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  BFH-Urteil vom 31.10.1989 (IX R 216/84) BStBl. 1992 II S. 506

Bestellen Eltern ihren minderjährigen Kindern unentgeltlich den Nießbrauch an einem bebauten Grundstück und erlangen diese dadurch nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil, so ist das ohne Mitwirkung eines Ergänzungspflegers begründete Nutzungsrecht bürgerlich-rechtlich unwirksam und einkommensteuerrechtlich auch dann nicht anzuerkennen, wenn das zuständige Vormundschaftsgericht die Bestellung eines Pflegers für nicht notwendig gehalten hat.1

EStG § 21 Abs. 1; AO 1977 § 41 Abs. 1 Satz 1; BGB §§ 107, 181, 1629 Abs. 2 Satz 1, 1795.

Vorinstanz: FG Münster (EFG 1985, 124)

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind je zur Hälfte Miteigentümer eines von ihnen im Jahr 1977 mit einem Drei-Familien-Haus bebauten Mietwohngrundstücks. Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 10. Dezember 1977 räumten sie ihren drei Töchtern, den Beigeladenen zu 1 bis 3, unentgeltlich den Nießbrauch an dem Grundstück ab 1. Januar 1978 zu gleichen Bruchteilen auf fünf Jahre ein. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses waren die 1960 und 1964 geborenen Beigeladenen zu 2 und 3 noch minderjährig. Vor Abschluß des Vertrages hatten sich die Kläger an das zuständige Vormundschaftsgericht wegen der Bestellung eines Pflegers für die minderjährigen Kinder gewandt. Mit Schreiben vom 27. Dezember 1977 teilte das Amtsgericht mit, daß nach dortiger Auffassung eine Pflegerbestellung nicht notwendig sei, weil den Kindern durch die Einräumung des Nießbrauchs lediglich ein rechtlicher Vorteil entstehe.

Der notarielle Vertrag lautet auszugsweise:

"§ 4 Da der Grundbesitz mit Fremdmitteln belastet ist, verpflichten sich die ... (Kläger), für diese Fremdmittel die Zinsen und Tilgungen allein zu tragen. Im übrigen gilt die gesetzliche Regelung.

§ 5 Die ... (Beigeladene zu 1.) hat das Grundstück ordnungsgemäß zu verwalten. Vermieten darf sie es ganz oder teilweise nur auf die Dauer von längstens fünf Jahren.

§ 6 Außer der gewöhnlichen Instandhaltung obliegen den Bruchteilsnießbrauchsberechtigten auch außergewöhnliche Ausbesserungen und Erneuerungen. Sie sind verpflichtet, alle öffentlichen Lasten und Abgaben sowie die Erhaltungs- und Instandsetzungskosten zu tragen. Soweit die Einkünfte zur Bestreitung der Ausgaben nicht ausreichen, brauchen die Nießbrauchsberechtigten Aufwendungen aus eigenen Mitteln nicht zu machen."

Der Nießbrauch wurde in das Grundbuch eingetragen.

Die Beigeladene zu 1 schloß die Mietverträge für das Grundstück für sich und die Beigeladenen zu 2 und 3 ab. Die Mieten wurden auf ein gemeinsames Konto der Beigeladenen zu 1 bis 3 eingezahlt.

In ihren Feststellungserklärungen für die Streitjahre 1978 bis 1982 teilten die Beigeladenen die Vermietungseinkünfte unter sich zu je 1/3auf.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) hielt dagegen die Nießbrauchsvereinbarung zunächst mit den Beigeladenen zu 2 und 3, später nur noch mit der Beigeladenen zu 3, für unwirksam. Das FA rechnete die Einkünfte - auch in den Einspruchsentscheidungen - den Klägern zu je 1/6 und den Beigeladenen zu 1 und 2 zu je 1/13 zu.

Das Finanzgericht (FG) gab den Klagen statt und verteilte die Einkünfte auf die drei Beigeladenen zu je 1/3. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1985, 124 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 21 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Kinder, denen die Eltern den Nießbrauch an einem Grundstück eingeräumt hätten, könnten nur dann den Tatbestand der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung verwirklichen, wenn der Nießbrauch zivilrechtlich wirksam begründet worden sei (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. Mai 1980 VIII R 75/79, BFHE 131, 208, BStBl II 1981, 297). Dies sei im Streitfall für die Beigeladene zu 3 mangels Mitwirkung eines Ergänzungspflegers zu verneinen. Gegenteiliges ergebe sich nicht aus dem Vertrauen auf das "Negativattest" des Amtsgerichts (vgl. BFH-Urteil vom 19. Dezember 1979 I R 176/77, BFHE 129, 475, BStBl II 1980, 242).

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger und die Beigeladenen zu 1 bis 3 beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage durch den BFH (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Es kann offenbleiben, ob der Tenor des FG-Urteils, wonach "die ... festgestellten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu je einem Drittel auf die Beigeladenen zu 1.-3. verteilt werden", hinreichend bestimmt ist. Denn die Vorentscheidung kann jedenfalls aus materiell-rechtlichen Gründen keinen Bestand haben. Das FG hat rechtsfehlerhaft den Nießbrauch zugunsten der Beigeladenen zu 3 anerkannt.

1. Ob die Einkünfte aus dem vermieteten Grundstück den Klägern oder ihrer in den Streitjahren noch minderjährigen Tochter - der Beigeladenen zu 3 - zuzurechnen sind, hängt davon ab, wer von ihnen den Tatbestand der Einkunftserzielung erfüllt. Das ist derjenige, der die rechtliche oder tatsächliche Macht hat, eines der in § 21 Abs. 1 EStG genannten Wirtschaftsgüter anderen entgeltlich auf Zeit zur Nutzung zu überlassen. Er muß also Träger der Rechte und Pflichten eines Vermieters oder Verpächters aus dem Rechtsverhältnis der Vermietung oder Verpachtung sein (BFH-Urteile vom 15. April 1986 IX R 52/83, BFHE 146, 415, BStBl II 1986, 605; vom 26. April 1983 VIII R 205/80, BFHE 138, 242, BStBl II 1983, 502).

2. Bestellen Eltern ihren minderjährigen Kindern den Nießbrauch an einem Grundstück, setzt die Verwirklichung des Tatbestands der Einkunftserzielung durch die Kinder voraus, daß das Nutzungsrecht bürgerlich-rechtlich wirksam begründet wurde. Die zivilrechtliche Wirksamkeit des Vertrags ist erforderlich, um eine klare Trennung der Verwaltung des eigenen Vermögens und der Verwaltung des Kindesvermögens durch die Eltern zu gewährleisten (BFH-Urteile in BFHE 131, 208, BStBl II 1981, 297; vom 13. Mai 1980 VIII R 63/79, BFHE 131, 212, BStBl II 1981, 295; in BFHE 146, 415, BStBl II 1986, 605). Dies gilt unabhängig davon, ob sich die Eltern für die Vermögensverwaltung der Hilfe Dritter - wie hier der Beigeladenen zu 1 - bedienen.

Dementsprechend kommt es im Streitfall entgegen der Meinung des FG nicht darauf an, inwieweit der Antrag der Kläger auf Bestellung eines Ergänzungspflegers und das - die Antragsrücknahme anregende - Hinweisschreiben des Amtsgerichts für die Ernsthaftigkeit der Nießbrauchsvereinbarung sprechen. Selbst wenn das Schreiben wie eine Entscheidung des Vormundschaftsgerichts als Negativattest gewertet würde, wird hierdurch die Wirksamkeit des Vertrages nicht beeinflußt (vgl. den Sachverhalt und Nr. 1 der Entscheidungsgründe des BFH-Urteils in BFHE 129, 475, 478, BStBl II 1980, 242; ferner Bundesgerichtshof - BGH -, Urteil vom 30. November 1965 V ZR 58/63, BGHZ 44, 325).

3. Die Nießbrauchsvereinbarung zwischen den Klägern und der bei Vertragsschluß i. S. von § 106 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) beschränkt geschäftsfähigen Beigeladenen zu 3 war mangels Einwilligung eines Ergänzungspflegers (§ 1909 BGB) nach § 108 BGB schwebend unwirksam (§§ 107, 177 BGB), weil die Kläger an der gesetzlichen Vertretung ihrer Tochter gehindert waren (§§ 1629 Abs. 2 Satz 1, 1795 Abs. 1 Nr. 1, 1795 Abs. 2, 181 BGB). Zwar ist nach der Rechtsprechung des BGH ein Rechtsgeschäft, das jemand als Vertreter eines anderen mit sich im eigenen Namen vornimmt (Insichgeschäft), über den Wortlaut des § 181 BGB (Entsprechendes gilt für § 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB) hinaus auch dann zulässig, wenn dieses dem Vertretenen lediglich einen rechtlichen Vorteil bringt (vgl. BGH-Urteile vom 25. April 1985 IX ZR 141/84, BGHZ 94, 232, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1985, 2407; vom 9. Juli 1980 V ZB 16/79, BGHZ 78, 28). Diese Voraussetzung ist vorliegend jedoch nicht gegeben.

Für den Fall der unentgeltlichen Nießbrauchsbestellung zugunsten eines Minderjährigen hat der BGH bisher offengelassen, ob bereits die kraft Gesetzes für den Nießbraucher gegenüber dem Eigentümer entstehenden Verpflichtungen (§§ 1036, 1041, 1045, 1047 BGB) einen rechtlichen Nachteil bedeuten (Urteil vom 5. Februar 1971 V ZR 91/68, Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1971, 380). Der BFH hat die Frage im Urteil in BFHE 131, 208, BStBl II 1981, 297 unter Hinweis auf die überwiegende Meinung im bürgerlich-rechtlichen Schrifttum bejaht. Der erkennende Senat hält auch im vorliegenden Fall die Nießbrauchsbestellung für die minderjährige Beigeladene zu 3 für rechtlich nachteilig. Von den gesetzlichen Verpflichtungen des Nießbrauchsberechtigten gegenüber dem Eigentümer war einerseits die Pflicht zur Lastentragung gemäß § 1047 BGB durch § 4 des Vertrags, wonach die Kläger die Zinsen zu tragen hatten, eingeschränkt. Andererseits ging die Verpflichtung zur Erhaltung des Grundstücks nach § 6 des Vertrags über die gesetzliche Pflicht gemäß § 1041 BGB hinaus. Daß die Beigeladenen hierfür keine Aufwendungen aus eigenen Mitteln zu erbringen hatten, ist für die Beurteilung, ob die Nießbrauchsbestellung rechtlich lediglich vorteilhaft war, unerheblich. Denn die wirtschaftlichen Wirkungen haben außer Betracht zu bleiben; es kommt allein auf die rechtlichen Folgen an (BGH-Urteil in MDR 1971, 380). Für deren Beurteilung ist auch zu berücksichtigen, daß die Beigeladenen verpflichtet waren, das Grundstück zu vermieten. Dies ergibt sich aus § 5 und § 6 Satz 3 des Vertrags. Der Eintritt in die Vermieterstellung (§§ 535 ff. BGB) begründet Verpflichtungen gegenüber dem Mieter, die als für den Minderjährigen rechtlich nachteilig anzusehen sind (vgl. Oberlandesgericht Oldenburg, Beschluß vom 1. Oktober 1987 5 W 43/87, NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht - NJW-RR - 1988, 839, zur Schenkung eines vermieteten Grundstücks an Minderjährige, mit weiteren Nachweisen aus dem Schrifttum).

Die schwebend unwirksame Nießbrauchsbestellung konnte von der Beigeladenen zu 3 nach Erreichen der Volljährigkeit nicht mit steuerrechtlicher Wirkung für die Vergangenheit gemäß § 108 Abs. 3 BGB genehmigt werden (vgl. BFH-Beschluß vom 5. März 1981 IV R 150/76, BFHE 132, 563, 568, BStBl II 1981, 435; Urteile vom 25. November 1986 IX R 51/82, BFH/NV 1987, 159, 160, jeweils zu § 108 Abs. 3 BGB; in BFHE 131, 208, 212, BStBl II 1981, 297, 299 unter 2.b, zu §§ 184 Abs. 1, 1909 BGB).

4. Entgegen der Ansicht des FG kann von dem Erfordernis der bürgerlich-rechtlichen Wirksamkeit nicht nach § 41 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) abgesehen werden.

Der Anwendbarkeit dieser Vorschrift steht entgegen, daß - wie bereits ausgeführt - die bürgerlich-rechtliche Wirksamkeit erforderlich ist, um eine klare Trennung der Verwaltung des eigenen Vermögens und der Verwaltung des Kindesvermögens durch die Eltern zu gewährleisten.

Daß § 41 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 auf Verträge zwischen nahen Angehörigen nicht angewendet wird, begegnet wegen der zwischen Angehörigen gegebenen besonderen Verhältnisse keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 20. November 1984 1 BvR 1406/84, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Einkommensteuergesetz ab 1975, § 15 Abs. 1 Nr. 2 FamPersGes, Rechtsspruch 8, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1985, 283).

5. Die Anerkennung der Nießbrauchsbestellung zugunsten der 1978 volljährig gewordenen Beigeladenen zu 2 durch das FA ist schon wegen der Bindung an das Revisionsbegehren des FA (§§ 121, 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) nicht zu überprüfen.

6. Die Sache ist spruchreif. Unter Aufhebung des FG-Urteils war die Klage abzuweisen.