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  BFH-Urteil vom 22.11.1991 (VI R 77/89) BStBl. 1992 II S. 494

Ein einem Arbeitsplatzwechsel nachfolgender Umzug ist jedenfalls dann als beruflich veranlaßt anzusehen, wenn durch den Umzug die gesamte Fahrzeit zwischen Wohnung und Arbeitsstätte um insgesamt 1 Stunde verringert wird und damit für den Arbeitnehmer eine solche tägliche Wegezeit verbleibt, wie sie im Berufsverkehr als normal angesehen wird (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung).

Die privaten Motive für die Auswahl der Wohnung stehen dann dem Abzug der Umzugskosten als Werbungskosten nicht entgegen.

EStG § 9 Abs. 1 Satz 1.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatte von 1967 bis 1981 mit seiner Familie in einer gemieteten Wohnung in A gewohnt. Die Kinder waren dort geboren und auch zur Schule gegangen. Danach hatte die Familie den Wohnsitz nach B verlegt, wo der Kläger bei einem 13 km von der Wohnung entfernten Arbeitgeber nichtselbständig tätig war. Nachdem das Arbeitsverhältnis dort zum 31. März 1983 aufgelöst worden war, nahm der Kläger zum 1. Mai 1983 ein neues Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber in C auf. Die neue Arbeitsstätte in C war nunmehr rd. 80 km von der Wohnung in B entfernt. Mit notariellem Vertrag vom 22. April 1983 erwarben der Kläger und seine Ehefrau in A ein als Zweifamilienhaus bewertetes Haus, in welches die Familie zum 1. August 1983 einzog. Die zweite Wohnung in dem Haus bezog die Schwiegermutter des Klägers. Soweit die Kinder des Klägers bis 1981 bereits schulpflichtig gewesen waren, wurden sie wieder in die früheren Klassen aufgenommen. Die Entfernung dieses Hauses zur neuen Arbeitsstätte in C beträgt 41 km. Während der Kläger von B zur neuen Arbeitsstätte für eine Fahrtstrecke ca. 1 Stunde benötigt haben will, beziffert er die Fahrzeit von A nach C auf ca. 1/2 Stunde. Ab 1. Juni 1983 stand dem Kläger ein Dienstwagen zur Verfügung.

Nachdem der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) im Einkommensteuerbescheid 1983 zunächst wie beantragt die Umzugskosten in Höhe von 11.277 DM als Werbungskosten berücksichtigt hatte, verweigerte er den Werbungskostenabzug nach vorheriger Ankündigung in dem wegen eines anderen Streitpunktes geführten Einspruchsverfahren.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, mit der der Kläger u. a. den Abzug der Umzugskosten als Werbungskosten begehrte, mit folgenden Gründen ab: Umzugskosten seien nur dann als Werbungskosten abziehbar, wenn die berufliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen als Arbeitnehmer den entscheidenden Grund für den Umzug darstelle und Umstände der allgemeinen Lebensführung nur eine ganz untergeordnete Rolle spielten. So könne ein Umzug beruflich veranlaßt sein wegen einer Ortsveränderung auf Grund eines Berufs- oder Stellungswechsels des Arbeitnehmers, wobei allerdings auch hier außerberufliche Motive den im Arbeitgeberwechsel liegenden Anlaß für den Umzug nicht überlagern dürften. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) im Urteil vom 6. November 1986 VI R 106/85 (BFHE 148, 164, BStBl II 1987, 81) entschieden habe, müsse der Umzug in ein zu Eigentum erworbenes Haus dem Abzug der Umzugskosten als Werbungskosten nicht entgegenstehen. Im Streitfall seien die Umzugskosten aber deshalb nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abziehbar, weil der Arbeitgeberwechsel nicht die alleinige Ursache dafür gewesen sei, daß gerade 11.277 DM für einen Umzug von B nach A entstanden seien. Für diesen Umzug seien die folgenden nicht nur als von untergeordneter Bedeutung einzustufenden privaten Umstände mitursächlich gewesen. Der Kläger habe mit seiner Familie bereits von 1967 bis 1981 in A gelebt. Hier seien die Kinder eingeschult worden. In dieses soziale Umfeld sei die Familie nach 21/2 Jahren von B wieder zurückgekehrt. Die Kinder seien in die früheren Klassenverbände wieder aufgenommen worden. Eine andere einsichtige Begründung, warum der Kläger gerade in diese 41 km von der Arbeitsstätte weit entfernt liegende Gemeinde umgezogen sei, sei nicht erkennbar, zumal der Wohnort A eindeutig nicht zum Einzugsbereich des Ortes der neuen Arbeitsstätte gerechnet werden könne. Bei dieser Sachlage sei der Zeitersparnis für die Fahrten zu der Arbeitsstätte in C keine entscheidende Bedeutung beizumessen, zumal sich die Fahrzeit für eine Fahrt nur um die Hälfte von 1 Stunde auf 1/2 Stunde verkürzt habe. Dieses Argument der Fahrzeitverkürzung werde zudem noch dadurch abgeschwächt, daß dem Kläger ab dem 1. Juni 1983 ein Dienstwagen zur Verfügung gestanden habe. Von einer wesentlichen Ersparnis eigener Ausgaben könne nicht mehr gesprochen werden.

Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Aufhebung der Vorentscheidung und die Anerkennung der zum Werbungskostenabzug geltend gemachten Umzugskosten. Zur Begründung trägt er im wesentlichen vor: Allein der Arbeitsplatzwechsel sei der Grund für den Umzug gewesen. Der Beweggrund für den Umzug habe daher keinesfalls im privaten, sondern allein im beruflichen Bereich gelegen. Davon gehe auch das FG aus. Bei der Auswahl des neuen Wohnortes spielten in jedem Fall private Gründe hinein. Dieser Gesichtspunkt könne den Werbungskostenabzug nicht ausschließen. Unerheblich sei auch, daß im Zusammenhang mit dem beruflich veranlaßten Umzug das Zweifamilienhaus gekauft worden sei. Man habe in B ein ähnliches, allerdings angemietetes Haus bewohnt und hätte in A auch ein ähnliches Haus angemietet, wenn man dieses Haus nicht hätte erwerben können. Das FG habe lediglich die Länge der Fahrtstrecke in Betracht gezogen. Es habe nicht gewürdigt, daß ohne den Umzug die zu befahrende Autobahnstrecke mit ihren Behinderungen durch die Verkehrsdichte und durch Schnee- und Eisglätte im Winter wegen der zu befahrenden Höhenstrecken erhebliche Belastungen verursacht habe. Demgegenüber sei die Strecke zwischen der neuen Wohnung und der neuen Arbeitsstätte ungehindert zu befahren. Neben der erheblichen Verkürzung der Fahrzeit hätten diese Gesichtspunkte in die Beurteilung durch das FG einfließen müssen. Insofern habe das FG gegen den Inhalt der Akten verstoßen und den vorgetragenen Sachverhalt unzureichend verarbeitet. Auch sei das FG von einer Entfernung von nur 80 km zwischen der früheren Wohnung in B und der neuen Arbeitsstätte ausgegangen. Aus den Akten ergebe sich aber eine Fahrtstrecke von 89,5 km. Soweit das FG wegen des Dienstwagens davon ausgehe, daß von einer wesentlichen Ersparnis eigener Aufwendungen nicht mehr gesprochen werden könne, habe es übersehen, daß die Gestellung des Dienstwagens zu Lohneinnahmen führe, die der Besteuerung unterlägen. Schließlich habe das FG nicht bewertet, daß auch ein Umzug an den neuen Arbeitsort zu Umzugskosten in gleicher Höhe geführt hätte. Wenn ein Umzug an den neuen Arbeitsort die gleichen Kosten verursacht hätte wie der konkret vorgenommene Umzug, dann seien die tatsächlich angefallenen Umzugskosten auch abzugsfähig.

Das FA tritt der Revision mit den Gründen der Vorentscheidung entgegen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Das Bewohnen einer Wohnung am Lebensmittelpunkt des Steuerpflichtigen und seiner Familie ist dem privaten Lebensbereich zuzurechnen. Daher sind Aufwendungen für einen Umzug in eine solche Wohnung grundsätzlich steuerlich nicht abziehbare Kosten der allgemeinen Lebensführung (§ 12 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes - EStG -), es sei denn, der Umzug ist beruflich veranlaßt. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH dann der Fall, wenn die berufliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen den entscheidenden Grund für den Umzug darstellt und demgemäß Umstände der allgemeinen Lebensführung nur eine ganz untergeordnete Rolle spielen.

a) Diese Voraussetzungen können z. B. gegeben sein, wenn der Arbeitnehmer seine bisherige Dienstwohnung wegen eines Arbeitsplatzwechsels räumen und deshalb in eine andere Wohnung umziehen muß (BFH-Urteil vom 18. Oktober 1974 VI R 72/72, BFHE 114, 468, BStBl II 1975, 327). Gleiches gilt, wenn ein Arbeitnehmer im zeitlichen Zusammenhang mit einem Arbeitsplatzwechsel innerhalb einer Großstadt oder an einen anderen Ort umzieht, weil sich dadurch die Zeitspanne für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte merklich verringert (BFH-Urteil vom 15. Oktober 1976 VI R 162/74, BFHE 121, 27, BStBl II 1977, 117), wobei der Anerkennung der Umzugskosten als Werbungskosten nicht entgegenstehen muß, daß der Umzug in ein zu Eigentum erworbenes Objekt erfolgt (BFH-Urteil vom 6. November 1986 VI R 34/84, BFH/NV 1987, 236).

b) Auch ohne einen Arbeitsplatzwechsel hat der BFH die berufliche Veranlassung für einen Umzug als gegeben erachtet, wenn der Umzug zu einer wesentlichen Erleichterung für den Arbeitnehmer geführt hat (BFH-Urteil vom 10. September 1982 VI R 95/81, BFHE 136, 478, BStBl II 1983, 16); die Klägerin dieses Verfahrens hatte ihren Wohnsitz in einer Großstadt von 9 km bis auf 1 km an die Arbeitsstätte heranverlegt, weil sie den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte häufig auch mehrmals am Tag zurücklegen mußte. Von ähnlichen Erwägungen geht auch das Urteil vom 28. April 1988 IV R 42/86 (BFHE 153, 357, BStBl II 1988, 777) im Falle eines freipraktizierenden Arztes aus, der seine Wohnung von 14 km bis auf 100 m an seine im Krankenhaus gelegene Praxis heranverlegt hatte. Als eine wesentliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen gilt grundsätzlich der Umstand, daß der Umzug zu einer Fahrzeitersparnis von täglich bis zu 1 Stunde geführt hat (BFH-Urteil in BFHE 148, 164, BStBl II 1987, 81); auch in diesem Urteil stand der nicht durch einen Arbeitsplatzwechsel verursachte Umzug in ein zuvor erworbenes Einfamilienhaus der nahezu ausschließlich beruflichen Veranlassung des Umzugs nicht entgegen.

c) Waren die für die berufliche Veranlassung eines Umzugs entscheidenden objektiven Kriterien wie Auszug aus einer oder Einzug in eine Dienstwohnung, wesentliche Fahrzeitverkürzung von mindestens 1 Stunde oder sonstige allgemeine erhebliche Verbesserungen der Arbeitsbedingungen gegeben, so hat der BFH nicht mehr danach gefragt, aus welchen Gründen der Steuerpflichtige z. B. gerade in diese neue Wohnung gezogen ist. Die Motive für die Auswahl einer Wohnung und die Bestimmung des Wohnortes sind nahezu stets durch die private Lebensgestaltung geprägt. Würden sie eine Rolle spielen, könnten Umzugskosten nie als Werbungskosten abgezogen werden. Daher kann es grundsätzlich für den Abzug der Umzugskosten auch nicht schädlich sein, wenn der Arbeitnehmer bei einem ausschließlich durch einen Arbeitsplatzwechsel ausgelösten Umzug in die Nähe des Arbeitsplatzes zieht und dabei den Ort der neuen Familienwohnung danach auswählt, wo er früher schon einmal gewohnt hat, um damit in das frühere soziale Umfeld der Familie zurückzukehren.

d) Allerdings kann die nach dem Umzug verbliebene Entfernung zur neuen Arbeitsstätte ein Indiz dafür sein, daß der Umzug nicht nahezu ausschließlich beruflich veranlaßt war. Dabei ist auf die gesamten Umstände des Einzelfalles abzustellen; feste Entfernungsgrenzen sind grundsätzlich kein geeignetes Beurteilungskriterium, wie das folgende Beispiel zeigt. Verlegt ein Arbeitnehmer, der 500 km von seiner neuen Arbeitsstätte wohnt, den Wohnort z. B. bis auf 80 km an die neue Arbeitsstätte heran, so bestehen keine Bedenken, den Umzug als nahezu ausschließlich beruflich veranlaßt anzusehen. Wohnt ein Arbeitnehmer hingegen 100 km von der neuen Arbeitsstätte entfernt, so wird von einer nahezu ausschließlich beruflichen Veranlassung des Umzugs kaum ausgegangen werden können, wenn die neue Entfernung zur Arbeitsstätte nunmehr 80 km beträgt. Ähnliche Erwägungen gelten auch bei der Frage, ob eine Wegezeitverkürzung von 1 Stunde täglich stets als ein Indiz für die berufliche Veranlassung eines Umzugs zu bewerten ist. Auch hier wird es auf die Gesamtbewertung der ursprünglichen Fahrzeit, der Wegezeitverkürzung und der nach dem Umzug verbleibenden Fahrzeit ankommen. Dabei wird ein einem Arbeitsplatzwechsel nachfolgender Umzug jedenfalls dann als beruflich veranlaßt angesehen werden können, wenn durch den Umzug die gesamte Fahrzeit um insgesamt 1 Stunde verringert wird und damit für den Arbeitnehmer eine solche tägliche Wegezeit verbleibt, wie sie im Berufsverkehr als normal angesehen wird.

2. Das FG ist bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, daß der Anlaß für den Umzug in dem Arbeitgeberwechsel des Klägers zu sehen war. Es hat unter Beachtung der Grundsätze des BFH-Urteils in BFHE 148, 164, BStBl II 1987, 81 nicht als dem Abzug der Umzugskosten als Werbungskosten entgegenstehend angesehen, daß der Kläger mit seiner Familie in ein zu Eigentum erworbenes Haus gezogen ist. Als schädlich hat es das FG aber gewürdigt, daß der Kläger die Familienwohnung gerade dort genommen hat, wo er bereits 21/2 Jahre zuvor gewohnt hatte und wo die Kinder wieder in die früheren Klassenverbände aufgenommen werden konnten. Andere als private Gründe waren für das FG für die Auswahl gerade dieses Wohnortes nicht erkennbar. Unter diesen Verhältnissen hat das FG unter Verstoß gegen die vorstehenden Grundsätze dem Umstand keine entscheidende Bedeutung beigemessen, daß durch den Umzug eine gewisse Zeitersparnis für die Fahrten zur Arbeitsstätte eingetreten sein mochte. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben; die Sache war an das FG zurückzuverweisen. Das FG wird nunmehr - ggf. auch nach Einholung eines Sachverständigengutachtens - Feststellungen über die durch den Umzug eingetretene Wegezeitverkürzung zu treffen und unter Beachtung der oben angeführten Grundsätze erneut zu entscheiden haben.