum.

Die Rechtsprechung hat es deshalb z. B. abgelehnt, Einzahlungen an Bausparkassen und Nachzahlungen zur Rentenversicherung, die die gesetzlichen Grenzen für den Sonderausgabenabzug überstiegen, als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen (Urteile vom 23. Februar 1968 VI R 131/67, BFHE 91, 532, BStBl II 1968, 506; vom 12. November 1976 VI R 167/74, BFHE 120, 398, BStBl II 1977, 154). Dieser Beurteilung entspricht auch die Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen außergewöhnlicher Belastung und Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten. Auch hier kommt es nur darauf an, daß es sich bei den Aufwendungen ihrer Art nach um Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben handelt; ob sie sich konkret steuerlich als solche auswirken, ist dagegen nicht entscheidend (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. November 1991 III R 74/87, BFHE 166, 266, BStBl II 1992, 290; vom 23. Februar 1968 VI R 278/66, BFHE 91, 573, BStBl II 1968, 433).

Nichts anderes kann für die hier streitigen Krankenversicherungsbeiträge gelten. Dem FA ist darin zu folgen, daß ein Sonderfall der hier zu beurteilenden Art keine einschränkende Auslegung des § 33 Abs. 2 Satz 2, Halbsatz 1 EStG, die naturgemäß nicht auf wenige Einzelfälle beschränkt bleiben könnte, rechtfertigt. Zwar handelt es sich bei der Absicherung des Krankheitskostenrisikos um eine existentiell wichtige Frage. Für die große Zahl der in Betracht kommenden Fälle stellt die abschließende Regelung dieser Belastung durch den - beschränkten - Sonderausgabenabzug jedoch eine ausreichende Berücksichtigung der damit verbundenen Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit dar.

Der Senat sieht auch deshalb keine Veranlassung, die Systematik des Gesetzes für Fälle der hier vorliegenden Art in Frage zu stellen, weil sich gerade bei der Beurteilung von Krankenversicherungskosten bei (beihilfeberechtigten) Angehörigen des öffentlichen Dienstes kaum zu bewältigende Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben würden. Denn nicht wenige von ihnen lassen sich - wegen des drohenden Ausschlusses von Vorerkrankungen oder wegen eines Risikozuschlags in der privaten Krankenversicherung - in der AOK oder einer Ersatzkasse versichern. Auch solche Steuerpflichtigen nehmen höhere Versicherungsbeiträge in Kauf und gelangen nicht in den Genuß von Beihilfen. Diese erhöhten Aufwendungen können aber in der Regel schon deshalb nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden, weil es sich um Erschwernisse handelt, wie sie üblicherweise durch Körperbehinderten-Freibeträge abgegolten werden. Daß man den hier zu beurteilenden Streitfall von Sachverhalten der vorerwähnten Art im Rahmen des § 33 Abs. 1 EStG nicht befriedigend abgrenzen könnte, zeigt auch das Urteil des FG. Denn das FG hat den gesamten Differenzbetrag zwischen den gezahlten Beiträgen in der gesetzlichen Krankenversicherung und den Beiträgen, die der Kläger in der privaten Krankenversicherung (ohne seine Krankheit) zu zahlen gehabt hätte, als außergewöhnliche Belastung anerkannt.

Dem FG kann auch nicht darin gefolgt werden, daß die streitigen Beiträge inhaltlich den Behandlungskosten im Krankheitsfalle gleichgesetzt und deshalb als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden müßten. Denn als Krankheitskosten sind in typisierender Weise nur Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen, die zum Zwecke der Heilung oder mit dem Ziel aufgewandt werden, die Krankheit erträglicher zu machen (Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., § 33 Anm. 8 "Krankheitskosten", m. w. N.). Das trifft auf die hier streitigen Krankenversicherungsbeiträge nicht zu.

Kommt danach eine Berücksichtigung der vom Kläger aufgewandten Krankenversicherungsbeiträge als außergewöhnliche Belastung aus systematischen Gründen nicht in Betracht, so bedeutet dies nicht, daß es keine steuerrechtliche Möglichkeit gäbe, der besonderen Situation des Klägers Rechnung zu tragen. Die Umstände des Streitfalls rechtfertigen nach Auffassung des Senats vielmehr eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 Abs. 1 bzw. nach § 227 der Abgabenordnung (AO 1977). Das FG hat aufgrund der von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen zutreffend darauf hingewiesen, daß der Kläger wegen seiner von Kindheit an bestehenden schweren Erkrankung gezwungen war, ein versicherungsrechtliches Sonderopfer zu erbringen. Er gehörte in den Streitjahren zu den ganz wenigen Steuerpflichtigen, die als (an sich) beihilfeberechtigte Angehörige des öffentlichen Dienstes keine Möglichkeit hatten, eine ihren besonderen Verhältnissen entsprechende Krankenversicherung abzuschließen. Da der Kläger nur der gesetzlichen Krankenversicherung beitreten konnte, mußte er, wie das FG ebenfalls festgestellt hat, nicht nur auf Beihilfeleistungen verzichten, sondern hatte im Gegensatz zu sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern auch keinen Anspruch darauf, daß der öffentliche Dienstherr als Arbeitgeber den halben Anteil an den Krankenversicherungskosten trug. Die Beiträge des Klägers, die erheblich höher waren als bei einer privaten Versicherung, trafen ihn mithin in äußerst ungewöhnlicher Weise. Der Senat geht davon aus, daß der Gesetzgeber Fälle dieser Art, hätte er sie gesehen, dahin geregelt hätte, daß er der Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit durch Berücksichtigung der Mehraufwendungen wie bei einer außergewöhnlichen Belastung Rechnung getragen hätte. Unter den vom FG festgestellten tatsächlichen Voraussetzungen ist es deshalb nach Auffassung des Senats gerechtfertigt, die Einkommensteuer gemäß § 163 Abs. 1 AO 1977 aus sachlichen Billigkeitsgründen niedriger festzusetzen oder nach § 227 AO 1977 zu erlassen.

Die Billigkeitsmaßnahme, bzw. nach Eintritt der Rechtskraft der angefochtenen Einkommensteuerbescheide ein entsprechender Erlaß nach § 227 AO 1977, kann sich allerdings nicht auf die gesamten streitigen Einkommensteuerbeträge beziehen. Denn dabei bliebe unberücksichtigt, daß der Kläger wegen seiner Erkrankung auch in einer privaten Krankenversicherung einen Zuschlag hätte zahlen müssen, der dann - wie bereits oben ausgeführt - durch den Körperbehinderten-Freibetrag abgegolten gewesen wäre. Nicht angesetzt oder erlassen werden kann deshalb nur die Einkommensteuer, die den Differenzbeträgen zwischen den tatsächlichen Aufwendungen des Klägers in der gesetzlichen Krankenversicherung und denjenigen, notfalls im Schätzungswege zu ermittelnden Beiträgen entspricht, die der Kläger in einer privaten Krankenversicherung insgesamt zu zahlen gehabt hätte, wenn er in sie aufgenommen worden wäre.

Im vorliegenden Revisionsverfahren können Billigkeitsgesichtspunkte jedoch keine Berücksichtigung finden (vgl. auch BFH-Urteil vom 28. November 1980 VI R 226/77, BFHE 132, 264, BStBl II 1981, 319). Deshalb ist das Urteil des FG, das der Rechtsauffassung des Senats nicht entspricht, aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).