| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 12.12.1991 (IV R 53/90) BStBl. 1992 II S. 462

Pachtverträge über landwirtschaftlich genutzte Grundstücke zu marktüblichen Konditionen sind in der Regel keine wertbildenden Umstände, die bei der Bemessung des gemeinen Werts (Verkehrswerts) der Grundstücke zu berücksichtigen sind (hier: Bewertung bei Betriebsaufgabe).

EStG § 14, § 16 Abs. 3 Satz 3; BewG § 9 Abs. 2.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Der Vater der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) erzielte bis zu seinem Tod am 17. März 1986 Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, die er durch Bestandsvergleich nach § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelte. Zum 31. Dezember 1982 erwarb er das landwirtschaftlich genutzte und 10 ha große Flurstück 28/47, Flur 6 in der Gemarkung A. Dieses Grundstück verpachtete er am 15. Mai 1983 für die Zeit bis zum 30. September 1998 zu einem jährlichen Pachtzins von 540 DM/ha. Mit dem Tod des Vaters am 17. März 1986 erbte die Klägerin den land- und forstwirtschaftlichen Betrieb, den sie am selben Tag aufgab. Mit der Betriebsaufgabe entnahm sie das Flurstück 28/47.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) setzte den gemeinen Wert für das Grundstück mit 550.000 DM an. Demgemäß erhöhte sich nach Abzug des Buchwertes der Aufgabegewinn um 435.357 DM.

Mit ihrem Einspruch machte die Klägerin erfolglos geltend, die Festsetzung des Entnahmewertes berücksichtige nicht, daß der in dem Pachtvertrag über das Grundstück vereinbarte Jahreszins von 540 DM/ha hinter dem in einem Nachbarort erzielten Zins von 1.300 DM/ha zurückbleibe und auch aufgrund der vereinbarten Anpassung des Pachtzinses an ggf. eintretende Änderungen des Weizenpreises ein ortsüblicher Pachtzins nicht zu erwirtschaften sei.

Im Klageverfahren holte das Finanzgericht (FG) über den gemeinen Wert des Grundstücks unter Berücksichtigung des Pachtvertrages das Gutachten eines Sachverständigen ein. Dieser ermittelte den gemeinen Wert ebenfalls mit 550.000 DM, von dem er jedoch eine fiktive Pachtaufhebungsentschädigung in Höhe von 140.000 DM abzog. Dem folgend setzte das FG unter Änderung der angefochtenen Bescheide den Aufgabegewinn auf 406.075 DM und den Gewinn insgesamt auf 455.163 DM fest.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Das angefochtene Urteil ist aufzuheben; die Klage ist abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Zu Unrecht hat das FG angenommen, bei der Bemessung des gemeinen Wertes im Sinne der §§ 14, 16 Abs. 3 EStG für das von der Klägerin entnommene Grundstück, dessen Zugehörigkeit zum Betriebsvermögen schon aufgrund der entsprechenden Behandlung durch den Vater der Klägerin zu bejahen ist (vgl. Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 7. März 1985 IV R 98/82, BFH/NV 1985, 29), sei der darauf bezogene Pachtvertrag als besonders ungünstig anzusehen und deshalb wertmindernd zu berücksichtigen.

1. Die Höhe des gemeinen Wertes bestimmt sich gemäß § 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) nach den allgemeinen Bewertungsvorschriften (§§ 2 bis 16 BewG), weil das EStG insoweit keine eigenen Regelungen enthält (BFH-Urteile vom 19. Januar 1978 IV R 61/73, BFHE 124, 327, BStBl II 1978, 295; vom 2. März 1989 IV R 201/85, BFH/NV 1990, 88, und vom 2. Februar 1990 III R 173/86, BFHE 159, 505, BStBl II 1990, 497, m. w. N.).

Nach Maßgabe des BewG wird der gemeine Wert durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts bei einer Veräußerung zu erzielen wäre (§ 9 Abs. 2 Satz 1 BewG). Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die den Preis beeinflussen (§ 9 Abs. 2 Satz 2 BewG), soweit sie nicht ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse betreffen (§ 9 Abs. 2 Satz 3 BewG). Die danach preisbildende Beschaffenheit des zu bewertenden Wirtschaftsguts betrifft die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die diesem arteigen sind (BFH-Urteil vom 17. Januar 1975 III R 68/73, BFHE 115, 138, BStBl II 1975, 377), sowie die Umstände, die nach Inhalt und Entstehung mit der Beschaffenheit des Grundstücks zusammenhängen und damit in einer inneren wirtschaftlichen Beziehung zu dem Grundstück stehen (Reichsfinanzhof - RFH -, Urteile vom 22. April 1937 III A 17/37, RStBl 1937, 634, und vom 25. Mai 1938 III 9/38, RStBl 1938, 612).

2. Zu den wertbestimmenden Umständen im Sinne des § 9 BewG gehören Miet- oder Pachtverträge in der Regel nicht (BFH-Urteil vom 14. August 1953 III 33/53 U, BFHE 57, 733, BStBl III 1953, 279; ebenso zu § 142 des Bundesbaugesetzes - BBauG -: Brügelmann/Friedrich, Bundesbaugesetz, § 142 Rdnr. 21); vielmehr ist lediglich in Ausnahmefällen davon auszugehen, daß ein solcher Vertrag bei einem Grundstücksverkauf kaufpreismindernd berücksichtigt wird (BFH-Urteil in BFHE 57, 733, BStBl III 1953, 279; ebenso RFH-Urteil vom 8. Oktober 1926 II A 429/26, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1926, Nr. 577).

a) Die Tatsache eines bestehenden Pachtvertrages, der zu marktüblichen Konditionen geschlossen ist, kann - auch nach Auffassung des FG - kein wertbildender Faktor im Rahmen des § 9 Abs. 2 Satz 2 BewG sein.

Vielmehr wird das Bestehen oder Nichtbestehen von Pachtverträgen über zum Verkauf anstehende landwirtschaftliche Grundstücke unterschiedliche Käuferschichten ansprechen, die einerseits entweder an dem Fortbestand des Pachtvertrages oder allgemein an einer Verpachtung interessiert sind und den Kauf des Grundstücks vorrangig als Kapitalanlage ansehen (vgl. Blohm/Schmidt, Landwirtschaftliche Betriebslehre, S. 279 ff.) oder aber andererseits eine Eigenbewirtschaftung der Grundstücke anstreben. Für die erste Käufergruppe wird der Verkäufer im Hinblick auf die Knappheit und Wertbeständigkeit des Grund und Bodens regelmäßig keine Minderung des Kaufpreises im Hinblick auf einen bestehenden Pachtvertrag zugestehen, weil eine solche Kaufpreisminderung von Käufern, die lediglich an einer Kapitalanlage und deshalb an einer fortdauernden Verpachtung interessiert sind, ebenfalls regelmäßig nicht erwartet wird (vgl. BFH-Entscheidung in BFHE 57, 733, BStBl III 1953, 279).

Die grundsätzliche Unbeachtlichkeit eines Pachtvertrages für die Wertbemessung eines Grundstücks ist auch dadurch begründet, daß der gemeine Wert ein ausschließlich objektiver - wirtschaftsgutbezogener - Wert ist (vgl. BFH-Urteile vom 10. Dezember 1971 III R 43/70, BFHE 104, 373, BStBl II 1972, 313, und vom 17. Januar 1990 II R 65/87, BFHE 159, 549, BStBl II 1990, 530, m. w. N.).

b) Der Klägerin mag darin zuzustimmen sein, daß in die beim Katasteramt gebildeten Richtwerte, die auch der vom FG bestellte Sachverständige herangezogen hat, im wesentlichen durch die Preise bestimmt werden, die für solche Grundstücke gezahlt werden, die in Eigenbewirtschaftung genommen werden. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß für die im Schätzungswege erfolgende Ermittlung des gemeinen Wertes, der ein objektiver Wert ist, auf die Verkaufspreise zurückgegriffen werden kann, die aufgrund eines sog. Verkäufermarktes für solche Grundstücke erzielt werden, die Landwirte in Eigenbewirtschaftung nehmen wollen (vgl. BFH-Urteil vom 23. Februar 1979 III R 44/77, BFHE 128, 254, BStBl II 1979, 618). Es sind Preise für Vergleichsgrundstücke. Für die Schätzung des gemeinen Wertes konnten - nach der damals geltenden Rechtslage - Gutachten z. B. der Gutachterausschüsse nach dem BBauG (§§ 136 ff. BBauG; jetzt §§ 192 ff. des Baugesetzbuches - BauGB -) eingeholt werden, die den Verkehrswert mittels Vergleichswerten und Bodenrichtwerten bestimmten (§§ 142, 143 b BBauG). Das ergibt sich auch aus der Verordnung über Grundsätze für die Ermittlung des Verkehrswertes von Grundstücken (WertV) vom 15. August 1972 (BGBl I, 1417), auf die ergänzend zurückgegriffen werden konnte. Danach sind nach dem Vergleichswertverfahren die für vergleichbare landwirtschaftlich genutzte Grundstücke erzielten Kaufpreise heranzuziehen (§ 4 WertV), auf dieser Grundlage Bodenrichtwerte zu ermitteln (§ 5 WertV) und daraus der Verkehrswert abzuleiten (§ 7 WertV; jetzt in § 13 WertV 1988). Allerdings handelt es sich bei diesen allgemein üblichen Berechnungsmethoden um Hilfsmittel der Wertermittlung durch Schätzung; sie können nur Annäherungswerte ergeben, die Unsicherheitsfaktoren nicht völlig ausschließen (BFH-Urteil vom 26. Juni 1986 IV R 177/84, BFH/NV 1986, 685). Dennoch ist diese Wertermittlung durch unmittelbaren Vergleich zu vergleichbaren Grundstücken anerkannt und anderen Methoden vorzuziehen (BFH-Urteile vom 26. September 1980 III R 21/78, BFHE 132, 101, BStBl II 1981, 153, und vom 9. Juli 1987 IV R 174/85, BFH/NV 1988, 559, und in Steuerliche Entscheidungen zur Land- und Forstwirtschaft - StEL - 1987, 33).

Entsprechend sahen die Richtlinien für die Ermittlung des Verkehrswertes landwirtschaftlicher Grundstücke und Betriebe, anderer Substanzverluste (Wertminderung) und sonstiger Vermögensnachteile vom 28. Juli 1978 (Beilage Nr. 21/78 zum Bundesanzeiger Nr. 181/1978 - LandR -, auszugsweise in Vogels, Grundstücks- und Gebäudebewertung - marktgerecht -, 2. Aufl., S. 418 f.) unter 2.2. vor, daß der Verkehrswert landwirtschaftlicher Grundstücke grundsätzlich nach dem Vergleichswertverfahren ermittelt wird. Nach diesen Richtlinien zählen zu den wertbeeinflussenden Rechten und Belastungen insbesondere solche, die sich auf die Grundstücksnutzung auswirken, wie z. B. Grunddienstbarkeiten, beschränkte persönliche Dienstbarkeiten, Leitungsrechte, Wegerechte, Überfahrtsrechte, aber auch Miet- und Pachtrechte (Nr. 2.4.1). Für letztere gilt, daß bei einer längerfristigen Restpachtzeit (in der Regel mindestens 12 Jahre) sich Einschränkungen der Dispositionsfreiheit und der Verkehrsgängigkeit ergeben und verkehrswertmindernd auswirken können. Obwohl die Restpachtzeit am Tag der Betriebsaufgabe (17. März 1986) bis zum Pachtende (30. September 1998) etwas mehr als 12 Jahre betrug, kommt ein entsprechender Abschlag vom Verkehrswert schon wegen der nur geringfügigen Abweichung von der angegebenen Regel nicht in Betracht. Davon ist auch der vom FG bestellte Sachverständige ausgegangen, weil er nur noch 12 entgangene Ernten angesetzt hat. Aus diesem Grunde kann auch nicht angenommen werden, daß eine Pachtaufhebungsentschädigung wertmindernd abzusetzen ist (Nr. 5.1 und Nr. 5.2 LandR 78).

Etwas anderes folgt auch nicht aus den Überlegungen des Sachverständigen zur Bemessung eines Abschlags wegen der errechneten Deckungsbeiträge bei Eigenbewirtschaftung, die deutlich über dem vereinbarten Pachtzins liegen. Diese rein fiktiven Beträge können nicht berücksichtigen, daß der selbst wirtschaftende Landwirt auch das typische Risiko seiner unternehmerischen Tätigkeit, wie z. B. das der Ernte trägt und seine eigene Arbeitskraft einsetzen muß.

c) Auch die Höhe des vereinbarten Pachtzinses allein kann nicht als wertbildender Faktor i. S. des § 9 Abs. 2 BewG angesehen werden.

Offenkundig ist dies, sofern der ortsübliche Pachtzins vereinbart worden ist. In diesem Fall besteht die vom Erwerber allenfalls zu besorgende Belastung in der fehlenden Möglichkeit zur Eigenbewirtschaftung für die Dauer des Pachtvertrages, die aber - wie ausgeführt - allein für die Höhe des gemeinen Wertes nach § 9 Abs. 2 BewG grundsätzlich keine Bedeutung hat.

3. Im Streitfall hat der vom FG bestellte Gutachter den gemeinen Wert für das entnommene Grundstück - ausgehend von den Bodenrichtwerten für die Gemarkungen A und B für vergleichbare landwirtschaftlich genutzte Flächen vergleichbarer Bonität - mit 550.000 DM ermittelt. Dem ist das FG gefolgt, hat jedoch den bestehenden Pachtvertrag als wertmindernd berücksichtigt, weil es ihn für besonders ungünstig hielt. Diese Annahme ist durch die Feststellungen des FG nicht gedeckt. Insbesondere hat das FG nicht festgestellt, daß die unsubstantiierte Behauptung der Klägerin zutreffe, für Grundstücke der streitigen Art sei ein Jahrespachtzins i. H. von 1.300 DM/ha zu erzielen. Auch das vom FG eingeholte Sachverständigengutachten äußert sich nicht zur Angemessenheit des Pachtzinses.

Der Senat geht - in Übereinstimmung mit den Ausführungen des FA - davon aus, daß der vom Vater der Klägerin bereits wenige Monate nach dem Erwerb des Grundstücks vereinbarte Pachtzins sich im Rahmen der zu diesem Zeitpunkt in A bei vergleichbaren Verhältnissen erzielbaren ortsüblichen Pacht hielt.

Etwas anderes wäre auch kaum verständlich angesichts der langfristigen Verpachtung im Jahr 1983 durch den Vater der Klägerin, die dieser schon wenige Monate nach dem Erwerb für angemessen hielt. Der Pachtzins von 450 DM/ha lag zudem deutlich über dem im Statistischen Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1986 ausgewiesenen Durchschnittswert von 367 DM (S. 140, 8.6). Für die Ortsüblichkeit (Lage, Größe, Bonität) spricht auch der Umstand, daß die zuständige Behörde offensichtlich den vereinbarten Pachtzins des schon damals anzeigepflichtigen Landpachtvertrages (§ 3 Abs. 1 des Gesetzes über das landwirtschaftliche Pachtwesen vom 25. Juni 1952 - LPG -, BGBl I, 343) nicht beanstandet hat. Der Pachtzins wird beanstandet, wenn er nicht im angemessenen Verhältnis zu dem Ertrag steht, der bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung zu erzielen ist (vgl. § 5 Abs. 1 Buchst. b LPG; jetzt § 4 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über die Anzeige und Beanstandung von Landpachtverträgen vom 8. November 1985, BGBl I, 2075). Zu Unrecht hat die Klägerin die Ortsüblichkeit des vereinbarten Pachtzinses in der mündlichen Verhandlung unter Berufung auf ein Vater-Sohn-Verhältnis zwischen dem ursprünglichen Verpächter und dem Pächter in Frage gestellt. Denn nach § 9 Abs. 2 Satz 2 BewG sind persönliche Verhältnisse, die den Preis beeinflussen, nicht zu berücksichtigen.