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  BFH-Urteil vom 31.1.1992 (VI R 57/88) BStBl. 1992 II S. 401

Wird der private PKW eines Arbeitnehmers auf einer beruflichen Fahrt durch einen Unfall beschädigt, so kann der sogenannte merkantile Minderwert des reparierten und weiterhin benutzten PKW nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt werden.

EStG 1983 § 9 Abs. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 3 Nr. 7, § 7 Abs. 1 Satz 4, § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2.

Vorinstanz: FG Münster (EFG 1988, 558)

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist als Versicherungskaufmann nichtselbständig tätig. Er war mit seinem im Januar des Streitjahres 1984 erstmalig zugelassenen PKW auf zwei beruflich veranlaßten Fahrten in Verkehrsunfälle verwickelt. Die Reparaturkosten wurden im wesentlichen von der Kraftfahrzeug-Kaskoversicherung getragen. In seinem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich machte der Kläger Wertminderungen des PKW als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte wegen fehlenden Aufwands insoweit den Werbungskostenabzug ab.

Die Klage hatte im wesentlichen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Ansicht, der sogenannte merkantile Minderwert sei als Absetzung für außergewöhnliche technische oder wirtschaftliche Abnutzung (AfaA) gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 7 i. V. m. § 7 Abs. 1 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes 1983 (EStG) im Rahmen des Werbungskostenabzugs zu berücksichtigen. Das Urteil ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1988, 558 veröffentlicht.

Zur Begründung seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts und trägt vor: Da hinsichtlich des merkantilen Minderwerts keine Aufwendungen entstanden seien, sei ein Werbungskostenabzug nur möglich, wenn dieser eine außergewöhnliche technische oder eine außergewöhnliche wirtschaftliche Abnutzung des Fahrzeugs darstelle (§ 9 Abs. 1 Nr. 7 i. V. m. § 7 Abs. 1 Satz 4 EStG). Eine außergewöhnliche technische Abnutzung liege nicht vor, weil nach Durchführung der Reparatur kein erhöhter Substanzverbrauch verblieben sei. Eine außergewöhnliche wirtschaftliche Abnutzung sei nicht gegeben, weil die Nutzungsdauer des PKW nicht verkürzt worden sei. Es sei nicht vorgetragen worden, daß durch den Unfall trotz ordnungsgemäßer Reparatur ein technischer Mangel verblieben sei. Die Minderbewertung durch den Gebrauchtwagenmarkt stelle einen reinen Vermögensschaden dar, der nicht zu einem Werbungskostenabzug führe.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der Senat teilt nicht die Rechtsansicht des FG, daß ein merkantiler Minderwert eines PKW zu einem Werbungskostenabzug (§ 9 EStG) bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) führt, wenn der Steuerpflichtige den PKW weiterhin nutzt.

1. Nach ständiger Rechtsprechung können Kosten eines Verkehrsunfalls als Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG berücksichtigt werden, wenn sich der Unfall auf einer beruflich veranlaßten Fahrt ereignet hat (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14. November 1986 VI R 79/83, BFHE 148, 310, BStBl II 1987, 275). Denn Unfallkosten teilen grundsätzlich das Schicksal der Fahrtkosten (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 11. Oktober 1984 VI R 48/81, BFHE 142, 137, BStBl II 1985, 10). Auch wenn der Arbeitnehmer die Fahrtkosten - wie im Streitfall - nach Pauschbeträgen abrechnet, wird der Abzug außergewöhnlicher Ausgaben, wie insbesondere der durch einen Verkehrsunfall entstandenen Kosten, nicht ausgeschlossen (vgl. z. B. BFHE 148, 310, BStBl II 1987, 275).

2. In Rechtsprechung und Literatur umstritten (vgl. zum Meinungsstand Seitrich, Betriebs-Berater - BB - 1990, 1748) ist jedoch, ob ein sogenannter merkantiler Minderwert zu einem Werbungskostenabzug berechtigt.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - BGH - (vgl. Urteile vom 29. April 1958 VI ZR 82/57, BGHZ 27, 181, und vom 3. Oktober 1961 VI ZR 238/60, BGHZ 35, 396) beruht der merkantile, d. h. den Handel betreffende Minderwert darauf, daß ein durch einen Unfall erheblich beschädigtes Kfz trotz technisch einwandfreier Reparatur im Verkehr im allgemeinen geringer bewertet wird als ein unfallfrei gefahrenes Fahrzeug. Die Minderbewertung trägt der Tatsache Rechnung, daß erheblich beschädigte und dann reparierte Wagen im allgemeinen eine größere Schadensanfälligkeit zeigen, ohne daß der Zusammenhang mit dem Unfall nachweisbar zu sein braucht. Der merkantile Minderwert hat die Eigenheit, daß er sich im Laufe der Zeit verringert und schließlich - im allgemeinen bei einem Alter des Kfz von fünf Jahren oder einer Kilometerleistung von 100.000 km (vgl. Urteil des Oberlandesgerichts - OLG - Schleswig vom 22. Februar 1979 9 U 115/78, Versicherungsrecht - VersR - 1979, 1037, 1038; Grunsky in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 2, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl., 1985, Vor § 249 Rz. 14) - ganz verschwindet.

b) Ein derartiger Minderwert führt entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht zu einem Werbungskostenabzug gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 i. V. m. § 7 Abs. 1 Satz 4 EStG wegen außergewöhnlicher technischer oder wirtschaftlicher Abnutzung. Die in § 7 Abs. 1 Satz 4 EStG begründete Zulässigkeit von AfaA setzt nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteil vom 28. Oktober 1980 VIII R 34/76, BFHE 132, 41, BStBl II 1981, 161) eine Substanzeinbuße am Wirtschaftsgut (technische Abnutzung) oder eine Einschränkung seiner Nutzungsmöglichkeit, z. B. herabgesetzte Vermietbarkeit (wirtschaftliche Abnutzung) voraus. Beides kann hinsichtlich des merkantilen Minderwerts nicht angenommen werden.

Da der merkantile Minderwert eine technisch fehlerfrei durchgeführte Reparatur voraussetzt und eine solche keine Substanzeinbuße hinterläßt, scheidet eine Absetzung für außergewöhnliche technische Abnutzung aus. Die Voraussetzungen einer außergewöhnlichen wirtschaftlichen Abnutzung liegen nicht vor, weil keine Einschränkung der Nutzungsmöglichkeit gegeben ist. Ein ordnungsgemäß repariertes Kfz kann vielmehr wie bisher genutzt werden.

Der vom BGH (BGHZ 35, 396, 398) konstatierte allgemeine Erfahrungswert, daß ein unfallgeschädigtes Fahrzeug trotz umfassender Instandsetzung eine größere Schadensanfälligkeit aufweist und zu Spätfolgen führen kann, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Denn selbst wenn eine größere Schadensanfälligkeit trotz ordnungsgemäßer Reparatur gegeben ist, beeinträchtigt diese die fortdauernde und uneingeschränkte Verwendbarkeit des Kfz zunächst nicht und mindert deshalb auch nicht seine Nutzbarkeit (vgl. Seitrich, BB 1990, 1748, 1979; a. A.: Schlarb, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1984, 332, 334 f.; von Bornhaupt in Kirchhof/Söhn, Das Einkommensteuerrecht, § 9 EStG Rdnr. B 482). Die vom BGH (BGHZ 35, 396, 399) für die Anerkennung eines Ersatzanspruchs nach §§ 249, 251 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) angeführten schadensersatzspezifischen Gesichtspunkte, daß der Schädiger durch den Entschluß des Geschädigten, den PKW nicht zu verkaufen, nicht bessergestellt werden solle und eine beschleunigte Schadensabwicklung im Interesse aller Beteiligten liege, können auf das Steuerrecht nicht übertragen werden. Insoweit ist vielmehr bedeutsam, daß die Annahme, unfallgeschädigte Fahrzeuge wiesen trotz ordnungsgemäßer Reparatur eine größere Schadensanfälligkeit auf, lediglich eine größere Ungewißheit der zukünftigen Entwicklung des Fahrzeugs zur Folge hat. Es ist jedoch anerkannt, daß unbestimmte Zukunftsaussichten nicht genügen, um eine außergewöhnliche Abnutzung anzunehmen (vgl. BFH-Urteil vom 27. Juni 1957 IV 114/56 U, BFHE 65, 175, BStBl III 1957, 301). Eine Absetzung wegen außergewöhnlicher Abnutzung käme danach nur und erst dann in Betracht, wenn sich später eine effektive und dauerhafte Nutzungseinschränkung ergeben sollte (vgl. BFH-Urteil in BFHE 132, 41, BStBl II 1981, 161).

3. Die Rechtsansicht, daß der merkantile Minderwert nicht zu einer AfaA berechtigt, steht auch nicht im Widerspruch zu der bisherigen Rechtsprechung des BFH. Das FG hat sich zur Begründung seiner Ansicht, daß ein merkantiler Minderwert nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7, § 7 Abs. 1 Satz 4 EStG zum Werbungskostenabzug führe, im Ergebnis zu Unrecht auf die Urteile des Senats vom 9. November 1979 VI R 156/77 (BFHE 129, 143, BStBl II 1980, 71) und vom 11. Juli 1980 VI R 55/79 (BFHE 131, 67, BStBl II 1980, 655) gestützt.

a) Der erstgenannte Urteilsfall unterscheidet sich vom Streitfall in tatsächlicher Hinsicht dadurch, daß dort der Steuerpflichtige das beschädigte Fahrzeug nicht hatte reparieren lassen. Da deshalb die Einsatzfähigkeit beeinträchtigt oder sogar aufgehoben war, lagen die Voraussetzungen für eine Absetzung wegen außergewöhnlicher Abnutzung vor (vgl. auch BFH-Urteil vom 19. März 1982 VI R 25/80, BFHE 135, 479, BStBl II 1982, 442). Im übrigen sprechen gegen den in diesem Urteil vorgeschriebenen Ansatz des Unterschiedsbetrages der jeweiligen Zeitwerte des Fahrzeugs nicht nur die in der Literatur (vgl. Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, § 19 Anm. 12 "Unfallkosten") angeführten Bedenken, sondern es wäre auch zu prüfen, ob diese Rechtsansicht nicht durch die neuere Rechtsprechung des IX. Senats des BFH zur Umwidmung von Wirtschaftsgütern (Urteil vom 14. Februar 1989 IX R 109/84, BFHE 156, 417, BStBl II 1989, 922), der sich der Senat angeschlossen hat (Urteile vom 2. Februar 1990 VI R 22/86, BFHE 160, 162, BStBl II 1990, 684; vom 16. Februar 1990 VI R 85/87, BFHE 160, 436, BStBl II 1990, 883), überholt ist. Diese Frage bedarf im Streitfall wegen des anders gelagerten Sachverhalts aber keiner abschließenden Entscheidung.

b) Die in dem Urteil in BFHE 131, 67, BStBl II 1980, 655 enthaltene Feststellung, daß der Arbeitnehmer die Kosten für die Beseitigung von Unfallschäden an seinem PKW ebenso wie eine hierdurch eingetretene Wertminderung als Werbungskosten abziehen könne, läßt ihrem Wortlaut nach zwar die vom FG gewählte Interpretation zu, daß auch ein merkantiler Minderwert anzuerkennen sei. Da bezüglich der Wertminderung jedoch ausdrücklich auf das Urteil in BFHE 129, 143, BStBl II 1980, 71 Bezug genommen ist, liegt der Schluß nahe, daß trotz der mißverständlichen Ausdrucksweise nur eine solche Minderung des Wertes gemeint war, die wegen Vorliegens der dafür erforderlichen und oben dargestellten Merkmale zu einer Absetzung wegen außergewöhnlicher Abnutzung nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7, § 7 Abs. 1 Satz 4 EStG berechtigt.

c) Auch das Urteil des Senats vom 2. März 1962 VI 79/60 S (BFHE 74, 513, BStBl III 1962, 192) begründet kein Präjudiz für die Anerkennung eines merkantilen Minderwerts als Werbungskosten nach einwandfrei ausgeführter Reparatur. In dem Urteil ist ausdrücklich ausgeführt, daß neben dem Abzug der Reparaturkosten eine Absetzung wegen außerordentlicher technischer Abnutzung nur in Betracht komme, wenn trotz der Reparatur eine beträchtliche Wertminderung des PKW verbleibe. Zu Recht weisen Herrmann/Heuer/Raupach (Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 7 EStG Rdnr. 227) darauf hin, daß mit Wertminderung eine solche gemeint ist, die zu einer Minderung der Nutzbarkeit führe.

4. Der merkantile Minderwert eines Fahrzeugs kann bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Teilwerts zu Werbungskosten führen. Die aus § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG folgende Möglichkeit, den niedrigeren Teilwert eines Wirtschaftsguts anzusetzen, setzt zwingend eine Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich voraus (vgl. BFH-Beschluß vom 12. Juni 1978 GrS 1/77, BFHE 125, 516, BStBl II 1978, 620; vgl. auch Grube, DStZ 1989, 495, 496). Demgegenüber spielen bei den Überschußeinkünften, zu denen auch die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zählen (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. Abs. 2 Nr. 2 EStG), bloße Wertveränderungen des der Einkunftserzielung dienenden Wirtschaftsguts grundsätzlich keine Rolle (BFH-Urteil vom 21. Dezember 1982 VIII R 215/78, BFHE 138, 44, BStBl II 1983, 410, 411; Grube, DStZ 1989, 495, 496).

5. Der Werbungskostenabzug in Höhe des merkantilen Minderwerts ist auch nicht nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG gerechtfertigt. Soweit der Senat im Falle der Überlassung eines unverzinslichen Darlehens durch einen Arbeitnehmer an seinen Arbeitgeber den Verlust der Darlehensforderung auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7, 7 Abs. 1 Satz 4 EStG nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG als abzugsfähig angesehen hat (vgl. Urteil vom 13. Januar 1989 VI R 51/85, BFHE 156, 95, BStBl II 1989, 382), handelte es sich um einen anders gelagerten Fall. Es blieb der Grundsatz, daß im Steuerrecht nichtrealisierte Verluste nicht steuermindernd berücksichtigt werden dürfen, unangetastet. Die Ausführungen, daß der in § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG verwendete Begriff der Aufwendungen nicht auf den Abfluß (§ 11 Abs. 2 EStG) von Geld beschränkt sei, sondern auch den Abfluß aller Güter in Geldeswert (§ 8 Abs. 1 EStG) umfasse (vgl. auch BFH-Urteil vom 19. Januar 1982 VIII R 102/78, BFHE 135, 434, BStBl II 1982, 533), also allgemein auch Vermögensminderungen, die im Rahmen einer gesetzlichen Einkunftsart eintreten, belegen deutlich die Notwendigkeit des Abflusses (§ 11 Abs. 2 EStG). Die in dem merkantilen Minderwert eines Kfz liegende Vermögensminderung ist aber so lange nicht abgeflossen, wie der Steuerpflichtige das Kfz weiterhin behält. Außerdem wird die Vermögensminderung in Form des merkantilen Minderwerts unter Berücksichtigung des Wesens des merkantilen Minderwerts mit der fortdauernden eigenen Nutzung des Kfz durch den Kläger kontinuierlich geringer, bis sie schließlich bei Erreichen eines bestimmten Alters oder Kilometerstandes des PKW ganz erlischt. Es mangelt damit im Falle der weiteren Nutzung des Kfz nach der Durchführung der Reparatur an dem endgültigen Abfluß eines geldwerten Gutes.

6. Die Sache ist spruchreif. Da das FG den merkantilen Minderwert zu Unrecht als Werbungskosten berücksichtigt hat, war die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.