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  BFH-Urteil vom 10.9.1991 (VIII R 39/86) BStBl. 1992 II S. 328

Bei Verlustzuweisungsgesellschaften ist zu vermuten, daß sie zunächst keine Gewinnerzielungsabsicht haben, sondern lediglich die Möglichkeit einer späteren Gewinnerzielung in Kauf nehmen. Das gilt auch für eine Kommanditgesellschaft, die ihren Kommanditisten auf Grund der Bewertungsfreiheit des § 6 Abs. 2 EStG Verluste zuweist.

EStG § 6 Abs. 2, § 15 Abs. 2.

Vorinstanz: FG des Saarlandes

Sachverhalt

Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG, die im September 1972 gegründet worden ist. Persönlich haftende Gesellschafterin der Klägerin ist die A-GmbH. An der Klägerin waren bis zu 43 Kommanditisten beteiligt. Die Geschäfte der Klägerin wurden von der GmbH wahrgenommen. Eigenes Personal hatte die Klägerin nicht.

Die Klägerin befaßt sich nach § 2 des Gesellschaftsvertrages mit der Entwicklung, der Herstellung, dem Vertrieb, der Finanzierung und dem Handel mit Außenwerbeträgern, der Gestaltung und Vermietung von Außenwerbeflächen, der Planung und Durchführung von Werbemaßnahmen jeder Art für andere Personen und Firmen, deren Beratung auf dem Gebiet der Werbung und mit der Entwicklung neuer Werbeformen. Zu diesem Zweck kann sich die Klägerin auch an anderen Unternehmen beteiligen oder diese finanzieren.

Die GmbH war nach § 4 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrags von den Gesellschaftern bevollmächtigt, für diese dem Beitritt neuer Gesellschafter zuzustimmen und alle Anmeldungen zum Handelsregister auch in deren Namen vorzunehmen. Die GmbH war weiterhin ermächtigt, nach ihrem Ermessen von einem solchen Vertrag zurückzutreten und den Austritt zum Handelsregister anzumelden, wenn der betreffende Gesellschafter seine Kommanditeinlage trotz zweimaliger Mahnung nicht fristgerecht erbracht hat. Jeder Kommanditist war verpflichtet, die Vollmacht der GmbH nach einheitlichem Muster zu erteilen.

Zur Gründung der Klägerin ist es auf folgende Weise gekommen. Zwischen den späteren Gesellschaftern der GmbH und einem früheren Gesellschafter-Geschäftsführer der B-GmbH bestanden geschäftliche und freundschaftliche Beziehungen. Die B-GmbH verfügte Anfang des Streitjahres 1972 über Gestattungsverträge mit einer Vielzahl von Städten im Bundesgebiet, aufgrund deren sie berechtigt war, in den dortigen Geschäftsstraßen Außenwerbeträger aufzustellen. Sie war jedoch finanziell nicht in der Lage, diese Sondernutzungsrechte für sich nutzbar zu machen.

Die Klägerin schaffte nach ihrer Gründung 2.289 Werbeträger in Form von Abfallsammelbehältern im Gesamtwert von 1.580.880 DM an und führte sie ihrem Anlagevermögen zu. Die Lieferung der Außenwerbeträger erfolgte durch die B-GmbH. Die Klägerin vermietete die Werbeträger anschließend an die B-GmbH zur Nutzung. Die Wartung der Werbeträger erfolgte durch die B-GmbH.

Die Klägerin nahm für diese Werbeträger, deren Anschaffungskosten für den einzelnen Werbeträger unter 800 DM lagen, die Bewertungsfreiheit für geringwertige Wirtschaftsgüter nach § 6 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Anspruch. Sie wies im Streitjahr 1972 einen Verlust in Höhe von 2.045.117 DM aus. Dies entspricht - bezogen auf das Kommanditkapital - einer Verlustzuweisung in Höhe von ca. 210 v. H. Für die Jahre 1973 und 1974 erklärte die Klägerin Gewinne in Höhe von je 87.000 DM.

Bei der einheitlichen und gesonderten Feststellung des Gewinns für das Jahr 1972 erkannte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nach einer Steuerfahndungsprüfung bei der Klägerin die Bewertungsfreiheit für die Werbeträger nicht an. Er vertrat die Ansicht, die Werbeträger seien zu aktivieren und verteilt auf drei Jahre abzuschreiben. Der Verlust für 1972 wurde auf 782.459 DM, für 1973 auf 423.169 DM und für 1974 auf 434.814 DM festgestellt. Dies entspricht für 1972 einer Verlustzuweisung von 80,67 v. H. Die Klägerin gab für die Folgejahre keine Steuererklärungen ab. Das FA schätzte daraufhin für 1975 einen Verlust von 222.330 DM und für 1976 einen Gewinn von 9.700 DM.

Die Klägerin ist im Handelsregister am 29. Mai 1981 aufgrund § 142 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit von Amts wegen gelöscht worden. Die Eintragung der GmbH im Handelsregister war bereits am 22. März 1979 nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Auflösung und Löschung von Gesellschaften und Genossenschaften von Amts wegen gelöscht worden. Die Löschung beider Gesellschaften war von der Industrie- und Handelskammer angeregt worden. Im Zeitpunkt der Löschung der Klägerin war bekannt, daß die Eröffnung des Konkursverfahrens gegen die Klägerin nach § 107 der Konkursordnung (KO) mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse abgewiesen worden war.

Die Klägerin hatte nach erfolglosem Einspruch gegen die Gewinnfeststellung 1972 Klage erhoben. Das Finanzgericht (FG) folgte der Auffassung der Klägerin, daß die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 EStG für die Inanspruchnahme der Bewertungsfreiheit erfüllt seien, und hob die Einspruchsentscheidung und den angefochtenen Feststellungsbescheid auf, soweit das FA für die im Streitjahr angeschafften Werbeträger die Bewertungsfreiheit des § 6 Abs. 2 EStG versagt hatte.

Auf die Revision des FA hat der erkennende Senat im ersten Rechtsgang das FG-Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen. Das Urteil des FG hätte nicht erlassen werden dürfen, weil das Verfahren bereits vor der mündlichen Verhandlung vor dem FG am 14. September 1979 durch die am 22. März 1979 erfolgte Löschung der GmbH im Handelsregister unterbrochen worden sei. Der frühere Geschäftsführer C sei erst nach Erlaß des angefochtenen Urteils zum Liquidator der Klägerin bestellt worden. Das angefochtene Urteil sei deshalb gegen eine nicht prozeßfähige Beteiligte ergangen.

Das FG hat der Klage im zweiten Rechtsgang, bei dem für die GmbH der Liquidator der GmbH C gehandelt hat, erneut entsprochen. Die Klägerin könne für die von ihr im Jahr 1972 angeschafften Werbeträger die Bewertungsfreiheit nach § 6 Abs. 2 EStG in Anspruch nehmen. Das FG habe keinen Zweifel, daß ein einzelner Abfallbehälter selbständig bewertbar und nutzbar sei. Die selbständige Nutzungsfähigkeit jedes einzelnen Wirtschaftsguts werde nicht durch ihre einheitliche Vermietung an die B-GmbH beeinträchtigt. Die Anwendung des § 6 Abs. 2 EStG scheide auch nicht deshalb aus, weil es gegen Sinn und Zweck dieser Regelung verstoßen würde, wenn die Bewertungsfreiheit auch Abschreibungsgesellschaften, die mit Verlustzuweisungen arbeiten und ggf. auch werben, gewährt würde. Eine Einschränkung dieser Vereinfachungsregelung hätte nur durch den Gesetzgeber angeordnet werden können. Dies sei nicht geschehen.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 6 Abs. 2 EStG. Bei der Frage der selbständigen Nutzungsfähigkeit sei nicht auf die rein technische Funktion der betreffenden Gegenstände, sondern vielmehr auf die betriebliche Art der Verbindung und die Aufgabe, der diese Verbindung im Betrieb dient, abzustellen. Mit dem gesetzgeberischen Zweck sei die Inanspruchnahme der Bewertungsfreiheit dann nicht zu vereinbaren, wenn - wie im Streitfall - eine Leasinggesellschaft geringwertige Wirtschaftsgüter in großem Umfang kaufe und an Leasingnehmer vermiete.

Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt. Sie hat sich zur Revision nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Die Klägerin hat in den Streitjahren keine Einkünfte i. S. des EStG, also auch keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt.

1. Nach der für das Streitjahr geltenden Vorschrift des § 1 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung - GewStDV - (heute § 15 Abs. 2 EStG) setzt die Annahme eines Gewerbebetriebs u. a. eine Betätigung voraus, die mit Gewinnabsicht (Gewinnerzielungsabsicht) unternommen wird.

Das FG ist für das Streitjahr zu Unrecht vom Vorliegen dieses Merkmals bei der Klägerin ausgegangen.

2. Nach dem Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25. Juni 1984 GrS 4/82 (BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, 765 ff.) ist Gewinnerzielungsabsicht das Streben nach Betriebsvermögensmehrung in Form eines Totalgewinns. Bei einer Personengesellschaft muß die Gewinnerzielungsabsicht auf eine Mehrung des Betriebsvermögens der Gesellschaft (einschließlich der Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter) gerichtet sein. Ein Tätigwerden der Gesellschaft lediglich in der Absicht, ihren Gesellschaftern eine Minderung der Steuern vom Einkommen dergestalt zu vermitteln, daß durch Zuweisung von Verlustanteilen andere an sich tariflich zu versteuernde Einkünfte nicht versteuert werden, reicht - entgegen einer früher vertretenen Ansicht - nicht aus.

Ob eine Absicht zur Gewinnerzielung vorliegt, ist wie jede innere Tatsache anhand äußerer Merkmale zu beurteilen. Aus objektiven Umständen muß auf das Vorliegen oder Fehlen der Absicht geschlossen werden, wobei einzelne Umstände einen Anscheinsbeweis liefern können, der vom Steuerpflichtigen entkräftet werden kann. Alle Umstände des Einzelfalls sind zu berücksichtigen. Wenn dauernde Verluste auf das Fehlen einer Gewinnerzielungsabsicht hindeuten, kann dies allein nicht maßgebend sein. Bei längeren Verlustperioden muß aus weiteren Beweisanzeichen die Feststellung möglich sein, daß der Steuerpflichtige die verlustbringende Tätigkeit nur aus im Bereich seiner Lebensführung liegenden persönlichen Gründen und Neigungen ausübt.

3. Der Senat hat in seinem Urteil vom 21. August 1990 VIII R 25/86 (BFHE 163, 524, BStBl II 1991, 564) entschieden, bei Verlustzuweisungsgesellschaften sei zu vermuten, daß sie zunächst keine Gewinnerzielungsabsicht haben, sondern lediglich die Möglichkeit einer späteren Gewinnerzielung in Kauf nehmen. Deshalb kann bei ihnen in der Regel eine Gewinnerzielungsabsicht erst von dem Zeitpunkt an angenommen werden, in dem sich die in Kauf genommene Möglichkeit der Erzielung eines Totalgewinns in einer solchen Weise konkretisiert hat, daß nach dem Urteil eines ordentlichen Kaufmanns mit großer Wahrscheinlichkeit ein solcher Totalgewinn erzielt werden kann.

4. Das FG ist davon ausgegangen, daß es sich bei der Klägerin um eine Verlustzuweisungsgesellschaft handelt. Andernfalls wären die Ausführungen des FG nicht verständlich, daß die Bewertungsfreiheit des § 6 Abs. 2 EStG auch dann zu gewähren ist, wenn die Inanspruchnahme der Bewertungsfreiheit zu Verlusten führt, die die Gesellschafter mit anderen Einkünften ausgleichen, und ggf. der Zweck der Gesellschaft darin besteht, durch die Anschaffung von geringwertigen Wirtschaftsgütern Verluste zu erzielen.

5. Der Senat hat in seinem Urteil in BFHE 163, 524, BStBl II 1991, 564 als Kennzeichen für eine Verlustzuweisungsgesellschaft gewertet, daß deren Initiatoren selbst oder durch Dritte - meist durch Prospekte - interessierte Kapitalanleger mit dem Versprechen von Einkommensteuerminderung durch Verlustzuweisungen werben.

Die Feststellungen des FG, ob die Klägerin mit Verlustzuweisungen geworben hat, sind widersprüchlich. Einerseits hält es eine nähere Prüfung des Vortrags, die Klägerin habe ihre Kommanditisten mit der Inaussichtstellung von Verlustzuweisungen geworben, für nicht erforderlich, weil die Verwaltungsakten und die Prüfungsfeststellungen diesbezüglich keine konkreten Anhaltspunkte enthielten. Andererseits läßt das FG die Revision zu, weil es die Berechtigung zur Inanspruchnahme der Bewertungsfreiheit auch für die Gesellschaften bestätigt, die ihre Gesellschafter mit dem Versprechen hoher Verlustzuweisungen geworben haben.

Einer erneuten Zurückverweisung der Sache an das FG wegen dieser unterschiedlichen Ausführungen bedarf es nicht, weil sich aus den anderen vom FG festgestellten Tatsachen eindeutig ergibt, daß es sich bei der Klägerin um eine Verlustzuweisungsgesellschaft handelt.

6. a) Die Klägerin wurde gegründet, weil die B-GmbH über Gestattungsverträge mit einer Vielzahl von Städten im Bundesgebiet verfügte, aufgrund deren sie berechtigt war, in den dortigen Geschäftsstraßen Außenwerbeträger aufzustellen, nicht aber das nötige Kapital hatte, um diese Sondernutzungsrechte für sich nutzbar zu machen. Das erforderliche Kapital sollte mit einer Vielzahl von Anlegern über die Klägerin beschafft werden. Dabei sollte das Kapital nur zum Teil aus Eigenmitteln bestehen, eine Situation, die für Verlustzuweisungsgesellschaften typisch ist. Dies drückt sich auch in der beabsichtigten Verlustzuweisung in Höhe von 210 v. H. des Kommanditkapitals aus.

b) Der einzelne Kommanditist hatte keinen Einfluß auf den Eintritt neuer Gesellschafter und auf den Austritt von Gesellschaftern. Nach dem Gesellschaftsvertrag war die geschäftsführende GmbH befugt, weitere Kommanditisten aufzunehmen. Jeder Kommanditist hatte der GmbH eine Vollmacht nach einheitlichem Muster zu erteilen, nach der die GmbH befugt war, dem Beitritt neuer Gesellschafter anstelle des Kommanditisten zuzustimmen und alle Anmeldungen zum Handelsregister im Namen des Kommanditisten vorzunehmen. Ein ausscheidender Kommanditist hatte den Auszahlungsanspruch so lange zinslos zu stunden, bis an seine Stelle ein neuer Kommanditist getreten war und seine Kommanditeinlage einbezahlt hatte. Derartige Vertragsgestaltungen sind bei Gesellschaften, die nicht Verlustzuweisungsgesellschaften sind, unüblich.

c) Kennzeichnend für Verlustzuweisungsgesellschaften ist, daß häufig die Kapitaldecke nicht ausreichend ist, weil die Voraussetzungen für ein nachhaltiges wirtschaftliches Gedeihen nicht sorgfältig genug geprüft worden sind. Dies war auch bei der Klägerin der Fall, so daß die Eröffnung eines Konkursverfahrens mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse abgelehnt werden mußte.

7. Da die Klägerin in den Streitjahren keinen Gewerbebetrieb hatte, hätte der mit der Klage angegriffene Gewinnfeststellungsbescheid mit Verlustzuweisungen für die Kommanditisten nicht ergehen dürfen. Wegen des Verböserungsverbots ist es dem Senat verwehrt, den Gewinnfeststellungsbescheid aufzuheben.