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  BFH-Urteil vom 13.11.1991 (I R 129/90) BStBl. 1992 II S. 519

Rückstellungen eines Herstellers wegen Gewährleistungsverpflichtungen gegenüber seinen Vertragshändlern sind hinsichtlich des verwendeten Ersatzteilmaterials unter Zugrundelegung der Händler-Nettopreise zu bilden, wenn die vereinbarte Gewährleistungsverpflichtung nicht durch Naturalersatz, sondern durch Erteilung einer Gutschrift für das verwendete Ersatzteil zu erfüllen ist.

KStG 1977 § 8 Abs. 1; EStG § 5 Abs. 1.

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) - eine AG - stellt Automobile her. Auf Grund der zwischen ihr und den Vertragshändlern getroffenen Vereinbarungen (Direkthändlervertrag, Händlervertrag, Verkaufs- und Lieferbedingungen) sowie der für die Abrechnung und Abwicklung der Gewährleistungsansprüche vereinbarten Gewährleistungs- und Kundendienstrichtlinie hatte die Klägerin den Vertragshändlern deren Aufwendungen für Gewährleistungs- und Kulanzarbeiten getrennt nach Arbeitsleistung, ausgewechselten Original-Hersteller-Teilen und Fremdleistungen zu vergüten. Die Vergütung der Klägerin an die Händler für die ausgewechselten Original-Hersteller-Teile bemaß sich nach den Händlereinstandspreisen für Monatsbestellungen, d. h. nach den im Zeitpunkt des Garantiefalles jeweils gültigen Nettopreisen. Auch im Streitjahr wurden die Gewährleistungsfälle ausschließlich durch entsprechende Zahlungen oder Geldgutschriften der Klägerin abgewickelt. Ein Naturalersatz fand nicht statt. Zwar waren die Vertragshändler auf Grund der Vereinbarungen mit der Klägerin zu einer angemessenen Ersatzteilbevorratung, nicht aber zu einer sofortigen Nachbestellung der verwendeten Garantieteile verpflichtet.

Bei der Bewertung der Garantierückstellungen legte die Klägerin die Höhe der voraussichtlichen Geld- bzw. Gutschriftsschuld gemäß der mit den Vertragshändlern bestehenden Vereinbarungen zugrunde. Dementsprechend setzte sie die zu erwartenden Aufwendungen für Gewährleistungs- und Kulanzfälle hinsichtlich der ausgewechselten Original-Hersteller-Teile mit den Händler-Nettopreisen an.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) vertrat die Auffassung, daß die Garantierückstellungen hinsichtlich des verwendeten Garantiematerials nicht unter Berücksichtigung der Händlereinkaufspreise, sondern nur der Selbstkosten der Klägerin gebildet werden dürften. Er stützte sich hierbei auf das Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 30. September 1977 (- 31 - S 2137 - 21/2 - 6028 -, Einkommensteuerkartei der Oberfinanzdirektion - OFD - München, Karte 3.1. zu § 6 Abs. 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Danach seien Gewährleistungsrückstellungen von Automobilherstellern auch dann mit den Selbstkosten für die Herstellung der Ersatzteile zu bewerten, wenn statt eines Anspruchs des Vertragshändlers auf Naturalersatz eine Geldgutschrift in Höhe des zur Zeit der Garantiearbeit geltenden Händler-Nettopreises gewährt werde. Das FA war danach der Ansicht, nur auf diese Weise werde die Belastung aus den Garantieverpflichtungen ihrem wirtschaftlichen Gehalt nach zutreffend bewertet. Es kürzte die Rückstellung um 7,5 % und setzte eine entsprechend höhere Körperschaftsteuer für das Streitjahr fest.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte Erfolg (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1991, 68). Nach Ansicht des Finanzgerichts (FG) legte die Klägerin bei der Bildung der Gewährleistungsrückstellungen zu Recht die Händler-Nettopreise zugrunde.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Die Klägerin hat zu Recht die Rückstellung für Gewährleistungen für die Zwecke der steuerlichen Gewinnermittlung auf der Grundlage der Händler-Nettopreise bewertet.

1. Die ihrer Höhe nach streitige Rückstellung für Garantieverpflichtungen ist als Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten mit dem Betrag anzusetzen, der nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendig ist (§ 6 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 EStG, § 156 Abs. 4 des Aktiengesetzes 1965 - AktG -). Für die Bewertung solcher Rückstellungen gelten die allgemeinen Grundsätze für die Bewertung von Verbindlichkeiten (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. Dezember 1990 I R 153/86, BFHE 163, 146, BStBl II 1991, 479, m. w. N.). Verbindlichkeiten sind in sinngemäßer Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG mit den Anschaffungskosten anzusetzen. Dies ist bei einer auf Geldleistung gerichteten Verbindlichkeit der Nennbetrag (vgl. BFH-Urteil vom 4. März 1976 IV R 78/72, BFHE 121, 318, BStBl II 1977, 380). Ist die Verbindlichkeit auf eine Sachleistung gerichtet, ist die Rückstellung mit dem Betrag anzusetzen, den der Verpflichtete voraussichtlich aufwenden muß, um die Leistung zu erbringen (vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 1972 I R 7-8/70, BFHE 107, 521, BStBl II 1973, 217).

Nach diesen Grundsätzen ist für die Bewertung der Gewährleistungsrückstellungen der Klägerin von den Händler-Nettopreisen für den Einkauf der Ersatzteile auszugehen. Denn die Verpflichtung der Klägerin gegenüber ihren Händlern war auf eine Geldleistung durch Gutschrifterteilung in dieser Höhe gerichtet.

2. Zu Unrecht meint das FA, der durch die Rückstellung zu berücksichtigende Aufwand bestehe allein aus den dem Hersteller entstehenden Selbstkosten, weil Inhalt der Garantieverpflichtung letztlich die Ersetzung mangelhafter Teile durch mangelfreie sei. Das FA verkennt den wirtschaftlichen Gehalt der zwischen der Klägerin und ihren Händlern getroffenen Vereinbarung, wenn es meint, die Erteilung der Gutschrift sei eine bloß buchungsmäßige Verrechnungstechnik, welche die Höhe der zu erwartenden Belastung der Klägerin aus der Lieferung mangelhafter Teile nicht beeinflusse.

Das FG hat demgegenüber zutreffend ausgeführt, daß eine saldierende Betrachtungsweise, welche die Belastung aus der Gutschrifterteilung um die Gewinne aus der Lieferung von Ersatzteilen kürze, gegen die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung verstoßen würde.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG kann nicht davon ausgegangen werden, daß jedem Gewährleistungsfall und jeder Gutschrifterteilung eine Bestellung des Händlers nachfolgte. Die Händler waren nach den vertraglichen Vereinbarungen mit der Klägerin nur zu einer angemessenen Vorratshaltung, nicht aber zu einer sofortigen Nachbestellung verpflichtet. Es war gerade der Sinn der zwischen der Klägerin und ihren Händlern getroffenen Vereinbarungen, daß Garantiearbeiten auch mit bereits im voraus bestellten Ersatzteilen ohne besondere Nachlieferung durchgeführt werden konnten und eine gesonderte Behandlung von Ersatzteillieferungen für Gewährleistungsfälle und sonstigen Teilelieferungen entbehrlich wurde.

Vertragshändler und Hersteller sollten ihre Bestell- und Lieferpolitik ausschließlich an den tatsächlich benötigten Teilemengen ohne Rücksicht auf bestehende Gewährleistungsvereinbarungen ausrichten. Dies wäre bei vertraglicher Vereinbarung einer Ersatzlieferung nicht möglich, weil dann erst nach jedem Gewährleistungsfall das vom Vertragshändler aus seinem Lager genommene Ersatzteil auf Anforderung des Händlers vom Hersteller hätte nachgeliefert werden müssen, um den Lagerabgang auszugleichen.

Das Gutschriftensystem, welches die Klägerin mit ihren Händlern vereinbart hatte, unterschied sich grundlegend von einem solchen Ersatzlieferungssystem. Denn es war dadurch gekennzeichnet, daß auch die Abwicklung von Gewährleistungsfällen in Gestalt von Umsatzgeschäften, d. h. mit Gewinnrealisierung, durchgeführt wurde. Den zusätzlichen Gewinnen aus denjenigen Ersatzteillieferungen, die den eingetretenen Gewährleistungsfällen entsprachen, standen die höheren finanziellen Aufwendungen für die Erteilung von Gutschriften gegenüber. Wenn die Klägerin die Gewinne aus Teilelieferungen im Jahr der Realisierung, die zu erwartenden finanziellen Aufwendungen für Gutschriften im Jahr der wirtschaftlichen Verursachung bilanziell berücksichtigt, entsprach dies dem Realisations- und dem Vorsichtsprinzip. Demgegenüber beruht die Betrachtungsweise des FA auf einem Widerspruch, wenn es einerseits die Gestaltung der Klägerin insoweit steuerlich beachtet, als Gewinne aus Ersatzteilgeschäften erzielt wurden, andererseits aber die entsprechenden höheren Aufwendungen aus der Gutschrifterteilung nicht bei der Rückstellungsbildung anerkennt. Dieses Ergebnis wäre selbst dann unzutreffend, wenn, wofür der Sachverhalt keine Anhaltspunkte bietet, die gewählte Gestaltung mißbräuchlich im Sinne des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) wäre. Denn bei Anwendung dieser Vorschrift dürften die vorweggenommenen Ersatzteillieferungen auch nicht als Umsatzgeschäfte behandelt werden.

3. Die vorstehenden Überlegungen gelten jedoch nur für die Gewährleistung im Verhältnis zu den Vertragshändlern. Eine Rückstellung auf der Grundlage der Händler-Nettopreise ist somit nicht anzuerkennen, soweit die Ersatzteillieferungen auf Gewährleistungsarbeiten in den rechtlich unselbständigen Niederlassungen der Klägerin beruhen. In diesem Fall fehlt es an einem Umsatzgeschäft, so daß nur eine Rückstellung in Höhe der beim Hersteller entstehenden Selbstkosten gebildet werden darf. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG betraf die von der Klägerin gebildete Rückstellung jedoch ausschließlich Gewährleistungsverpflichtungen gegenüber ihren Vertragshändlern.

4. Der Senat kann offenlassen, ob der Auffassung des FA für den Fall gefolgt werden kann, daß zwar ein Gutschriftensystem eingeführt, die Abwicklung der Gewährleistungsansprüche tatsächlich aber in der Weise geschieht, daß jedes für Garantiefälle verwandte Ersatzteil sogleich im Anschluß an die Gutschrifterteilung bestellt wird. Eine derartige Handhabung der Gewährleistungsvereinbarungen durch die Klägerin und ihre Händler hat das FG nicht festgestellt.