| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 7.11.1991 (IV R 14/90) BStBl. 1992 II S. 457

Die Fortführung einer freiberuflichen Nebentätigkeit steht der tarifbegünstigten Veräußerung einer Praxis nicht entgegen, wenn diese Nebentätigkeit nur in geringem Umfang ausgeübt worden ist.

EStG § 16 Abs. 4, § 18 Abs. 3, § 34 Abs. 1 und 2.

Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr 1987 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Bis zum 31. Mai 1987 führte der im Jahre 1924 geborene Kläger in gemieteten Räumen eine Arztpraxis in A. Außerdem war er als Betriebsarzt für verschiedene im Raum A ansässige Firmen beschäftigt und seit dem 8. Januar 1987 Vertreter des Truppenarztes der Bundeswehr im Standortbereich A. Die Nebeneinnahmen aus der Tätigkeit als Betriebsarzt betrugen in den Jahren 1985 bis 1987 zwischen 7,6 und 8,7 v. H. der gesamten Einnahmen aus selbständiger Arbeit. Mit Wirkung zum 1. Juni 1987 veräußerte der Kläger seine Praxis an einen Kollegen und erzielte einen Veräußerungsgewinn von 94.347 DM. Gegen eine monatliche bis zur Vollendung seines 71. Lebensjahrs zu zahlende Ausscheidungsprämie von 3.000 DM verzichtete der Kläger auf seine Zulassung als Kassenarzt, führte jedoch seine bisherige Tätigkeit als Betriebsarzt in den jeweiligen Firmen und als stellvertretender Truppenarzt bei der Bundeswehr fort.

Nach einer Betriebsprüfung versagte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) in dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid die mit der Einkommensteuererklärung 1987 begehrte Steuervergünstigung und behandelte den Gewinn aus der Praxisveräußerung als laufenden Gewinn des Streitjahres.

Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen gerichteten Sprungklage mit der Begründung statt, der Kläger sei zwar auch nach der Praxisveräußerung als praktischer Arzt tätig gewesen, er habe aber eine selbständige Praxis veräußert und nicht nur einen Teil einer einheitlichen Tätigkeit aufgegeben.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Der Kläger habe mit der Veräußerung der Praxis nur einen Teil seiner einheitlich zu beurteilenden Tätigkeit aufgegeben und sei auch weiterhin, ohne zeitliche Unterbrechung, in demselben örtlichen Wirkungskreis als Betriebsarzt und Vertreter des Truppenarztes tätig.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Das FG hat im Ergebnis zwar zutreffend die Annahme eines tarifbegünstigten Veräußerungsgewinns i. S. des § 18 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bejaht. Bei der Bemessung des Veräußerungspreises hat es jedoch die für den Verzicht auf die kassenärztliche Zulassung zugesagten und geleisteten Zahlungen nicht berücksichtigt.

1. a) Nach § 18 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 2 bis 4 und § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 1 EStG kann ein steuerbegünstigter Veräußerungsgewinn entstehen, wenn ein freiberuflich Tätiger sein der selbständigen Arbeit dienendes Vermögen, einen selbständigen Teil dieses Vermögens oder einen der selbständigen Arbeit dienenden Anteil am Vermögen veräußert oder aufgibt. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats setzt die Veräußerung oder Aufgabe der Praxis, Teilpraxis oder eines Praxisanteils weiter voraus, daß die freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlich begrenzten Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit eingestellt wird (zuletzt Urteil vom 7. November 1985 IV R 44/83, BFHE 145, 522, BStBl II 1986, 335, m. w. N.).

b) Nach den von der Revision nicht angegriffenen und daher den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) hat der Kläger unter Verzicht auf seine kassenärztliche Zulassung alle wesentlichen Grundlagen seines der selbständigen Arbeit als praktischer Arzt dienenden Vermögens und nicht nur einen Teil dieses Vermögens veräußert. Dabei kann es dahinstehen, ob die Tätigkeit als Betriebsarzt als Teil der in der Praxis ausgeübten freiberuflichen Tätigkeit oder als davon zu unterscheidende, gesonderte selbständige Betätigung zu beurteilen wäre; letzteres läge nahe, wenn die Tätigkeit als Betriebsarzt - anders als beim Kläger - eine besondere Qualifikation voraussetzte, die auch zur Führung der Bezeichnung "Arzt für Arbeitsmedizin" berechtigen würde (vgl. § 4 der Weiterbildungsordnung mit Anlage, DÄBl 1987, 1, und §§ 32 ff. des Kammergesetzes für die Heilberufe (HKG) i. d. F. vom 30. Mai 1980 (Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt - NiedersGVBl - S. 193). Selbst wenn diese Tätigkeit als Teil der Allgemeinpraxis des Klägers zu sehen wäre, hätte der Kläger die wesentlichen Grundlagen seiner freiberuflichen Praxis veräußert. Die zurückbehaltenen Beziehungen zu den einzelnen Firmen zählen schon deshalb nicht zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen, weil darauf in den letzten drei Jahren vor der Praxisveräußerung weniger als 10 v. H. der gesamten Einnahmen entfielen. Die im Januar des Streitjahres aufgenommene Tätigkeit als stellvertretender Truppenarzt sieht der erkennende Senat nicht als Teil der Allgemeinpraxis des Klägers; es handelt sich dabei um eine von der Praxis losgelöste Nebentätigkeit, die der Kläger kurz vor Aufgabe seiner freiberuflichen Allgemeinpraxis neu begonnen hat.

Daraus folgt, daß die Fortführung der freiberuflichen Tätigkeit des Klägers als Betriebsarzt der Steuerbegünstigung des Veräußerungsgewinns nicht entgegensteht. Denn die Veräußerung der wesentlichen Grundlagen des Betriebsvermögens setzt nur voraus, daß der Steuerpflichtige seine auf dieses Vermögen bezogene Tätigkeit beendet.

2. Zu Unrecht hat das FG jedoch die für den Verzicht auf die kassenärztliche Zulassung gewährte monatliche Ausscheidungsprämie bei der Bemessung des Veräußerungspreises i. S. des § 18 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 2 EStG nicht berücksichtigt.

a) Zum Veräußerungspreis im weiteren Sinne gehören auch Leistungen, die der Veräußerer nicht als Gegenleistung für die Praxis, aber im unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Veräußerung erhält, sei es vom Erwerber oder, ohne daß dies der Erwerber veranlaßt hat, von dritter Seite (vgl. Schmidt, Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., 1991, § 16 Anm. 49 b, m. w. N.). Dazu gehören insbesondere Entschädigungen für entfallende Gewinnaussichten oder Prämien, die dem Veräußerer dafür gezahlt werden, daß der Betrieb an einen bestimmten Dritten veräußert wird (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Dezember 1975 I R 29/74, BFHE 117, 483, BStBl II 1976, 224, m. w. N.).

b) Nach den Feststellungen des FG wurde dem Kläger für den Verzicht auf die Zulassung als Kassenarzt eine monatliche Ausscheidungsprämie von 3.000 DM bis zur Vollendung seines 71. Lebensjahrs zugesagt. Schon der Umstand, daß der Verzicht auf die kassenärztliche Zulassung gleichzeitig mit der Übertragung der Praxis auf den Erwerber erfolgte, spricht für einen ausreichenden Zusammenhang der dafür zugesagten Prämie mit der Veräußerung der Praxis.

3. Die Vorentscheidung hat die monatlichen Zahlungen bei der Berechnung des Veräußerungsgewinns nicht berücksichtigt und war daher aufzuheben. Der Senat kann jedoch nicht durcherkennen, da die Sache nicht spruchreif ist. Bei der Veräußerung eines Betriebs oder einer Praxis gegen wiederkehrende Bezüge kann dem Veräußerer unter bestimmten Voraussetzungen nach ständiger Rechtsprechung ein Wahlrecht zwischen der Versteuerung im Zeitpunkt der Veräußerung oder im Zuflußzeitpunkt zustehen (vgl. BFH-Beschluß vom 21. Dezember 1988 III B 15/88, BFHE 155, 386, BStBl II 1989, 409, m. w. N.). Nach der Rechtsprechung des BFH kann dieses Wahlrecht hinsichtlich der wiederkehrenden Bezüge auch dann bestehen, wenn der Betrieb gegen wiederkehrende Bezüge und ein festes Entgelt veräußert wurde (BFH-Urteil vom 20. Dezember 1988 VIII R 110/82, BFH/NV 1989, 630, m. w. N.). Der Senat ist weiter der Auffassung, daß das Wahlrecht auch für solche wiederkehrenden Leistungen gilt, die nicht als Gegenleistung für den Betrieb, sondern, wie im Streitfall, von dritter Seite erbracht werden. Bei erneuter Verhandlung wird das FG zu prüfen haben, ob im Streitfall die Voraussetzungen für das Wahlrecht vorliegen (s. auch Abschn. 139 Abs. 12 der Einkommensteuer-Richtlinien). Ansonsten sind die wiederkehrenden Bezüge in die Ermittlung des Veräußerungsgewinns einzubeziehen und, soweit dies nicht zu einer Verböserung führt, nach §§ 16 Abs. 4, 18 Abs. 3 und § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG einer begünstigten Besteuerung zu unterwerfen.